Die rechtsradikale Partei Front National und Marine Le Pen sprechen von “christlichen Wurzeln Europas”: Hinweise auf gefährliche Propaganda.

Wenn Rechtsradikale ihre christlichen Wurzeln pflegen

Vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich

Von Christian Modehn       Mskr. abgeschlossen am 29.3. 2017. Der Beitrag erschien in leicht veränderter Form in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM (Oberursel). Ausführlicher werden die ideologischen Wurzeln von Le Pen in einem anderen aktuellen Beitrag vom 13. 4. 2017 dargestellt, klicken Sie hier.

Der Wahl-Kampf in Frankreich wird gern als Wahl-Krampf bezeichnet angesichts der Korruptionsfälle so genannter Spitzenpolitiker. Auch gegen Marine Le Pen, die Präsidentschaftskandidatin der Rechtsextremen, wird entsprechend ermittelt. Selbst ihre Bindung an den Freund und Gönner Vladimir Putin verzeihen die Fans noch gern. So liegt Le Pen in Umfragen unter allen Kandidaten mit 26 % ganz vorne für den ersten Wahlgang am 23. April. Noch erstaunlicher ist: So viele Katholiken wie nie zuvor, 26 %, wollen Le Pens „Front National“ (FN) wählen, andere Umfragen nennen sogar 29 %. Schon bei den Regionalwahlen 2015 hatten 25 % der „praktizierenden Katholiken“ FN gewählt. Diese hohe Zustimmung unter Katholiken für den FN ist erstaunlich: Die bisher übliche Bindung an die bürgerliche Rechte bröckelt bei ihnen, zumal ihr Kandidat Francois Fillon (Les Républicains) von zahlreichen Finanz-Affären sehr belastet ist; er redete seinen katholischen Wählern ein, wie ethisch und christlich er doch sei… „Die Verbindung mit dem Katholizismus verhindert nicht mehr wie einst die Option für den FN“, betont der Politologe Claude Dargent.

Politologen nennen den FN nach wie vor rechtsextrem, selbst wenn sich Marine, seit 2011 Parteichefin, manchmal moderater äußert als ihr Vater Jean-Marie Le Pen. Er fiel als Gründer des FN (1972) durch antisemitische Hetze auf, mehrfach wurde er deswegen verurteilt. Marine Le Pen will einen „normalen“ FN präsentieren. Sie selbst nennt sich sogar „pro-zionistisch“: Gleichzeitig warnt sie aber vor jüdischen Finanzexperten! Absolut nationalistisch ist ihre „abschreckende und Frankreich total abschottende Ausländer- und Flüchtlingspolitik“.

Unter Katholiken hat Marine Le Pen Zustimmung gefunden, weil sie ständig die „christlichen Wurzeln Frankreichs“ beschwört: Deswegen will sie die Kirchen nicht attackieren, auch wenn „der Klerus nur in die Sakristei gehört“. Marine Le Pen (geb. 1969) nennt sich zwar katholisch, bekennt aber, den Glauben nur sehr selten zu praktizieren. Sie lobt die selbst von Bischöfen hoch geschätzte laicité, die Trennung der Religion vom Staat, betont dann aber: Die Muslime könnten diese laicité wegen ihrer Bindung an den alles bestimmenden Koran überhaupt nicht anerkennen. Deswegen passe „der“ Islam nicht nach Frankreich. Dabei wird die laicité von le Pen missdeutet: Die Trennung von Religion und Staat bietet gerade allen Religionen die Möglichkeit, sich zu entwickeln und friedlich miteinander zu leben.

Le Pen ist nicht offen rassistisch, sie verbreitet aber eine strafrechtlich nicht so gefährliche Anti-Islam-Ideologie. Ihr Ziel: Moderate Muslime dürfen nur noch privat oder in schlichten Moscheen beten, der Islam soll aus der Öffentlichkeit verschwinden. Er ist in Krisenzeiten „der Feind“, der „eine Okkupation im Land vorbereitet“.

Katholiken stimmen für den FN, weil sie ihre alte Liebe zur Nation wieder pflegen und die angeblich guten alten Zeiten erträumen können, in denen es noch keine gesetzlich erlaubte Homo-Ehe und Abtreibung gab. Ausschlaggebend ist die Angst vor dem (islamistischen) Terror und die Sehnsucht nach mehr Kontrolle und Sicherheit.

Der „Normalität“ des FN folgen auch progressive katholische Kreise, wenn etwa die katholische Wochenzeitung „LA VIE“ (Auflage 99.000) Anfang März auf ihrem Titelblatt Marine Le Pen riesig präsentiert. Das Interview mir ihr umfasst vier Seiten. Die Macht der ausführlichen Behauptungen liegt eindeutig bei der FN Führerin! Die Sympathien der Katholiken fürs Rechtsextreme werden vor allem von Marion Marechal-Le Pen verstärkt, der Nichte von Marine. Die erst 27 Jährige ist FN-Abgeordnete in der Nationalversammlung. Im konservativen katholischen Milieu groß geworden, besuchte Marion ein Mädchen-Gymnasium der mit Rom versöhnten traditionalistischen „Dominikanerinnen vom Heiligen Geist“. An den ebenfalls von reaktionären Katholiken organisierten Wallfahrten nach Chartres nimmt sie gern teil. Sie war die treibende Kraft, als sich eine breite katholische Massenbewegung 2013 mit dem FN in den Demonstrationen gegen die „Homoehe“ verbündete.

Dem FN nicht abgeneigt ist neben anderen Bischöfen Dominique Rey vom Bistum Fréjus-Toulon: Im August 2015 hatte er Marion Maréchal-Le Pen zu einer Akademieveranstaltung nach Sainte-Baume eingeladen. Dort konnte sie ungehindert ihre Ideologie kurz vor den Regionalwahlen verbreiten: Für den FN stimmten dann in der Provence und Umgebung 45 % aller Wähler. „Bischof Rey hat auch zur Banalisierung des FN beigetragen“, schreibt treffend der Theologe Christian Terras. Gegen diese Annäherung von Katholiken und FN war der Widerspruch unter den anderen Bischöfen schwach: Deutlich wurde nur ein Laie: Der Koordinator der katholischen Menschenrechtsorganisation ACAT, Jean-Etienne de Linares: „Die Verbindung von FN und Rassismus ist evident. Der FN spricht dem anderen (dem Muslim) den Wert als Mensch ab. Ich bedauere es, dass die Kirche nun aus dem FN eine respektable Partei macht“. Etwas zaghaft sagte dann später Erzbischof Laurent Ulrich (Lille): „Man kann nicht Christ und fremdenfeindlich sein“, den FN nannte er nicht.

Die Bischofskonferenz hat im Oktober 2016 einen Text veröffentlicht, der sich an „alle Bewohner des Landes“ richtete: Tatsächlich aber wurde diese Mahnung nur als Buch (Auflage 10.000 Exemplare) verkauft. Darin ist vom allgemeinen Zerfall der politischen Kultur die Rede. Aber mit keinem Wort wird eine der Hauptschuldigen genannt: Marine Le Pen und ihre Partei. Mit dem Satz: „Die Zeiten sind vorbei, in denen die Bischöfe sagten, wen man wählen soll“, hat sich der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Georges Pontier (Marseille), aus der Affäre gezogen. Er hat bei der Vollversammlung der Bischöfe im März 2017 erneut vor einer muslimfeindlichen Politik gewarnt, jedoch Le Pen wieder namentlich nicht erwähnt. Radikaler denkt Bischof Jacques Gaillot (Partenia): Er unterstützt den trotzkistischen Präsidentschaftskandidaten Philippe Poutou von der „Neuen Antikapitalistischen Partei“.

Wen werden die Protestanten wählen? Ihr Anteil an der Bevölkerung beträgt 2 %. Bisher wählten sie eher links, aber auch bei ihnen ist (im lutherisch geprägten Elsass) eine starke Nähe zu Rechtsextrem zu beobachten. Der Präsident der Vereinigten (reformierten und lutherischen) Kirchen Frankreichs, Pastor Francois Clavairoly, hat hingegen ausdrücklich vor dem FN gewarnt!

Den aussichtsreichsten Kandidaten Emmanuel Macron („En Marche“) im entscheidenden zweiten Wahlgang (am 7. Mai) erleben viele Katholiken als zu wenig spirituell…Er verweist nur auf seine Ausbildung in einer Jesuitenschule in Amiens …Selbst wenn Macron im 2. Wahlgang zum Präsidenten gewählt wird: Die etwa 10 Millionen FN Wähler werden sich vom Ungeist dieser Partei kaum distanzieren.

 

Copyright: christian Modehn

Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Welche Religion pflegen die Kandidaten

Frankreich 2012: Was glauben die Präsidentschaftskandidaten?

Von Christian Modehn     Ergänzung vom 23.4. 2012 nach der Ersten Wahlrunde: Die sogen. praktizierenden Katholiken, also die einmal im Monat an der Messe teilnehmen, so die franz. Definition,  haben überwiegend Rechts und Mitte gewählt, so “Harris” heute. Für Sarkozy haben 47%  der praktizierenden Katholiken gestimmt (26,9 % aller Franzosen), für Hollande (Sozialist) hingegen nur 14 % ( 28,7 unter allen Franzosen). Die rechtsextreme Marine le Pen erhielt von praktizierenden Katholiken immerhin 15 % (18,5 % Landesdruchschnitt), alle Katholiken zusammengenommen, also auch die gelegentlichen Mess- Besucher, sind es tatsächlich 20 %. Die Warnungen der Bischöfe vor Le Pen nützen offenbar nicht sehr viel. Le Pen und Front National sind also unter “normalen Katholiken” sozusagen “normal” geworden. Man muss wissen, dass die regelmäßig praktizierenden Katholiken mehrheitlich der älteren Generation angehören. Sie wünschen keinen Wandel, sie sehen nichts Problematisches bei Sarkozy wie es viele andere tun, jüngere und Gebildetere Franzosen vor allem. Bezeichnend: Für die Grünen (Madame Joly) stimmten 2 % der Katholiken.  Erfreulich bleibt in unserer Sicht, dass immerhin 17 % der praktizierenden Katholiken für Bayrou gestimmt haben, einen Christen, der die Laizitität voll ernst nimmt und schätzt.

 

Es ist eine der Grundlagen der französischen Kultur, dem einzelnen nahezulegen, über den persönlichen Glauben an Gott eher diskret zu schweigen. Religion ist Privatsache, das ist der Geist, der seit der Trennung von Kirche und Staat im Jahr 1905 herrscht.

Durch Nicolas Sarkozy ist ein gewisser Wandel eingetreten. Er hat in seinem Buch „Die Republik, die Religionen und die Hoffnung“ (2004, Paris, éditions du cerf) von seiner Bindung an die katholische Kirche öffentlich gesprochen, aber eingestanden, dass er nicht regelmäßig “praktiziert“, also an der Messe teilnimmt. Wegen seiner offenen Liebe zum Katholizismus (nicht unbedingt zur katholischen Morallehre und der katholischen Soziallehre, siehe hier etwa seinen entschiedenen Willen, störende Ausländer, etwa Sintis und Roma, aus Frankreich zu vertreiben) wurde er dreimal (!) von Papst Benedikt XVI. empfangen. Er hat als (wiederverheiratet – geschiedener) Laie sogar den Titel eines „Ehrenkanonikus der Lateranbasilika“ vom Papst Benedikt empfangen (da interessierte sich der Papst nicht so stark wie sonst für die ( in seinem Sinn) eher zweifelhafte moralische Existenz der Wiederverheiratet Geschiedenen). Als Dank für die päpstliche Ehrung sagte Sarkozy: Die Priester seien wichtiger für die Ethik als die Lehrer an staatlichen Schulen. Sarkozy sorgte dafür, dass die Studien – Abschlüsse der katholischen Privatuniversitäten – wie des Institut Catholique in Paris – auch staatlich anerkannt werden. Sarkozy will die Laizität verändern zugunsten einer für die Kirche „positiven Laizität“. An dem Beispiel zeigt sich, was auch für den Vatikan „Kirchen- Diplomatie“  bedeutet.

Gegen die Instrumentalisierung des Glaubens durch einen Politiker wehrt sich mit Nachdruck ein Präsidentschaftsandidat, dem die Öffentlichkeit seinen authentischen Glauben tatsächlich seit Jahren schon abnimmt: Es ist Francois Bayrou von der Partei der Mitte „Modem“. Er ist ein Verehrer des Schriftstellers Charles Péguy oder der Philosophin Simone Weil und des katholischen Pazifisten Lanza del Vasto. Trotz seiner tatsächlichen, offen bekannten religiösen Praxis wehrt sich Bayrou, die bestehenden Gesetze der Laizität, also der Trennung von Kirche und Staat, zugunsten der Kirche verändern. Im Verlag Albin Michel (Paris 2010) erschien zu dem Thema das Buch „Les politiques ont- ils une ame?“, also : Haben die Politiker eine Seele? Um der Laizität willen kritisierte er etwa, als in Frankreich zum Tode Papst Johannes Paul II. die Flaggen auf Halbmast gesetzt wurde;  er war dagegen, dass im Projekt einer Verfassung der Europäischen Union der christliche Glaube als eine Wurzel erwähnt werden soll. „Es gibt die eine Ordnung, die des Gesetzes, und es gibt eine andere Ordnung, die des Glaubens“ heißt sein – typisch französisches, aber darüber hinaus sympathisch – richtiges – Motto.

Auch die Kandidatin des rechtsextremen Front National Marine Le Pen, bekennt sich als Katholikin, allerdings mit der Einschränkung, sie sei eine “catholique de parvis“, also eine Katholik eher auf dem Vorplatz vor der Kirche. Sie erinnert aus taktischen Gründen – gegen die Muslime ! – immer wieder an die christlichen Wurzeln Frankreichs. Weil nur die Priester der Piusbruderschaft diese Positionen unterstützen, sonst der Klerus und die Bischöfe aber eher gegen Le Pen sind, empfiehlt die rechtsextreme Kandidatin: Die Priester sollten sich aus der Politik heraushalten und „in der Sakristei bleiben“.

Ausdrücklich „atheistisch – tolerant“ präsentieren sich Nathalie Arthaud von der trotzkistischen Lutte ouvrière (LO) und Philippe Poutou, von der Neuen antikapitalistischen Partei (NPA). Wobei Poutou durchaus sozial engagierte Katholiken schätzt, etwa Mitarbeiter von EMMAUS, dem Sozialwerk, das Abbé Pierre gestiftet hat. Nathalie Arthaud (Professorin für Ökonomie) bekennt: “Der Mensch hat Gott geschaffen und die Götter nach seinem Bild, und nicht umgekehrt!“

Über ihre religiöse Bindung äußert sich fast gar nicht Francois Hollande (PS): In einem Buch aus dem Jahr 2002 „Ceux qui croient au ciel…  („Diejenigen, die an den Himmel glauben und diejenigen, die nicht an ihn glauben“)  hingegen gesteht er, doch überzeugt zu sein, das Gott nicht existiert. Er verteidigt den Geist der Aufklärung und des Rationalismus, gibt aber zu, dass der Glaube an ein höchstes Wesen eine „gewisse Erleicherung verschaffte und verschafft“. Hollande wurde in Rouen in einem Pensionat mit dem Namen „la Salle“ „christlich“ erzogen.

Auch der recht populäre linke Kandidat Jean – Luc Mélenchon (Front de Gauche) weigert sich über seinen religiösen Glauben ausführlich zu sprechen. „Der Glaube betrifft einzig und allein nur mich selbst”, sagte er. Er wehrt sich gegen die –angebliche ? – Rekonfessionalisierung der Republik unter Sarkozy. Im März 2011 gestand Mélenchon, einst Messdiener gewesen zu sein, „zu einer Zeit, als man die Messe noch auf Lateinisch las“. Er war früher auch Journalist bei der christlichen Wochenzeitung „La Voix Jurassienne“…

Also, ganz können selbst die über Religiöses Schweigsamen doch nicht darauf verzichten, gelegentlich religiös etwas zu plaudern.  Die neugierige Öffentlichkeit will halt bedient werden.

Auch die Kandidatin der “Grünen”, Eva Joly, hat sich auf die Bibel bezogen, als sie inbesondere das 8. Gebot  (der “10”) in den Mittelpunkt ihres Interesses stellte: “Ich verachte die Lüge, wer auf die Bibel schwört und dann ein falsches Zeugnis gibt, hat weder Respekt vor sich selbst noch vor seinem Gesprächspartner”. Sie legte in einem Interview mit La Vie allen Nachdruck darauf, “für das Gemeinwohl zu arbeiten”.

Der Kandidat der Partei “Debout la République”, Nicolas Dupont – Aignan, gibt sich als “Katholik seit meiner frühen Kindheit”. Er hatte Verständnis, sich einige sehr konservative Katholiken schockiert zeigten über das Theaterstück von Romeo Castellucci, das von “Integristen” auch als blasphemisch gedeutet wurde. Sie kämpften für das Verbot des Theaterstücks in Paris.

Jacques Cheminade steht der “la Rouche” Bewegung nahe.

 

 

Copyright: Christian Modehn Berlin

Der Artikel verdankt etliche Informationen dem empfehlenswerten Sonderheft der Zeitschrift LA VIE (PARIS) mit dem Titel „Les Présidents et Dieu“.  2011.