Papst Leo XIV. ist ein Augustinus-Fan. Sehr viele sind es nicht.
Ein Hinweis von Christian Modehn 8. August 2025, drei Monate nach dem „Regierungsantritt“ von Papst Leo XIV.
1.
Papst Leo XIV. hat seit der ersten Minute seines „Pontifikats“ explizit betont, dass er als Mitglied des Augustinerordens (und früher auch als dessen „Generalprior“ in Rom) ganz eng mit dem Denken Augustins (354 – 430) verbunden ist. Er nennt sich als gerade erst gewählter Papst „einen Sohn des heiligen Augustinus“ (dieser hatte übrigens einen leiblichen Sohn, Adeodat mit Namen).
2.
Der Wahlspruch des Papstes stammt aus der nahezu mystischen Theologie Augustins, die Formel heißt: „In illo uno unum“, diese knappe Formel lässt so übersetzen: „Wir sind eins in jenem einem (Christus)“. Oder interpretierend: „Obwohl wir als Christen viele sind, sind wir eins in dem einen Christus“. Wie diese Einheit in Vielfalt gelebt wird, sagt diese Formel nicht. Immerhin ist die zentrale Marke „Einheit“ von Leo XIV. gesetzt. Die Vielfalt in der mystischen Einheit mit Christus hat aber doch bei Augustin eine Einschränkung, wenn er sagt: “‘Mit euch bin ich Christ und für euch Bischof.“ Diese Formel wird auch von Papst Leo XIV. zentral wiederholt. Sie bedeutet wohl: Der Bischof ist ein herausgehobener, ein besonderer Christ, denn er handelt, herrscht, gerade im Gegenüber zu den Christen FÜR die Christen etwas…Das FÜR ist entscheidend: Eine moderne Theologie würde richtiger sagen: „MIT euch bin ich Bischof.“ Das wäre Ausdruck der Gleichheit aller Christen (Katholiken). Die Hochschätzung und Höherbewertung des Klerus durch Papst Leo XIV. wird etwa deutlich: Den Kandidaten fürs Priesteramt (“Seminaristen”) empfahl Leo XIV., sich an Sprüche Augustins zu halten und vor allem den Zölibat hochzuschätzen. Mit etwas Anstrengung sei doch der Zölibat zu leben, sagte er den 20 -25 Jahre jungen Männern…, man muss das theologisch falsch und psychologisch naiv nennen. Von der Abschaffung des Pflichtzölibates sollte er als Papst endlich sprechen, macht er aber nicht, obwohl er sofort dieses Gesetz aufheben könnte . LINK:
Und seine päpstliche Macht zeigte Leo XIV., als er den sehr extrem konservativen Kurien – Kardinal Robert Sarah aus Guinea als seinen päpstlichen Delegaten und Stellvertreter dort in die Bretagne, nach Sainte Anne d Auray, sandte: zu den populären Feierlichkeiten zu Ehren der heiligen Anna, der Mutter Marias. Diese Mutter Mariens wird in der Bibel nicht erwähnt, aber egal, man kann sie ja als Mythos katholische feiern…Wichtiger ist die übliche Polemik Kardinal Sarahs gegen die modere freiheitliche liberale Demokratie. Die seriöse katholische Tageszeitung “La Croix” (Paris) berichtete:”Der Prälat aus Guinea hat am 26. Juli während einer päpstlichen Messe, in Anwesenheit der Bischöfe von West – Frankreich, dazu aufgerufen: Gott den ersten Platz wieder zu geben. Kardinal Sarah sagte: “Zu oft präsentiert man im Westen (in Europa) die Religion als eine Aktivität, die nur im Dienste des Wohlbefindens des Menschen steht.” Diese Haltung hat der Kardinal ohne Einschränkung verurteilt, bevor er eine Anspielung machte auf die aktuellen politischen Debatten in Frankreich zu Gesetzen zum Ende des menschlichen Lebens. Der von Leo XIV. in die Bretagne gesandte Kardinal Sarah sagte: “Ihr (Katholiken) sollt Frankreich nicht profanieren mit den barbarischen und inhumanen Gesetzen, die nur den Tod predigen während Gott das leben das Leben will.” LINK.
3.
Nun hat Papst Leo in seinen Ansprachen und Predigten während der Weltjugendtage in Rom (26.7. bis 9.8.) immer wieder den jungen TeilnehmerInnen Weisheiten und Einsichten Augustins nahebringen wollen. Es waren Mahnungen, Empfehlungen, Warnungen, die das private moralische Leben betreffen. Die für radikale Kirchenkritik wahrlich nicht bekannte, aber objektive französische katholische Tageszeitung „La Croix“ (Paris) hat diese Augustinus – Propaganda durch den Papst untersucht.
4.
Dies sind die wesentlichen Erkenntnisse der Untersuchung von „La Croix“: Mikael Corre und Youana Rivallain, Journalisten von „La Croix“, veröffentlichen am 3.8. eine ausführliche Reportage zur Präsenz des Papstes beim Weltjugendtag. Auf der Esplanade von „Tor Vergata“ habe Leo XIV. sehr leise gesprochen und dabei aus den „Konfessionen“ Augustins zitiert.Du hast mich berührt, und mich begeistert für den Frieden.“ Am Sonntag 3.8. hat der Papst in seiner Predigt eine Meditation des heiligen Augustinus über die Schönheit der Dinge gehalten: „Gold und Geld… Sucht besser nach dem, der dieses gemacht hat, und er ist deine wahrhaftige Hoffnung“. Er lädt die jungen Leute ein, „großen Dingen nachzustreben, vor allem der Heiligkeit. Und zwar dort, wo ihr Jugendlichen seid. Ihr sollt nicht mit wenigem zufrieden sein.“ Der Papst zitiert die Bibel und noch mehr Augustinus, bis zur Übertreibung zitiert er Augustin: „Herr, du warst im Innern und ich war im Äußeren, und da habe ich dich gesucht. Aber du hast gerufen, du hast geschrien, du hast meine Taubheit gebrochen, du hat geglänzt und meine Blindheit aufgelöst und hast lieblich geduftet, ich habe geatmet und keuchend, habe ich dich gesucht und dich genossen“. Der Kommentar von „La Croix“: „Dieser Satz war es, der anläßlich der Messe am 3.8. im Zentrum der päpstlichen Predigt stand.“ Und diese Predigt war – bei Leo XIV. fast üblich, wieder voller Mahnungen und Ermunterungen zu einem „inneren Leben“ der Jugendlichen.
5.
Die häufigen Verweise auf Augustinus durch Leo XIV. sind von besonderer Problematik: Weil sein “geistlicher Vater“, der hl. Augustinus, selbst hoch problematisch ist als Theologe und als „bedeutender Kirchenvater.“ Augustinus ist aber ein so vielschichtiger Theologe und Philosoph der ANTIKE, dass sich leicht immer auch heute noch nachvollziehbaren Einsichten und Weisheiten empfehlen lassen. Aber niemand darf so tun, als wäre dies der ganze Augustinus, der strenge, der polemische, der pessimistische Ketzerverfolger als Bischof im Alter. Wer nette Sprüche Augustins zitiert, sollte immer sagen: Dies ist nur der halbe Augustinus. Der problematische Augustinus aber hat den Katholizismus bis heute bestimmt, und auch die Lutherischen Kirchen sowie die Reformierte Kirche, die sich einst „Calvinisten“ nannten. Bis in die Theologie des berühmten protestantischen Theologen Karl Barth wirkt der problematische Augustin weiter.
6.
Es kann hier erneut auf zentrale „Problemfelder“ in der Theologie Augustins verwiesen werden. Sie haben das Ziel, die Zwiespältigkeit und Widersprüchlichkeit, ja durchaus auch die „Gefährlichkeit“ seiner Theologie freizulegen mit dem Motto: „Warnung vor der Theologie des alten Augustinus“
7.
Ich nenne hier nur Stichworte: Dass Augustinus die Erbsünde erfunden hat und mit Gewalt durchgesetzt hat gegen seine freien und (biblisch) korrekt denkenden Theologen und Bischofskollegen, ist schon so oft gesagt worden. Große Verdienste auch zu dem Thema hat der Philosoph und theologisch hoch gebildete Wissenschaftler Kurt Flasch. Auch im Religionsphilosophischen Salon Berlin wurde seinen Anregungen folgend diskutiert und publiziert. LINK.
8.
Von einem Theologen der Antike, und das war Augustinus, kann man keine kritische Theologie zur „Frauenfrage“ in der Kirche erwarten. Kurt Flasch weist in seiner Studie „Eva und Adam. Wandlungen eines Mythos“ (München 2004) darauf hin: Die Frau soll dienen und gehorchen, und sie soll es mit Hingabe tun, so lautet die schlichte Folgerung Augustinus für die Frau.“ (Seite 41). Übrigens: „Augustin hielt Adam für eine historische Person, er war der erste Sünder.“ (S. 38, 40). Diese Aussage kann man Augustin als einem Theologen der Antike nicht so übelnehmen, aber Christen aller Konfessionen sollten im 21. Jahrhundert diesen Mythos längst überwunden haben.
9.
Dass Augustin insgesamt wohl seine tiefen und leidvollen Probleme mit seiner eigenen Sexualität und der Sexualität im allgemeinen hatte, hat sich inzwischen weithin als gesicherte Erkenntnis herumgesprochen.
Für Augustin wird die Sexualität zur Last, und zwar ist sie dies seit dem Sündenfall im Paradies! Als Bischof war er heftig bemüht, seinen Leuten die Zügelung der sexuellen Begehren zu empfehlen und er fand für „diese Kunst der Körper/Sex-Beherrschung“ erstaunliche Worte, die Kurt Flasch in „Eva und Adam“ notiert hat: Wir zitieren nur zwei Beispiele Augustins für die Kunst, den eigenen Körper selbst in den unmöglichsten Fällen zu beherrschen: “So können einige Leute ihre Ohren bewegen, entweder nur eins oder beide zugleich… Einige können mit ihrem Hinterteil ohne jeden Gestank beliebig viele Töne so hervorbringen, dass man glaubt, sie singen auch mit diesem Körperteil“ (S. 77, Flasch bezieht sich in Fußnote 66 auf eine Aussage Augustins in „De civitate Dei“…)
Also, wenn das alles für den Menschen möglich ist, dann sollte doch auch bitte das sexuelle Begehren möglichst vom Menschen ausgeschaltet werden können…Wunschtraum eines sexuell Frustrierten im 5. Jahrhundert…
10.
Auf Augustinus Höllenlehre muss noch hingewiesen werden: Er war der Überzeugung, dass die Sünder in der Hölle endlos lange Qualen erleiden müssen. Der Mensch verdiene eben wegen der Erbsünde ewiges Leiden in der Hölle
11.
Über Augustins Verhältnis zu den Juden wäre zu sprechen, er behauptet: “Eure jüdischen Väter haben Christus getötet“, sie seien der „ungeheuren Vergehen der Gottlosigkeit“ schuldig…
12.
Man möchte förmlich den Augustiner Papst Leo XIV. bitten, seinen großen „Meister“ erst mal beiseite zu legen und die Augustinuszitate nur noch den Historikern zu überlassen. Denn Das theologische Denken des antiken (!) Theologen und Philosophen Augustin taugt wenig für die modernen Herausforderungen der Kirchen, der Politik, der Ökologie und der Kriege. Mit ein paar netten Weisheiten : „nach Innen zu schauen“, „doch bitte wahrhaftig zu sein”, “nicht den Mut zu verlieren”, irgendwie auch gegen die kapitalistische Gier zu sein” etc. kommt diese verrückte Welt heute nicht zu gerechteren Verhältnissen.
13.
Dieser Abstand vom „Meister Augustin“ kann den Augustinern um so leichter fallen, als sie eigentlich nur die sehr knappe Regel für eine gemeinsames Leben im Kloster von Augustin übernommen haben. Augustinus ist nicht der Gründer des Ordens, dieser ist in der Mitte des 13. Jahrhunderts durch päpstliche Initiative entstanden, unter dem Titel „Augustiner“ wurden verschiedene italienische Eremitengemeinschaften zusammengeführt. Der Augustiner-Orden hat als einziger in der Kirche keinen persönlichen Gründer, wie Ignatius von Loyola, Franz von Assisi, Don Bosco und so weiter. Es waren einige Päpste, die diesen Orden schufen. Und ausgerechnet ein Mitglied des Augustiner-Ordens war der heftigste Gegner des Papsttums: der Augustiner Martin Luther. Von seinem ketzerischen „Mitbruder“ (und Augustinus – Fan!) hat Papst Leo XIV. bisher (8.8.2025) nicht gesprochen…Seit der Zeit wollen die Augustiner sehr päpstlich – treu ergeben sein und haben (deswegen?) auch sehr wenige bedeutende Theologen hervorgebracht wie etwa die Dominikaner, Jesuiten, Benediktiner usw… Aufgrund dieser Armut, keinen wirklichen spirituellen Gründer des Ordens zu haben, beziehen sich die Augustiner ständig auf Augustinus, der nur Autor ihrer knappen Ordensregel ist…Sie erforschen ihren “Meister” historisch in eigenen Instituten, sie haben aber nicht die Kraft, sich von ihm abzusetzen…
PS: Interessant ist, dass der Augustinerorden (O.S.A.) zwei Reformorden hat, die jetzt kaum – auch nicht von “dem” Augustiner Papst Leo XIV. – erwähnt werden: Die Reformorden wurden gegründet, um dem im 16. Jahrhundert eher “schläfrigen” Augustiner-Orden (O.S.A.) etwas Radikaleres entgegenzusetzen. Es handelt sich um die “Augustiner-Rekollekten” und die “Unbeschuhten Augustiner”. Es gibt auch zahlreiche Augustiner-Chorherren – Orden, wie etwa im Stift St. Florian bei Linz, aber diese monumentalen Chorherren – Klöster glänzen nicht durch mutige Programme der Kirchenreform. Man darf wohl sagen: Wo Augustiner leben und auftreten, da geht es sehr behutsam zu. Sehr treu zur päpstlichen Lehre. Dieses behutsame Lehren und behutsame gemeinschaftliche Leben findet in Westeuropa keinen Anklang mehr: Der Augustinerorden hat jüngere Mitglieder heute nur noch in Lateinamerika, Afrika und auf den Philippinen und in Indonesien…Neue Formen des Ordenslebens mit Laien zusammen werden lediglich in den Niederlanden versucht, um den Orden vor dem alsbaldigen Aussterben mangels Klerikern zu bewahren…
14.
Es wirkt seltsam, dass die viele Vatikanologen, die sich unter Papst Franziskus fast die Finger wund schrieben, zu Leo XIV. bis jetzt schweigen. Wahrscheinlich warten sie dessen erste Enzyklika ab, den Titel ahne ich schon: „Wir sind doch alles eins“ oder auch „Wir sollten alle die Einheit suchen“. Unvorstellbar der Titel „Einheit der verschiedenen Christen und Kirchen gibt es nur in versöhnter Verschiedenheit. Fördern wir die Vielfalt. Einheit kann zum Schlagwort, zur Ideologie werden“… Dieser Titel wäre richtig, treffend – aktuell, aber leider zu lang und vor allem zu „unkatholisch“…
15.
Unsere Warnung vor der Theologie Augustins bedeutet natürlich keine Warnung vor dem Menschen Leo XIV. Er ist ja um Gespräche mit so vielen bemüht, und auch seine Mahnungen und Forderungen, bitte bitte Frieden zu schaffen, sind wahrscheinlich schon etwas wertvoll… Konkreteres wünschen sich manche…
16.
Papst Franziskus war knapp vier Monate im Amt, da besuchte er am 8.Juli 2013 die Insel Lampedusa und die dort gestrandeten (und im Meer ertrunkenen) Flüchtlinge aus Afrika. Das war ein starkes politisches Zeichen, für das so viele dankbar sind… Manche fragen: Welches große Zeichen wird Papst Leo XIV., nach 4 Monaten „Pontifikat“ (d.h. doch Brückenbauen) setzen. Vielleicht reist er als Friedenspapst nach Kyiv (Kiew)? Ohne konkret Partei zu ergreifen für die Ukraine, gibt es angesichts des Diktators Putin keinen Frieden. Aber der russisch-orthodoxe Patriarch von Moskau und Putin Freund, Kyrill, seit gemeinsamen KGB Zeiten mit Putin verbandelt, wäre bei so viel tatsächlichem päpstlichen Engagement für die Ukraine böse. Und das hätte der Papst gar nicht so gern, denn er will so dringend die Versöhnung mit den orthodoxen Kirchen. Also verzichtet er aus kirchlichen Gründen auf ein präzises politisches Engagement.
Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin