Willkommen im Religions-Philosophischen Salon Berlin

Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist seit 2007 eine Initiative von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus. Seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 gab es keine öffentlichen Salon – Veranstaltungen (“Präsenz-Veranstaltungen”) mehr, hingegen werden oft neue Beiträge als Hinweise zur Debatte auf unserer Website publiziert.

Warum ein religionsphilosophischer Salon?
Warum ein religionsphilosophischer Salon?

1.

Der Titel und die „Sache“ „philosophischer Salon“ sind alles andere als verstaubt. Das Interesse an philosophischen Gesprächen und Debatten in überschaubarem Kreis, in angenehmer Atmosphäre (also in einem „Salon“), ist evident.
(Frontal-) Vorträge – etwa in Akademien – vor zahlreichem, weithin bloß zuhörendem Publikum sind oft Ausdruck autoritären Belehrens. Ein Salon ist ein freundlicher Ort des Dialogs.

2.

In unserem religionsphilosophischen Salon soll das Philosophieren geübt werden, also das selbstkritische, systematische Nachdenken. Das Thema Religion wird auch in den heutigen Philosophien ernst genommen. Philosophische Religionskritik hat nicht mehr Sinn zu beweisen, dass Religion bedeutungslos ist, im Gegenteil: Philosophische Religionskritik zeigt, welche Form einer vernünftigen Religion bzw. Spiritualität heute zur Lebensgestaltung gehören kann. Und welche Gestalten von Religion/Kirchen/”Sekten” alles andere als einen befreienden Charakter haben. Der Klerikalismus herrscht ungebrochen in der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen; im weiten Feld des Evangelischen nimmt die Herrschaft der fundamentalistischen evangelikalen Kirchen ständig. freisinnige, vernünftige christliche Kirchen sind leider marginal (vgl. die Remonstranten). 

3.

Unser religionsphilosophischer Salon ist wichtig angesichts des tiefgreifenden religiösen Umbruchs in Deutschland /Europa. Die Bindung an die Kirchen lässt bekanntlich immer mehr nach. Die so genannte Säkularisierung nimmt zu. Aber Säkularisierung bedeutet gerade nicht automatisch Zunahme des Atheismus. Religionsphilosophische Salons können die Themen der Religionen und das subjektive Bewegtsein durch religiöse Fragen angesichts der Kirchenkrise vernünftig weiterführen, in der Freiheit des Geistes… über den Klerikalismus oder den vielfältigen religiösen Fundamentalismus hinaus.

4.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt es nur im Plural, die (Religions-)Philosophien in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen nicht länger als „zweitrangig“ behandelt werden. In welcher Weise Religion dort zum „Opium“ wird angesichts des Elends so vieler Menschen, ist eine besonders relevante Frage, auch angesichts der Zunahme christlicher und muslimischer Fundamentalismen. Dringend wird die Frage: Inwieweit ist philosophisches Denken Europas eng mit dem kolonialen Denken verbunden?

5.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien bieten also in ihren vielfältigen Entwürfen unterschiedliche Hinweise zur Fähigkeit der Menschen, ihre engen Grenzen zu überschreiten und sich dem im Denken zu nähern, was die Tradition Gott oder Transzendenz nennt. Dabei treten diese unterschiedlichen Entwürfe in einen lernbereiten Dialog. In unserem religionsphilosophischen Salon gibt es z.B.ein starkes Interesse am (Zen-) Buddhismus.

6.

Uns ist es wichtig uns zu zeigen, dass Menschen im philosophischen Bedenken ihrer tieferen Lebenserfahrungen das Endliche überschreiten können und sollen und das Göttliche, das Transzendente erreichen können. Das Göttliche als das Gründende und Ewige zeigt sich dabei im Denken als bereits anwesend. Es ist sozusagen unthematisch gegenwärtig im Geist des Menschen.
Wenn der Mensch nach dem Göttlichen fragt, hat er also notwendigerweise „immer schon“ ein gewisses Vorverständnis vom Göttlichen. Dieses „Vorwissen“ gilt, nebenbei, für alles Fragen und Suchen.

7.

Insofern ist Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie auch eine subjektive Form der Lebensgestaltung, d.h. eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln.
Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kennt keine Dogmen, sicher ist nur das eine Dogma: Umfassend selbstkritisch zu denken und alle Grenzen zu prüfen, in die wir uns selbst einsperren oder in die wir durch andere, etwa durch politische Propaganda, durch Konsum und Werbung im Neoliberalismus, eingeschlossen werden. In dieser Offenheit, Grenzen zu überschreiten, zeigt sich die Lebendigkeit der Religions -Philosophie. Philosophieren ist etwas Lebendiges, im Unterschied zu vielen klerikalen Konfessionen ist sie nichts Erstarrtes voller Verbotsschilder

8.

Diese „Entdeckungsreisen“ der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können angestoßen werden durch explizit philosophische Texte, aber auch durch Poesie und Literatur, Kunst und Musik, durch eine Phänomenologie des alltäglichen Lebens, durch die politische Analyse der vielfachen Formen von Unterdrückung, Rassismus, Fundamentalismus. Mit anderen Worten: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie findet eigentlich in allen Lebensbereichen statt, kann sich von allen „Produkten des Geistes“ (Hegel) bewegen lassen. Wer die Gesprächsthemen anschaut, die wir seit 2007 in den meist monatlichen Veranstaltungen („Salon-Abende“) in den Mittelpunkt stellen, wird von der großen Vielfalt überrascht sein. Bisher fanden ca. 100 Salon-Gespräche statt.

9.

Wo hat unser religionsphilosophischer Salon seinen Ort? Als Raum eignet sich nicht nur eine große Wohnung oder der Nebenraum eines Cafés, sondern auch eine Kunst – Galerie. In den vergangenen 7 Jahren fanden wir in der Galerie „Fantom“ in Charlottenburg freundliche Aufnahme. Zuvor in verschiedenen Cafés. Kirchliche Räume, Gemeinderäume etwa, sind für uns keine offenen und öffentlichen Räume. Sie sind meist nicht sehr „inspirierend“, d.h. sie sind „ungemütlich“, also keine Salons, sondern eher Amtsstuben.

10.

In unserem religionsphilosophischen Salon sind selbstverständlich Menschen aller Kulturen, aller Weltanschauungen und Philosophien und Religionen willkommen. Unser Salon ist insofern hoffentlich ein praktisches Exempel, dass es in einer Metropole – wie Berlin – Orte geben kann, die auch immer vorhandenen „Gettos“ überwinden.

11.

Unser religionsphilosophischer Salon sollte auch ein Ort freundschaftlicher Begegnung und menschlicher Nähe. Darum haben wir in jedem Jahr im Sommer Tagesausflüge gestaltet, mit jeweils 10 – 12 TeilnehmerInnen: Etwa nach Erkner (Gerhart Hauptmann Haus), Karlshorst (das deutsch-russische Museum), Jüterbog als Ort der Reformation, das ehem. Kloster Chorin, Frohnau (Buddhistisches Haus), Lübars… Außerdem gestalteten wir kleine Feiern in privatem Rahmen anlässlich von Weihnachten. Auch ein Kreis, der sich mehrfach schon traf, um Gedichte zu lesen und zu meditieren, hat sich aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon entwickelt. Aber alle diese Initiativen waren (und sind wohl) mühsam, u.a. auch deswegen, weil letztlich die ganze Organisation von den beiden Initiatoren – ehrnemtlich selbstverständlich – geleistet wurde und wird.

12.

Anlässlich der „Welttage der Philosophie“, in jedem Jahr im November von der UNESCO vorgeschlagen, haben wir größere Veranstaltungen mit über 60 TeilnehmerInnen im Berliner AFRIKA Haus gestaltet, etwa mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb, dem Theologen Michael Bongardt. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in unserem Salon über Emil Cioran gesprochen, der Philosoph Peter Bieri diskutierte im Salon über sein Buch „Wie wollen wir leben?“, die Politologin Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, Thomas Fatheuer von der Heinrich – Böll- Stiftung vertiefte das Thema; der evangelische Pfarrer Edgar Dusdal (Karlshorst) berichtete über seine Erfahrungen in der DDR; der Theologe der niederländischen Kirche der Remonstranten, Prof. Johan Goud (Den Haag), war zweimal bei uns zur Diskussion, öfter dabei waren Dik Mook und Margriet Dijkmans – van Gunst aus Amsterdam…

Am 25.1.2023 notiert: Eine traurige Nachricht, ein großer Verlust für eine moderne “liberale Theologie”: Prof. Wilhelm Gräb, Prof. em. für praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin,  ist am 23. Januar 2023 in Berlin nach langer Krankheit gestorben. Der Religionsphilosophische Salon Berlin verdankt ihm viele wichtige Anregungen und dankt nochmals auf diese Weise für insgesamt 65 Beiträge und Interviews, die Wilhelm Gräb in mehr als zehn Jahren für diese website gab. LINK.

Ich darf sagen, wir haben einen Freund verloren, der als ein Theologe der heutigen Moderne ungewöhnliche, aber richtige Perspektiven zeigte in seiner großen Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit. Für ihn war die religiöse Glaubensform eines jeden Menschen wichtiger als die fixierenden, dogmatischen Lehren der Kirche. Diese theologische Freiheit, alle dogmatische Engstirnigkeit, allen Fundamentalismus auch in der evangelischen Kirche zu überwinden, “beiseite zu tun”, wie Wilhelm gern sagte, ist in ihrem radikalen Mut schon ziemlich einmalig. Ob diese Vorschläge und Ansätze zu einer Reformationen der Kirchen noch ernstgenommen werden, gerade in dieser “Kirchenkrise” ist eine offene Frage… Über seine Verdienste in der Forschung zu Schleiermacher wird später zu berichten sein.

Interessant in dem Zusammenhang das Interview, das uns Wilhelm Gräb 2012 zum Thema TOD und Sterben gab: LINK 

Zur theologischen Besinnung empfehle ich auch unser Interview mit Wilhelm Gräb “Der Gott der Liebe”. LINK:

Über vierzig viel beachtete Interviews mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb (Berlin, Humboldt – Universität) sind auf unserer Website publiziert. LINK.

Vorläufige Bilanz

Die Bilanz, vorläufig, Ende Juni 2022, formuliert: Einige wenige Interessenten außerhalb von Berlin haben die Idee des religionsphilosophischen Salons aufgegriffen. Aber wir können nicht sagen, dass etwa im kirchlichen Bereich, evangelisch wie katholisch, die Idee des freien und undogmatischen und offenen Salon-Gesprächs außerhalb der üblichen kirchlichen Räume (!), also in Café oder Galerien,  aufgegriffen und realisiert wurde. Das ist ein Faktum: Je mehr Christen aus den Kirchen austreten, um so ängstlicher und dogmatischer werden die Kirchen(führer), also auch ihre Pfarrer usw. Der Weg der Kirche in ein kulturelles Getto scheint vorgezeichnet zu sein, zumindest für die katholische Kirche. Tatsächlich haben sich über all die Jahre sehr sehr wenige “Vertreter” der großen Kirchen für unsere Initiative überhaupt interessiert. So konnten wir auch in jeder Hinsicht frei arbeiten!

Hinweis zu unseren Themen
Hinweis zu unseren Themen:
Eine Übersicht unserer Themen im Salon von Februar 2020 bis 2015 finden Sie hier. Die Themen von 2009 bis 2015 werden demnächst dokumentiert. Genauso wichtig wie die Salonabende sind auch die religionsphilosophischen und religionskritischen Hinweise Christian Modehn, publiziert auf der Website www.religionsphilosophischer-salon.de , bisher sind dort ca.1.300 Beiträge als „Hinweise“ veröffentlicht, mehr als eine Million vierhundertausend „Klicker“ gab es bisher (Stand 27.6.2022).

Der geplante religionsphilosophische Salon am 27.3.2020 über Hegel musste leider wegen der Corona – Pandemie ausfallen. Wir hoffen, dass noch einmal Salon – Gespräche stattfinden können. Sicher auch über Hegel.
Dass die Veranstaltung über Hegel anlässlich seines 250. Todestagesausfallen musste, ist aber besonders zu bedauern. Einige einführende Hinweise zur Philosophie Hegels hatte ich für den 27.3. 2020 vorbereitet, klicken Sie hier. Nach wie vor empfehle ich das große „Hegel-Handbuch“ von Walter Jaeschke, J.B. Metzler Verlag, 3. Auflage, 540 Seiten, nur 24, 90Euro.

Unser letztes Salongespräch fand am Freitag, den 14.Februar 2020 , wie immer um 19 Uhr statt, über das Thema: “Das Kalte Herz”. Mehr als ein Märchen (von Wilhelm Hauff). „Das kalte Herz“ offenbart die “imperiale Lebensweise”. 22 TeilnehmerInnen waren dabei. Leider mussten wir – wie öfter schon – acht Interessierten absagen, weil der Raum eben klein ist und nur eine Gruppe eine Gesprächssituation ermöglicht. Aber das große Interesse, ohne jede öffentliche Werbung, allein im Internet, und ohne jede Finanzierung von außen, ist schon bemerkenswert. Für einige vertiefende Hinweise zur imperialen Lebensweise: Beachten Sie diesen LINK.

Gründer

Gründer und Initiator des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ sind:
Christian Modehn, 1948 in Berlin – Friedrichshagen geboren, hat nach dem Abitur in West-Berlin Theologie (Staatsexamen über Heidegger) und Philosophie (M.A. über Hegel) studiert: In Berlin (F.U.), St. Augustin, Bonn und München. Er arbeitete von 1973 bis 2007  immer als freier Journalist, über die Themen Religionen, Kirchen und Philosophien, für Fernseh- und Radiosender der ARD, sowie für die Zeitschrift PUBLIK – FORUM. Zur Information über einige meiner Hörfunksendungen und Fernsehdokumentationen klicken Sie bitte hier.
Und:
Hartmut Wiebus, 1944 in Seehausen/Altmark geboren, hat in Berlin (F.U.) Pädagogik (Diplomarbeit über Erich Fromm) und Psychologie studiert, und vor allem als evangelischer Klinikseelsorger gearbeitet.

Der religionsphilosophische Salon Berlin erhält von keiner Seite finanzielle Zuwendungen oder Unterstützung. Wir sind unabhängig und frei. Alle Arbeit für den Salon, also Organisation und die Impuls-Referate und die Moderation, leisten wir ehrenamtlich. Von den TeilnehmerInnen eines Salon-Abends werden lediglich 5 Euro erbeten … für die Raummiete in der Galerie Fantom.

Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus, am 8.5.2021, erneut bearbeitet am 27.6.2022.

Weihnachtslieder: Verstehen wir, was wir da singen?

Über ein „Opium des Volkes“ und ein „Opium für das Volk“.
Ein Hinweis von Christian Modehn

Die meisten Lieder zur Weihnachtszeit dienen der kurzfristigen Verzauberung der elenden Wirklichkeit. Wer diese “entrückten Momente” des Wegtretens in eine Traumwelt angemessen und betäubend – hilfreich findet, kann die Lieder selbstverständlich singen. Diese SängerInnen sollen nur nicht meinen, mit dem Wachrufen kurzer Verzauberungen hätten sie verstanden, was die humane Botschaft Jesu von Nazareth ist, schon gar nicht darf diese (!) Verzauberung als Vorschein der messianischen Welt gedeutet werden.

1.
Darf man Lieder gedankenlos singen? Wahrscheinlich. Wie viele dumme Schlager und Songs werden mitgesungen, ohne dabei auf den Inhalt dieser so genannten „Poesie“ zu achten.. Singen macht offenbar vielen Menschen einfach nur Spaß, sie lieben halt mehr die Melodien als den Inhalt. Die süßen oder manchmal harten Klänge wecken dabei diffuse Erinnerungen an die Kindheit, die Jugend, da singt und summt man gerne mit und versinkt im „einst“.

2.
Das gilt auch für die Weihnachtslieder, die seit Ende November allerorten erklingen, auf den Weihnachtsmärkten, als akustische Dauerberieselung auch in Kaufhäusern und „shopping – malls.“

3.
Und viele Weihnachtssongs sind auch Kirchen – Lieder, manchmal noch „Choräle“ genannt; sie werden eben auch in Gottesdiensten gesungen: Etwa „Stille Nacht“. Oder „Es ist ein Ros entsprungen“ oder „O du fröhliche…“ „Vom Himmel hoch“, singen wir mit dem Engel, der Frieden verheißt (aber nicht realisiert).

4.
Diese Songs kann man gedankenlos mitsingen und mit-summen oder die Musik an den Ohren kurz vorbei rauschen lassen, vielleicht mit einer Träne im Auge und mit dem Gedanken „Ach, wie schön war doch die Kindheit“…

5.
Diese Erinnerung ist manchmal auch eine Regression, sie beruhigt kurzfristig in diesen verrückten Zeiten („Nicht nur Religion, auch Musik als Opium des Volkes“…).

6.
Aber einige Menschen können sich und sollten sich nachdenklich und kritisch die Frage stellen: Was singe ich da eigentlich im Advent und zu Weihnachten, welche Bedeutung haben die Worte der Lieder?

7.
Kurz zusammengefasst: In den meisten üblichen kirchlichen Weihnachtsliedern wird eine Gestalt des christlichen Glaubens beschworen und verbreitet, den man heute theologisch als hoch umstritten, sogar als irreführend, falsch, als „von vorgestern“ bestimmen sollte. Diese Texte sagen einen christlichen Glauben aus, den ein vernünftig Glaubender heute (und den Typ des Glaubenden gibt es vielleicht noch) nur noch als historische Erinnerung deuten kann.

8.
Im wichtigsten Song zur Weihnachtszeit „Stille Nacht“ heißt es. „Christ, der Retter ist da“. Der Retter soll also „da“ sein, anwesend sein. Hat er als anwesender Retter die Welt verwandelt? Das behaupten ja die Weihnachtslied – SängerInnen.
Aber allein das Bekenntnis zu diesem Retter in der Gestalt des Kindes Jesus rettet eben gar nicht. Das Lied führt in die Irre, weckt falsche Hoffnungen: Denn der Retter ist erst da, erst dann wirksam, wenn Menschen anfangen, diesem Menschen Jesus, dem Weisheitslehrer, praktisch zu folgen und selber Frieden schaffen, selber Gerechtigkeit schaffen und nicht tränenreich singen: Wie schön, „der Retter ist da“, der wird’s schon machen.

9.
In dem katholischen Weihnachtslied „Heiligste Nacht“ (Kathol. Gesangbuch für das Erzbistum Berlin Nr.806) heißt es in der 2. Strophe: „Was uns der Sündenfall Adams geraubt, schenket uns deine Huld, sie tilgt die Sündenschuld, jedem, der glaubt“.
Da wird das uralte theologische Zentrum sehr vieler kirchlicher Weihnachtslieder ausgesprochen: Erlösung durch das Kind in der Krippe ist Befreiung von der Erbsünde, die Adam und Eva begangen haben, so der Mythos aus dem biblischen Buch Genesis. Diese Erbsündenlehre ist inzwischen als theologische Ideologie entlarvt worden, dazu gibt es stapelweise theologische Studien LINK, aber diese Ideologie wird immer noch behauptet von den Kirchenführungen und….zu Weihnachten besungen. Wäre diese Erbsünde besiegt, wäre wohl die Menschheit in einem besseren Zustand. Nein: Die Welt wird nur besser, wenn die Menschen gerecht handeln, und das könnten sie, das sollten sie, die Menschenrechte sind formuliert, aber sie bleiben Papier. Und die Weihnachtssänger schalten lieber Ihre Vernunft aus und singen: Das Jesuskind tilgt die Erbsünde … wie soll man bloß solch einen „Glauben“ bezeichnen?

10.
Auch in dem Lied „Es kam ein Engel hell und klar“ (Kath. Gesangbuch Nr. 138, 4. Strophe) heißt es im traditionellen Sinne der Befreiung von der Erbsünde. „Christ, unser Gott (sic!) der will euch führen aus aller Not … und von allen Sünden machen rein.“

11.
Die meisten dieser kirchlichen Weihnachtslieder verwirren den Geist, führen sozusagen in spinöse seelische und geistige Regionen, in Denkwelten, die Märchenwelten sind. Manche sagen ja: Märchen helfen, Märchen heilen. Aber sie erzeugen eben faktisch Märchenwelten.
Wie sieht denn die Bilanz der Weihnachtsfeste seit ca. 1.700 Jahren aus? Wie die Bilanz der tränenreich gesungenen Weihnachtslieder? Es ist evident: Nicht sehr viel Gutes hat das Singen dieser Songs faktisch, überprüfbar, bewirkt, nicht viel für den Frieden getan, für die Gerechtigkeit. Hilfosigkeit als auch zu Weihnachten.
Bezeichnenderweise werden zu Weihnachten Spenden gesammelt von uns Reichen und Superreichen, um durch Spenden das Elend der Armen zu mindern,. Nicht gerechte Politik ist DAS Weihnachtsthema, sondern Spenden, lächerlich geradezu.

12.
Noch einmal: Die Liste einer theologisch – kritischen Betrachtung der üblichen Weihnachtslieder in beiden so genannten Volkskirchen in Deutschland ließe sich fortsetzen. In diesen Liedern wird ein illusorischer, ein ideologischer vergifteter (Erbsünden-) Glaube besungen, den die Menschen am Heiligabend einfach so mitsingen und irgendwie übernehmen. Wer in seinem Leben mindestens 20 mal Heiligabend Gottesdienste und Messen besucht und diese und andere Songs gehört hat, entwickelt einen naiven, einen unreifen Glauben. Die übliche Form der Weihnachtsgottesdienste kann also für die religiöse, seelische Reifung gefährlich sein.

13.
Man könnte ja auch die Texte des Weihnachtsoratoriums von J.S. Bach analysieren, was da so alles inhaltlich gesungen wird. Aber in dem Fall verhält es sich wohl so wie mit Opern und Operetten: der Text ist eigentlich egal, Hauptsache die Musik stimmt. Und die Musik stimmt bei Bach.

14.
Was also ist Weihnachten für uns als Menschen, die auch zu Weihnachten nicht unsere Vernunft und das kritische Nachdenken auf Eis legen?
Es ist die Geburt eines Weisheitslehrers, der viel Richtiges und Wegweisendes sagte: Liebe zuerst! Gerechtigkeit zuerst! Frieden zuerst. Menschenrechte sind etwas Heiliges. Sie sollten also in den Gottesdiensten gelesen und besprochen werden. Und: Respekt für einen transzendenten Grund allen Seins, der Güte ist und nicht auf sture Befolgung von irgendwelchen Gesetzen Wert legt.
Jesus von Nazareth ein Weisheitslehrer also, der sein Leben hingab im Dienst an der Gerechtigkeit. Und der Menschen ermuntert, seinen Inspirationen, zusammen mit anderen humanen Inspirationen anderer Weisheitslehrer, zu folgen…

Das wäre schon alles, was an Weihnachten zu sagen und singen ist. Aber das als Realität einmal zu erhoffen, ist eine Utopie. Die meisten Menschen und mit ihnen die Kirchen lieben aufgrund der langen üblichen, erstarrten Weihnachtstraditionen das Trallala, den Rausch, das Absinken in ferne Welten der Regression zu Weihnachten. Opium halt. Begleitet vom Konsum – Rausch derer, die mit viel Geld Überflüssiges kaufen. Und manchmal etwas spenden. eher

15.
Der berühmte niederländische Theologe und Poet Huub Oosterhuis aus Amsterdam (+ 2023) hat auch Weihnachtslieder und Weihnachtsgedichte geschrieben, die für ein reifes, kritisches religiöses Bewusstsein sagbar und singbar sind. Oosterhuis hat leider auch in Holland nur eine eher begrenzte Aufnahme, zumal in katholischen Kreisen, gefunden, in Deutschland kennt man ihn auch nicht angemessen. In dem Buch „Du Atem meiner Lieder“ (Herder Verlag, 2009) heißt ein schönes Weihnachtslied von Huub Oosterhuis:

„Jesus, Kind aus Nazareth,
Liebe, sagst du, lässt sich tun,
Wirk in uns, dass wir dich tun, leucht in uns, dass wir dich sehn!

Dass wir unser Leben leben,
Dass wir tun, was nötig ist: Rechte für jedes Menschenskind, Brot für jedes Kind von Menschen
Eine neue Welt in Frieden und der Tod wird nicht mehr sein…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Bittgebete: Sinn und Unsinn!

Ein Hinweis von Christian Modehn in Zeiten von Kriegen und Vernichtung. Am 2.12.2023

1.
Angesichts der vielen politischen Katastrophen, der Kriege, der Zerstörungen, von Politikern inszeniert, sind die Menschen meist sehr hilflos. Sie haben es wie so oft versäumt, in Zeiten, als die Waffen schwiegen, Friedenszeiten genannt, für den Erhalt des Friedens zu arbeiten, Friedenspädagogik zu leisten, Politikern auf die gierigen Finger zu schauen bzw. diese zur Vernunft zu rufen. Auch jetzt stehen die Menschen hilflos da. Oder sie protestieren auf der Straße. Immerhin, ein Zeichen des Widerspruchs, aber mehr wohl nicht.

2.
Fromme Leute, etwa Christen, sehen sich in solchen Situationen der politischen, ökonomischen oder klima-bedingten Hilflosigkeit oft spontan gedrängt, einen letzten Helfer zu mobilisieren: Den als Person gedachten Gott (Vater) im Himmel. „Manchmal hilft nur noch Beten“, heißt es dann oft in einem populären, aber nicht klugen Spruch.

3.
So auch in diesen Wochen des Krieges der Hamas gegen Israel und der folgenden Antwort der Regierung Israels als Krieg gegen die Hamas. In dieser Situation fordert der Papst, fordern Bischöfe, Theologen, zum Beten, zum Bitten, auf. DOM – Radio Köln etwa berichtet am 29.Oktober 2023: „Nach dem gemeinsamen Friedensgebet im Kölner Garten der Religionen mit Vertretern von Christen, Juden und Muslimen äußert sich Kardinal Rainer Maria Woelki zum Krieg im Heiligen Land. Gebete, betont er, seien stärker als alle Waffen.“ Er behauptete in seinem frommen Überschwang (oder auch in seiner theologischen Hilflosigkeit!) weiter: „Wir können nur den Himmel bestürmen, dass Gott ein Einsehen hat und unsere Herzen aus Stein erweicht und uns Herzen aus Fleisch gibt, die Herzen aus Liebe werden und die Herzen zum Frieden führen…Wo wir als Menschen darüber hinaus eben nicht mehr weiterkommen, und dies scheint mir zum Beispiel so eine Situation zu sein, da bin ich wirklich davon überzeugt, dass das Gebet im Letzten stärker ist als alle Waffen.“

4.
„Gebet ist stärker als Waffen?“ Das setzt aber voraus: Gott hat stärkere Waffen, wenn wir ihn im Himmel denn bestürmen… Dann greift er als Gott direkt ein und schafft Frieden. Aber die Wahrheit ist: Gott als Gott hat noch nie in diese Welt eingegriffen, geschweige als Gott direkt Kriege beendet.

5.
Es ist also vom vernünftigen Denken her, der Gabe des schöpferischen Gottes an die Menschen, undenkbar und unmöglich, an dieser durchaus klassisch zu nennenden , immer wieder aufgewärmten Gebetstheologie und Bittgebets-Theologie festzuhalten.

6.
Sind Bittgebete also sinnlos und unvernünftig? Nicht unbedingt, wenn wir denn Beten und Bitten als menschliche Aktion verstehen, also als Selbstgespräch, als Poesie, als meinen „Lebenstext“: Ich spreche in stammelnden, suchenden Worten meine Situation aus, spreche meine Verzweiflung aus, meine Hoffnungslosigkeit: Und dies sage ich als Poesie, als „meinen“ Text, möglicherweise auch anderen, Freunden, Verwandten, in der Gruppe einer Gemeinde, in einem philosophischen Salon…

7.
Und was bedeutet dann Bittgebet als meine Poesie, mein Gedicht, mein „Lebenstext?
Ich sehe meine Situation und die Situation der Welt klarer, ich versinke nicht in Sprachlosigkeit, verbleibe als nicht ohne Reflexion. Und wenn ich christlich geprägt bin oder nach dem Glauben suche: Dann weiß ich: Die göttliche Schöpferkraft, der Ewige, der Unendliche, wie auch immer, lässt trotz des Wahns der Menschheit die Menschen nicht fallen, auch mich nicht, auch dich nicht. Diese Spiritualität ist vernünftig. Aber das ist dann alles: Es geht um das sich Einfühlen und Eindenken in eine metaphysische Geborgensein. Die kann einem niemand nehmen.

8.
Dabei wissen diese aufgeklärt, nachdenklichen Frommen: Kriege sind Taten der Menschen, der Politiker, der Nationalisten, der religiös verrückt gewordenen Fundamentalisten. Kriege sind also Ausdruck einer irregeleiteten Freiheit von Menschen, die sich zu Verbrechern entwickelt haben. Diese menschliche Freiheit ist „Gottes“ Gabe an die Menschen. Was wäre denn, wenn Er/Sie die Menschen nicht frei, auch frei zum Tun des Bösen, geschaffen hätte? Dann wären die Menschen eben Tiere. Und die folgen nur ihren Instinkten, sie sind nicht umfassend frei und kreativ.

9.
Können wir also noch Beten und Bittgebete sprechen? Solange fromme Leute mit ihren Gebeten und mit ihrem Glauben nicht andere schädigen, kann jeder und jede glauben was er/sie will. Aber vernünftig ist unserer Meinung nur: Gebete und Bittgebete sind meine Lebenspoesie, die mir mein Leben – auch angesichts des Unendlichen und Ewigen – deutlich macht. Die göttliche Schöpferkraft ist – religionsphilosophisch gesehen – in uns, dort haben wir sie zu pflegen und nicht einen Himmel zu bestürmen. Gott im Himmel zu bestürmen, umstimmen zu wollen, bestimmen zu wollen, ist anmaßend und theologisch dumm und dreist und human letztlich hilflos. Nur Kardinäle, denen nichts hillfreich Politisches einfällt, fordern zum „Bestürmen des Himmels“ auf…Sie fordern damit zum Aberglauben auf. LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Karl Marx als Ökologe: Gegen das permanente Wachstum!

Über das Buch „Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus“ des Philosophen Kohei Saito
Ein Hinweis von Christian Modehn am 30.11.2023.

1.
Karl Marx wieder lesen, studieren, diskutieren? Das ist gar keine Frage… Weil die real-sozialistischen, verbrecherischen Regime (Gulag, Lager etc…) Marx angeblich „verwirklichten“, d.h. verfälschten, gibt es keinen Grund, Karl Marx jetzt zu ignorieren, wenn es um heutige Kritik am Kapitalismus und Neoliberalismus geht. Und der Kapitalismus als ökonomische Allmacht muss unbedingt kritisiert werden, das ist die allgemeine Überzeugung der Mehrheit der Menschen: Für sie ist nicht nur Gerechtigkeit für alle, sondern auch das Überleben dieser Welt dringendes Gebot.

2.
Marx und sein Werk zu ignorieren, wäre ungefähr genauso, wie wenn Christen jetzt die Bibel, zumal das Neue Testament, beiseite legen würden, nur weil die Institutionen der Kirchen über Jahrhunderte hindurch Verbrechen begangen haben, Ketzer verfolgt und Irrlehrer verbrannt haben und Kriege, gegenseitiges Töten von Christen, richtig fanden. Diese Herren der Kirchen haben das Evangelium und die Gestalt Jesu von Nazareth heftigst missbraucht. Aber das ist kein Grund, das Weisheit Jesu von Nazareth beiseite zu legen, die Bibel muss nur richtig, d.h. kritisch gelesen und verwirklicht werden, sie ist ein Hinweis auf ein humanes Leben für alle.

3.
Das Denken von Karl Marx kann jetzt also einen neuen, auch politischen Aufschwung fördern. Einige höchst überraschende neue Erkenntnisse zum Werk „Das Kapital“ werden über den kleinen Kreis der Forscher für eine breite Öffentlichkeit zugänglich. Der japanische Marx – Forscher Kohei Saito zeigt in seinem Buch „Systemsturz“, dass „es jetzt um eine kühne Neuinterpretation von Marx“ geht (S. 151). Eine solche Neuinterpretation hat „noch niemand vorgelegt “ (S. 112). Sie ist eine grundlegende Korrektur an dem üblichen, vertrauten Marx – Bild: Als hätte sein Denken die Idee der stetigen Steigerung der Produktivkräfte als Mittelpunkt, als sei die umfassendste Industrialisierung und damit die Zerstörung der Natur für ihn alles entscheidend beim Gedanken an einen Sieg des Kommunismus.
Der Marx – Spezialist Saito hingegen entdeckt zusammen mit einem großen internationalen Forscher – Team einen anderen Marx aus den Zeiten der Abfassung des „Kapital“, 1. Band, Veröffentlicht 1868. So wurde Marx zum prominenten Kritiker des Kapitalismus und zwar aus ökologischen Gründen! Das war bislang weitesten Kreisen unbekannt.

4.
Diese Umkehr im Forschen und Denken von Karl Marx wird greifbar in den seit einigen Jahren publizierten, bisher unveröffentlichten „Forschungsnotizen“. Sie erlauben es, „den Fokus auf die in Vergessenheit geratene ökologische Kapitalismuskritik des späten Marx zu richten“ (S. 122). Saito erwähnt eine „enorme Anzahl an Forschungsnotizen von Marx, die sich mit Geologie, Botanik, Chemie, Mineralogie und mehr befassen…So behandelt Marx Themen wie die exzessive Abholzung der Wälder, die Übernutzung fossiler Brennstoffe oder das Artensterben als Widersprüche des Kapitalismus“ (S. 122 f). Diese Erkenntnisse konnte Marx allerdings nicht mehr in seine weiteren Studien zum „Kapital“ einbringen, die Bände 2 und 3 des „Kapital“ wurden von Friedrich Engels nach dem Tod von Marx eigenmächtig herausgegeben.

5.
Im ganzen gesehen hat Marx in seinen sehr umfassenden Forschungsnotizen und Manuskripten eine ökologische Wende und Umkehr in seinem Denken vollzogen. Es geht ihm, so der Marx Forscher Kohei Saito, um die Akzeptanz, Realisierung und Wiederherstellung der „Commons“: Bildung, Natur, Wasser, Menschenrechte sind „Gemeinbesitz“, sie sind gemeinschaftlich produzierte, „organisierte und gemeinschaftlich genutzte Güter, gesellschaftlich geteilter und verwalteter Reichtum, eben Gemeinbesitz“ (S. 108). Commons sind öffentliche Güter… Elektrizität, Wohnung und Gesundheitsversorgung“ (ebd.), die, weil sie öffentliche, nicht private Güter sind, niemals privatisiert werden dürfen und in die gierigen Hände der Kapitalisten geraten dürfen. Sie kaufen diesen genannten Gemeinbesitz auf, machen darauf ihren eigenen Profit, indem sie Commons privatisieren, immer im Zusammenhang mit willigen neoliberalen Regierungen. Diese Menschen verachtende Privatisierungswelle ist in vielen Ländern vor allem des globalen Südens Realität, man denke an die mühevollen Kämpfe der Bürger gegen die Privatisierung des Wassers in Bolivien oder Chile durch Kapitalisten.

6.
In diesem Zusammenhang bringt der Philosoph Kohei Saito eine neue Definition des Kommunismus ein, im Sinne des nun umfassend zu lesenden und zu verstehenden ökologischen Karl Marx. „Marx hatte mit dem Kommunismus niemals eine staatlich verwaltete Einparteiendiktatur im Sinn. Für ihn bedeutete Kommunismus eine Gesellschaft, in der die Produktionsmittel von den Produzenten als Commons (als Gemeinbesitz, Gemeineigentum) gemeinsam verwaltet werden“ (S. 109).

7.
Diese neuen Erkenntnisse zum Werk von Karl Marx verdanken wir einem internationalen Forscher – Team, es gestaltet eine neue Gesamtausgabe der Werkes von Marx und Engels. Sie trägt im Unterschied zur alten Gesamtausgabe (MEGA), unter der Regie der Sozialistischen, Kommunistischen Parteien einst, nun den Titel „MEGA 2“. Die Initiative zu MEGA 2 stammt vom „Internationalen Institut für Sozialgeschichte“ (IISH) in Amsterdam. Das Institut gründete gleich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus bzw. Staatssozialismus die „Internationale Marx-Engels-Stiftung (IMES).

8.
Der genannte japanische Philosoph Kohei Saito ist als Forscher an der MEGA 2 Ausgabe beteiligt. „Der Gesamtumfang von MEGA 2 soll bei Fertigstellung über 100 Bände umfassen, darunter auch bisher unveröffentlichtes Material, was eine bisher nie dagewesene Größenordnung darstellt““ (S. 113). In der „Vierten Abteilung“ von „MEGA 2“ werden die ökologisch relevanten „Exzerpte, Notizen, Marginalien“ veröffentlicht:  LINK

9.
Saito betont: Marx ökologische Wendung nach der Publikation des 1. Bandes des „Kapital“ geht in Richtung einer Degrowth – Wirtschaft. „Degrowth“ bezeichnet eine Wirtschaftsordnung in einer Gesellschaft und einem Staat, die von einer gezielten Verringerung des Materialverbrauchs bestimmt ist. „Degrowth“ meint: In der politischen und ökonomischen Praxis Abschied nehmen von der Ideologie, die Welt bräuchte immer mehr und immer stetiges ökonomisches Wachsen. Von dieser Ideologie profitieren nur die reichen Länder und in ihnen vor allem die Reichen. Die Ressourcen des ständigen Wachstums sind begrenzt.
Der japanische Philosoph Saito weist in seinem Plädoyer für „Degrowth“ eine übliche Vorstellung zurück, der Kapitalismus sei mit Degrowth auch noch vereinbar und kompatibel. Saito meint, solches zu behaupten, sei so ähnlich, wie wenn man „ein rundes Dreieck zeichnen wollte“. Denn der Kapitalismus ist erwiesenermaßen die Hauptursache für die Klimakatastrophen, darum muss der Kapitalismus überwunden werden. In welchen Schritten das gelingen kann, beschreibt Saito in seinem Buch „Systemsturz“.

10.
In einem Interview vom 8. September 2023 mit Benedikt Namdar für die website MOMENT (des Momentum Instituts in Wien) LINK https://www.moment.at/story/kohei-saito-degrowth-kommunismus sagt der Philosoph Kohei Saito: „Eine einfache Definition ist: Kapitalismus ist ein System konstanten Wachstums, unendlicher Profitsteigerung. Es geht darum, Kapital durch Gewinn zu vermehren.  Die Natur hat Grenzen. Durch das ständige Wachstum verletzen Menschen im Kapitalismus genau diese Grenzen. Denn im Kapitalismus verbrauchen wir zu viele natürliche Ressourcen, emittieren zu viele Treibhausgase. Wenn das passiert, entstehen ökologische Krisen wie die Klimakrise. Benedikt Namdar fragt dann:
Wenn nicht Kapitalismus, was dann?
Darauf Kohei Saito: „Ich schlage einen “Degrowth-Kommunismus” vor.  Degrowth will unendliches Wachstum stoppen, daher kann es nicht im Kapitalismus stattfinden.
Eine kommunistische Gesellschaft ist in meiner Auffassung eine, die auf Gemeingütern basiert, die wir miteinander teilen. Ich verbinde Degrowth mit Kommunismus, weil wir vermehrt teilen müssen, wenn wir nicht mehr unendlich wachsen und der Kuchen nicht größer wird.
Ich schlage vor, dass Güter wie Internet, Mobilität, Wasser, Elektrizität und andere Gemeingüter werden. Wir sollten diese miteinander teilen und für alle garantieren. Dann hätten wir die Befriedigung von Grundbedürfnissen garantiert und müssten nicht so viel arbeiten, um Bedürfnisse zu befriedigen.
Es geht bei Degrowth vorrangig darum, ständiger Vermehrung von Kapital ein Ende zu machen. Es muss nicht alles weniger werden. Wir sollten bessere Technologien haben, müssen Smartphones nicht aufgeben. Wir sollten Wachstum in gewissen Gebieten haben, aber verringern, was unnötig ist. Wir brauchen keine Ferraris, Privatjets, Kreuzfahrtschiffe oder Kurzstreckenflüge. Wenn wir auf solche Dinge verzichten, müssen wir auch nicht so viel arbeiten. So kann man mehr Zeit mit Aktivitäten verbringen, die einen glücklich machen.
11.
Welche Konsequenzen diese Erkenntnisse für die Praxis haben könne, zeigt Saito auf den Seiten 245 bis 279 seines Buches. Wikipedia schreibt über ihn (gelesen am 30.11.2023): „Saito gehört zu einer Gruppe, die in den Bergen westlich von Tokio Land erwirbt, das kollektiv betrieben werden soll, um der lokalen Gemeinschaft dienlich zu sein. Saito ist Ratsmitglied der Progressiven Internationalen”: LINK: https://progressive.international/
12.
Die New York Times publizierte im Sommer 2023 ein ausführliches Porträt über Kohai Saito LINK. : https://www.nytimes.com/2023/08/23/business/kohei-saito-degrowth-communism.html. Leider ist der Beitrag nur gegen Bezahlung erreichbar, lesbar…
13.
Kohai Saito wurde 1987 geboren, er studierte u.a. in Berlin, an der Humboldt Universität wurde er zum Dr.phil. promoviert, der Philosoph Prof. Andreas Arndt ist sein Doktorvater. Saito ist, wie gesagt, Mitarbeiter an der Herausgabe von MEGA 2, zur Zeit ist er auch „Associate Professor“ an der Universität Tokio. 東京大学, Tōkyō Daigaku, abgekürzt: 東大, Tōdai) ist eine staatliche Universität in Bunkyō und wird generell als die Universität Japans mit dem größten Prestige angesehen.
14.
Wir empfehlen das Buch, es wird die Diskussion über Degrowth (Überwindung des permanenten Wachstums) sehr beleben und ein neues Bild des Kapitalismus-Kritikers Karl Marx fördern und damit ein Ende bereiten, Marx und die Marxisten seien sozusagen am Abbau und der Zerstörung der Natur bloß um des industriellen Gewinns wegen interessiert.

Kohei Saito, „Systemsturz. Der Sieg der Natur Über den Kapitalismus“. Aus dem Japanischen übersetzt von Gregor Wakounig. 316 Seiten, DTV, 2023, 3. Auflage, 25 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.
www. religionsphilosophischer-salon.de

 

 

Die Erklärung der Menschenrechte. 75 Jahre jung.

Über die Basis humanen Zusammenlebens aller Menschen.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 30.11.2023

1.
Vor 75 Jahren, am 10. Dezember 1948, wurde die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ im Palais de Chaillot von der UN verabschiedet. Die grundlegenden Rechte und Freiheiten aller Menschen fanden damals die Zustimmung von 48 Staaten, 8 Staaten enthielten sich, es waren vor kommunistisch regierte Staaten sowie Südafrika und Saudi-Arabien! Zu aktuellen Entwicklungen siehe die Publikationen von Amnesty International:   LINK  

2.
Der alte Vorwurf, immer wieder neu erhoben, heißt: Diese Menschenrechte seien nicht für alle Menschen, nicht für alle Kulturen, gültig. Sie seien bloß im Westen, in Europa, in einer Kultur entstanden, die vom Christentum und philosophischer Aufklärung geprägt ist, also wegen dieser kulturellen, historischen Herkunft seien die Menschenrechte nur relativ und nicht universell.

3.
Dieser alte und neue Vorwurf ist philosophisch gesehen falsch und entschieden zurückzuweisen und er wurde von vielen Intellektuellen abgewiesen.
Die Antwort: Die Herkunft einer Erkenntnis (“Menschenrechte stammen aus Europa”) sagt gar nichts aus über die universelle Bedeutung der Menschenrechte.

4.
„Die westlichen Menschenrechte sind so westlich wie die arabischen Zahlen arabisch sind. DAS SIND UNIVERSELLE WERTE… Die Vorstellung, dass man einen Menschen nicht quälen, nicht schänden und missbrauchen darf, ist überall auf der Welt verbreitet (und von den Opfern dieser Quälereien wird heftigst nach den Menschenrechten verlangt, CM) . Wer die universellen Werte der Menschenrechte anzweifelt, sind in der Regel autoritäre Regime oder kleinere Elitegruppen, die für sich selbst Sonderrechte beanspruchen und andere abwerten“, sagt der Philosoph Hanno Sauer, Prof.für Philosophie in Utrecht und Autor des viel beachteten und empfehlenswerten Buches „Moral“, 2023, Piper Verlag.
Das Zitat ist dem „Tagesspiegel“ entnommen, 22. November 2023, Seite 17.

5.
Für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon sind die Zusammenhänge von Religion/Christentum/Kirche Und Menschenrechte besonders wichtig.

Siehe dazu ein wichtiges Interview mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb, Berlin (+2023): Menschenrechte als Grundlage des christlichen Bekenntnisses! LINK.

Und siehe auch den Beitrag von Christian Modehn zu der Frage: Warum kann die katholische Kirche eigentlich nicht glaubwüridig und damit wirksam für die Menschenrechte eintreten? Die Antwort: Weil diese Kirche in ihrer inneren Verfassung und Gesetzlichkeit die Menschenrechte nicht respektiert! LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

DER TEXT der Erklärung der Menschenrechte:

Artikel 1 (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.


Artikel 2 (Verbot der Diskriminierung) Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.
Des Weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebiets, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist.

Artikel 3 (Recht auf Leben und Freiheit) Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

Artikel 4 (Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen ihren Formen verboten.

Artikel 5 (Verbot der Folter) Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

Artikel 6 (Anerkennung als Rechtsperson) Jeder hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden.

Artikel 7 (Gleichheit vor dem Gesetz) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstößt, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung.

Artikel 8 (Anspruch auf Rechtsschutz) Jeder hat Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen Handlungen, durch die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzt werden.

Artikel 9 (Schutz vor Verhaftung und Ausweisung) Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.

Artikel 10 (Anspruch auf faires Gerichtsverfahren) Jeder hat bei der Feststellung seiner Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht.

Artikel 11 (Unschuldsvermutung)
Jeder, der wegen einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.
Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine schwerere Strafe als die zum Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.

Artikel 12 (Freiheitssphäre des Einzelnen)   Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.

Artikel 13 (Freizügigkeit und Auswanderungsfreiheit)
Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen.
Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.

Artikel 14 (Asylrecht)
Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.
Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen.

Artikel 15 (Recht auf Staatsangehörigkeit)
Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit.
Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln.

Artikel 16 (Eheschließung, Familie)
Heiratsfähige Frauen und Männer haben ohne Beschränkung auf Grund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Sie haben bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung gleiche Rechte.
Eine Ehe darf nur bei freier und uneingeschränkter Willenseinigung der künftigen Ehegatten geschlossen werden.
Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.

Artikel 17 (Recht auf Eigentum)
Jeder hat das Recht, sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben.
Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden.

Artikel 18 (Gedanken-, Gewissens-, Religionsfreiheit) Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.

Artikel 19 (Meinungs- und Informationsfreiheit) Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.

Artikel 20 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit)
Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen.
Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören.

Artikel 21 (Allgemeines und gleiches Wahlrecht)
Jeder hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken.
Jeder hat das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern in seinem Lande.
Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muss durch regelmäßige, unverfälschte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder in einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen.

Artikel 22 (Recht auf soziale Sicherheit) Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.

Artikel 23 (Recht auf Arbeit, gleichen Lohn)
Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.
Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen.
Jeder hat das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten.

Artikel 24 (Recht auf Erholung und Freizeit) Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub.

Artikel 25 (Recht auf Wohlfahrt)
Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.
Mütter und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle Kinder, eheliche wie außereheliche, genießen den gleichen sozialen Schutz.

Artikel 26 (Recht auf Bildung)
Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muss allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen.
Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muss zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen rassischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.
Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteilwerden soll.

Artikel 27 (Freiheit des Kulturlebens)
Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.
Jeder hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.

Artikel 28 (Soziale und internationale Ordnung) Jeder hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.

Artikel 29 (Grundpflichten)
Jeder hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entfaltung seiner Persönlichkeit möglich ist.
Jeder ist bei der Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zweck vorsieht, die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten anderer zu sichern und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und des allgemeinen Wohles in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen.
Diese Rechte und Freiheiten dürfen in keinem Fall im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen ausgeübt werden.

Artikel 30 (Auslegungsregel) Keine Bestimmung dieser Erklärung darf dahin ausgelegt werden, dass sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, welche die Beseitigung der in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten zum Ziel hat.

(Quelle: wikipedia)

Volkskirchen werden Minderheiten: Der religiöse und kulturelle Umbruch in Deutschland und Europa.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 25. November 2023.

EIN VORWORT:
Dieser Hinweis bezieht sich auf die aktuelle Situation der Kirchen in Deutschland und Europa im November 2023. Diese Kirchen befinden sich, soziologisch gesehen, zweifelsfrei im Niedergang, sie sind – statistisch – am Verschwinden.
Dabei steht hier der Katholizismus im Mittelpunkt der Beobachtung und Kritik. Warum? Den Katholizismus kenne ich seit meinem Theologie – Studium am besten.
Es ist offensichtlich: Religionen (waren und) sind gefährlich für eine humane, demokratische Entwicklung der Menschheit auch heute, weil sich Religionen und Kirchen oft fundamentalistisch abkapseln. Aber es sind immer fundamentalistisch verblendete MENSCHEN, fromme Leute und ihre Gemeinden, die wegen ihrer Propaganda, ihrer Ideologie, gefährlich werden, weil sie sehr oft dazu neigen, politisch radikalen Ideologen zu folgen… wegen mangelhaftem kritischen Reflexions-Vermögen. Sie folgen also verwirrten, destruktiven Politikern, die eine Bedrohung der Menschheit sind, ich nenne nur Trump, den angeblich Evangelikalen, und Putin, den angeblich Russisch-Orthodoxen, oder den von Evangelikalen unterstützten Evangelikalen Bolsonaro, Brasilien, von Polens ultra – katholischen PIS – Politikern müsste gesprochen werden usw. Vom fundamentalistischem Wahn unter Muslims und jüdischen Gruppen sprechen viele Religionswissenschaftler…
Hier aber geht es darum: Was bedeutet der Niedergang des Katholizismus (und des Protestantismus) in Deutschland und Europa? Und es geht auch um eine bisher eher verdrängte, weil provozierende Frage: Kann dieser Niedergang der Kirchen in Europa so weit reichen, dass diese Kirchen nicht nur schrumpfen, sondern verschwinden und – beinahe ? – sterben?

Am 27.11.2023 verfasst: Vieles spricht dafür, dass das Ende dieser vom Klerus beherrschten Kirche mindestens in Deutschland und West/ Südeuropa naht. Die Sturheit der katholischen Klerus-Herrscher ist maßlos, also doch wohl unerträglich für den verbliebenen katholischen Rest. Siehe dazu den Kommentar des katholischen Theologen und Psychologen Wunibald Müller zu einer jüngsten Reform-Verbots Stellungnahme aus dem Vatikan., durch Kardinal Parolin, einem der ganz Wichtigen im Vatikan und der ganzen Kirche.   LINK:

Am 1.12. 2023 ließen die Herren der Kirche im Vatikan verlauten: Am Zölibatsgesetz für Priester wird nicht gerüttelt. LINK.  Das Motto der Herren Kleriker: “Wer es (das Zölibatsgesetz) fassen kann, der fasse es”, angeblich ein Zitat aus dem Munde Jesu. Ein Freund von mir sagte: Wer sie (die römische Klerus-Kirche) fassen kann, der fasse sie, bitte schnell”…

 

1.
Eine grundlegende soziologische Untersuchung zur Mitgliedschaft in der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Katholischen Kirche in Deutschland wurde im November 2023 publiziert.  LINK

2.
Die Ergebnisse dieser Studie sind auch religionsphilosophisch und damit von allgemeinem kulturellen Interesse. Denn sie zeigen die Bedeutung des kirchlichen Glaubens in der Gegenwart Deutschlands und erlauben eine gesicherte Prognose für die kommenden Jahre. Auch für Westeuropa heißt die Prognose etwa für die katholische Kirche: Sie wird, wenn sie so weitermacht wie seit 1.700 Jahren als klerikale Institution, langsam verschwinden, mindestens auf den Status einer Sekte schrumpfen.

3. Einige Fakten der Studie „Wie hältst du es mit der Kirche?“ 
Auf knapp 100 Seiten wird untersucht, wie eng die Bindung an die beiden christlichen Kirchen in Deutschland noch ist. Für diese Studie wurden rund 5.000 Personen intensiv befragt. Das Ergebnis: 25 Prozent nennen sich Mitglieder der katholischen Kirche, 23 Prozent Mitglieder der evangelischen Kirche. Noch einmal: Weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland sind noch Mitglieder der beiden Kirchen, einst „Volks“ – Kirchen“ genannt. Die Bereitschaft der Mitglieder der Kirchen, bald aus ihrer Kirche auszutreten, ist beachtlich: 75 Prozent der Katholiken und 67 Prozent der Evangelischen schließen einen Kirchenaustritt nicht aus…Selbst unter den Kirchenmitgliedern verstehen sich nur noch 4 Prozent der Katholiken beziehungsweise 6 Prozent der Evangelischen als gläubig und kirchennah. Das ist eine Sensation: Nur 9 Prozent der Befragten erklären, sie hätten Vertrauen in die katholische Kirche, bei der evangelischen Kirche waren es immerhin 24 Prozent. Die Hochschätzung der Kirchen (also das globale Vertrauen in diese Institution) ist extrem bescheiden, im Fall der katholischen Kirchen sogar minimal, nur dem Islam vertrauen noch weniger Menschen in Deutschland… 43 Prozent nennen sich konfessionslos. Die übrigen gehören anderen Religionen, wie dem Islam oder den jüdischen Gemeinden an.
Für 56 Prozent der Bevölkerung spielt Religion (offenbar ist gemeint: in der sichtbaren, institutionellen Form) keine Rolle. Nur 13 Prozent haben eine „kirchlich-religiöse Einstellung“.

4.
Unter den „Noch-Mitgliedern“ der katholischen Kirche werden fast zu 100 Prozent dringend radikale Kirchen – Reformen gewünscht, wie etwa die Aufhebung des Zölibatsgesetzes, die Einrichtung synodaler Strukturen, mehr Gleichberechtigung für die Frauen auch in kirchlichen Ämtern, die üblichen Forderungen also, seit ca. 60 Jahren permanent und in denselben Worten von den Laien und einigen Priestern vorgebracht, ergebnislos seit all diesen Jahren. Und man wundert sich, woher immer noch einige Katholiken (oft sind es hauptamtliche, gut bezahlte Kirchen – Angestellte) die Kraft nehmen, wie Sisyphus, seit Jahrzehnten immer die gleichen Themen zu debattieren, um Reformen die Herren der Kirche zu „erbitten“. ,
Erhellend die Erfahrungen und Einsichten eines katholischen Pfarrers einer Kölner Gemeinde (siehe Fußnote 2. )

5. Volkskirchen werden Minderheiten
Die Erkenntnisse sind für die Kirchen selbst insgesamt niederschmetternd. Die Studie weist die „Volks“ – Kirchen in die Position von Minderheiten. Das hat Konsequenzen auch für das soziale und kulturelle Leben: Kirchengemeinden, die auch Orte von Gemeinschaft und Nachbarschaft waren, werden zwar nicht verschwinden, aber in der geringen Anzahl kaum noch relevant sein. Gerade in diesem Moment, am 26.11.2023, wird die um 1960 errichtete Kirche ST. Albertus Magnus in Berlin – Halensee geschlossen und die dort, in Wilmersdorf, rund um den Kurfürsten Damm, lebende Gemeinde hat nicht nur keine Kirche mehr, sondern auch keinen Gemeindetreffpunkt. (Weiteres: FUßNOTE 1.)
Kirchengebäude und Gemeindehäuser werden immer weiter aufgegeben, verkauft, abgerissen. Weil es keine Kleriker gibt… Dass Laien die Gemeinden leiten könnten, diese richtige theologische Idee wird nicht realisiert. Es ist die totale Klerus-Herrschaft…Kirchengebäude verschwinden aus dem Stadtbild, manche Leute werden sich noch wehmütig an Glockengeläut erinnern… Klöster werden seit Jahren schon aufgegeben und für teures Geld verkauft wegen „Nachwuchsmangel“, mit dem Geld werden die kranken und sterbenden Mönche und Nonnen versorgt. Theologisch gebildete Gemeindeleiter, also PfarrerInnen, die eigentlich auch SeelsorgerInnen sein sollten, werden noch seltener als bisher anzutreffen sein. Das Durchschnittsalter des katholischen Klerus in Deutschland und aus Deutschland ist sicher bekannt, die Pfarrer, Patres usw… sind mehrheitlich schon über 65 Jahre alt.

6. Ein kultureller Bruch
Die Studie markiert einen tiefen kulturellen Bruch. Es gilt Abschied zu nehmen von der üblichen Vorstellung, Deutschland sei kirchlich geprägt. Ob es auf neue Art christlich geprägt bleibt, ist die Frage! Wie stark in naher Zukunft noch Traditionen der Bibel angesprochen und reflektiert werden, ist ebenso fraglich. Wie viele theologische Fakultäten an den Universitäten es in Zukunft – angesichts des Mangels an Studenten und auch an qualifizierten Professoren – noch geben wird, ist offen. Katholische Theologie an den Universitäten war ohnehin durch ihre Abhängigkeit von Bischöfen und Papst keine umfassend freie Wissenschaft. Die gut ausgestatteten kirchlichen Akademien werden in dieser Vielzahl kaum nicht finanzierbar sein. In den letzten Jahren fanden sie ohnehin nicht sehr viel öffentliche Beachtung, weil sie, wie etwa die Katholische Akademie Berlin, kaum aktuelle, die Berliner Bevölkerung bewegende Fragen debattierten. Die alte Macht der Kirchen, auch ihr politischer und öffentlicher Einfluß, wird weiter schrumpfen. Wie lange werden noch kirchliche Theologen in Ethikkommissionen vertreten sein? Und es wird die Frage diskutiert: Ist denn die Ethik der Monotheisten (also der Juden, Christen, Muslims) faktisch so großartig, so friedfertig, Frieden tatsächlich stiftend, wie nachweislich hat sie eigentlich die häßlichen Ausmaße des Neokapitalismus wirksam begrenzt? Man untersuche doch bitte empirisch und detailliert, wie viele Kirchenthemen noch in den großen Nachrichtensendungen von ARD und ZDF überhaupt noch ausführlich vorgestellt werden, verglichen etwa mit der noch sehr umfassenden Kirchen – Berichterstattung vor etwa 20 Jahren. Diese Themen, so vermuten die Redaktionen, interessieren nur noch Minderheiten. Dabei ist der Niedergang der Kirchen tatsächlich ein großes, allgemein interessierendes Thema zu einem gesellschaftlichen Wandel.

7. Abschied von den alten Dogmen
Am wichtigsten ist für uns ein Hinweis dieser Studie, er betrifft die starke Ablehnung der kirchlichen Dogmen bzw. vorgegebenen Glaubenslehren selbst unter Mitgliedern der Kirche. Was den Glauben an Gott angeht: Da sagen nur 19 Prozent, „dass es einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gibt.“ 29 Prozent sagen, „dass es ein höheres Wesen oder eine geistige Macht gibt“. 33 Prozent meinen, „dass es keinen Gott gibt und auch kein höheres Wesen“, 20 Prozent „wissen nicht so richtig, was sie glauben sollen“.

8. Die vielen Dogmen haben Christen aus den Kirchen getrieben
Das ist ein Thema, das leider in den Debatten über den Niedergang der Kirchen kaum debattiert wird: Die Fülle der Dogmen, die heute von beiden Kirchen noch gelehrt und oft auch auch in Predigten verbreitet werden, ist auch für viele Christen in Deutschland nicht mehr akzeptabel. Diese Dogmen/Lehren/Vorschriften erhellen das aktuelle Leben nicht, sie deuten das Leben in dieser verrückten Welt mit so vielen Katastrophen nicht in nachvollziehbarer Sprache … diese Lehren und Dogmen sind heute so etwas wie ideologischer Ballast. Übergestülpt, eingepaukt oder daher- geredet, in Kirchenliedern noch besungen, zumal in der Weihnachtszeit, als romantische Regression in Kindheitszeiten. Was ist Ideologie in der so genannten Glaubenslehre? Das gilt etwa für die Erbsündenlehre (LINK) und damit eng zusammenhängend die Lehre von der Erlösung, in dem Sinne: Dass der Gottessohn, Jesus, vom „Gott-Vater“ aus dem Himmel gesandt, sich aufopfert und hinrichten lässt, um die Menschen von dieser Erbsünde zu befreien. Um daran Anteil zu haben, müssen alle Menschen getauft werden, also kirchliche Christen werden. Man denke daran, dass etwa am Karfreitag immer noch in den evangelischen Gottesdiensten das Lied „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld der Welt und ihrer Kinder“ gesungen wird; mit Lämmlein ist der sich hinschlachtende Jesus gemeint. Dass Jesus aus politisch -religiösen Gründen sterben musste, wird nicht gesagt…(vgl. Evangelisches Kirchengesangbuch Nr. 83.)… Ostern ist für uns das Fest des „Ewigen im Menschen“.  LINK
Unser Vorschlag: Wenn man Jesus von Nazareth in Verbindung mit Erlösung bringen will: Dann etwa: Jesus von Nazareth ist in mancher Hinsicht ein Vorbild, ein Weisheit – Lehrer mit Anregungen für eine humane, solidarische Lebenspraxis. Die dann befreiend von Zwängen, also „erlösend“ sein kann.
Und wenn man vom Bösen sprechen will, um das Böse dreht sich ja die „Erbsünden – Ideologie, dann vielleicht so: Das Böse entsteht durch die freie oder auch zwanghafte, seelisch kranke Tat der Menschen. Wer das Böse bekämpfen will, etwa die sinnlosen Kriege und das auch von Religionen unterstützte Morden und Töten: Dann nur: Indem diese religiösen Menschen so human gebildet werden, dass Friedfertigkeit identisch mit humanem Menschsein wird.
Von absonderlichen katholischen Lehren, wie dem Dogma von der Unfehlbarkeit de Papstes, der Höherstellung des Klerus gegenüber Laien, der erstarrt wirkenden Liturgie, der verstaubten Sprache in diesen Liturgien, von der immer noch päpstlichen Lehre „Homosexualität ist Sünde“, „Abtreibung ist Sünde“ und so weiter soll hier gar nicht weiter gesprochen werden. Zu diesen Themen ist eigentlich alles Vernünftige und Nachvollziehbare gesagt, aber nichts ändert sich, weil der Klerus seine Macht nicht abgeben will!
Der Jesuit und Schriftsteller Alfred Delp (1907 -1945) schrieb kurz vor seiner Hinrichtung als Widerstandskämpfer gegen die NAZIS: „Die Kirchen scheinen sich … durch die Art ihrer historisch gewordenen Daseinsweise selbst im Weg zu stehen“ (Quelle: Alfred Delp: „Im Angesicht des Todes“. )

9. Werden nun alle Atheisten?
Die genannte Studie kann zu grundlegenden, vielleicht sogar grundstürzenden Fragen führen, die eine Antwort finden müssen, wollen die Kirchen vermeiden, endgültig in einem kulturellen Getto zu landen, sozusagen in einer Nische von Fundamentalisten, denen selbst die absonderlichsten Dogmen und Morallehren noch normal und nachvollziehbar erscheinen.
Sind die vielen Menschen, die die Kirchen verlassen (haben), etwa Atheisten? Viele der Befragten verneinen das selbst. Wer ist eigentlich ein AtheistIN, gegen welchen Gott wehrt er/sie sich?
Religionsphilosophisch ist deutlich: Jeder Mensch schafft sich seinen Gott, seinen eigenen Gott. Oder verehrt einen namenlosen Gott der Mystik.
Und ist Transzendenz nur in den Religionen anzutreffen? Es gibt viele Formen der Transzendenzerfahrungen: Wir leben in einer neokapitalistischen Weltordnung, in der das grenzenlose Wachstum ein schädlicher Glaube ist an eine unendliche Transzendenz des Immer Mehr und des ständigen ökonomischen Wachsens. Der Glaube an einen verdinglichten Gott ist vielfältig: Sport, Fußball zumal, kann wie eine göttliche Autorität geliebt und verehrt werden; die Autos, immer noch, können je größer je besser absoluter Mittelpunkt des Lebens werden. Sex, Arbeit, alles kann zu einer Art göttlichem, also absoluten Mittelpunkt im Leben werden. Wie wird man diese negative Transzendenz als Bindung an einen verdinglichten Gott überwinden? Wie stark und prägend ist aber die positive Transzendenz? Musik und Kunst und Literatur wollen wir hier nur erwähnen. Auch das Gespräch, den Dialog, Die höchste Transzendenz wird in der Liebe erfahren, nicht nur im eros, auch in der diakonia…Hat der dogmatisch korrekt, „wahre“ Gott der Christen von einst diese Welt und ihre Menschen nachweislich friedlicher, reifer, vernünftiger, „erlöster“ gemacht? Die Bilanz „2000 Jahre etabliertes, meist klerikales oder dann auch fundamentalistisches Christentum“ fällt unseres Erachtens negativ aus.

10.
Es gibt, philosophisch gesehen, kein geistiges Leben der Menschen ohne die Beziehung zu Göttern und das Schaffen von Göttern und eben auch den Gedanken an den einen Gott. Die Menschen sind also „immer schon“ irgendwie über alles Weltliche hinaus…Und dann stellen sich dann die Fragen: Was sind die Kriterien wahrer, d.h. befreiender Transzendenz? Das sind keine religilsen, theologischen Kriterien, sondern philosophische, vor allem die Erklärung der Menschenrechte (von 1948). LINK

Siehe auch das Interview mit dem Theologen Wilhelm Gräb: LINK

11. Wenn die Kirchen sterben…
Die Frage muss gestellt werden: Zeigt sich in den letzten Jahren eine alt gewordene Kirche, schwach und krank und morsch und eher nur ein Gerüst oder fast schon ein Skelett und nur noch künstlich am Leben erhalten? Werden die Kirchen (in Deutschland, in Europa) sterben?
Wir beziehen uns hier „nur“ auf den römischen Katholizismus. Er hat zwar weltweit, so wird nicht ohne Stolz von offizieller Seite betont, eins Komma vier Milliarden Mitglieder. Aber diese Kirche ist trotz zahlreicher Basis-Initiativen, besonders in der Caritas, erstarrt: Diese Kirche hat überall die gleiche klerikale Struktur, es herrschen überall die gleichen klerikalen Machtverhältnisse. Fast alles, was kirchliches Leben bestimmt, wird letztlich im Vatikan entschieden. Überall wird die Messe in der gleichen Form gefeiert, überall gilt das römische Kirchenrecht, überall wird der römische Katechismus studiert und eingeschärft mit seinen 800 Seiten voller Belehrungen und moralischer Verurteilungen. Überall wachen päpstliche Nuntien, dass nur ja der wahre, der römische Glaube gelehrt und praktiziert wird und so weiter. Lebendigkeit, Kreativität, Freiheit: sieht anders aus!

12.
In Deutschland und in Europa ist die katholische Kirche seit Jahren schon aufgrund der stetig sinkenden Zahl ihrer aktiven Mitglieder und wegen des vergreisenden Personals, der Priestern, in einer tödlichen Krise. Noch wird oft so getan, die alte Welt der Volkskirchen bestehe weiter, die Milliarden der Kirchensteuer fließen ja noch. Noch… Diese Kirche wird künstlich am Leben erhalten durch den Einsatz von einigen tausend Priestern aus Indien, Afrika, den Philippinen, Indonesien in den sterbenden europäischen Kirchen. Werden sie etwas dort nicht gebraucht? Sie sind in Europa so eine Art „gut bezahlter Gastarbeiter“, die einen Teil ihres in Deutschland üppigen Gehaltes in die Heimat schicken (müssen). Auch viele Nonnen aus den genannten Ländern, sogar aus Korea, versuchen den katholischen Betrieb in Europa aufrecht zu halten.

13. Der Klerus zerstört die katholische Kirche
Die mögliche Todesursache der katholischen Kirche nicht nur in Europa ist der seit vielen Jahren bekannte sexuelle Missbrauch (an Kindern und Jugendlichen vor allem) durch katholische Priester … und die Kooperation vieler Bischöfe mit diesen Priestern. Tiefer kann eigentlich diese Institution nicht sinken, die die Priester immer als „Hochwürden“ oder gar als „Geistliche“, also außerhalb der bürgerlichen Welt lebend, betrachtete, Priester galten fast schon als heilige Personen.
Und dann die vielen Katastrophen und Skandale in fast allen so genannten neuen geistlichen Gemeinschaften, es geht auch dort um den sexuellen Missbrauch durch hoch und heilig verehrte Gründergestalten mit ihrer oft sektiererisch oder spinös wirkenden Spiritualität . Alle diese neuen, angeblich geistvollen „charismatischen“ Gruppen wurden von den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. als „Sturmtrupps“ der „neuen Evangelisierung Europas“ betrachtet… Und dann das Desaster. In Frankreich hat der Bischof von Fréjus – Toulon (Dominique Rey von der Charismatischen Gemeinschaft Emmanuel) zahlreiche seltsam – spinös erscheinende Charismatiker – Priester – Gemeinschaften in sein Bistum geholt, die nachdenklichen Katholiken dadurch vertrieben…LINK   Jetzt sind die Zustände in diesem „Charismatiker – Bistum“ so verheerend, dass Rom jetzt eingreifen muss und Bischof Rey endlich aufs Abstellgleis setzt…

14.
Wer ist schuld am langsamen Sterben der katholischen Kirche?
Das langsame, aber systematische Sterben der katholischen Kirche in Europa ist sozusagen „hausgemacht“, es sind nicht die „bösen Atheisten“, die dieser Kirche das Ende bereiten, es ist die Kirche selbst aufgrund ihrer inneren Verfassung, die sich aufs Sterbebett gelegt hat und nur noch Leute um sich sammelt, die der sterbende Kirche einreden: Alles nicht so schlimm, diese Kirche besteht schon weiter. Der liebe Gott hat doch persönlich diese Kirche gewollt.
Nur ein Beispiel aus Polen: Der Jesuit und Therapeut Jazek Prusak äußert sich über den aktuellen Zustand der Katholischen Kirche in Polen, also dem Land, das immer als absolut treu – katholisch galt und das sich wegen des Polen Johannes Paul II. einredete, etwas ganz Besonderes zu sein. Dabei ist die Dummheit, auch die materielle Gier vieler polnischer Bischöfe längst bekannt und in den Medien präsent. LINK. Der genannte Jesuiten -Pater Prusak gibt also zu der Aussage des Journalisten: „Manche Publizisten und auch Politiker sagen, dass jetzt ein frontaler Angriff auf die Kirche stattfindet“ diese Antwort: „Das ist eine Verteidigungsreaktion. Das sagen diejenigen, die es nicht zu echten Reformen in der Kirche kommen lassen wollen. Was ist das für ein Angriff auf die Kirche, wenn wir uns in der Kirche mit den Opfern der Kirche befassen? Wir haben es mit der größten Krise in der Katholischen Kirche seit der Reformation zu tun, eine Krise, die wir auf eigenen Wunsch geschaffen haben. Es sind doch keine Außerirdischen, die Kinder in der Kirche missbrauchen, noch tragen ihnen dies die Feinde der Kirche auf! (Quelle: https://www.laender-analysen.de/polen-analysen/239/das-gericht-kommt-anna-goc-und-artur-sporniak-im-gespraech-mit-dem-priester-und-psychotherapeuten-jacek-prusak-sj/

15.
Diese Kirche klerikaler Herrschaft (die sich bis heute offiziell lobt, nicht demokratisch zu sein!) zerstört sich selbst gerade durch ihre klerikale Herrschaft. Diese Kirche verschwindet langsam…Ist dieser Gedanke skandalös? Für Fundamentalisten vielleicht, für andere nicht. Die Kirche in Nordafrika ist etwa im 8. Jahrhundert verschwunden, durch die aggressive Mission des Islams. In manchen Regionen Frankreichs, wie in Guéret, Département Creuse, ist die Kirche de facto verschwunden, das gilt auch für Barcelona oder Amsterdam usw…

16. Eine Auferstehung des Glaubens?
Ist der Gedanke an eine sterbende Kirche in Europa so unangenehm, wenn man denn theologisch – spirituell an die Dialektik glaubt, dass aus dem Tod dieser Kirche wieder neues Leben einer einfachen, jesuanischen Kirche entsteht? Ist der Glaube an Tod und Auferstehung nur auf die einzelnen Menschen bezogen oder gilt er auch für Kirchen – Institutionen?

17.
Die Frage ist: Wird es ich Menschen geben, angesichts des Zusammenbruchs, des Verschwindenden der Kirche, die den einfachen Lebensweisungen Jesu von Nazareth persönlich folgen wollen, weil sie ihn als einen Lehrer der Weisheit schätzen lernen? Wo wird es Schulen der Spiritualität geben, in denen die Psalmen oder die Weisheitsbüchern und Prophetenbücher der Bibel studiert und meditiert werden oder auch die buddhistischen Weisheiten oder Aspekte der Philosophien usw. Werden die spirituell Interessierten die Kraft haben, selbst spirituelle Gesprächsgruppen einzurichten? Wird es gelingen, in einer neuen freien Spiritualität das Leben zu verstehen, Gesellschaft kritisch zu betrachten, Widerstandsreserven gegen Hass und Krieg aufzubauen?

18. Ein Hinweis auf Friedrich Nietzsches treffende Prognosen:
Friedrich Nietzsche erzählt in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“ vom „tollen Mann“, der die Frage stellt: „Wohin ist Gott? Ich will es euch sagen: Wir haben ihn getötet, ihr und ich“. Dann heißt es weiter im 3. Buch der Fröhlichen Wissenschaft“, Nr. 125 am Ende: „Man erzählt noch, daß der tolle Mensch desselbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: »Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?«. Der tote Gott wird also nicht in den Kirchen(gebäuden) ausgestellt
Der niederländische Augustiner Robert Adolfs hat diesen Gedanken weitergeführt und vor vielen Jahren das Buch mit dem Titel geschrieben: „Wird die Kirche zum Grab Gottes ?“ Die Frage kann heute durchaus mit Ja beantwortet werden: Der Gott der Kleruskirche und der hierarchischen Herrschaft und des Fundamentalismus ist, in ein Grab gesperrt, tatsächlich gestorben. LINK

19.
Aber: Es könnte auch der göttlichen Gott, der Gott über diesem begrenzten Gott zu entdecken sein: Und der/die/Es ist das namenlose Geheimnis des Lebens, eine Art Schöpfer der Welt, Ursprung des Menschseins in seiner Freiheit und damit Ursprung der Transzendenz – Erfahrungen. Wer sich daran halten kann, hat schon viel gewonnen in seinem Leben. Er/sie ist religiös, ist christlich in einer großen geistigen Weite der Toleranz, er /sie spürt, erlebt und denkt einen tragenden Grund im Leben: Daraus kann Zuversicht „trotz allem“ entstehen, Hoffnung vielleicht und Kraft zum Widerstand gegen kriegerische, mörderische Situationen in der Welt.

20.
Eine einfache Religion, ein einfaches Christentum ohne Hierarchien und Klerus könnte entstehen, mitten im Leben des säkularen Alltags, das da nach dem Tod der altgewordenen Kirchen entsteht. Darf man in der Weise darüber nachdenken? Selbstverständlich. Leider tun das wenige, auch so wenige, die sich Theologen nennen. Dietrich Bonhoeffer hat darüber nachgedacht, wenige Wochen vor seiner Hinrichtung durch die deutschen Nazi – Verbrecher.

21. Menschenrechte als Grundlage der Kirchenlehre
Die klein und sehr klein werdenden Kirchen brauchen zu ihrem Neustart, einer Auferweckung post mortem, nicht nur die historisch – kritische Lektüre der Bibel. Sie brauchen die regelmäßige Lektüre und die daraus folgende Praxis der universal geltenden MENSCHENRECHTE in der Erklärung von 1948. Diese Menschenrechte sind alles andere als eurozentrisch, sie sind nicht neu – kolonialistisch. Sie entspringen dem richtigen Geist der philosophischen Aufklärung. Auch wenn die Menschenrechte von unfähigen Politikern so oft ignoriert und missbraucht wurden und werden: Sie haben in sich die Fähigkeit der weiteren Entwicklung zugunsten der Menschheit, sie sind der Basistext für eine Menschheit, die überleben will.

Die Kirchen sollten die Menschenrechte als Teil ihrer wertvollen Schriften achten und neben die üblich für heilig gehaltenen Mythen der Bibel stellen. Auch die Menschenrechte haben eine heilige Aura… Siehe dazu ein Interview mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb: LINK

Fußnote 1 zur Schließung der Berliner St. Albertus – Magnus – Kirche.
Die eher alten Gottesdienstteilnehmer müssen also rund 2 Kilometer zur nächsten katholischen Kirche laufen, fahren, humpeln, wie auch immer. Der Grund für die Schließung: Es gibt keine Priester, die die Messe in St. Alberts Magnus dort lesen können, bisher haben sehr alte pensionierte Priester noch „ausgeholfen“, aber sie haben keine Kraft mehr. Und es gibt kein Geld für eine Sanierung der Kirche. Nebenbei: Für die Renovierung der Hedwigskathedrale in Berlin -Mitte stehen 43 Millionen Euro bereit – auch staatliche Gelder! – sowie mehr als 20 Millionen Euro für den Neubau eines Kirchenzentrums “Lichtenberg-Haus” direkt neben der Kathedrale. (Quelle: Tagesspiegel 2.11.2023, Seite B 9).

Und auch dies: Im aktuellen Gemeindeblättchen der Groß – Gemeinde St. Ludwig wird die Schließung der Alberts Magnus Kirche mit keinem Wort erwähnt. Es wird nur vermerkt: Am 26.11. 2023 findet um 8.30 Uhreine Messe des Kaplans dort statt. Kein Kommentar. Dann ist Schluss, basta. So geht eine sterbende Klerus – Kirche mit den noch verbliebenen Mitgliedern um…Bürokratisch halt, wie allzu oft. (Quelle: https://www.pfarrei-deutschland.de/pfarrbrief/?pariCode=HGNHUEJQ)

Fußnote  2. Zur aktuellen Erfahrung der Kölner katholischen Gemeinde St. Peter:
Der Ausgangspunkt: Mit 522.821 Katholiken, die 2022 aus der Kirche austraten, wurde der bisherige Rekordwert aus dem Jahr 2021 deutlich überschritten.
„Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: 2022 haben mehr als 20.000Kölner*innen ihre Kirchenmitgliedschaft gekündigt, in NRW eine Steigerung der Austritte um 44 %. Das einst ‚Hillje Kölle‘ und das Katholische Rheinland sind definitiv Geschichte. In der BRD sind erstmals weniger als 50% der Gesamtbevölkerung Mitglied einer Kirche. Menschen ziehen einen Schlussstrich und wollen sich nicht mit einer Kirche identifizieren, der man nicht vertrauen kann. Ist es die Botschaft oder der Apparat? 2022 haben 90 Menschen aus Sankt Peter die Kirche verlassen: 30 Personen, die im Pfarrgebiet wohnen, und 60 Personen, die in unserer Kirche getauft wurden. Neun Taufen stehen im vergangenen Jahr neun Bestattungen gegenüber. Sicher ist es ein Zeichen der Ermutigung, wenn 2022 in Sankt Peter 40 Kinder und Jugendliche durch Taufe, Kommunion und Firmung Schritte der Eingliederung in die Kirche gegangen sind. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Sozialgestalt dieser Kirche stirbt, und zwar rasant. Trotz der zurzeit wachsenden Zahl der Gottesdienstbesucher*innen in Sankt Peter hat auch unsere Gemeinde wertvolle Frauen und Männer verloren. Sie gehen uns ab, sie fehlen. Wer sich als unter 60 Jährige*r in einen Gottesdienst verläuft, ist Minderheit. Einerseits sind diese nüchternen Fakten nur Statistik, die die vielfältige und vitale Lebenswirklichkeit unserer Kunst , Gottesdienst und Musikgemeinde nicht wirklich abbildet. Andererseits können diese Daten nicht darüber hinwegtäuschen, dass etwas im Argen liegt und schief läuft. Schuld an der Misere ist jedenfalls nicht bloß der bischöflich beklagte Glaubensverlust oder der Trend der Säkularisierung. Nein, in der Kirche herrschen handgreifliche Missstände. Das berührt auch den inneren Lebensnerv unserer Gemeinde und mich als Seelsorger…“
Quelle: SANKT PETER KÖLN Kirche der Jesuiten __ Kunst-Station __ Rubens-Kirche. Gemeindebrief Nr. 1/2023 _____ 5.2.2023, ein Auszug eines Beitrags von P. Stephan Kessler SJ.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

 

 

Katholiken sind niemals Freimaurer! Ein Verbot des „progressiven” Papstes Franziskus!

Neue päpstliche Attacken gegen die Freunde des Humanismus und der Toleranz.
Ein Hinweis von Christian Modehn

Die oberste katholische Glaubensbehörde schlägt wieder zu: Am 15.11.2023 veröffentlicht der neue Chef der einstigen Inquisition, der Freund des Papstes und auch er ein Argentinier, also der frisch ernannte Kardinal Victor Fernandez, eine Erklärung: „Katholiken dürfen nicht Mitglieder der Freimaurer – Logen sein. Sind sie Mitglieder, werden sie vom Empfang der Kommunion ausgeschlossen, katholische Freimaurer befinden sich in einem Zustand schwerer Sünde“ (Zum Vatikan-Text: Siehe unten Fußnote 1)

Die Welt heute hat eigentlich sehr viel dringendere Probleme, als sich mit dieser neuen päpstlich abgesegneten Verbots-Erklärung zu befassen.
Aber sie verdient, in wesentlichen Kürze, doch Beachtung selbst bei Menschen, denen eigentlich der Katholizismus ziemlich egal geworden ist. Man sollte also wissen:

1.
Der Kampf der katholischen Kirche gegen die Freimaurer im allgemeinen dauert schon seit Jahrhunderten. Es sind vor allem die katholischen Traditionalisten und Reaktionär-Katholiken aus dem Gefolge von Erzbischof Marcel Lefèbvre, die im 20.Jahrhundert zu den erklärten Feinden der Freimauer und ihrer Logen gehören. Man vergesse nicht: Der große Durchbruch der liberalen Freiheiten, etwa zu Beginn der Französischen Revolution, war auch Leistung von Freimaurern. Und wer Mozarts Musik schätzt, der liebt die Musik eines Freimaurers. Also: Bitte keine Mozart Messen mehr in katholischen Kirchen! (Siehe Fußnote 2 zur Geschichte von Katholizismus und Freimaurer)

2.
Bescheidene Versuche einer Annäherung an die Freimaurer auch von offizieller katholischer Seite im späten 20. Jahrhundert, durch so genannte Dialog-Konferenzen, werden seit etlichen Jahren von Rom ausgebremst. Kardinal Gianfranco Ravasi hatte sich freundlicherweise darum bemüht (Quelle: https://katholisches.info/2016/02/16/kardinal-ravasi-an-die-logen-liebe-brueder-freimaurer/), früher auch Kardinal König von Wien.

3.
Tatsache ist, dass zum Beispiel in Spanien viele Katholiken auch Priester, Mitglieder der Freimaurer – Logen sind. Bekannt ist auch, dass ohne Probleme protestantische Theologen und Pfarrer Mitglieder der Logen sind. (Quelle zu Spanien: Die wichtige Zeitschrift VIDA NUEVA: https://www.vidanuevadigital.com/2023/11/15/el-ultimo-acercamiento-a-la-masoneria-fue-con-el-cardenal-ravasi-que-en-2016-la-llamo-a-un-dialogo-sincero-con-la-iglesia/)

4.
Die Freimaurer Logen verstehen sich trotz aller Pluralität der unterschiedlichen Logen als Orte des Dialogs ideologisch verschiedener Männer und auch Frauen (auch sie sind in Logen) im Respekt vor dieser Pluralität. Logen wollen ihre Mitglieder ermuntern, im individuellen Leben das Beste für die Menschen zu tun … im Sinne der universal geltenden Menschenrechte. Deswegen waren Logen nicht nur im Katholizismus, sondern auch in faschistischen und kommunistischen Diktaturen verboten.

5.
Warum also das erneute Verbot aus Rom? Das ist entscheidend:
Weil den dortigen Theologen vor allem die Philosophie der Freimaurer höchst unangenehm ist: Es wird in vielen dieser Logen vorgeschlagen, an ein „höchstes Wesen“ zu glauben, das wichtiger und größer ist als der Gott jeder einzelnen Konfession und Religion. Sozusagen geht es zuerst um den allgemeinem Gott der einen Menschheit, vor allem dieses höchste Wesen soll respektiert und verehrt werden. Die klassische Theologie kann sich mit diesen Gedanken nicht anfreunden: Da wird die Trinität nicht beachtet, heißt der römische Vorwurf, da wird Jesus Christus nicht als Gottessohn verehrt? Aber gibt es nicht auch Größeres und Höheres alsndiese Dogmen? Der Gedanken fällt Rom schwer!
Die immer aktuelle Position der Philosophen der Aufklärung steht also zur Debatte. Und ohne diese Philosophie, die alle, aber auch alle Positionen und Konfessionen relativiert, selbst die vatikanisch-klerikale Hierarchie, wird es keinen Beitrag für einen Weltfrieden geben. Das sah Kant auch schon in seiner Lehre von der „unsichtbaren Kirche“.
Das also ist die richtige Überzeugung der meisten Freimaurer: Jeder und jede kann seiner humanen Ideologie, religiösen Konfession etc. verbunden bleiben, aber jeder und jede muss wissen: Es gibt etwas viel Größeres Absolutes als meinen mir wichtigen Glauben. Nur so kann der tödliche Fundamentalismus überwunden werden.

6.
Dass Freimaurer in der romanischen Welt, Lateinamerikas vor allem, eine wichtige Rolle spielten im Kampf der Unabhängigkeit ist bekannt. Die Privilegien des Klerus standen dabei zur Debatte.
Das historische Thema der Freimaurer, der Anti-Klerikalismus, ist etwas, das Romjetzt noch empört. Dabei spricht doch Papst Franziskus so oft in letzter Zeit selbst gegen (!!) die Macht des Klerikalismus…

7
Die jüngste Erklärung aus Rom gegen die Logen der Freimaurer ist also, auch theologisch gesehen, ein großer Schritt zurück, ein Schritt der den Reaktionären in der Kirche gefällt, also Konfessionellsten, den Fundamentalistischen, nicht aber den universal Denkenden.
Man muss ja kein Freund sein gegenüber einigen Üblichkeiten der Logen, etwa ihr Verschwiegenen darüber, wer Mitglied ist oder auch was die Versammlungen im einzelnen bedeuten. Aber man muss immer wissen: Auch das katholische Opus Dei (70.000 Mitglieder weltweit, treffend als Geheimclub bezeichnet) schweigt sich aus, wer Mitglied in diesem geheim agierenden, politisch rechtslastigen Verein ist. Und auch die Katholiken aus der katholischen Neokatechumenalen Gemeinschaft haben Jahre lang ihre Samstag-Abend-Messen, stundenlang, hinter verschlossenen Türen gefeiert. Sie brauchten halt auch ihren eigenen., geschlossenen Raum… Und ist der Vatikan insgesamt, auch was seine Finanzaktionen angeht, nicht auch ein Geheimclub?

8.
Ich möchte gern diese Herren von der vatikanischen Glaubenskongregation fragen, was sie eigentlich von Lessings „Nathan der Weise“ denken. Eigentlich müssten sie, bei diesem ihrem Weltbild, diesen wunderbaren Text auf den sicher bald wieder zu veröffentlichenden „Index” setzen.

9.
Man stelle sich vor, die jetzt tötenden Israelis und muslimischen Palästinenser würden wahrnehmen und realisieren: Unsere jeweiligen Religionen sind ja ganz nett. Aber sie sind nicht das Höchste! Über unseren jeweiligen Religionen (wie auch der Christen!) gibt es sozusagen den einen „göttlichen Gott“ aller. Es gibt also keine herausragende, keine besondere Religion: Alle Konfessionen sind gleich viel wert oder auch unwert.
Das lehren die Freimaurer … und sie werden deswegen diskriminiert. Rom schießt gegen die Freimaurer, aber das tragen sie wohl voller Gelassenheit. Es gibt ja wohl Wichtigeres als Rom und den Vatikan mit seinen Verboten. Und das alles nachdem die Weltsynode so hübsch und nett und so liberal im Vatikan getagt hat…

Fußnote 1:

https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2023-11/vatikan-freimaurer-katholiken-glaubenslehre-klarstellung-verbot.html?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=NewsletterVN-DE

Fußnote 2:

Die schnelle Ausbreitung der Freimaurerei rief bald von Seiten der katholischen Kirche wie des Staats Kritik und zahlreiche Verbote hervor. So war die Maurerei in Neapel 1731, in Polen 1734, in Holland 1735, in Frankreich 1737, in Genf, in Hamburg, in Schweden und von Kaiser Karl VI. in den österreichischen Niederlanden 1738 sowie in Florenz 1739 untersagt. Am konsequentesten ging die spanische und portugiesische Inquisition gegen die Freimaurer vor.
Der 1738 gegen die Freimaurerei erlassene päpstliche Bannfluch In eminenti apostolatus specula (päpstliche Bulle) Clemens XII. forderte die staatlichen Mächte auf, die Freimaurerei zu verbieten. Kardinal Firrao ließ infolgedessen 1739 durch den Henker Freimaurerbücher öffentlich verbrennen, und im selben Jahr wurde der Dichter Tommaso Grudelli in Florenz der Inquisition als Häretiker denunziert und im Gefängnis gefoltert. Später kam er auf Betreiben des Großherzogs wieder frei, erlag mit 43 Jahren dennoch den Folgen der Haft.
Am 18. Mai 1751 bestätige Papst Benedikt XIV. die Bulle seines Vorgängers mit der Bulle Providas romanorum und unterstrich die Verurteilung der Freimaurerei, indem er allen Katholiken unter Androhung der Exkommunikation jeglichen Kontakt verbot, die ohne Erklärung erfolge und bis zum Tode ihre Gültigkeit behalte, woraufhin Karl III. (Spanien) im Königreich beider Sizilien die Freimaurerei verbot. Giacomo Casanova, der 1750 in den Bund der Freimaurer aufgenommen worden war, wurde am 27. Juli 1755 in Venedig wegen Freimaurerei verhaftet und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, ohne dass ihm das Strafmaß mitgeteilt wurde. Aber schon am 1. November 1756 gelang ihm die Flucht aus den Bleikammern.[28] 1783 wurde der Marchese Vivaldi in Venedig wegen Freimaurerei verhaftet, im Gefängnis erdrosselt und seine Leiche öffentlich mit der Aufschrift ausgestellt: „so behandelt die Republik die Freimaurer“.
Auch Pius IX. erneuerte die Verurteilung der Freimaurerei mit Ecclesiam a Jesu Christo ebenso wie Leo XIII. in diversen Enzykliken. (siehe auch: Liste päpstlicher Rechtsakte und Verlautbarungen gegen die Freimaurerei und Geheimbünde)

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon.

Die Allmacht des europäischen Christentums

Wo hat das Christentum Zukunft? Im „globalen Süden“, vor allem in Afrika, wachsen die Kirchengemeinden.

Von Christian Modehn.

Eine Zusammenfassung:
Diese Hinweise sind ein kurzer religionsphilosophischer und theologiegeschichtlicher Essay.
Er zeigt: Seit dem 4. Jahrhundert kooperiert die Kirche Westeuropas immer mit den politischen Herrschern auch in der Verbreitung des christlichen Glaubens; die Entwicklung der so genannten Ost-Kirchen wird hier nicht beachtet.
Die viel besprochene Verbindung Kolonialismus und Mission begann also schon in der Frühzeit der Kirche. Der Widerstand gegen die Symbiose blieb bescheiden. Wenn Mission und Kirchengründung stattfanden, dann wurde immer das europäische Christentum mit einer europäischen Theologie den Menschen in Afrika, Amerikas Asien, Ozeanien vermitteltt, wenn nicht aufgedrängt.
Im 20. Jahrhundert widersetzten sich einige kolonisierte Christen diesem System und gründeten ihre eigenen, unabhängigen Kirchen. In Afrika wurde auch eine unabhängige katholische Kirche gegründet, eine weithin unbekannte Tatsache.
Und heute? Da verfügt die katholische Kirche in Europa über so wenige Kleriker, dass aus den ehemaligen Missionsländern einige tausend Priester (Missionare ?) in Europa eingesetzt werden. So wird das klerikale System in Europa von den einst „Missionierten“ weiter erhalten, sehr gut könnten ja auch Laien die vielen priesterlosen katholischen Gemeinden in Europa leiten, aber das will der Klerus (Papst etc.) nicht.

Die Fakten:
37 Prozent aller Christen leben heute in Lateinamerika, 24 Prozent in Afrika und 13 Prozent in Asien und der Pazifik-Region. Also leben 74 Prozent aller Christen in den Ländern des globalen Südens. Am stärksten gewachsen ist der Anteil der Christen in Afrika südlich der Sahara: 1910 waren dort nur neun Prozent der Bevölkerung Anhänger des Christentums, heute sind es 63 Prozent. Und sehr viele von ihnen sind „Fundamentalisten“. Das Ergebnis christlicher Mission im Zusammenhang mit dem Kolonialismus. LINK    Siehe auch zum Katholizismus speziell: LINK

1. Kirchen und Kolonial-Imperien
Die aktuellen Kolonialismus – Debatten sollten eigentlich auch das Interesse an Geschichte und Gegenwart der christlichen Mission in Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien fördern und aus der engen Kirchen – Welt befreien. Dabei sollte die Erkenntnis weiter vertieft werden: Mission und Kirchengründungen im „globalen Süden“ geschahen in den allermeisten Fällen im Zusammenhang und in Zusammenarbeit mit den kolonisierenden europäischen Imperien.

2. Mission war Europäisierung
Die Bindung der Kirchen und ihrer Missionare an die strategisch, vor allem militärisch mächtigen weltlichen Herrscher ist typisch für die langsame, aber oft erfolgreiche „Einpflanzung“ der Kirchen im globalen Süden. Kirchlichen Widerspruch gegen die allen christlichen Wertvorstellungen entgegengesetzte Gewalt der christlichen Kolonial – Imperien gab es eher selten. Immer wieder wird als Ausnahme hochgelobt: Pater Bartolomé de la Casas in Santo Domingo und Mexiko. Tatsache aber ist: Kirchliches Leben entwickelte sich im „Globalen Süden“ meist in Abhängigkeit vom imperialen Denken und Werten bzw. Unwerten der europäischen Herrscher. So war etwa die Akzeptanz der Sklaverei auch unter Missionaren und Kirchenführern üblich, nur um sanfte, mildernde Umstände zugunsten der christlichen Sklaven wurde die Sklavenhändler gebeten. Sogar die Päpste hatten an ihrem Hof Sklaven zur Verfügung. (Fußnote 1)
Weisheitslehren, Philosophien, Poesie, Kunst usw. der „Einheimischen“, auch ihre Kenntnisse der Natur, der Umwelt und der pflanzlichen Heilmittel, wurden in europäischer Arroganz meist abgewiesen und unterdrückt. Die bescheidenen Krankenstationen im „Süden“ funktionierten nach europäischem Vorbild und die Missions-Schulen waren im Unterricht Kopien des in Europa üblichen „Einpaukens“ und Auswendiglernens. Kinder von Kolonisten wurden gegenüber einheimischen Kindern bevorzugt…Und wenn Kirchen gebaut wurden, dann immer als treue, aber schlichte Nachbildungen europäischer Gebäude. Neugotische Kirchen und „Kathedralen“ sieht man in diesen Ländern überall. Und wenn Gottesdienste gefeiert wurden, dann immer nach den liturgischen Vorschriften Europas. Die Kirchen waren ideologisiert von der europäischen Idee, als Europäer maßgeblich und besser zu sein. . Und die Kolonialherren waren den Kirchenleuten, den Missionaren, dankbar für so viel Treue zur Herrscher – Ideologie.

3. Eine bescheidene Urkirche
Ganz anders die kirchliche Mission in der Frühzeit der Kirchen bis zu Kaiser Konstantin (Kaiser von 306 – 337). Die Präsenz der christlichen Gemeinden der „Urkirche“ war keine machtvolle Strategie. An eine Zusammenarbeit mit dem römischen Staat und seinen polytheistischen Kaisern war gar nicht zu denken. Als Minderheit verstanden sich die Kirchen als „philosophische Schulen“ neben anderen philosophischen Schulen, so der Philosophiehistoriker Pierre Hadot. Die christlichen Gemeinden nahmen an Bedeutung und an Mitgliedern nur zu, weil sie von den „anderen“ Menschen und anderen „Schulen“ vor allem als Orte der Mit – Menschlichkeit, der unmittelbaren Hilfsbereitschaft und auch des Bekennermutes in Zeiten der Verfolgung wahrgenommen und oft auch geschätzt wurden. Die Christen organisierten sich als Gemeinschaft von Hauskirchen. Man traf sich im „Wohnzimmer“ am runden Tisch, sprach miteinander Wesentliches, las spirituelle Bücher, also die Bibel, speiste auch zeremoniell miteinander, erinnerte sich dabei an Jesus von Nazareth …Ein Modell, das vielleicht wieder Zukunft hat für die Kirchen Europas des Jahres 2040, wenn die letzten Kirchen verkauft wurden und nur noch einige Kathedralen bewundert werden?

4. Kirchen stärken das Imperium
Aber dann gab es den alles entscheidenden Bruch, also das Ende der Minderheiten – Kirchen. Seit Kaiser Konstantins Hinwendung zum katholischen Glauben (312) sind die Kirchen und mit ihr die Mission fest eingebunden in die Zusammenarbeit mit den Imperien, Kaisern, Königen. Sie sahen in der Kirche und im Glauben an den einen Gott eine sehr nützliche Unterstützung eigener politischer Ansprüche. Eine einzige religiöse Ideologie, Konfession sollte den Staat seine Herrscher stützen und nicht eine Vielzahl von Konfessionen…

5. Der König als Priester
Als die Missionare auf germanische Stammesfürsten trafen, sollten diese Führer zuerst zum Übertritt ins Christentum bewegt werden, und danach sollte das Volk gehorsam der Konversion des Stammesfürsten folgen. (Siehe dazu etwa die Studie von Lutz E. von Edberg, „Die Christianisierung Europas im Mittelalter“, Reclam, 1998, etwa S. 181f.)
König Chlodwig aus der Dynastie der Merowinger ließ sich etwa im Jahr 497 in Reims taufen und dann konnte die katholische Staatsreligion organisiert werden (Padberg, ebd. S. 55). Der König sah sich als „Gesalbter Gottes“, als „priesterliche Oberhoheit“ (rex et sacerdos) (ebd., S. 57). Auch die fränkischen Bischöfe waren ihm untertan und bezeugten ihre Ergebenheit in der ersten Reichssynode zu Orléans im Jahr 511: „Er, der König, sollte die Beschlüsse der Synode gutheißen oder ablehnen, die Bischöfe würden dem königlichen Urteil selbstverständlich folgen.“ (ebd. S 233).

6. Schwache Missionare und mächtige Herrscher
Damit waren die rechtlichen, vor allem die ideologisch-theologischen Grundlagen gelegt, auf denen die katholische Kirche bis in die späte Neuzeit hinein ihre Rolle gegenüber dem Staat zu finden suchte. Lutz von Padberg schreibt im Blick auf die Mission zu Zeiten der Merowinger und Karolinger: „Im Kern waren die Missionare mehr auf die Herrscher angewiesen als umgekehrt, ein Missverhältnis, dessen sich die Missionare durchaus bewusst waren, an dem sie allerdings nicht viel ändern konnten“ ( ebd. S. 208). Im Hochmittelalter versuchten dann die Päpste (Innozenz III.) den Vorrang ihrer angeblich von Gott gegebenen Übermacht auch gegenüber den weltlichen Herrschern durchzusetzen…Ein Jahrhunderte dauernder Kampf beider Mächte begann.

7. Staatskirchen
Die Abhängigkeit der Kirchen vom Imperium bestimmte weithin alle späteren imperialen Eroberungszüge außerhalb Europas, also die Kolonialherrschaft der Neuzeit. Man muss also wahrnehmen, dass aus frühen Zeiten diese Abhängigkeit der Kirchen von den „weltlichen Imperien“ stammt! Sie ist uralt und bis in die jüngste Zeit tief ideologisch- theologisch verwurzelt! Der faschistische Staatschef Franco in Spanien (+ 1975) war der letzte Repräsentant einer katholischen Staatsreligion in Europa…Und der äußerst brutale katholische Diktator Trujillo aus der Dominikanischen Republik (1961 endlich ermordet), hatte Jahre lang „seine“ ergebene Staatskirche.
Bis heute will die katholische Kirche ihre herausragende Sonderrolle selbst in den demokratischen Staaten demonstrieren und durchsetzen: Etwa, wenn pädo – sexuelle Verbrechen des Klerus gegenüber dem Staat von Bischöfen und Päpsten verschwiegen und vertuscht werden, um die eigene innerkirchlichen Gerichtsbarkeit auszuleben … außerhalb der staatlichen Gesetze. Dabei wurde und wird von den Kirchenführern das Leiden der Opfer an die zweite Stelle gerückt.… Man sieht hier, dass „historische Hinweise“ schnell zu aktuellen Entwicklungen führen.

8. Afrika wird christlich
Nach dem Ende des offiziellen Kolonialismus (auch die neoliberalen Imperien verhalten sich gegenüber den Armen im globalen Süden wie Kolonialherren)lebt in „Afrika südlich der Sahara“ eine nahezu unüberschaubar vielfältige Kirchen – Welt fast aller nur denkbaren Konfessionen mit einem stetigen zahlenmäßigen Wachstum. Vor allem Christen evangelischer Herkunft genießen die Religionsfreiheit und gründen ihre eigenen afrikanischen Kirchen, oft im Gegensatz zu den „etablierten“ europäischen Konfessionen in Afrika (Lutheraner, Anglikaner etc…) Dabei werden sie auch von Missionaren sogar aus Süd-Korea unterstützt, selbst die russisch – orthodoxe Kirche missioniert nun verstärkt in Afrika, unterstützt von Putin und seinem Getreuen Patriarchen Kyrill von Moskau. LINK

9. Afrikaner befreien sich vom Kolonialismus und gründen eigene Kirchen
Schon seit 1880 werden unabhängige evangelische Kirchen in Afrika von Afrikanern gegründet und aufgebaut. Bei der Gründung war ein antikolonialer Impuls entscheidend. „Klassisch“ nennen Beobachter etwa die etwa 20 Millionen Mitglieder zählende Kirche der „Kimbanguisten“. Seit 1970 gibt es einen förmlichen Boom von Afrikanischen Pfingstkirchen, gegründet und geleitet von Afrikanern. Eine Forschungsgruppe der Humboldt-Universität Berlin hat mitgeteilt: Zu diesen „African Initiated Churches“ „gehört etwa ein Drittel der afrikanischen Christenheit an“. Sie haben inzwischen einen „Dachverband“ mit über 270 unabhängigen Kirchen aus allen Teilen Afrikas südlich der Sahara, mit „über 60 Millionen Mitglieder“, wie die Forschergruppe um Prof. Wilhelm Gräb (+2023) mitteilt (Forschungsbereich Religiöse Gemeinschaften und nachhaltige Entwicklung). Diese postkolonialen Pfingst – Kirchen wollen afrikanische Traditionen mit ihrem Glauben verbinden, etwa die körperliche Heilung durch Gebet und Handlauflegung… Auch diese von Afrikanern gegründeten Kirchen setzen entschieden auf ein wortwörtliches Verstehen der biblischen Texte, so soll die geistliche „Wiedergeburt“ befördert werden.

10. Wenn afrikanische Kirchen in die Irre geführt werden….
Einige dieser Kirchen vertreten durchaus inhuman zu nennende Überzeugungen und religiöse Praktiken, so dass ein kenianischer protestantischer Theologe, Prof. Eale Bosela Ekakhot, jetzt von „irreführenden Theologien“ in Afrika spricht: „Solche Praktiken sind etwa die Aufforderungen von afrikanischen Predigern an die Gemeinde, Gras zu essen, die ein Prophet als von Gott offenbarte Eingebung als Nahrung erklärt oder … im Namen des Glaubens Bleichmittel zum Abendmahl zu trinken, weil dies der Evangelist Markus angeblich gelehrt hat.“
Der Theologe weist auch auf die Beliebtheit des neu erfundenen „Wohlstandsevangelium“ hin als einer international verbreiteten „irreführenden Theologie“. Eine Theologie also, die in die Irre (d.h. in den Wahn) führt und deswegen selbst irre ist! Prof. Eale Bosela Ekakhot weist also auf das „Wohlstandsevangelium“ hin, das auch in Afrikas blühenden Pfingstkirchen verbreitet wird mit der Lehre: Wenn du ökonomisch erfolgreich bist und dann sehr reich wirst, dann ist dies ein Zeichen der Gnade Gottes. Reich wirst du aber nur, wenn die viel Geld dem Pastor und der Gemeinde spendest, dann kommt schon die göttliche finanzielle Belohnung eines Tages… In Nigeria kann man den Boom dieser materialistischen, geldgierigen Erfolgskirchen erleben, riesige Kirchengebäude in luxuriösen Anlagen, Wohnungen für die wohlhabenden Pastoren und so weiter.

11. Die vielen afrikanischen Kirchen
Gegen den Wahn von irreführenden Theologien/Sektierern und entsprechenden Kirchen helfen nicht nur rationale theologische Argumente auch der historisch-kritischen Exegese, sondern entscheidend sind philosophische Argumente mit der damit verbundener Geltung der Menschenrechte. Nur diese stehen als Kriterien für wahr oder falsch in den Religionen zur Verfügung, sie gelten mehr als die religiösen und konfessionellen Lehren und Meinungen, als die „irreführenden Lehren“ allemal. Das ist der entscheidende Aspekt, der oft vernachlässigt wird: Die allgemeinen universal geltenden Menschenrechte der philosophischen Vernunft stehen ÜBER allen konfessionellen Einzellehren…das wollen leider die meisten Kirchenführer etc. nicht akzeptieren.
Man muss also in aller Deutlichkeit wahrnehmen: Das afrikanische Christentum ist in postkolonialen Zeiten ziemlich unübersichtlich und sehr spontan in der Neigung, „irreführenden Lehren“ auszudenken oder luxuriöse Kirchengemeinden zu installieren inmitten von großem Elend.
Kirchliche „Konferenzen“, also Zusammenschlüsse der verschiedenen Kirchen in Afrika, wie die AACC, die Allafrikanische Kirchenkonferenz (Fußnote 3) wollen die unüberschaubare Vielfalt der sich protestantisch bzw. evangelisch bzw. pfingstlerisch nennenden Kirchen bündeln und zu einem kritischen Bewusstsein führen..
Auf der anderen Seite gibt es auch viel Einsatz von Pastoren und Nonnen an der „Basis“ zugunsten der Leidenden, jener also, die wegen der Verletzung der Menschenrechte durch die meist autoritären, diktatorischen (oft sich christlich nennenden) Regime kaum Lebenschancen haben.

12. Katholische Kirchen von Afrikanern gegründet
Auch im Katholizismus von Afrika gibt es trotz der üblichen zentralistischen Kontrolle und Überwachung durch den Vatikan (man denke an die Nuntien) beachtliche Beispiele, tatsächlich unabhängige katholische Kirchen aufzubauen.Bedeutend, aber in Europa kaum bekannt ist die Kirche „Legion Maria“, sie wurde gegründet in Kenia, ist aber auch in anderen Ländern mit insgesamt drei Millionen Mitgliedern vertreten. (PS: Der Name „Legion Maria“ darf nicht mit einer römisch-katholischen Laien-Bewegung gleichen Namens verwechselt werden!). LINK. (FUßNOTE 4).
Diese vom Papst unabhängige Kirche hat über 3 Millionen Mitglieder. Auch sie legt wert auf Erfahrungen des heiligen Geistes, auf Verbindungen mit den Ahnen, auf spirituelle Heilung, Abschaffung des Zölibates usw. Wichtig ist ihre Lehre, dass der Messias Jesus Christus ein Afrikaner ist. Ein Europäer, wie die gesamte christliche Ikonographiein Europa nahelegt, war der Mann aus Nazareth auf gar keinen Fall.
Auch der von Rom exkommunizierte Bischof Emmanuel Milingo (geb. 1930 im damaligen Nord-Rhodesien) gründete eine eigene, Rom – unabhängige afrikanische Kirche, in der Priester heiraten dürfen… Das ist typisch: Die sich von Rom befreienden Kirchen schaffen das Zölibatsgesetz für Priester ab.

Auch in Lateinamerika wurden rom-unabhängige katholische Kirchen gegründet, auch dies eine Tatsache, die in offiziellen römisch-katholischen Medien Europas fast keine Beachtung findet. Wichtig ist etwa die „Brasilianisch-katholisch-apostolische Kirche“, gegründet von dem römisch-katholischen Bischof Carlos Duarte Costa /1888-1961). Er gründete die Brasilianisch- katholische Kirche im Jahr 1945 und weihte als ursprünglich römisch-katholischer Bischof andere Priester zu Bischöfen, die sich nun – rein rechtlich gesehen gemäß der vatikanischen Rechtsprechung – in der apostolischen Sukzession befinden… Auch diese Kirche ist gegen das Zölibatsgesetz, die Messen werden seit Anbeginn auf Portugiesisch gefeiert….diese Kirche zählte im Jahr 2010 560.000 Mitglieder in 26 Bistümern. LINK

13. Afrikanische Theologie und Jesus als Schwarzer Weisheitslehrer
Trotz der genannten Versuche von afrikanischen Katholiken, rom-unabhängige katholische Kirchen zu gründen, ist der afrikanische Katholizismus doch typisch zentralistisch strukturiert und deswegen noch „überschaubar“ .
Am Beispiel des Katholizismus lässt sich das Drama andeuten, das die Mission, also die Verbreitung des nun einmal europäisch geprägten Christentums verursacht hat: Es ist die Übertragung des europäischen Glaubens und vieler in der Glaubenswelt des Judentums und der griechischen Philosophie (Paulus) formulierter Dogmen in eine kulturelle und religiöse Welt von Menschen, die von all diesen Lehren und Mythen wahrscheinlich noch nicht einmal zu träumen wagten. Die sich aber dann der europäischen Religion der eher unsympathischen Kolonisten anschlossen, auch weil die Kolonialherren die Konversion wünschten und die Missionare als Beleg für die Kraft des neuen Gottes Schulen bauten und Kliniken gründeten… Was die Neubekehrten, nach einem kurzem Unterricht des römischen Katechismus, vom europäischen Christentum dann wertvoll fanden, sei dahin gestellt. Aber: Was haben denn die brutalen europäischen, christlichen Kolonialherren vom Evangelium verstanden, wo diese doch schon seit Jahrhunderten in einer so genannten „christlichen Welt“ leben ?
Wirklich erstaunlich bleibt: Viele getaufte Sklaven aus Afrika haben vor allem die Geschichten vom Exodus aus dem Alten Testament schätzen gelernt und dann in Amerika immer noch als Sklaven in ihren „Spiritual ihren Widerstand ausgedrückt. (Quelle: James Cone, „Die Bedeutung Gottes in den schwarzen Spiritual“, Concilium , 1981, S 214ff.). Die Exodus-Geschichte des Alten Testaments hat ja dann auch für die lateinamerikanischen Befreiungstheologen eine wichtige Rolle gespielt.

14. Katholische Bischöfe gegen Homosexuelle
Es ist ein typischer Ausdruck für das unkritische, gehorsame Festhalten an der moralischen Botschaft der ersten europäischen Missionare, wenn heute katholische Bischöfe Afrikas, wie die Missionare damals, Homosexualität als eine schwere Sünde verstehen, die mit Hilfe des Staates ausgerottet werden muss. Dies gilt etwa für Uganda. Auch in der anglikanischen Kirche Afrikas ist diese sich Theologie nennende Ideologie verbreitet…Die Verteufelung von Homosexuellen hat übrigens in vielen afrikanischen Kulturen VOR der Kolonisierung/Missionierung keine Bedeutung gehabt.

15. Kritische Theologen
Gegen ideologische Verengung theologischen Denkens im globalen Süden wehrt sich eine internationale ökumenische progressive TheologInnen-Initiative mit dem Namen EATWOT: Ecumenical Association of Third World Theologians. An Beispiel dieser bemerkenswerten Initiative wird die tiefe theologische Spaltung im globalen Süden deutlich, zwischen eher fundamentalistisch – frommen Denkformen und kritischen, auch befreiungstheologisch inspirierter kritischer Forschung. LINK   

16. Ein Intermezzo
Einige europäische Missionare hatten spätestens um 1960 das richtige Gefühl, dass sie eigentlich eine fremde religiöse Welt den Afrikanern aufdrängen. Und sie erfanden gewisse Formen der „Anpassung“, die natürlich problematisch waren.
Ich erinnere an die so genannte „Missa Luba“ von Katholiken aus Belgisch-Kongo, sie sangen 1957 die allgemeinen liturgischen Gesänge der katholischen Messe, auf Latein natürlich (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei), mit Trommel-Klängen unterlegt, so dass die ungebildeten Katholiken in Europa beim Hören der Schallplatte verzückt staunten: Was singen doch diese braven ehemaligen Heiden für schöne lateinische Messgesänge mit ihren exotischen Trommeln. Und das Ganze wurde von den Herren der Kirche dann als Beispiel für die Anpassung des Katholizismus an afrikanische Kulturen verkauft. Aber diese Komposition war letztlich Ausdruck für ein Gefühl, dass der Export des römischen Kirchensystems inclusive der selbstverständlich lateinischen Sprache in der Messe für die Menschen in Afrika auch eine Art Entfremdung sein kann.
Man stelle sich vor, afrikanische Knaben mussten als Messdiener lateinische Gebete auswendig lernen, damit der Priester seine Messe korrekt „lesen“ konnte.
Inzwischen hat der Vatikan nach langem Streit mit kongolesischen Katholiken die Messe im so genannten „Zaire – Ritus“ erlaubt, in der etwa sanfte Tanzschritte in der Messe erlaubt sind, das Lateinische keine Rolle mehr spielt, aber selbstverständlich der Priester gegenüber den Laien die dominante Figur ist. Es ist eben die Messe in der vorgeschriebenen römischen Liturgie-Form, die da gefeiert wird, auch wenn die Gläubigen in den Kirchen (im europäischen Stil errichtet) hin und her laufen und … Halleluja jubeln…

17. Gibt es afrikanische Christentümer?
Etliche katholische Theologinnen des globalen Südens, auch in Afrika, versuchen seit einigen Jahren, sich von den kolonialen Prägungen der europäischen Missionare zu lösen. Ihr zentrales Programm heißt INKULTURATION, also „Einpflanzung“ des katholischen Glaubens in den unterschiedlichen Kulturen mit vollem Respekt für den Wert dieser sich immer weiter entwickelnden Kulturen. Dabei stellen sich brisante Fragen, die manche europäischen Theologen kaum auszusprechen wagen: Etwa: Wie stark müssen sich afrikanische Christen an die vielen Bücher des Alten Testaments binden? Ist die gesamte und genaue Kenntnis des Alten Testaments wirklich jedem afrikanischen oder asiatischen Christen zumutbar? Welche Bedeutung auch im Gottesdienst können Weisheitslehren und Mythen der Afrikaner oder Japaner oder Chinesen haben? Welche Bedeutung hat dann Jesus von Nazareth? Er ist Jude, das ist gar keine Frage, aber vielleicht doch auch als Mensch ein Weisheitslehrer, der über die Gesetze des damaligen Judentums hinausgewachsen ist… Warum sollte es also für Afrikaner oder Japaner und Chinesen theologisch so problematisch sein, Jesus von Nazareth als einen menschlich ungewöhnlichen Weisheitslehrer zu verstehen und zu verkünden und ihm als solchem zu folgen? Oder: Müssen römisch – katholische Priester auch in Afrika oder anderswo auf das Zölibatsgesetz verpflichtet werden, wo Anthropologen wissen, dass diese Verpflichtung nicht nur ein kultureller Wahnsinn für Afrikaner ist, sondern auch eine ziemlich totale humane Überforderung darstellt. Keine offizielle Statistik in Rom sagt übrigens, wie viele Priester in Afrika oder Lateinamerika de facto verheiratet sind usw…Die Bischöfe wissen das und dulden das, solange es sich nicht bis nach Europa herumspricht. Und der sexuelle Missbrauch durch Priester in Afrika wird auch langsam Thema in Afrika selbst und darüber hinaus. Dramatisch auch die Vergewaltigungen katholischer Nonnen in Afrika, Indien unsw.  durch dortige Priester…  LINK.    Und eine NEUE STUDIE:  LINK

18. Inkulturation
Es ist schon erstaunlich, dass der katholische Priester und Theologe Léonard Santedi Kinpuku aus der Demokratischen Republik Kongo in der Zeitschrift CONCILIUM (2006) einen grundlegenden, weiter führenden Vorschlag zum schwierigen Thema „Inkulturation“ der katholischen Glaubenslehre und des afrikanischen Christentum macht. Der Vorschlag entspricht dem von uns unter Nr. 17 Gesagten…
Erstens:
„Die Kirchen Afrikas können keine Nachahmungen oder beglaubigte Abschriften der Kirchen Europas sein.“ (S. 435). Sondern: Sie müssen das Christentum zusammen mit ihrer Kultur ausdrücken.
Zweitens:
Dabei wird die aus Europa überlieferte Lehre, also „das angeeignete Gut, notwendig verändert“ (436).
Drittens:
Und die Afrikaner müssen sich fragen: Was ist das Wesen der Botschaft Jesu von Nazareth, die sie respektieren wollen als Inspiration für ihre Lebensgestaltung. „Es geht um den Kampf für die Lebensqualität in Afrika“ (439). Es geht also um ein praktisches, ethisches Programm zugunsten der Armen in Afrika, d.h um einen Kampf gegen die Mächte der Unterdrückung. “Es geht um einen Kampf gegen alle Hochstapler und Bestien, die in diesen Zeiten das Leben der Armen ersticken, niederdrücken, zertreten“ (ebd).
Mit anderen Worten: Für den afrikanischen Theologen Léonard Santedi Kinpuku aus der Demokratischen Republik Kongo ist auch der katholische Glaube wesentlich und entscheidend eine ethische Haltung! Die Menschenrechte werden so zum zentralen Bestandteil des christlichen Glaubens!

19. Jesus und Ägypten
Der aus Kongo-Brazzaville stammende katholische Priester und Theologe Paulin Poucouta hat einen wichtigen Aufsatz publiziert mit dem Titel „Die Erforschung des historischen Jesus in Afrika“ (CONCILIUM, 2006, s. 423 ff.). Er zeigt u.a.: Afrikanische Christen beziehen die Gestalt Jesu Christi auch auf die ägyptischen religiösen Traditionen. Das Thema wird oft als „esoterisch“ belächelt. Der Ausgangspunkt für diese Christen ist: Wie ist der im Neuen Testament erzählte Aufenthalt Jesu und seiner Familie in Ägypten zu verstehen (bei der „Flucht der heiligen Familie nach Ägypten“). Hat Jesus und seine Familie – den biblischen Mythos etwas vertiefend – in Ägypten religiös irgendetwas gelernt?
Vor allem ist die Frage entscheidend:.Ist ein afrikanischer schwarzer Christus mehr als eine künstliche Konstruktion? Wie anders denn als Afrikaner können sich afrikanische Katholiken denn Jesus als den Christus vorstellen? Damit wird Jesus mit den Kulturen Afrikas verbunden: Jesus wird dann logisch zum schwarzen Christus. Warum sollen solche Überlegungen häretisch sein? Wie haben denn die Germanen Jesus als ihren Christus gedacht? Als germanischen Fürsten. Wie haben Jesuiten ihren Jesus den gebildeten am Hof des Kaisers verständlich machen können? Jesus als den Weisheitslehrer. Die Philosophen Europas im 18. Jahrhundert waren von den Forschungen der Vorschlägen der Jesuiten zu dem Thema begeistert, etwa auch Leibniz.(Fußnote 5)

20. Spannungen im Katholizismus
Mit viel Mühe und nicht ohne Widerstand aus Europas Kirchen lösen sich Christen im globalen Süden heute aus der Last der kolonisierenden Mission von einst. Im evangelischen Bereich nehmen sich die Christen unbefangener ihre Freiheit, ohne weiteres ihre Kirchen zu gründen.
Die Sehnsucht nach einem eigenständigen Afrika-Katholizismus, der diesen Namen verdient, ist zwar lebendig, zumal sich auch Frauen, zumal Ordensfrauen, als Theologinnen qualifiziert und kritisch zu Wort melden, wie etwa die Ordensfrau Josée Ngalula aus Kinshasa, sie gehört sogar der Internationalen Theologischen Kommission de Vatikans an. LINK

Andererseits ist der katholische Zentralismus mit seiner Fixierung auf einen Wahl-Monarchen, den Papst, doch noch eine Art fortdauernder theologisch kolonialer Last, es gibt ja Vorschläge, den einen Papst durch mehrere Patriarchen zu ersetzen, einer könnte dann in Afrika leben und katholisches Leben inspirieren… Aber noch sind viele afrikanische Bischöfe sozusagen päpstlicher als der Papst, man denke etwa an den aus Guinea stammenden Kardinal Robert Sarah. Er will als Afrikaner und ehemaliger „Heide“ unbedingt an der einmal gehörten, angeblich ewigen katholischen Wahrheit der europäischen Missionare rigoros festhalten. LINK 

21. Katholische Missionare (Priester, Nonnen) aus Afrika und Indien in Europa
Die einst Missionierten senden seit einigen Jahren Missionare nach Europa: Einige tausend katholische Priester aus Afrika, Indien, den Philippinen ersetzen europäische Priester in Frankreich, Deutschland, Holland, den USA, Kanada usw: Sie sollen dort Pfarrgemeinden leiten … und sie sind dabei oft beliebter als polnische Priester, die etwa in Deutschland in den Gemeinden eingesetzt wurden.
Aber diese Priester aus dem globalen Süden verlängern das klerikale System der Katholischen Kirche Europas auf verlängern. Denn eigentlich wäre es theologisch möglich, dass Laien die vielen europäischen Gemeinden ohne Priester leiten, natürlich auch Frauen und Ordensfrauen: Kompetente MitarbeiterInnen in Führungspositionen gäbe es, theologisch hoch qualifizierte Laien – Theologinnen etwa. Aber nein, die Bischöfe und der Papst wollen diese MitarbeiterInnen nicht in Leitungsfunktionen von Gemeinden haben, der Eucharistie vorstehen dürfen sie ohnehin nicht. Deswegen werden Priester aus den einstigen Missionsgebieten eingeflogen, sie erhalten meist ohne Probleme Aufenthaltsgenehmigungen, schließlich haben wir in Deutschland ein exzellentes Verhältnis zwischen Kirche und Staat…
Und die Europäer vergessen dabei auch, dass diese Priester eigentlich in Nigeria, Uganda, Kenia, Indien, auf den Philippinen usw. auch nützlich sein könnten. So erleben wir nun eine neue Phase eines katholischen Eurozentrismus. Der europäisch – klerikal Eurozentrismus soll gerade wegen der Vorrangstellung des Klerus in der Kirche unbedingt erhalten bleiben, deswegen werden Afrikaner und Inder usw. nach Europa und in die USA als Hilfspersonal entsandt. So kommt es: Die „Dritte Welt“ soll die „Erste Welt“, also die einstigen und auf andere Weise noch gegenwärtigen Kolonialherren, religiös retten…Mindestens im katholischen Bereich…

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Fußnote 1:
Marina Caffiero, Professorin für Moderne Geschichte an der Universita di Roma Sapienza, hat die Studie «Die Sklaven des Papstes» (Original «Gli schiavi del papa») veröffentlicht im Morcelliana Verlag 2022. „Das traurigste Resultat ihrer Studie ist der Umstand, dass die Päpste bis in die 1830er- und 1840er-Jahre Sklaven beschäftigen. Das heisst also bis weit nach der Verkündigung der Freiheitsideen der Französischen Revolution, als bereits alle anderen europäischen Staaten die Sklaverei abgeschafft hatten. Erst das Ende des grossen Territorialstaats der Kirche und die Staatseinigung Italiens Mitte des 19. Jahrhunderts beendeten die Sklaverei der Stellvertreter Christi auf Erden“. (Quelle: Thomas Migge, SRF 2 am 22.9.2022.

Fussnote 2:
Misleading Theologies, irreführende Theologien, sind ein Angriff auf die Menschenwürde und ein Missbrauch religiöser Sehnsüchte. Die Allafrikanische Kirchenkonferenz geht aktiv dagegen vor, um zu verhindern, dass Gläubige zu Opfern dieser Irrlehren werden, berichtet die Theologin und Referentin im Evangelischen Missionswerk EMW Almut Nothnagle (April 2021): „Christi Blut, für dich vergossen.“ Wir kennen diese Worte, und wir verbinden sie vielleicht mit alten Backsteinkirchen, Tradition und spirituellen Erfahrungen. Aber nun stellen Sie sich vor, dass Ihnen der Pastor nach diesen Worten eine Flasche mit Bleichmittel überreicht. Das sollen Sie nun trinken… Wie bitte? Was für uns wie purer Wahnsinn klingt, war in Limpopo, Südafrika, leider Realität. Dort erklärte ein Pastor tatsächlich, dass er Bleiche in Jesu Blut verwandeln könne, so wie Jesus Wasser in Wein verwandelte. Er schüttete dann Bleichmittel aus einer Flasche in die Münder der Menschen in seiner Gemeinde.
Leider ist dies nur eine Geschichte von mehreren aus Afrika. Dieses Phänomen wird dort „Misleading Theology“ genannt, was man mit „irreführende Theologie“ übersetzen könnte. Misleading Theology kann auch als Blasphemie und Rechtfertigung für die Ausbeutung von Menschen und für ungerechte soziale Verhältnisse bezeichnet werden. Dies wird zu einem Angriff auf die Menschenwürde. Deshalb wird sie auch von der Mehrheit der Christen als Missbrauch der religiösen Sehnsüchte der Menschen abgelehnt.
Die Allafrikanische Kirchenkonferenz (AACC) hat sich in zwei Konferenzen mit dem Erscheinungsbild einer irreführenden Theologie befasst. Dort haben sie die Schwachstellen in ihren Kirchen in Bezug auf Reichtum und Armut, Gesundheit und Heilung, Macht und Autorität, Geschlechtergerechtigkeit und unterschiedliche staatliche Regelungen aufgezeigt. Diese Schwachstellen haben das Aufkommen irreführender Theologien in Afrika gefördert. Bleichmittel zu trinken, ist nur ein extremes Beispiel. Ebenso dazu gehören laut AACC: das Wohlstandsevangelium, der Glaube, dass von bestimmten Zeichen und Gegenständen Heilkraft ausgeht, sexueller Missbrauch als eine Form von religiösem Fruchtbarkeitsritus oder Dämonenaustreibung und finanzielle Bereicherung von religiösen Führern.
All dies sind „Misleading Theologies“, und diese Theologien sind nicht auf den afrikanischen Kontinent beschränkt. Mythen und religiöse Ansichten, die die Menschenwürde verletzen, sind schon lange verbreitet. Das Wohlstandsevangelium zum Beispiel hat seinen Ursprung in den USA und ist nun auch hier in Deutschland zu finden. Man findet dieses Phänomen auch in allen Religionen, aber zunehmend in den christlichen Kirchen, wo die neu entstandenen Gruppen den Rahmen der Kirchengemeinschaft sprengen.
Aber was kann dagegen getan werden? Die AACC hat beschlossen, dass alle ökumenischen Gemeinschaften und auch die Regierungen Mechanismen einrichten müssen, um zu verhindern, dass Gläubige zu Opfern werden. Darüber hinaus müssen sich die Kirchen darauf konzentrieren, heilsame Lehren über Menschenwürde, Autorität, Gesundheit und Heilung, Reichtum und Armut sowie menschliche Sexualität zu vermitteln. (Almut Nothnagle, EMW Themenheft 2022, „Die vielen Gesichter Christi“, S. 15.)
Verirrungen gab in den Kirchen in Europa schon in der Frühzeit der Kirchen.
Die frühe Kirche hatte die Überzeugung, dass erst das blutige Martyrium die höchste christliche Tat und der beste Ausdruck für den christlichen Glauben sei. Es gab also die Tendenzen, „die uralte Religionsvorstellung von der Sühne (für die eigenen Verfehlungen, Sünden) durch Blut zu aktivieren, wie sie beispielsweise auch die Griechen und Israeliten gekannt haben“ (Prof. Arnold Angenendt ,in: „Heilige und Reliquien“, München 1997, S. 62). „Das im Martyrium vergossene Blut bezeichnet der Theologe Tertullian (gestorben 220) als Schlüssel zum Paradies. Und für den Kirchenlehrer Cyprian von Karthago (gestorben 258) ist das Martyrium die Bluttaufe,„erhabener in der Macht , preiswürdiger in der Ehre , eine Taufe, in der die Engel taufen…“ (a.a.O. 63) und so weiter … in dieser BLUT-Hymne, als Theologie getarnt, wird offenbar zur Ermunterung der Christen aufgerufen, sich in der Verfolgungszeit abschlachten zu lassen…
Ein anderes Beispiel: Die mittelalterliche Kirchenführung erlaubte es, den ADEL religiös besonders hoch zu respektieren und zu ehren. Dies tat die Kirchenführung im bewussten Gegensatz zur neutestamentlichen Lehre, etwa wenn Paulus schreibt, dass Gott nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme (mobiles) erwählt habe (1 Kor 1,26). Trotz dieser wesentlichen Gleichheit aller Christen im Neuen Testament „erweckte die mittelalterliche Kirche ganz den Eindruck einer Adelskirche, wie es auch Adelsklöster und viele Adelsheilige gab“, so der Historiker Arnold Angenendt in „Heilige und Reliquien“, a.a.O., S. 99).

Fußnote 3:
https://www.aacc-ceta.org/. All Africa Conference of Churches (AACC)
AACC is a continental ecumenical body that accounts for over 140 million Christians across the continent.
Founded in 1963, the All Africa Conference of Churches (AACC) is an ecumenical fellowship of 204 members comprising of churches, National Councils of Churches (NCCs), Theological and Lay Training Institutions and other Christian organizations in 42 African countries.

Fussnote 4:
The Legio Maria Church in an African:
Matthew Kustenbaude, Nova Religio: The Journal of Alternative and Emergent Religions, Volume 13, Issue 1, pages 11–40:
ABSTRACT: This article examines the Legio Maria Church of western
Kenya, a relatively rare example of schism from the Roman Catholic
Church in Africa. One of more than seven thousand African Initiated
Churches in existence today, it combines conservative Catholicism,
traditional religion and charismatic manifestations of the Spirit. Yet this
group is different in one important respect—it worships a black messiah,
claiming that its founder, Simeo Ondeto, was Jesus Christ reincarnated
in African skin. This article considers factors involved in the group’s
genesis as a distinct modern-day messianic movement, including: (1) the
need to defend and define itself vis-à-vis Roman Catholicism; (2) the
appropriation of apocalyptic ideas found in Christian scriptures and
their synthesis with local religious traditions; and (3) the imitation of
Jesus’ example and teaching to confront political and religious
persecution in a manner marked by openness, universalism and non-
violence. Eschewing Western theological categories for African ones,
this article draws upon internal sources and explanations of Legio
Maria’s notion of messianism and Ondeto’s role therein to illustrate
that, far from being a heretical sect, Legio may well represent a more
fully contextualized and authentically homegrown version of
Catholicism among countless other African Christian realities.

Fußnote 5:
Zwischen 1689 und 1714 führte der deutsche Philosoph und Lutheraner Gottfried Wilhelm Leibniz einen Briefwechsel mit einer Reihe von in China lebenden Jesuiten. Der Briefwechsel wurde in Latein und Französisch geführt. In den grünen Bänden der Philosophischen Bibliothek des Meiner Verlages ist dieser Briefwechsel jetzt zusammen mit einer deutschen Übersetzung erschienen. Eine Einführung von 130 Seiten informiert über die chinesischen Erfahrungen dieser Jesuitenmission, über den durch sie aufgeworfenen berühmt-berüchtigten Ritenstreit und natürlich über Leibniz’ chinesische Interessen. Leibniz setzte auf Globalisierung. Er wollte den Austausch nicht so sehr von Waren als vielmehr den von Ideen, von wissenschaftlichen Kenntnissen…
Gottfried Wilhelm Leibniz: Der Briefwechsel mit den Jesuiten in China (1689-1714), Felix Meiner Verlag Hamburg, 2006.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin