Omri Boehm (Philosoph und Kritiker der Politik Israels) erhält den Leipziger Buchpreis 2024

Von Christian Modehn am 8.3.2024

Am 21.3.2024 eingefügt: Die Rede von Omri Boehm in Leipzig mit dem Titel “Freundschaft in finsteren Zeiten”. LINK

Über das in Leipzig wichtige geehrte Buch von Omri Boehm: “Radikaler Universalismus”:  LINK

Die Laudatio auf Omri Boehm und sein Buch “Radikaler Universalismus” hielt in Leipzig die Soziologin Eva Illouz (Frankreich/Israel). LINK

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Unser Hinweis vom 8.3.2024:

1.
Man darf am 20. März 2024 gespannt sein, wenn in Leipzig der israelisch – deutsche Philosoph OMRI BOEHM den Leipziger Buchpreis erhalten wird. Die Laudatio wird die Soziologin Eva Illouz halten. Omri Boehm wurde 1970 in Haifa (Israel) geborren, er besitzt die israelische und die deutsche Staastbürgerschaft, er arbeitet vor allem in New York an der “New School for Social Research” als Philosophieprofessor.

Und wir können nur hoffen, dass den richtigen Aussagen Omri Boehms zur gegenwärtigen Politik in Israel (siehe unten) die Attacken erspart bleiben, die der jüdische Filmemacher Yuval Abraham nach seinen Aussagen, auch auf der “Bären Gala”der Berliner Filmfestspiele, erleben musste. Yval Abraham (Regie: “No Other land”) hatte die rechtsextrem beherrschte Politik Israels treffend als “Apartheids-Politik” bezeichnet. Und er hatte deswegen Morddrohungen erhalten, weil bestimmte “übereifrige Deutsche”  seinen Argumenten unterstellten,  sie seien antisemitisch… LINK zu Yval Abraham.

2.
Der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung wird seit 1994 verliehen, LINK,  er gehört in Deutschland zu den bedeutendsten Literaturauszeichnungen. Veranstalter des Preises sind der Freistaat Sachsen, die Stadt Leipzig, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Leipziger Messe.
Omri Boehm erhält den Preis zu Beginn der Leipziger Buchmesse am 20. März 2024 im Leipziger Gewandhaus.

3.
Omri Boehm zeigt u.a. in seinem wichtigen Buch „Radikaler Universalismus“ einen Ausweg aus den ständigen Kriegen Israel – Palästina: Es ist die Idee/Utopie eines gemeinsamen Staates von Juden und Arabern. Die viel besprochene Zweistaatenlösung lehnt Omri Boehm ab.

4.
Aktuell wichtig erscheint uns die Deutlichkeit, mit der Boehm in seinem Buch „Radikaler Universalismus“ (Propyläen – Verlag) den Staat Israel und seinen Zionismus, vor allem die jetzige Regierung Israels kritisiert. Schon 2020 verfasste er eine „Streitschrift“ „Israel. Eine Utopie“. Nach dem Terroranschlag der Hamas am 7.10.2023 wiederholte Boehm seine Grundüberzeugung: “Wir haben es mit einer unerträglichen Situation zu tun, wo das Unmögliche notwendig ist. (…) Wir müssen Vorschläge für eine politische Lösung in der Zukunft finden. Die einzige Alternative zum entgrenzten Krieg ist der Kompromiss einer Föderation.“
Omri Boehm spricht auf Seite 150 des Buches „Radikaler Universalismus“, von der „Apartheidsstruktur, die Israels jahrzehntelange Siedlungspolitik im Westjordanland bestimmt.“

5.
Das Wort Apartheidsstruktur öffentlich zur Qualifizierung von Israels Westjordan – Politik zu gebrauchen, ist hierzulande doch „ein bißchen“ mutig. Man denke an die Aufgeregtheit, die anläßlich der Berliner Film – Festspiele die Debatten bestimmten, als auch das Wort „Apartheidspolitik Israels“ fiel…

6.
Ebenso erstaunlich, dass Boehm den Staat Israel und die westlichen Demokratien dadurch gekennzeichnet sieht, „dass sie für immer auf der gewaltsamen Unterdrückung anderer gegründet“ sind.(S. 152). Noch deutlicher auf Seite 153: Israel könne beides sein, ein Staat der Holocaust – Überlebenden und ein kolonialistischer Apartheidsstaat. Israel kann dieses beides nicht nur sein, sondern, so fügt Boehm wörtlich hinzu: „Ist es auch“ (S. 153).

7.
Mit dieser Kritik will Omri Boehm überhaupt nicht einen Antisemitismus fördern. Und auch ein deutscher Journalist, der Böhms Aussagen und Urteile dokumentiert, ist kein Antisemit, sondern wie Boehm ein Kritiker der von rechtsextremem Denken bestimmten gegenwärtigen Politik Israels! Diese Politik ist ein heftiger und für Humanisten und Philosophen unerträglicher Widerspruch gegen die vernünftige Politik, die den „radikalen UNIVERSALISMUS“, „Jenseits von Identität“ lebt. Zum Buch „Radikaler Universalismus“ der Hinweis des “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin” ,veröffentlicht am 30.9.2022: LINK.

8.
Omri Boehm will nur für Klarheit sorgen über die gegenwärtigen Zustände in Israel und Palästina; er denkt und argumentiert zugunsten eines besseren, eines gerechten Israel für Juden wie auch selbstverständlich für Araber.

9.
Unser herzlicher Glückwunsch zum Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung für Omri Boehm.

10.

Zur “weiten Herkunft” (und damit der universalen “Verbreitung” dieser Erkenntnis, also des universell gültigen Prinzips der selben Menschenwürde für alle Menschen. Nur ein Beispiel: Marc Aurel (121 – 180 n.Chr.) sagt in seinen “Selbstbetrachtungen”: „Ich habe klar erkannt, dass der Mensch, der gegen mich fehlt, in Wirklichkeit mir verwandt ist, nicht weil wir von demselben Blut oder derselben Abkunft wären, sondern wir haben gleichen Anteil an der Vernunft, der göttlichen Bestimmung.“ (Seite 22 in Reclam, „Marc Aurel, Selbstbetrachtungen 2001). Und auch: „Jedes vernünftige Wesen ist mit mir verwandt“, (ebd. S. 34, 3. Buch)
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Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Wer sich abschottet, der stirbt. Zum “Philosophie Magazin”, Ausgabe Februar-März 2017

Ein Hinweis von Christian Modehn

Wer heute für eine immer größere Abschottung und Abgrenzung von „den anderen“, den „Fremden“, eintritt, schließt sich selbst ein, begibt sich in einen Raum, in dem es auf Dauer nichts mehr zu atmen gibt: Weil die anregende frische Luft fehlt, die es nur im Austausch, also in der Offenheit gibt. Wolfram Eilenberger, der Chefredakteur des „Philosophie Magazin“, bringt diese Erkenntnis auf den Punkt: „Nur wer offen ist, kann dicht bleiben“ (Seite 3). Diese „Mitte“ zwischen Offenheit und Abgrenzung erst formt die eigene Identität; diese Mitte ist je neu in unterschiedlichen Situationen zu finden. Jede Selbstbegrenzung ist allerdings immer schon – zumindest geistig – über die eigenen Grenzen hinaus, also auf die anderen bezogen. Abschottung, Nationalismus usw. sind ein Selbst-Widerspruch, und somit Unsinn.

Aber wie das so ist mit den philosophischen Erkenntnissen: Sie können als Maxime der eigenen Lebenshaltung nur dargestellt und empfohlen, nicht aber politisch durchgesetzt werden. Gegen bornierte Dummheit, als bequemer Gehorsam gegenüber populistischen Sprüchen der Politiker, hat Philosophie nur die Macht des Arguments und des Dialogs. Wer sich heute mit den sehr rechtslastigen Freunden der Abgrenzung, die sich etwa auch „Identitäre“ nennen, auseinandersetzt, der erlebt einmal mehr die politisch-praktische Schwäche des Denkens, der Philosophie. Vielleicht sollte sie sich mit Künstlern verbinden und verbünden: Der radikale demokratische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski, Russland kritisiert den Wahn des Putin-Regimes mit dem schmerzhaften Einsatz seines eigenen Körpers (bis hin zum Zunähen der eigenen Lippen). Über ihn wird im „Philosophie Magazin“ berichtet.

Die Februar Ausgabe (2017) des inzwischen vielfach geschätzten philosophischen Magazins kann, wie immer bei der Philosophie, dem Leser, der Leserin, nur zu denken geben. Und das ist viel. Philosophie kann die üblichen Begriffe stören und den angeblichen gesunden „Verstand des Volkes“ bloßstellen. Nur so können Neu-Orientierungen beginnen. Und dazu bietet das neue Heft ein weites Feld fürs eigene Nachdenken: Sind die ganz großen Pop-Diven die letzten mythischen Lebewesen? Sind Björk, Adele, Beyoncé und die anderen etwa die Göttinnen der (angeblich) säkularen Welt? Kann die so vielfach geliebte japanische Cyber-Celebrity Hatsune Miko die japanische, zenbuddhistisch inspirierte Spiritualität neu beleben? Dass alles Illusion ist, das alles Leibliche und Greifbare, also Menschliches vergeht? Dieses Thema, die neuen Götter und Engel, die sich in der POP-Szene tummeln, könnte weiter ausgebreitet werden: Sind die säkularen Menschen also doch irgendwie (noch) fromm, brauchen sie HalbgöttInnen und Schutzpatroninnen (wie Beyoncé)? Können diese mythische und göttliche Rolle nur Frauen übernehmen? Ist die klassische, männlich geprägte Religion irgendwie dann doch am Ende, trotz oder besser wegen der aggressivsten Männlichkeit, etwa in fundamentalistisch islamistischen Kreisen? Wenn man Göttinnen (des Pop) erzeugen kann, darf man dann auch menschliches Leben künstlich erzeugen, wird gleich im Anschluss im Heft gefragt. Ist das menschliche Leben ein „Designobjekt“ (S. 36) ?

Angesichts der bevorstehenden Wahlen in Frankreich (im Mai ) ist die Reportage über die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz besonders interessant: Sie besucht die Stadt Sarcelles in der Nähe von Paris; dort hat sie als Jugendliche gelebt, dort gab es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Juden und Muslims. Heute werde dort der Schein des guten Zusammenlebens aufrecht erhalten, meint Frau Illouz: Religiöse Juden und religiöse Muslime sind vereint in der Ablehnung des Laizismus, der als Trennung von Religionen und Staat immer noch ein entscheidendes (und in unserer Sicht richtiges) kulturelles und religiöses Merkmal Frankreichs ist. Beim Kampf (Demonstrationen und Polemiken) gegen die „Ehe für alle“ waren religiöse Führer aller Religionen (bis auf Protestanten, also Reformierte und Lutheraner) ökumenisch vereint.

Die Ehe für alle ist dann – Gott sei dank – doch Gesetz geworden. Für die konservativen Religionen, auch in Deutschland, ist das Thema allerdings nicht beendet….

Im offensichtlichen Sinne philosophisch sind die Beiträge über Epikur, da breitet Pierre Vesperini, Experte für antike Philosophie, die These aus: Epikur habe in seinem berühmten Garten so etwas wie einen religiösen Verein geleitet; eine These, der im Heft auch widersprochen wird. Dabei spricht vieles für die These des Philosophen Pierre Vesperini, Epikur habe wie die anderen großen Philosophen in Athen eine spirituelle Schule geleitet und sich selbst als religiösen Meister gesehen. Die religiöse Bedeutung der antiken Philosophieschulen hat ja auch Pierre Hadot in seinem umfangreichen Werk hervorgehoben, er ist sicher einer der besten Kenner. Etwa wenn er von den religiösen Exerzitien und geistlichen Übungen im Umfeld der griechischen Philosophen spricht. Der Beitrag verführt dazu, die Verbindungen der frühen Kirche mit der griechischen Philosophie weiter zu studieren: Etwa: Der Apostel Paulus hat in Athen den Dialog mit Philosophen auf dem Areopag gesucht, und in ihrem Sinne (so berichtet die Apostelgeschichte) allen Ernstes betont: „Da wir Menschen nun göttlichen Geschlechts sind…“ eine Formulierung, die auch an Epikur und andere erinnert. In der Theologie und der Philosophie ist leider auch die Tatsache der praktischen Hilfsbereitschaft der Philosophen für die frühe Kirche vergessen: Paulus hat nämlich in Ephesus zwei Jahre Unterkunft bei dem Philosophen Tyrannus gefunden und in dessen Schule gepredigt (!), weil der Apostel in der Synagoge nicht mehr reden konnte und wollte… (APG., 19, 8 ff.)

Erfreulich und inspirierend ist weiter, dass ein Interview mit dem umfangreichen Werk des Philosophen Hermann Schmitz (Kiel) bekannt macht: Schmitz ist der Begründer der „neuen Phänomenologie“: Sie will die Vielfalt subjektiver Erlebnisse, vor allem die unwillkürlichen Lebenserfahrungen, zur Sprache bringen und kritisch untersuchen, ein bislang oft übersehenes, schwieriges Unternehmen.

…..diese wenigen Hinweise können zeigen: Es lohnt sich wieder, das Philosophie Magazin zu lesen.

www. philomag.de

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon, Berlin