Willkommen im Religions-Philosophischen Salon Berlin

Der Religionsphilosophische Salon Berlin. Einige Hinweise von Christian Modehn und Hartmut Wiebus am 3.2.2025.

1.
Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist seit 2007 eine Initiative von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus. (Biographische Hinweise: Fußnote 1.)
 Übliche, also öffentliche Salon – Veranstaltungen fanden monatlich von 2007 – 2020 statt. Jetzt gestaltet wir philosophisch – theologische Gespräche in kleinerem Kreis. Regelmäßig werden neue Beiträge als Hinweise zur philosophischen und theologischen Debatte auf unserer Website publiziert, bis jetzt sind es 1.650 Beiträge, Hinweise genannt, Stand 3.3.2025.

2.
 Titel und „Sache“ eines „(religions-)philosophischen Salons“ sind alles andere als verstaubt. Das Interesse an philosophischen Gesprächen und Debatten in überschaubarem Kreis, in angenehmer Atmosphäre eines Salons, ist evident. Das gilt, selbst wenn viele Interessierte betonten, „Philosophie“ sei schwierig. Das ist sie vielleicht, nicht aber Philosophieren: Es ist Lebenselement eines jeden.
In unserem religionsphilosophischen Salon wird das möglichst eigenständige Philosophieren (kritische Nach – Denken) geübt.
Philosophische Religionskritik gehört elementar zur Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie. Philosophische Religionskritik kann zeigen, welche Form einer vernünftigen Religion bzw. Spiritualität heute zur Lebensgestaltung gehören kann.

3.
 Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt es nur im Plural, die (Religions-)Philosophien in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen nicht länger als „zweitrangig“ behandelt werden. In welcher Weise Religion dort zum „Opium“ wird angesichts des Elends so vieler Menschen, ist eine relevante Frage, auch angesichts der Zunahme von christlichem und muslimischem Fundamentalisten. Dringend ist die Frage: Inwieweit ist philosophisches Denken Europas eng mit dem kolonialen Denken verbunden?

4. 
In unseren Gesprächen wird oft erkannt: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien bieten in ihren vielfältigen Entwürfen unterschiedliche Hinweise zur Fähigkeit der Menschen, ihre engen Grenzen zu überschreiten und sich dem im Denken zu nähern, was die Tradition Gott oder Transzendenz nennt.

5.
 Uns ist es wichtig uns zu zeigen, dass Menschen im philosophischen Bedenken ihrer tieferen Lebenserfahrungen das Endliche überschreiten und das Göttliche, das Transzendente, erreichen können. Das Göttliche als das Gründende und Ewige zeigt sich dabei im Denken als bereits anwesend und dieses denkende Transzendieren ermöglichend. Die auf das Wesentliche reduzierte Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie von Kant gilt uns als wichtige Inspiration für eine heutige vernünftige (!) christliche Spiritualität.

6.
 Insofern ist Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie auch eine subjektive Form der Lebensgestaltung, d.h. eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln.
Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kennt keine Dogmen, sicher ist nur das eine Dogma: Umfassend selbstkritisch zu denken und alle Grenzen zu prüfen, in die wir uns selbst einsperren oder in die wir durch andere, etwa durch politische Propaganda, durch Konsum und Werbung im Neoliberalismus, eingeschlossen werden. Der Widerspruch und der Kampf gegen alle Formen des Rechtsradikalismus (AFD, FPÖ, Le Pen, usw.) und Antisemitismus muss zum Mittelpunkt nicht nur unserer, sondern der philosophischen Arbeit insgesamt werden. Es gilt, die Demokratie zu retten.

7.
 Die „Entdeckungsreisen“ der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können angestoßen werden durch explizit philosophische Texte, aber auch durch Poesie und Literatur, Kunst und Musik, durch eine Phänomenologie des alltäglichen Lebens, durch die politische Analyse der vielfachen Formen von Unterdrückung, Rassismus, Fundamentalismus, Kapitalismus. Mit anderen Worten: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie findet eigentlich immer – oft umthematisch – in allen Lebensbereichen statt.

8.
 Wo hat unser religionsphilosophischer Salon seinen „materiellen“ Ort? Als Treffpunkt, als Raum, eignet sich nicht nur eine große Wohnung oder der Nebenraum eines Cafés, sondern auch eine Kunst – Galerie. In den vergangenen 7 Jahren fanden wir in der Galerie „Fantom“ in Charlottenburg freundliche Aufnahme. Zuvor in verschiedenen Cafés. Kirchliche Räume, Gemeinderäume etwa, sind für uns keine offenen und vor allem keine öffentlichen Räume.

9. 
In unserem religionsphilosophischen Salon sind selbstverständlich Menschen aller Kulturen, aller Weltanschauungen und Philosophien und Religionen willkommen. Unser Salon ist insofern hoffentlich ein praktisches Exempel, dass es in einer Metropole – wie Berlin – Orte geben kann, die auch immer vorhandenen „Gettos“ überwinden.

10.
 Darum haben wir in jedem Jahr im Sommer Tagesausflüge gestaltet, mit jeweils 10 – 12 TeilnehmerInnen: Etwa nach Erkner (Gerhart Hauptmann Haus), Karlshorst (das deutsch-russische Museum), Jüterbog als Ort der Reformation, das ehem. Kloster Chorin, Frohnau (Buddhistisches Haus), das Dorf Lübars… Außerdem gestalteten wir kleine Feiern in privatem Rahmen anlässlich von Weihnachten. Auch ein Kreis, der sich mehrfach schon traf, um Gedichte zu lesen und zu meditieren, hat sich aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon entwickelt. Aber alle diese Initiativen waren (und sind wohl) mühsam, u.a. auch deswegen, weil letztlich die ganze Organisation von den beiden Initiatoren – ehrenamtlich selbstverständlich – geleistet wurde und wird. Das ist der Preis für eine völlige Unabhängigkeit.

11.
 Anlässlich der „Welttage der Philosophie“, in jedem Jahr im November von der UNESCO vorgeschlagen, haben wir größere Veranstaltungen mit über 60 TeilnehmerInnen im Berliner AFRIKA Haus gestaltet, etwa mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb, dem Theologen Michael Bongardt. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in unserem Salon über Emil Cioran gesprochen, der Philosoph Peter Bieri diskutierte im Salon über sein Buch „Wie wollen wir leben?“, die Politologin Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, Thomas Fatheuer von der Heinrich – Böll- Stiftung vertiefte das Thema; der evangelische Pfarrer Edgar Dusdal (Karlshorst) berichtete über seine Erfahrungen in der DDR; der Theologe der niederländischen Kirche der Remonstranten, Prof. Johan Goud (Den Haag), war zweimal bei uns zur Diskussion, öfter dabei waren Dik Mook und Margriet Dijkmans-van Gunst aus Amsterdam…

12.
 Es ist uns leider deutlich, dass innerhalb der philosophischen Studiengänge an Hochschulen und Universitäten nicht im entferntesten daran gedacht wird, auch das Berufsbild eines Leiters, einer Leiterin besser „Inspiratorin“ philosophischer Salons zu entwickeln. Damit PhilosophInnen freilich ,als Salonnières arbeiten können, müsste die Kulturpolitik entsprechend handeln. Aber die interessiert sich offenbar absolut vor allem für die so genannte Hochkultur der Oper und der Theater, nicht aber für eine Form der „Basis-Philosophie“ als Möglichkeit, vor Ort unter den vielfältigen Menschen tiefere Kommunikation zu ermöglichen.
Eigentlich bräuchte es etwa in Berlin in jedem Stadtbezirk mindestens einen philosophischen Salon, besser noch ein philosophisches „Haus“ mit öffentlich zugänglicher kleiner Fach – Bibliothek , Lesezimmer, Meditations- Denk-Raum und Tee/ Kaffee-Stube.Viele leerstehenden Kirchen könnten entsprechend umgestaltet werden. Dass dort auch philosophisch – literarische Debatten oder Diskussionen zu Grundfragen der Politik, der Kunst und Musik und Spiritualität stattfinden können, ist keine Frage.

13.
 Die Bilanz: Einige wenige Interessenten außerhalb von Berlin haben die Idee des religionsphilosophischen Salons aufgegriffen. Aber wir können nicht sagen, dass etwa im kirchlichen Bereich, evangelisch wie katholisch, die Idee des freien und undogmatischen und offenen Salon-Gesprächs aufgegriffen und realisiert wurde.
Je mehr Christen aus den Kirchen austreten, um so ängstlicher und dogmatischer werden die Kirchen(führer), also auch ihre Pfarrer usw. Der Weg der Kirche in ein kulturelles Getto scheint vorgezeichnet zu sein, zumindest für die katholische Kirche. Tatsächlich haben sich über all die Jahre unserer Arbeit sehr sehr wenige “Vertreter” der großen Kirchen für unsere Initiative überhaupt interessiert. Wir haben diese Ignoranz auch als Freiheit erlebt.

14.
 Hinweis zu unseren Themen:
Eine Übersicht unserer Themen im Salon von Februar 2020 bis 2015 finden Sie hier. Die Themen von 2009 bis 2015 werden demnächst dokumentiert. Die religionsphilosophischen und religionskritischen Hinweise von Christian Modehn, publiziert auf der Website www.religionsphilosophischer-salon.de, wurden bisher mehr als 2.300.000 „angeklickt“, was immer das inhaltlich auch bedeuten mag. (Stand 3.2.2025).

15.
 Unser letztes öffentliches Salongespräch vor der Corona – Pandemie fand am Freitag, den 14.Februar 2020 , wie immer um 19 Uhr, statt, über das Thema: “Das Kalte Herz”. Mehr als ein Märchen (von Wilhelm Hauff). „Das kalte Herz“ offenbart die “imperiale Lebensweise”. 22 TeilnehmerInnen waren dabei. Leider mussten wir – wie öfter schon – acht Interessierten absagen, weil der Raum eben klein ist und nur eine überschaubare Gruppe eine Gesprächssituation ermöglicht. Aber das große Interesse, ohne jede öffentliche Werbung, allein im Internet, und ohne jede Finanzierung von außen, ist immer wieder bemerkenswert. Für einige vertiefende Hinweise zur imperialen Lebensweise: Beachten Sie diesen LINK.

Wir haben unsere philosophischen, religionsphilosophischen und theologischen Gespräche im Salon als Ausdruck der Spiritualität der freisinnigen protestantischen Remonstranten – Kirche (in Holland) verstanden. Dabei haben wir, ebenfalls der offenen, freisinnigen Theologie der Remonstranten entsprechend, keine Werbung für diese protestantische Kirche “betrieben”.

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Dieser Hinweis vom 7.2.2023 wurde am 3.2.2025 überarbeitet.

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FUßNOTE 1: 
Gründer und Initiatoren des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“:

Christian Modehn,  1948 in Berlin (Ost) – Friedrichshagen geboren, nach dem Abitur am Goethe – Gymnasium in Berlin – Wilmersdorf, Studium der katholischen Theologie (Staatsexamen nach 6 Jahren Studium in München, St. Augustin bei Bonn und der Philosophie (Magister Artium in München, über Hegel). Christian Modehn arbeitet seit 1973 immer als freier Journalist über die Themen Religionen, Kirchen und Philosophien, für Fernseh- und Radiosender der ARD, sowie früher auch für die Zeitschrift PUBLIK – FORUM: LINK, sowie auch für “Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt” (Hamburg), “Informations Catholiques Internationales” (Paris), “de bazuin” (Utrecht)  usw.. Zur Information über einige Hörfunksendungen und Fernsehdokumentationen und zu einigen Buchpublikationen klicken Sie  hier.

Hartmut Wiebus, 1944 in Seehausen/Altmark geboren, hat in Berlin (F.U.) Pädagogik (Diplomarbeit über Erich Fromm) und Psychologie studiert, und vor allem als evangelischer Klinikseelsorger gearbeitet. Er hat u.a. viele unserer Themen angeregt und immer als Moderator die Gespräche begleitet.

Copyright: Christian Modehn und Hartmut Wiebus. Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die kirchliche Lust am Alten und Veralteten: Über die Bindungen an das Konzil von Nizäa vor 1.700 Jahren.

Ein – zu dem Thema letzter – Hinweis von Christian Modehn am 2.6.2025.

1.
Es ist wohl ein Ausdruck der geistigen Ermüdung und des Verlustes des Gefühls für das heute wirkliche Wichtige, dass nun immer noch und immer wieder über das Konzil von Nizäa vor 1.700 Jahren in der katholischen und den orthodoxen Kirchen nicht nur diskutiert wird. Es herrscht das krampfhafte Bemühen vor, unter katholischen Theologen etwa, dieses Konzil und vor allem sein Glaubensbekenntnis als relevant und hilfreich zu propagieren.
Und wie schon zu Zeiten von Papst Franziskus: Es geht in der interessierten Öffentlichkeit um die Frage, ob denn nun der neue Papst Leo XIV. an den Feierlichkeiten anläßlich des Jubeljahres des Konzils von Nizäa in der Türkei teilnehmen wird. Dies ist wohl wahrscheinlich, wenn man weiß, wie wichtig den Päpsten die Verbundenheit mit den orthodoxen Patriarchen ingesamt ist. Dass diese meist von einer extrem konservativ – theologischen Haltung bestimmt sind, wird dabei geflissentlich übersehen und verschwiegen, weil eigentlich willkommen. In Kreisen, die an uralten Glaubensformeln festhalten, fühlen sich halt Päpste und Prälaten wohl.

2.
Wir haben in früheren Hinweisen zum Thema „NIZÄA“ schon etwas ausführlicher erinnert: LINK:

Zur Erinnerung: Dieses Konzil wurde von einem Kaiser, Konstantin, einberufen. Der Kaiser hat also nicht nur in kirchliche Belange eingegriffen, er hat sie bestimmt. Damit in seinem großen Reich ideologische, d.h.religiöse Einheit herrscht mittels eines Glaubensbekenntnisses, dass der neuplatonischen Philosophie mehr verpflichtet ist als den Erzählungen des Neuen Testaments. Der theologisch – ideologische „Hammer“ ist: Durch das Konzil werden die Christen förmlich gezwungen, wenn sie denn „rechtgläubig“ sein wollen, zu sagen: Dieser Jesus von Nazareth ist wesensgleich mit Gott, Jesus ist also selbst Gott. Bei diesem neuplatonischen Bekenntnis wird die Verbundenheit dieses Jesus als des Christus mit dem Judentum völlig verschwiegen.
Das Konzil von Nizäa besiegelt also den ideologisch – theologischen Buch mit dem Judentum.

3.
Wir sind erstaunt, dass der viel gerühmte katholische Theologe Prof. Michael Seewald (Uni Münster) sich heftig einsetzt für dieses in vielerlei Hinsicht hoch problematische Glaubensbekenntnis von Nizäa, verbunden mit dem Bekenntnis des Konzils in Konstantinopel (381). Auf die Frage von Radio Vatican am 24.5.2025: Was kann man sich denn erwarten von den 1700-Jahr-Feiern des Konzils von Nizäa? antwortet Professor Michael Seewald. „Dass wir wenigstens das Credo wieder auswendig können…“

Wir meinen: Wir schlagen dringend vor, dass dieses Bekenntnis, weil unverständlich, weil antijüdisch, beiseite gelegt wird! Und dass neue Glaubensbekenntnisse (Plural!), von verschiedenen Christen verschiedener Kulturen formuliert werden, Bekenntnisse, die heutige Menschen ohne die Verwendung theologischer Lexika (wie im Falle von „Nizäa) verstehen können.

Aber zu solchen Aussagen, zweifellos radikal, aber gerade deswegen heilsam und hilfreich, haben die Herren Theologieprofessor keinen Mut, von Päpsten und Patriarchen kann man solchen Mut ohnehin nicht erwarten, sie lieben ja die erstarrten Dogmen und uralten Floskeln als Ausdruck für die irgendeine Kontinuität der Kirche und die Unaufgebbarkeit der Dogmen insgesamt.

4.
Eine Ausnahme sind für uns die vorsichtigen, diplomatisch aber klugen Aussagen des katholischen Theologen Prof. Magnus Striet (Freiburg), er sagt in einem Interview mit der katholischen Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ (22/2025) endlich einmal realistisch: „Vermutlich gibt es einen nicht geringen Teil praktizierender Christinnen und Christen, die das Credo (des Konzils von Nizäa) vor allem aus ritueller Gewohnheit sprechen.“ Und das schwierige Thema „Erlösung durch Jesus Christus“ formuliert Magnus Striet durchaus mutig, man möchte sagen gut „liberal-theologisch“: „Als erlösende, d.h. soteriologische Grundbotschaft leite ich die Ermutigung Gottes an uns ab: Lebe dein Leben, für den Rest sorge ich. Du musst mit den Brüchen deines Lebens umgehen, ja, aber sie werden nicht das letzte Wort über dich haben. Genauso wenig, wie der Tod das letzte Wort über dich haben wird.“ Dies könnte so etwas wie eine Basis eines modernen Glaubensbekenntnisses werden. Dass es auch andere, etwas ausführlichere bereits gibt, darauf haben wir hingewiesen: Etwa das Glaubensbekenntnis der theologisch-liberalen, humanistischen protestantischen Kirche der Remonstranten: LINK.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

Das Bode- Museum in Berlin als ein heilender Ort.

Wenn Museen mehr sind als „Orte der Besichtigung“
Ein Hinweis von Christian Modehn.

1.
Das religiöse Erleben in Europa verändert sich weiter: Jetzt wird in Berlin das prächtige „Bode-Museum“ als Ort der ganzheitlichen Heilung entdeckt und als solcher gestaltet. Museen, einst (nur) Orte der Bewahrung und Besichtigung alter oder neuer Kunst, im Schlendern ein bißchen neugierig begangen, entdecken nun eine durchaus neue , ungewöhnliche kulturelle und explizit therapeutische Aufgabe, eine ungewöhnliche „Mission“ könnte man sagen.
In einem Raum des Bode-Museums können es sich die BesucherInnen auf eigens bereitgestellten Kissen bequem machen, sie sollen die Bilder und Skulpturen längere Zeit betrachten, danach die Augen schließen, in ihr Selbst, die Seele, hinein hören, meditieren, Abstand nehmen vom Alltag und die heilende Kraft einer Madonna oder einer Buddha-Statue wahrnehmen… und – nach längerer Pause im Museum – beschwingter den Heile-Raum verlassen…Zum Bode-Museum: LINK

2.
Ein Saal des Bode-Museums – zunächst, vielleicht werden es noch mehr ? – ist eine Stätte seelischer Beruhigung und möglicherweise Selbstheilung: Kunst soll die mentale Gesundheit verbessern, heißt der Auftrag. Voraussetzung ist: Im Museum selbst einüben, langsamer zu leben, bedächtiger zu sehen, Kontemplation im Museum also. Die Räume des Bode-Museums sind dafür gut geeignet. Kunst soll seelisch Belastete, Kranke, trösten, sagen die Verantwortlichen, die mit kompetenten medizinischen Einrichtungen, wie der Charité in der Nachbarschaft, zusammenarbeiten. Allerdings, berichtet Hanno Rautenberg in DIE ZEIT (28.Mai 2025, S. 43), wird als Heilungsprozess im Bode-Museum vor allem die Heilung der individuellen Seele angestrebt. Dass die Begegnung mit Kunst immer auch zur Mobilisierung der Veränderung der meist miserablen Welt führen sollte, wird dabei offenbar eher als zweitrangig angesehen. Aber welche Kunst heilt? Wer wählt nach welchen Kriterien heilende Kunst für sein Museum aus? Spielt dabei dann doch Kunst aus der explizit religiösen (auch christlichen) Welt eine Rolle? Anders gefragt: Könnten wir auch politisch konnotierte Bilder von George Grosz oder Edvard Munch (“Der Schrei”) als Impuls zur seelischen Heilung wahrnehmen?

3.
Rautenberg meint auch, im Bode – Museum werde im Rahmen dieser „Kunsttherapie im Museum” ein „Glaube ohne Gott“ befördert: Offenbar ein transzendentes Schweben ohne Ziel (Göttliches, Ewiges). Was möglich, aber nicht in jedem Fall so eingeschränkt gestaltet werden muss.
Der protestantische „liberale Theologe“ Friedrich Schleiermacher in Berlin war einer Verteidiger der „Kunst-Religion“: In seinen „Reden über die Religion“ von 1799 spricht er von Kunst – Religion, wenn „der Kunstsinn für sich allein übergeht in Religion“ (166 f), etwa wenn ein Kunstwerk den Betrachter, Hörer, Leser gleichsam aus eigener ästhetischer Kraft dazu bringt, „sich über das Endliche zu erheben“ (167). Zur Kunstreligion: FUßNOTE 1.

4.
Nun also: Museen als Tempel der seelischen Heilung. Wenn daraus ein Trend wird, was nicht auszuschließen ist, wenn denn die Kuratoren der Museen diese Kompetenz weiter entwickeln: Dann wird bildende Kunst heilsam; Musik gibt es schon seit langem als Therapie in Gruppen oder auch als individuelle Therapie der Musik-Erlebenden, Hörenden: Auch Literatur ist seelisch heilsam, eine entsprechende Forschungs-Richtung hat sich längst etabliert. LINK. Und Hegel hat sogar gewagt zu sagen: (Seine) Philosophie sei Gottesdienst, so in “Vorlesungen über die “Philosophie der Religion”, Suhrkamp, Bd. 16, dort S. 28. In unserem Beitrag die Nr 19. im LINK 

5.
Die Kirchen und ihre dort stattfinden Gottesdienste können auch aufgrund der aktiven Präsenz von anderen, also der Gemeinschaftserfahrung, und der Riten und Symbole, ebenfalls heilende Orte sein. Grundsätzlich mag das gelten. Aber die oft sehr  schnell „absolvierten“, in der offiziellen Sprache: „zelebrierten“ Messen in katholischen Kirchen haben wohl nur sehr bedingt einen heilsamen, beruhigenden Charakter. Die zwanghaft immer gleiche Gestalt der Liturgie in der Messe hat etwas Lähmendes, man möchte sagen für TeilnehmerInnen Langweiliges. Es sind sozusagen Theateraufführungen, die immer derselben Struktur folgen. Die Teilnahme an diesen Messen (wie an den klassischen evangelischen Gottesdiensten, ebenfalls in starrem Ritus) nimmt bekanntlich ständig ab, ein Beweis, dass diese Veranstaltungen von sehr vielen Christen als nicht mehr heilsam erlebt werden.
In jedem Fall haben die Kirchen nun durch die „heilenden Museen“ etwas Konkurrenz bekommen. Schon komisch: Die Kirchengebäude in Deutschland, zumal die protestantischen, sind außerhalb der Gottesdienste meist verschlossen, aber sonst gratis zu betreten. Die „heilenden Museen“ haben feste Öffnungszeiten und verlangen Eintrittsgebühren: Aber dorthin gehen viele Menschen gern. Eine Mode? Gewiss nicht: Die heilenden Museen sind wohl ein weiterer Beleg für den tiefgreifenden religiösen Wandel in Europa. Und nebenbei: Die Verantwortlichen in den Museen heißen Kuratoren. Der Priester in den katholischen Gemeinden etwa heißt „Kuratus“, in Frankreich „curé“. Vielleicht wird es Zeit, dass sich der Kurator und der Kuratus, also die KuratorInnen und PfarrerInnen, auch die Curés, zusammensetzen und Gemeinsames und Trennendes austauschen. Viele Kirchenbesucher, Touristen in Scharen der Kathedralen, erleben die „Gotteshäuser“ ja längst als Museen, in denen sie sich fremd fühlen und so fragte man mich in Berlin kürzlich in einer Kirche: Wer hängt denn da am Kreuz? Etwas mehr Bildungsarbeit in ihren Kirchen als Museen während der Woche und am Sonntag täte gut. Zu “Rezeption” der nun wieder restaurierten Dorfkirchen in Brandenburg: LINK.

6.
Wer das Bode – Museum besucht sollte nicht versäumen, die Ausstellung „Der Engel der Geschichte“ anzuschauen und sich danach, davor, wie auch immer, in einen philosophischen Text Walter Benjamins genau zum Thema vertiefen. LINK

FUßNOTE 1:

Die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ (1797 sind Gemeinschaftsprodukt von Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773–1798) und Ludwig Tieck (1773–1853), dieses Buch “kann als die erste und wichtigste Programmschrift der Kunstreligion gelten (wenngleich der Ausdruck selbst noch fehlt). In Aufsätzen eines fiktiven Mönchs wird darin geschildert, wie verschiedene Protagonisten von Werken der Musik oder der bildenden Kunst (namentlich von den Renaissancekünstlern Dürer, Michelangelo, Raffael und Leonardo) in einen Zustand der Erhebung versetzt werden, der unverkennbar Züge religiöser Kontemplation trägt, auch wenn dabei bestimmte christliche Glaubensinhalte keine konstitutive Rolle spielen.” Quelle: LINK

Sehr viel ausführlicher hat sich der “liberale Theologe” Prof. Wilhlem Gräb (+ 2023) in seinem Buch “Vom Menschsein und der Religion”, Tübingen 2018, auf den Seiten 247-303 zum Thema “Kunst und Religion” geäußert. LINK 

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

 

 

Wer stoppt das Aushungern der Palästinenser im Gaza – Streifen?

Wenn faschistische Ideologie zur Realität der Regierung Israels wird.

Die 25. unserer „unerhörten Fragen“,  von Christian Modehn am 26.5.2025

Der Hintergrund: Das Wort „aushungern“ gehört wie „ausmerzen“ und „ausrotten“ zur Sprache der Nazi – Verbrecher.

Vor allem der rechtsextreme Finanz – Minister Israels Bezalel Smotrich hat das faschistisch zu nennende Projekt „aushungern“ (store) für die Palästinenser in die Öffentlichkeit gebracht und durchgesetzt. Sogar der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, kritisiert jetzt öffentlich dieses Programm des Rechtsextremen Belazel Smotrich.

Der Eindruck einiger Menschen in Deutschland:
Die verhungernden Menschen im Gaza-Streifen, ihr Betteln um ein paar Reste Nahrung, ihr Leiden im einzigen verblieben, aber auch schon von Isarelis ruinierten Krankenhaus… Das erinnert deutlich an Bilder in den KZs der Nazis. Die Bilder vom Damals der KZs und vom Heute in Gaza erleben Menschen auch in Deutschland sozusagen als eine Art Überblendung, wenn nicht als Einheit.

Zur Erinnerung: Die Gründer des Staates Israel wollten diesen Staat als einen explizit jüdischen (und demokratischen) Staat. Das heißt: Verpflichtet auch den humanen Weisungen der hebräischen Bibel, vor allem der Propheten. Wie wenig gilt jetzt noch dieser Geist, diese “Spiritualität”? Die Rache Israels – wegen der Verbrechen der Hamas am 7. Oktober 2023 – wird ins absolut Maßloseste übertrieben. Dieser verrückte Spruch der Bibel: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ meint: Wenn man sich rächt, dann nur in GLEICHER HÖHE des Schadens, den der Täter angerichtet hat. Es ist bei diesem Denken gar nicht zynisch, seit dem 7.10.2023 die Zahl der Toten in Israel und die Zahl der Toten im Gaza-Streifen zu zählen und die Zahl der zerstörten Häuser und Hochhäuser in Israel und die Zahl der zerstörten Häuser und Hütten im Gaza-Streifen zu nennen…

Wann kommt es zum Aufstand der Demokraten in Israel gegen diese ihre faschistische Regierung? Ist die in Europa so viel gelobte „Demokratie“ Israels schon zerstört?
Europäer wissen aber nun klar zu unterscheiden: Anti-Israelismus (bei dieser Regierung dort !) hat überhaupt nichts zu tun mit Antisemitismus.
Der erste Schritt Europas zur Rettung der Verhungernden im Gaza-Streifen ist: Keine Waffen mehr für Israel … bei diesen faschistischen Politikern.

Die viel besprochene und durchaus wichtige „Jüdisch – christliche Zusammenarbeit“ (“Woche der Brüderlichkeit”!) müßte unter den aktuellen Bedingungen ab jetzt neu definiert werden. Und bei dieser (!) Regierung in Israel auch das  „Anti-israelische” (gemeint ist diese Regierung) einbeziehen.

Es gibt bekanntlich viele Juden weltweit, die gegen diese eher faschistisch zu nennende Regierung in Israel protestieren. Sie haben sich bis jetzt leider nicht durchgesetzt…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Augustinus, ein problematischer Heiliger, ein rigider Theologe der spätantiken Welt

Hinweise von Christian Modehn am 26. Mai 2025

1.
Mehr als ein paar kritische theologische und philosophische Stichworte zum Denken Augustins (354-430) (und den nach ihm benannten Ordensgemeinschaften) werden hier nicht mitgeteilt. Sie laden ein, weiter zu studieren. Das riesige Werk von Augustinus umfasst 26.000 Buchseiten und 5,2 Millionen Worte: FUßNOTE 1.  Augustin war und ist einer der großen, der viel zu oft zitierten, viel zu oft studierten Theologen der Kirchen. Luther und Calvin schätzten ihn, Blaise Pascal und Karl Barth, um nur etwas die Wirkungsgeschichte anzudeuten. Man möchte sagen: Theologisch konservative Theologen waren mit Augustinus eng verbunden. Augustinus – klingt immer konservativ, innerlich, elitär.

2.
Dieser Hinweis wird publiziert, um vor einer neuen spirituellen Begeisterung für die Theologie und Spiritualität Augustins zu warnen. Denn es ist mehr als wahrscheinlich, dass angesichts des Papstes Leo XIV., Mitglied des Augustinerordens, (OSA, dies ist die die offizielle Abkürzung dieses Ordens) bald Sentenzen und Florilegien oder Ähnliches aus dem Gesamtwerk Augustins allüberall erscheinen. Zuletzt legte der große Philosoph und ehemalige Jesuit Ladislaus Boros ein spirituelles Augustin – Lese- Buch vor: „Aufstieg zu Gott“, Olten, 1982.

3.
Papst Leo XIV. hat in seinen ersten Ansprachen stets sehr nachdrücklich auf den heiligen Augustinus verwiesen. Er nannte sich sofort als Papst „ein Sohn des heiligen Augustinus“, was insofern mit einer leichten Ironie zu verstehen ist, denn der heilige Augustinus selbst hatte einen leiblichen Sohn mit Namen Adeodat, „der von Gott Gegebene.“ Der Name der Mutter, mit der Augustinus viele Jahre zusammenlebte, ist weder von ihm noch einem Zeitgenossen überliefert. Ein Beispiel für die Geltung von Frauen? Monika, die katholische Mutter Augustins, wurde von ihrem Sohn immer wieder erwähnt und sehr verehrt. Zu Adeodat: Fußnote 2.

4.
Es ist aber sehr beachtlich, dass der Augustinus – begeisterte Papst Leo XIV. selbst schon am 18.Mai 2025 in seiner ersten großen, wichtigen Predigt zur Amtseinführung betonte: “Es geht niemals darum, andere durch Zwang, religiöse Propaganda oder Machtmittel zu vereinnahmen, sondern immer und ausschließlich darum, so zu lieben, wie Jesus es getan hat.“ Und der Augustiner Papst Leo XIV. machte diese Aussage noch deutlicher: „Wir sind gerufen, allen Menschen die Liebe Gottes zu bringen, damit jene Einheit Wirklichkeit wird, die die Unterschiede nicht aufhebt, sondern die persönliche Geschichte jedes Einzelnen und die soziale und religiöse Kultur jedes Volkes zur Geltung bringt.“ Das sind hoffentlich programmatische, man möchte beinahe sagen: anti – augustinische Worte. LINK

Der Augustiner Papst Leo XIV. widerspricht also der höchst problematischen Weisung des Bischofs Augustinus, man solle die unwilligen Menschen auch zwingen, den Glauben anzunehmen… Augustinus bezieht sich dabei auf das Gleichnis Jesu vom großen Gastmahl (Lukas14,23). Dieses Wort Jesu ist eine Einladung fremder Gäste zu einem Festmahl, es hat aber nichts mit zwanghafter Einfügung von Ketzern in die katholische Kirche zu tun, wie Augustinus dieses Jesuswort umdeutete. Augustinus versteht es als „Aufforderung zur Gewaltanwendung und er verwendet es neben anderen Argumenten als Beleg zur Billigung von Gewaltmaßnahmen gegen Häretiker. Das von Augustinus  verwendete Zitat hatte für die Ketzerbekämpfung in Mittelalter und Neuzeit verheerende Wirkung.“ LINK:

5.
Damit ist eine nicht akzeptable Überzeugung Augustins erstmal durch päpstliches Wort hoffentlich erledigt und in die Archive verbannt. Die Frage aber bleibt, wie wird der Augustinerpapst Leo XIV. mit anderen problematischen theologischen Äußerungen seines Meisters Augustin umgehen. Augustiner sind eher Theologen der Mitte, des Ausgleichs, nicht der radikalen Veränderung: Luther war in dieser (!) Hinsicht anders…

Grundlegendes gilt für alles Augustinus – Studium: Kurt Flasch, der große Philosoph und Augustinus – Kenner und Augustinus – Forscher, hat zum richtigen Verständnis Augustins darauf hingewiesen: Erst nach der Taufe Augustus im Jahr 387 liegen uns Texte Augustins vor. Bis zum Jahr 397 war Augustin dem freien, vernünftigen philosophischen Denken (etwa Ciceros) eng verbunden. Er respektierte den menschlichen Willen, sah im menschlichen Verstand die Garantie der humanen Selbständigkeit.

Im Jahr 397 hingegen verfasst Augustin seine Schrift, die er dem Mailänder Bischof Simplician widmete: „Quaestiones ad Simplicianum“, „Fragen an Simplicianus.” Damit will er betonen: Es gibt eine Korrektur des eigenen theologischen Denkens bei ihm: hin zu einer rigiden Theologie der durch Gottes Gnade Erwählten. Kurz vor seinem Tod verfasst Augustin seine Revisionen zum eigenen Gesamt – Opus, „Retractationes“ genannt. In der Schrift von 397  entwickelt er seine zentrale Lehre von der göttlichen Gnade: Sie wird von Gott einigen Erwählten gewährt, vielen aber nicht. So wurde charakteristisch für Augustins Verständnis der Kirche: “Die grundlos freie Berufung einer kleinen Anzahl von Menschen zum ewigen Heil…“ (Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, Reclam Verlag, 2020, S.40).

6.
Erbsünde:
Zu dem Thema ERBSÜNDE, einem entscheidenden Mittelpunkt der Theologie des Bischofs Augustinus, hat der religionsphilosophische Salon schon etliche Essays vorgelegt. Und dabei an die verheeren Folgen dieses Dogmas erinnert: LINK. Dabei haben wir uns vor allem auf die zahlreichen gründlichen Studien des unabhängig forschenden Philosophen und Philosophiehistorikers Prof. Kurt Flasch bezogen. Wir plädierten damals für die Abschaffung des Dogmas der Erbsünde: Denn die sogenannte Erlösung durch Jesus Christus lasse sich auch ohne diese leib – und sexfeindliche Erbsünden-Lehre Augustins entwickeln und verstehen. Augustinus hat seinen theologischen Gegner, Bischof Julian von Eclanum, aufs heftigste bekämpft…(Fußnote 3)
Wir wollen hier zum Thema Thema Erbsünde einige persönliche Worte Kurt Flaschs zitieren, aus einem Interview, das die Redakteurin im Deutschlandfunk, Christiane Florin im Jahr 2021, mit ihm führte: Zuerst erinnerte Kurt Flasch daran, dass nach den ausführlichen Studien der Paulusbriefe Augustins Überzeugung verstärkt wurde: Der Mensch sei verworfen, wegen der Erbsünde. Und dann sagte Flasch, nicht ohne Erregung bei diesem seinem Spezial-Forschungsthema: „Also ich kritisiere den Gott, der eine tyrannische, antihumanistische Wendung nimmt. Das ist bei Augustin so. Der späte Augustin ist antihumanistisch – wegen seiner Erbsündenlehre. Die `Augustinisten“ (die Pro – Augustin argumentierenden Forscher, CM) waren sauböse gegen mich. Das kann man schon sagen – und mit den merkwürdigsten Mitteln. Allein schon deswegen, weil ich Augustin als einen sich entwickelnden Mann dargestellt habe, als einen, der verwirft und selbst als Irrtum bezeichnet, was er bis 397, also schon im reifen Alter, gelehrt hatte. Nicht nur seine heidnische Zeit, sondern gerade seine frühchristliche Zeit hat er verurteilt. Und er hatte dann diesen Willkürgott, wie ich sage, also diesen Welttyrannen. Ja, die Augustinisten waren böse auf mich“. LINK

7.
Weltgestaltung
„Ein konkretes Programm christlicher Weltumgestaltung gar im Sinne einer Anleitung zur Ergreifung der politischen macht durch die Kirche, gar auch den Bischof von Rom, lag Augustins Denken fern“ (Flasch, Das philosophische Denken… S. 52). Augustins Buch „Der Gottesstaat“ enthielt keine Geschichtsphilosophie und keine politische Ethik. Aber das Buch verstärkte die Tendenz, den Sinn des Lebens im Jenseits zu suchen und alle irdischen Instanzen diesem jenseitigen Sinn unterzuordnen. Die irdischen Vertreter des jenseitigen Lebenssinns, also der Klerus, profitierte von dieser Instrumentalisieren des gesamten irdischen Lebens. (Ebd. . 55).

8.
Auch das Thema „Augustinus und die Frauen“ zeigt einen problematischen und heute nicht mehr vermittelbaren Augustinus. Eine Konferenz des Augustinus – Instututes des Ordens in Würzburg hatte im Jahr 2004 über „Augustins Wertschätzung der Frau“ veranstaltet. Die evangelische Theologin Larissa Carina Seelbach fasste ihre Ausführungen zusammen: „Obwohl Augustin die Unterordnung der Frau im Rahmen der etablierten Rollenverteilung nicht aufgeben wollte und an keiner Stelle eine radikale Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse forderte, erkannte er jedoch immerhin die geistige Ebenbürtigkeit der Frau. Denn für die Gottebenbildlichkeit des Menschen als «homo» trägt die reale körperliche Erscheinungsform von Mann und Frau und das soziale Gefälle zwischen beiden ja nichts aus. Die Gottebenbildlichkeit findet sich nicht im Körper, sondern im Geist von männlichen und weiblichen Menschen gleichermaßen. Folgendes lässt sich festhalten: Augustin vereinte in seiner Theologie seine persönliche Wertschätzung gegenüber Frauen mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seiner Zeit samt deren Forderung nach weiblicher Unterordnung. Wegweisend ist, dass der einflussreichste Denker der Alten Kirche die Frau in ihrem Verhältnis zu Gott gleichgestellt sah. Gemessen am heutigen Verständnis von Gleichberechtigung wirken Augustins Bemühungen allerdings kaum bahnbrechend. Es bleibt jedoch kurzsichtig, das Frauenbild des Kirchenvaters auf ein Motto wie „Die Last mit der Lust“ bzw. „Ein Leben zwischen Lust und Liebe“ zu reduzieren. Aus seiner Zeit heraus hat Augustin ganz Entscheidendes für ein neues Verständnis der Gleichwertigkeit von Mann und Frau geleistet, denn er bestand auf der damals durchaus bahnbrechenden Feststellung: „Das weibliche Geschlecht ist ja kein Gebrechen, sondern Natur.
Eine wohlwollende Interpretation … im Augustinus – Institut des deutschen Augustiner…   LINK :

9.
Der Orden:
Hinsichtlich der Beschreibung der spezifischen Spiritualität des Augustinerordens bleiben die Erklärungen aus dem Orden selbst und auch von dem Augustinus- Fan Papst Leo XIV., der selbst etliche Jahre als oberster Prior den Orden leitete, eher sehr vage: Immer wieder wird auf das gemeinsame Leben der Ordensbrüder verwiesen, auf den Respekt der verschiedenen Begabungen, die Suche nach Einheit bei aller Verschiedenheit der Charaktere usw. Dabei wird auch daran erinnert, dass Augustinus nicht der Gründer des Ordens ist, der Orden wurde erst Mitte des 13. Jahrhunderts von Päpsten (!) gegründet und nach dem Vorbild der Franziskaner und Dominikaner als Bettelorden organisiert.

10.
Der Augustinerorden und der Augustiner Martin Luther
Der Reformator Martin Luther war Mitglied des Augustiner Ordens, damals noch offiziell „Augustiner Eremiten“ genannt. Die Zustände in den meisten Klöstern im 16. Jahrhundert, nicht nur bei den Augustinern, waren bekanntlich alles andere als vorbildlich, kein Wunder, dass viele Mönche die von Luther eröffnete Freiheit nutzten und das Kloster verließen und – wie Luther selbst – heirateten. Dadurch kam es zur Schließung vieler Klöster. Man kann sich als Beobachter nicht des Eindrucks erwehren, dass die Augustiner – etwa in Deutschland – darunter litten und leiden, dass ausgerechnet aus ihrem Orden in katholischer Sicht die Kirchenspaltung geschah. Deswegen sind sie angesichts der Hierarchie theologisch nicht die Mutigsten, Fortschrittlichsten. Luther als Erneuerer der Christenheit zu sehen unf so zu verkünden, liegt ihnen fern. Und der Orden OSA erklärt selten, warum es zwei Augustiner – Reform-Orden aus dem 16. Jahrhundert (bis heute) gibt: Die “Augustiner – Rekollekten” (OAR) und die “Augustiner- Barfüßer” (OAD). Weil der Orden OSA selbst in Spanien höchst reformbedürftig war.
Der Generalobere des Augustinerordens (OSA) in Rom, Pater Alejandro Moral, nahm 2017, im Luther – Gedenkjahr, Stellung:Der Augustinerorden bewertet die Reformation durch sein früheres Mitglied Martin Luther kritisch. Der Wittenberger Theologe habe sich nicht nur persönlich von den Augustinern abgewandt, sondern das Ordensleben an sich “mit aller Kraft verdammt” und eine Massenflucht aus den Klöstern mitbefördert. “Der Schaden für den Orden und das religiöse Leben in Deutschland war enorm”, schreibt der Generalprior des Augustinerordens, Alejandro Moral Anton, in einem Beitrag der Vatikanzeitung “Osservatore Romano.“
Der Augustiner – Orden habe “keinen Grund, den Beginn der Reformation vor 500 Jahren zu feiern, aber sicher, an ihn zu erinnern”, so Pater Moral. Der Ordensobere verwies auf “positive Aspekte”, die daraus entstanden seien – wie die Aufwertung des Individuums, die zentrale Stellung der Bibel und eine volksnahe Liturgie, aber auch die Entwicklung des Gemeinsinns und eine “gesunde Laizität”. Auch ein zentraler Punkt in Luthers Denken, die Gnade in der Rechtfertigungslehre, liege “in der augustinischen Linie“. Luther habe zweifellos eine “religiöse Krise” ausgelöst. Diese habe den Grund “zwar nicht für einen Laizismus, aber für den Prozess der Säkularisierung und der Geburt eines neuen Europa” gelegt. Der Ordensobere betonte zugleich, Luther habe bis 1521 mit “Martin Luther, Augustiner” unterzeichnet, bis 1524 sein Ordensgewand getragen und bis ans Lebensende Gewohnheiten seines Klosterlebens beibehalten. (veröffentlicht am 26.10.2017  katholisch.de).

Dass sich Augustiner innerhalb der Ökumene für eine versöhnte Verschiedenheit der verschiedenen Kirchen einsetzen ist also – bis jetzt – nicht bekannt. Sie studieren lieber höchst ausführlich das uralte Opus ihres Meisters Augustinus auch in einem eigenen Institut in Rom. Muss man ja machen: Aber ist der “Blick in die Vergangenheit” am dringendsten?

11.
In Deutschland gehören noch 32 Priester dem Augustinerorden an, in Österreich sind es drei, in Holland vielleicht noch fünf, das Durchschnittsalter wird offiziell nicht genannt. Die belgische Augustinerprovionz konnte ihr Überleben retten durch die Einreise von jungen Augustinern aus Togo und Benin, sie sind heute in Belgien bestimmend. Zentrum des Ordens in Deutschland ist Würzburg: Dort haben sie vor einigen Jahren ihre große Kirche ganz neu gestaltet, und das verdient Anerkennung. LINK
Auch wenn im Augenblick kein deutscher Augustiner als „bekannter Theologe“ oder als „Augustinus-Forscher“ hervortritt: Sehr sympathisch und für katholische Verhältnisse durchaus mutig ist, dass zwei Würzburger Augustiner sich explizit der katholischen Bewegung „Outinchurch“ für einen gerechten Umgang mit homosexuellen Priestern, Ordensfrauen, Pastoralreferenten usw. angeschlossen haben.
Der bekannteste aus Deutschland stammende Theologe des Augustinerordens war übrigens der Berliner Gregory Baum (1923-2017), der als Jude in Kanada konvertierte und dort dem Orden beitrat, später aber wieder austrat, und in einer letzten Publikationen in Montréal sich – endlich wie einige dort sagen – als queer outetete. Gregory Baum war auf dem 2. Vatikanischen Konzil tätig in der Kommission „Dialog mit Juden“. LINK

12.

Man mag es  augustinische “Ausgewogenheit” und “Liebe zur Mitte” und “Wohlwollen gegen alle” nennen, wenn jetzt bekannt wird: Papst Leo XIV. schickt den bekanntermaßen extrem reaktionären Kardinal Sarah, den expliziten Papst – Franziskus FEIND,  zu volkstümlichen folkloristischen Feierlichkeiten zu Ehren der heiligen Anna in die Bretagne. Wenn das so weitergeht… LINK zu Sarah in der Bretagne:  LINK zum reaktionärsten aller Reaktionären Kardinal Sarah.

Fußnote 1:
Das hat der Historiker Prof. Otto Wermelinger, Fribourg, 1982, mitgeteilt, vielleicht ist der Umfang der Augustinustexte jetzt noch größer geworden. Quelle: Orientierung, Jesuitenzeitschrift, Zürich, 1982, Seite 249).

Fußnote 2:
„Sohn des heiligen Augustinus“. Ein gewagtes Wort für Leute, die wissen, dass Augustinus vor seiner Bekehrung zum katholischen Glauben, in einer heterosexuellen, 13 Jahre dauernden Beziehung lebte, sein wirklicher. Sein leiblicher Sohn hieß „Adeodat“, d.h.: der von Gott – Gegebene.
Adeodat starb 390 im Alter von 18 Jahren. Er wurde wie sein Vater Augustinus 387 in Mailand getauft. Seine „Lebensgefährtin“ wurde von der damals schon katholischen Mutter Augustins, Monnika, nach Afrika zurückgeschickt, sie wollte ihren Sohn – mütterlich besorgt – lieber mit einer katholischen Frau verheiraten. Aber das gelang nicht. Sexualität war dann Augustins Sache nicht mehr. Er wurde Priester und dann Bischof von Hippo in Nordafrika, im heutigen Algerien Anaba. .
Im Augustiner – Orden wurden Adeodat und seine Mutter eher verdrängt: „Das Schweigen über Adeodat und seine Mutter, eine Konkubine, rührte möglicherweise daher, dass sie auf erschreckende Weise an die relativ ungezügelte Lust Augustins in seinen frühen Jahren erinnerten – etwas, das auch von christlichen Schriftstellern über Jahrhunderte hinweg übergangen wurde. Zu diesen Autoren gehörten Mitglieder des Ordens des Heiligen Augustinus, die Augustinus als Vorbild für das Leben in einer religiösen Gemeinschaft darstellen wollten und nicht als jemanden, der fehlbar sei.“ Quelle: LINK         Nebenbei: Immerhin nannten sich im 7. Jahrhundert zwei Päpste Adeodat.

Fußnote 3: Zum Kampf Augustins gegen seinen theologischen Gegner Bischof Julian von Eclanum: Siehe die wichtuge Studie :”Kampfplätze der Philosophie. Große Kontroversen von Augustin bis Voltaire”, von Kurt Flasch, dort die Kapitel I und II, Verlag Vittorio Klostermann, 2008, S. 11- 42.

Die in unserer Sicht beste kurze Einführung zu Augustin: Kurt Flasch, „Einführung in sein Denken“. Reclam Verlag, 1994, 480 Seiten, leider nur noch antiquarisch zu haben.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Der Gott des Marktes hat gesiegt. Von Pepe Mujica, Uruguay.

Pepe Mujica, ehem. Staatspräsident Uruguays, über die Krise der Menschheit im Kapitalismus. Dieser grundlegende Beitrag wurde im November 2013 im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon von Christian Modehn publiziert.

Vorwort: José Mujica war Staatspräsident Uruguays von 2010-2015. Er wurde zurecht immer wieder der ärmste Staatspräsident der Welt genannt, da er 90 % seines Einkommens sozialen Projekten spendet. Pepe Mujica wurde 1935 in Montevideo geboren, am 13. Mai 2025 ist er dort gestorben. Siehe den wichtigen Beitrag der TAZ anläßlich des Todes von Pepe. LINK:

Pepe Mujica hielt auf der 68. Vollversammlung der Vereinten Nationen im September 2013 diese nach wie vor bemerkenswerte Rede.
“Wir haben unsere alten, spirituellen Götter geopfert und den Tempel dem Gott des Marktes überlassen. Nun organisiert dieser Gott uns Wirtschaft und Politik, Leben und Alltagsgewohnheiten. In Raten und per Kreditkarte finanziert er uns den Anschein von Glückseligkeit. Konsum scheint der Sinn des Lebens zu sein, und können wir nicht konsumieren, sind wir frustriert, fühlen uns arm und ausgeschlossen. Wir verbrauchen und hinterlassen Abfall in solchen Mengen, dass die Wissenschaft meint, wir bräuchten drei Planeten, wenn die gesamte Menschheit leben wollte wie ein Mittelschichts-US Amerikaner.

Unsere Zivilisation basiert also auf einer verlogenen Versprechung. Der Markt stilisiert unseren heutigen Lebensstil zur allgemein gültigen Kultur, obwohl es niemals für ALLE möglich sein wird, diesen angeblichen „Sinn des Lebens“ zu finden. Wir versprechen ein Leben der Verschwendung und Freigiebigkeit und stellen es zukünftigen Generationen und der Natur in Rechnung. Unsere Zivilisation richtet sich gegen alles Natürliche, Einfache und Schnörkellose. Aber das Schlimmste ist, dass uns die Freiheit beschnitten wird, Zeit zu haben für zwischenmenschliche Beziehungen, für Liebe, Freundschaft und Familie; Zeit für Abenteuer und Solidarität, Zeit, um die Natur zu erforschen und zu genießen, ohne dafür Eintritt zu zahlen. Wir vernichten die lebendigen Wälder und pflanzen anonyme Wälder aus Zement; Abenteuerlust begegnen wir mit gepflegten Wanderwegen, Schlaflosigkeit mit Tabletten, Einsamkeit mit Elektronik …

Können wir überhaupt glücklich sein, wenn wir uns dem zutiefst Menschlichen entfremdet haben? Wie benommen fliehen wir vor unserer eigenen Natur, die das Leben selbst als letzten Grund für das Leben definiert und ersetzen sie durch, nur dem Markt dienliche, Konsumorientierung. Und die Politik, ewige Mutter des menschlichen Schicksals, hat sich längst der Wirtschaft und dem Markt unterworfen.
Nach und nach ist Selbsterhalt zum Ziel von Politik geworden, weshalb sie auch die Macht abgab und sich einzig und allein mit dem Kampf um Regierungsmehrheiten beschäftigt. Kopflos marschiert die Menschheit durch die Geschichte, alles und jedes kaufend und verkaufend, Mittel und Wege findend, selbst das Unverkäufliche zu vermarkten. Es werden Marketingstrategien für Friedhöfe und Beerdigungsunternehmen, ja selbst für das Erlebnis Schwangerschaft erdacht. Vermarktet wird von Vätern über Müttern, Großeltern, Tanten und Onkeln bis hin zur Sekretärin, Autos und Ferien, alles.

Alles, alles ist Geschäft. Marketingkampagnen fallen sogar über unsere Kinder und ihre Seelen her, um über sie Einfluss auf die Erwachsenen nehmen zu können und sich ein zukünftiges Terrain abzustecken.
Der Mensch unserer Tage taumelt zwischen Finanzierungsverhandlungen und routinierter Langeweile wohl klimatisierter Großraumbüros hin und her. Ständig und immer träumt er von Urlaub, Freiheit und Vertragsabschlüssen, bis eines Tages sein Herz zu schlagen aufhört und „Tschüss!“… Sofort wird es einen anderen Soldaten geben, der das Maul des Marktes füllt und die Gewinnmaximierung sicherstellt.
Die Ursache für die heutige Krise liegt in der Unfähigkeit der Politik begründet. Die Politik hat nicht begriffen, dass die Menschheit das Nationalgefühl noch nicht überwunden hat und sich nur schwer davon lösen kann, denn es ist tief verankert in unseren Genen.

Dennoch ist es heute notwendiger denn je, den Nationalismus zu bekämpfen, um eine Welt ohne Grenzen zu schaffen.
Die größte Herausforderung heute ist, das Ganze im Blick zu haben. Doch die globalisierte Wirtschaft wird nur von Privatinteressen einiger weniger gesteuert, und jeder Nationalstaat hat nur seine eigene Stabilität im Blick. Als wäre das nicht schon genug, werden die produktiven Kräfte des Kapitalismus auch noch gefangen in den Tresoren der Banken, die letztendlich der Auswuchs der Weltmacht sind.
Veränderungen sind dringend notwendig, setzen aber voraus, dass das Leben und nicht die Gewinnmaximierung kursbestimmend wird. Ich bin allerdings nicht so naiv zu glauben, dass Veränderungen leicht zu erreichen wären. Uns stehen noch viele unnötige Opfer bevor. Die Welt von heute ist nicht in der Lage, die Globalisierung zu regulieren, weil die Politik zu schwach ist.

Eine Zeitlang werden wir uns an den mehr oder weniger regionalen Abkommen, die einen Freihandel vorgaukeln, beteiligen. Dann wird sich zeigen, dass sie in Wahrheit von notorischen Protektionisten erdacht wurden. Wir lassen uns trösten von wachsenden Industrie- und Dienstleistungszweigen, die sich der Rettung der Umwelt widmen. Gleichzeitig wird die skrupellose Gewinnsucht zum Wohlwollen des Finanzsystems weiter existieren. Weiterhin werden Kriege stattfinden, die Fanatismus schüren, bis endlich die Natur unserer Zivilisation Grenzen setzt. Vielleicht sind meine Vision und mein Menschenbild grausam, aber für mich ist der Mensch die einzige Kreatur, die in der Lage ist, gegen die Interessen der eigenen Spezies zu agieren.

Die ökologische Krise des Planeten ist die Konsequenz des überwältigenden Triumphs menschlichen Strebens. Die ökologische Krise wird dem menschlichen Streben aber auch ein Ende setzen, wenn die Politik unfähig ist, einen Epochenwechsel einzuläuten.“

Übersetzung: Anne Nibbenhagen (Christliche Initiative Romero)
Quelle: Magazin presente 4/2013 „Kaufst du noch oder denkst du schon? Konsumethik im Wandel“ der Christlichen Initiative Romero (CIR)

Über Pepe Mujicas Beziehung zum Glauben, zu Papst Franziskus: LINK:
….
Der Beitrag „ Pepe Mujica und der christliche Glaube“ (von Moriam Diez)  vom 18.Mai 2025: LINK.

Barcelona. Domingo, 18 de mayo de 2025. 05:30

“Dios no existe, pero ojalá me equivoque”. José (Pepe) Mujica, el ateo más conocido de Uruguay, ha muerto a los 88 años, solo pocas semanas después del papa Francisco, a quien admiraba a pesar de no comulgar con su manera de entender la vida.
En Uruguay, el país con menos personas creyentes de toda América, el expresidente era un referente moral que encarna los valores más radicales de la propuesta cristiana: la mayor parte del dinero que cobraba lo daba a caridad (el 90%), era el icono de la austeridad y vivía con total desprendimiento.
Uruguay es secularizado. En su país no existe Semana Santa (se llama la Semana del Turismo) ni Navidad (tiene el nombre de Día de la Familia). Para Mujica, creer no era una opción, se decía no creyente, pero si le preguntabas te decía que le gustaría tener fe, pero que no podía. Además, su visión de las religiones no era benévola y las tildaba de “arrogantes”.
El expresidente era un referente moral que encarna los valores más radicales de la propuesta cristiana: la mayor parte del dinero que cobraba lo daba a caridad, era el icono de la austeridad y vivía con total desprendimiento
Sin embargo, mantenía palabras positivas para el cristianismo de los orígenes, pero “el auténtico”, el de las pequeñas comunidades que partían el pan y la vida, pero no su posterior evolución, que detestaba. La persona de Jesús para Mujica era un “militante político que llevó el sentido de la igualdad y el amor a la vida”.
Mujica era una brújula de valores: “Pagamos con el tiempo de nuestras vidas: en realidad no compras con dinero, compras con el tiempo de tu vida”. Nadie como él ha encarnado el pasaje de Antonio Machado de ir “ligero de equipaje” cuando se acabe el paso por esta vida.
Su agnosticismo no le impidió visitar el Vaticano. Lo hizo en dos ocasiones y siempre con el papa Francisco, con quien mantenía una fuerte conexión. La primera fue en 2013, cuando era presidente y el pontífice acababa de ser escogido papa. Y la segunda audiencia tuvo lugar hace 10 años. Últimamente, habían quedado (el papa Francisco y su mujer Lucia, que era quien hablaba por teléfono) en que buscarían un momento porque Mujica y el papa Bergoglio tenían “un mensaje” para los jóvenes. La reunión no se celebró, pero una persona joven lo tiene fácil estudiando el perfil de estos dos latinoamericanos para adivinar hacia donde iba su discurso, alejado de falacias materialistas y centrado en aquello que verdaderamente importa.

Der Krieg der Bauern im Allgäu – gegen die „Herren Äbte“ in den Klöstern!

Ein Hinweis von Christian Modehn am 22.5.2025.

Dieser kurze Hinweis ist eine Ergänzung und Verteigung zu unserem Beitrag über den Reformator Thomas Müntzer. LINK

1.
Auch die Bauern im Allgäu konnten ihre Lebensbedingungen, also Ausbeutung und Leibeigenschaft, zu Beginn des 16. Jahrhunderts nicht länger ertragen: Sie wagten den Aufstand gegen ihre Herren: Diese Herren waren vor allem die sich christlich nennenden Äbte der Klöster, „geistliche Herrschaften“. Die Benediktiner-Klöster in Augsburg, Ottobeuren und Irsee etwa verfügten über sehr viel mehr Territorien als die weltlichen Reichsstädte Memmingen, Kaufbeuren und Kempten. Die Äbte forderten exzessiv Abgaben von den Bauern.
Als sie den Aufstand wagten, „standen die Bauern mit dem Rücken zur Wand, um ihre Freiheit, gesellschaftliche Anerkennung und politische Teilhabe zu erkämpfen. Hinzu kam ihre Sehnsucht nach einer christlichen Seelsorge, die diesen Namen auch verdient hätte,“ schreibt der Historiker Stefan Fischer in seiner „Kleinen Geschichte des Bauernkriegs 1525“ mit dem Titel „Aufruhr im Allgäu“ (S. 140). Auch wenn die Bauern der Übermacht der Herren unterlegen waren: Sie hatten immerhin im März 1525 die grundlegenden „Zwölf Artikel“ in Memmingen formuliert: Dies sind die ersten Forderungen, Menschenrechte und Freiheitsrechte auch für Bauern, „den gemeinen Mann“, durchzusetzen. Interessant ist, dass das „Gottes Recht“, also das Wort Gottes (Weisungen der Bibel), herrschen sollte und nicht das willkürliche, menschliche „Rechtswesen“, das zugunsten der Herren von den Herren formuliert wurde. „Das „göttliche Recht“ forderte in letzter Konsequenz eine neue Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft. Das „göttliche Recht“ der Bibel hatte also, wörtlich genommen und ohne den klerikalen Filter gelesen, eine revolutionäre Bedeutung. In dem Zusammenhang von „religiösem Fundamentalismus“ zu sprechen, ist schwierig, weil es von der Vernunft her formulierte Menschen Rechte noch nicht gab. Und der Humanismus, etwa eines Erasmus, fand keine weite Anerkennung, durch Martin Luther, den Feind der Philosophie, auch nicht.
Zu den „Zwölf Artikeln”: Siehe Fußnote 1.
Bemerkenswert ist: Diese Zwölf Artikel wurden als Druckschrift mit sehr hoher Auflage verbreitet. Dieser Text hatte eine weite Wirkung bis in die USA und nach Frankreich.

2.
Das Buch von Stefan Fischer macht einmal mehr klar: Der Bauernkrieg war keineswegs nur ein auf Mitteldeutschland begrenztes Ereignis und keineswegs nur ein Kampf unter der Inspiration des Reformators Thomas Müntzer. Das Buch bietet nicht nur eine anschauliche, differenziert argumentierende Beschreibung der Ereignisse im Krieg der Bauern gegen ihre Herren, es werden auch entscheidende Stichworte zum Hintergrund ausführlich erläutert, wie „Die Leibeigenschaft“, „Der Bundschuh“, „Der schwäbische Bund“ oder ausführliche Informationen auch zu wichtigen Protagonisten in diesen Auseinandersetzungen wie „Sebastian Lotzer“ oder „Gordian Seuter“.
Die geistlichen Herren in den Klöstern, wie im Stift Kempten, hielten nach der Niederlage der Bauern 1525 an der Leibeigenschaft, wenn auch “gemäßigt“ (S. 132) fest. Nach dem Krieg wurde eine die politische Mitwirkung der Bauern in ihrer Heimat sehr begrenzt gewährt. Die Leibeigenschaft wurde erst 1803 gesetzlich abgeschafft.

3.
Das Benediktinerkloster Ottobeuren hat kürzlich (2023) ein neues durchaus prächtig zu nennendes „Klostermuseum“ eröffnet: Tatsächlich: „Eines der modernsten Museen im Allgäu, hier werden Wissen und Informationen spannend, interaktiv, multimeldial vermittelt“, wie es im offiziellen Werbe- Flyer heißt (https://www.vereinigung-ottobeuren.de/klostermuseum/).
Nebenbei: Es ist eher wahrscheinlich, dass das ganze Kloster bald zum Museum wird; zur Zeit leben in dem riesigen Klostergebäude noch 15 Mönche eher reiferen Alters (https://www.abtei-ottobeuren.de/content/konvent/konvent/).
Leider nur bis zum 1.6.2025 ist eine Sonderausstellung „Spuren des Bauernkrieges“ im Theatersaal des Klostermuseums Ottobeuren zu sehen; danach, ab 1. Oktober 2025 für knapp drei Monate noch einmal im Stadtmuseum Memmingen. Dabei gehört doch das Thema „Bauernkrieg und das Kloster Ottobeuren“ wirklich auf Dauer in die zentrale „moderne“ Ausstellungswelt des Klostermuseums. Aber es ist für Klöster immer noch unangenehm , wenn sie im Blick auf die eigene Geschichte zugeben und dokumentieren müssen: Auch wir katholischen Mönche hatten leibeigene Bauern, die sich im Geist des Evangeliums gegen uns, den Klerus, im Krieg erhoben… Gewiss: Die Bauern haben 1525 das reiche Kloster Ottobeuren geplündert. Aber es zeigt die begrenzte Sichtweise: Nur dieses Ereignis der Plünderung wird in der offiziellen Kloster „Zeittafel“ erwähnt. (https://abtei-ottobeuren.de/content/klosteranlage/historisches/). So wird der kritische Blick der Besucher des prächtigen modernen Klostermuseums nicht übermäßig geschärft. Und der tatsächliche (dokumentierte) Glanz wissenschaftlicher Leistungen einiger Mönche dieses Klosters bleibt in der Erinnerung. Die barocke Klosterwelt muss ad aeternum nichts als schön sein.
Zur barocken Basilika des Klosters: prachtvoll, himmlisch und außerirdisch:https://abtei-ottobeuren.de/content/klosteranlage/die-basilika/

Fußnote 1:
Flugschrift der Zwölf Artikel von 1525
Eine der Originalurkunden der Zwölf Artikel wird im Stadtarchiv Memmingen verwahrt. Nachfolgend eine grobe Übertragung des Texts der Zwölf Artikel in heutiges Deutsch:
– Jede Gemeinde soll das Recht haben, ihren Pfarrer zu wählen und ihn zu entsetzen (abzusetzen), wenn er sich ungebührlich verhält. Der Pfarrer soll das Evangelium lauter und klar ohne allen menschlichen Zusatz predigen, da in der Schrift steht, dass wir allein durch den wahren Glauben zu Gott kommen können.
– Von dem großen Zehnten sollen die Pfarrer besoldet werden. Ein etwaiger Überschuss soll für die Dorfarmut und die Entrichtung der Kriegssteuer verwandt werden. Der kleine Zehnt soll abgetan (aufgegeben) werden, da er von Menschen erdacht (und nicht biblisch begründet) ist, denn Gott der Herr hat das Vieh dem Menschen frei erschaffen.[7]
-Ist der Brauch bisher gewesen, dass man uns für Eigenleute (Leibeigene) gehalten hat, welches zu erbarmen ist, angesehen, dass uns Christus alle mit seinen kostbarlichen Blutvergießen erlöst und erkauft hat, den Hirten gleich wie den Höchsten, keinen ausgenommen. Darum ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.
– Ist es unbrüderlich und dem Wort Gottes nicht gemäß, dass der arme Mann nicht Gewalt hat, Wildbret, Geflügel und Fische zu fangen. Denn als Gott der Herr den Menschen erschuf, hat er ihm Gewalt über alle Tiere, den Vogel in der Luft und den Fisch im Wasser gegeben.
– Haben sich die Herrschaften die Hölzer (Wälder) alleine angeeignet. Wenn der arme Mann etwas bedarf, muss er es für das doppelte Geld kaufen. Es sollen daher alle Hölzer, die nicht erkauft sind (gemeint sind ehemalige Gemeindewälder, die sich viele Herrscher angeeignet hatten), der Gemeinde wieder heimfallen (zurückgegeben werden), damit jeder seinen Bedarf an Bau- und Brennholz daraus decken kann.
– Soll man der Dienste (Frondienste) wegen, welche von Tag zu Tag vermehrt werden und täglich zunehmen, ein Einsehen haben und uns nicht so sehr belasten, so, wie unsere Eltern gedient haben, allein nach Laut des Wortes Gottes.
– Soll die Herrschaft den Bauern die Dienste nicht über das bei der Verleihung festgesetzte Maß hinaus erhöhen. (Eine Anhebung der Fron ohne Vereinbarung war durchaus üblich.)
– Können viele Güter die Pachtabgabe nicht ertragen. Ehrbare Leute sollen diese Güter besichtigen und die Gült nach Billigkeit neu festsetzen, damit der Bauer seine Arbeit nicht umsonst tue, denn ein jeglicher Tagwerker ist seines Lohnes würdig.
– Werden der großen Frevel (Gerichtsbußen) wegen stets neue Satzungen gemacht. Man straft nicht nach Gestalt der Sache, sondern nach Belieben (Erhöhungen von Strafen und Willkür bei der Verurteilung waren üblich). Ist unsere Meinung, uns bei alter geschriebener Strafe zu strafen, wonach die Sache gehandelt ist, und nicht nach Gunst.
– Haben etliche Wiesen und Äcker, die einer Gemeinde zugehören (Gemeindeland, das ursprünglich allen Mitgliedern zur Verfügung stand), angeeignet. Die wollen wir wieder zu unseren gemeinen Händen nehmen.
– Soll der Todfall (eine Art Erbschaftssteuer) ganz und gar abgeschafft werden, und nimmermehr sollen Witwen und Waisen so schändlich wider Gott und Ehre beraubt werden.
– Ist unser Beschluss und endliche Meinung, wenn einer oder mehr der hier gestellten Artikel dem Worte Gottes nicht gemäß wären …, von denen wollen wir abstehen, wenn man es uns auf Grund der Schrift erklärt. Wenn man uns schon etliche Artikel jetzt zuließe und es befände sich hernach, dass sie Unrecht wären, so sollen sie von Stund an tot und ab sein. Desgleichen wollen wir uns aber auch vorbehalten haben, wenn man in der Schrift noch mehr Artikel fände, die wider Gott und eine Beschwernis des Nächsten wären.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Zw%C3%B6lf_Artikel

Stefan Fischer, „Aufruhr im Allgäu. Kleine Geschichte des Bauernkriegs 1525.“ Verlag Friedrich Pustet2024, 144 Seiten, 16.95€.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Der Bauernkrieg und der Theologe Thomas Müntzer.

Vor 500 Jahren (am 27. Mai) wurde Thomas Müntzer in Mühlhausen hingerichtet.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 11.5.2025.

Zur Erinnerung: Wir nennen unsere Beiträge Hinweise: Und das bedeutet immer eine sanfte Aufforderung: Lest diesen Hinweis und … fragt und studiert weiter. Das gilt auch für diesen Hinweis. Er versucht, die Theologie Thomas Müntzers in einen aktuellen Rahmen zu stellen und  auch Zweifel an einer umfassenden theologischen Kompetenz Martin Luthers zu verstärken. Über die rigorose Ablehung der Vernunft durch Luther  als einer entscheidenden Kraft auch in den Kirchen haben wir uns schon geäußert, auch im Zusammenhang der Auseinandersetzungen Luthers mit Erasmus in dieser Frage.  (Siehe 2.)

1. Die Aktualität.
Wir haben 2016 auf die Bedeutung Thomas Müntzers hingewiesen, zumal auf seine Erkenntnis, dass christliche „Erlösung“ viel mehr ist als nur ein Seelentrost. Erlösung ist als Befreiung zu verstehen, auch als materiell – spürbare Befreiung der Armen von Unrecht und Ausbeutung. Die bleibende Frage, die durch Thomas Müntzer drängend und dringend ist: Gibt es eine „materiell und politisch spürbare, „greifbare“ Erlösung – im Sinne von „Gerechtigkeit für alle“ und Frieden als Basis des humanen Lebens? Wer die lateinamerikanische Theologie der Befreiung kennt, wird diese Frage mit Ja beantworten, an der Zustimmung zu Gewalt und Krieg (in den letzten Monaten Müntzers) liegt freilich die Differenz zur Befreiungstheologie. Zu unserem Hinweis (2016) auf Müntzer als dem fast vergessenen Reformator: LINK

2. Der Gegner von Martin Luther
Dass Thomas Müntzer in seiner radikalen Solidarität mit den aufständischen Bauern gescheitert ist, steht fest. Er ist als Bauernführer in der Schlacht von Frankenhausen 1525 untergegangen, auch aufgrund seiner – in heutigen Begriffen – fundamentalistischen Bibeldeutung. Er sah sich als ein vom heiligen Geist Auserwählter berufen, aus seiner Deutung der Bibel unmittelbar politische Konsequenzen zu ziehen. Müntzers Gegner Martin Luther war auf seine Art ebenfalls ein fundamentalistischer Bibelinterpret, indem er etwa den „Gehorsam gegenüber den Untertanen“ von Paulus (Römerbrief 13, 1-7) übernahm, ohne vernünftige , d.h vermittelnde Reflexion auf die Anwendung dieses Bibelspruches. Aber es gab damals leider keine historisch – kritische Bibelwissenschaft, keine Hermeneutik, das gilt auch für Bibel – Interpretation Thomas Münzers!

Martin Luther hat in seiner Schrift, verfasst im Jahr 1525, “Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern” die Fürsten ermuntert, die aufständischen Bauern in ihrem Kampf niederzuschlagen. Er forderte jeden Christen tatsächlich auf, diese Bauern zu töten, “als wenn man einen tollen Hund totschlagen muss”, so wörtlich im Text des berühmten Reformators. Damit waren auch die Beziehungen zwischen dem Reformator Luther und dem Reformator Müntzer definitiv zerbrochen, mit tödlichen Folgen für Müntzer und die Bauern. Man möchte sagen: Luthers auf das Spirituelle und “Innertheologische” begrenzte Reformation hatte über die spirituelle UND politische Reformation Müntzers gesiegt. Lutheraner und ihre Pastoren sind seitdem – pauschal gesagt – politisch fast immer aufseiten der Fürsten und Könige gewesen, siehe die Staatskirchen in Deutschland (die Kolonialherren Wilhelm I und II als Kirchenführer!) oder die lutherischen Staatskirchen in Schweden Dänemark, Norwegen, Schweden bis vor wenigen Jahren. Es gilt also, was der Historiker Hans – Jürgen Goertz schreibt: Weil Luther die Reformation dem Schutz der weltlichen Obrigkeit anvertraute, “begann diese, den politischen und kirchlichen Bereich zu disziplinieren, auch ihre religiös verordnete Unantastbarkeit allmählich zu einer gottbegnadeten Aura politisch zu steigern  und den `gemeinen Mann` zum Untertan zu erniedrigen.” (Hans-Jürgen Goertz, Thomas Müntzer, München 2015, S. 244).

3.
Die große Studie von Lynda Roper über den Bauernkrieg mit dem Titel „Für die Freiheit“ (C.H.Beck Verlag 2025) stellt die ganze Breite der Massenbewegung des Bauernkrieges dar, sie beweist damit auch, dass Thomas Müntzer dabei keineswegs im Mittelpunkt steht: Es ist sicher einer ideologisch bedingten Verehrung Müntzers durch die DDR geschuldet, auch wegen der Wahrnehmung des Bauernkriegs-Panoramas (von Werner Tübke) in Bad Frankenhausen, dass Müntzer im Bewusstsein vieler noch immer als „der“ Hauptprotagonist im Bauernkrieg fixiert wird. Selbst man seine Rolle nun relativiert: Theologisch bedeutend bleibt Müntzer trotzdem.

4. Der Bauernkrieg als Massenaufstand
Lynda Roper zeigt ausführlich: Der Bauernkrieg zu Beginn des 16. Jahrhunderts war ein Massen – Aufstand der armen Bauern gegen ein System des Unrechts, repräsentiert vom Adel und hohen Klerus. Er war ein Aufstand der Verzweifelten, der sehr heftig und total rücksichtslos von den etablierten Herrschern niedergeschlagen wurde. Die angebliche „Ordnung” der Klassen in einem hierarchischen System blieb weiterhin erhalten.
Der Bauernkrieg war nicht etwa nur auf den Raum Mitteldeutschlands begrenzt, sondern er hatte auch die Armen in weiten Teilen Badens, Württembergs, Südtirols und des Salzburger Landes erfasst.
Eine ARTE Dokumentation hat die bisher unterdrückte bzw. übersehene Teilnahme der Frauen an diesem Kampf dokumentiert. Zum Film ist verfügbar bis 7.8.2025: LINK https://www.arte.tv/de/videos/117712-000-A/die-frauen-des-bauernkriegs/

5. Beginn der deutschen Gewaltgeschichte
Die in Frankenhausen 1525 kämpfenden Bauern wurden Opfer eines Massakers der Herrschenden. Etwa 100.000 Bauern ließen in ihrem Kampf ihr Leben. Peter Seibert zeigt in seinem Buch „Die Niederschlagung des Bauernkrieges 1525“: Diese Niederlage der Bauern ist der „Beginn einer deutschen Gewaltgeschichte“, so der Untertitel zu Seiberts Studie (Dietz Verlag, Bonn 2025). Nach der Hinrichtung Müntzers am 27. Mai 1525 wurde sein Kopf sichtbar für alle aufgespießt, als Zeichen der absoluten Niederlage der Sache der Bauern. Seibert zeigt, welchen Repressionen die Bauern nach ihrer Niederlage unterworfen waren. So wurde etwa die Leibeigenschaft noch einmal verschärft. Der adligen Opfer des Krieges wurden öffentlich voller Trauer gedacht, die vielen tausend toten Bauern (die Frauen zumal) sind meist als namenlose “Masse” untergegangen un der Erinnerung entschwunden. So ist Siegergeschichte bis heute. Zur aktuellen Müntzer – Ausstellung in Mühlhausen: LINK

6. Müntzer als Reformator reformiert Einsichten Luthers
Zu unseren schon 2016 publizierten Hinweisen zu Thomas Müntzer noch einmal grundsätzliche Erinnerungen:
Müntzer war zwar kein Universitäts-Theologe. Aber er war „ein Theologe, ein Seelsorger und Prediger.“ Er wurde ja als katholischer priester ausgebildet mit Studien an der Universität in Frankfurt/Oder!  Der Müntzer Forscher Hans – Jürgen Goertz hat eine „völlig überarbeitete und teilweise neugeschriebene“ Ausgabe seines Standardwerkes (von 1989) „Thomas Müntzer. Revolutionär am Ende der Zeiten“, im C.H.Beck Verlag veröffentlicht,  erschienen 2015.
Goertz erinnert: Müntzer wollte „die Lehre der Wittenberger Reformatoren „in ein besseres Wesen führen“ zu wollen (S. 276). Das ist entscheidend: Müntzer verändert, reformiert sozusagen die Einsichten Luthers: Sie führen ihn ins Politische, ins Eintreten für die Armen. „Es ist Zeit, auf den Bauernkrieg zurückzukommen, damit wir wieder eine Reformation in den Blick nehmen, die sich in ihrer Radikalität von Luthers tröstlichen Wahrheiten gelöst hat“, schreibt auch Lynda Roper (S. 14.)

7. Mit Gott eins
Selbst wenn Luther von einer „Neubestimmung der christlichen Identität“ sprach als Konsequenz seiner Gnadenlehre, so wird man zu Müntzers speziellen Glauben betonen müssen: Er hat die reformatorische Spiritualität aus dem Innenraum des Spirituellen befreit, und zwar auf eine originelle Weise. Die theologische Basis dafür ist: Jeder Christ ist durch die Gnade sozusagen unmittelbar mit Gott eins. Und das hat Konsequenzen, auch politische!

8. Eine Theologie der Revolution, inspiriert von der Mystik
In den Herzen der Gläubigen redet Gottes Geist: Der heilige Geist spricht zumal in den besonders Erwählten, zu denen sich Müntzer rechnete. Und diese Erwählten verstehen es, den Geist Gottes aktuell in der politischen Situation zu deuten und in die Praxis umzusetzen. Die Laien, vor allem die Bauern, wissen aufgrund ihrer unmittelbaren Gotteserfahrung, also durch ihre eigene Erfahrung des heiligen Geistes: Durch ihren Befreiungskampf will Gott selbst einen Herrschaftswechsel politisch und sozial durchsetzen. „Müntzer hat tatsächlich eine Theologie der Revolution `avant la lettre erfunden. Diese Theologie erwuchs aus dem Geist der Mystik, aus dem Eindruck, den die apokalyptische Zeitströmung auf ihn ausübte…“( Goertz, S. 280). Problematisch bleibt der extreme Anspruch Müntzers, berufen zu sein, die Auserwählten (Arme Bauern) und die Gottlosen (die Fürsten, die sich nicht bekehren) nicht nur als solche zu erkennen, sondern auch die Auserwählten in einen politischen Kampf gegen die Gottlosen zu schicken. Die Herrschenden waren für Müntzer nicht Wesen von unantastbarer heiliger Würde. Luther wetterte zwar gegen die Herrschaft der Päpste, aber nicht gegen die Herrschaft der Fürsten. Er brauchte sie für den Erfolg seiner Reformation.

9. „Eine fügliche Empörung“
Hans- Jürgen Goetz zeigt in seiner Studie: Müntzer sprach von einer, so wörtlich „füglichen Empörung“, also von einem Aufstand „der nicht egoistischen, herrschsüchtigen Motiven entspringt, sondern Intentionen verfolgt, die sich in aller Gelassenheit dem Willen Gottes anvertrauen und selbstlos auf das zukünftige Reich des Friedens und der Gerechtigkeit ausgerichtet sind. Das ist zwar keine pazifistische Gesinnung, aber doch eine skrupulöse Haltung gegenüber der Anwendung von Gewalt im allgemeinen.“ (S. 285).

10.  Müntzer bleibt ein Außenseiter in den Kirchen!
Wird die Erinnerung an Müntzer wenigstens ins Nachdenken darüber führen, dass christliche Erlösung – im Sinne Jesu von Nazareth – niemals nur eine seelische Erlösung sein darf? Sondern auch, dass die „seelisch Erlösten“ um Gerechtigkeit für alle kämpfen sollen?
Man wird dazu angesichts der offenbar schon konservativen Wende – auch in den meisten Kirchen heute – skeptisch bleiben.
Und auch dies zum Schluss: „Keine Kirche hat sich bemüht, das Denken Thomas Müntzers aufzunehmen und im Laufe der Jahrhunderte weiterzuentwickeln“, so der Historiker Hans-Jürgen Goertz. (S. 275).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Ergänzung am 23.5.2025: Die Tageszeitung ND (Neues Deutschland) veröffentlichte am 22.5.2025 einen Beitrag von Dr. Marion Damaschke, der Vize-Vorsitzender der Thomas-Müntzer-Gesellschaft in Mühlhausen. Hier ein Auszug aus dem Essay:

Am Vorabend der Schlacht (in Frankenhausen) galt Thomas Müntzer bei Freunden und Feinden als die spirituelle Führungsgestalt der Aufständischen. Hatten diese die Fürsten noch wissen lassen, »Wir sint nicht hie, yemant was tzu thon, … sonder von wegen go(e)ttlicher gerechtikeit tzu erhalten. Wir sint ouch nit hie von wegen blutvergissung«, antworteten ihnen die Belagerer, dass allein die Obrigkeiten diejenigen seien, »denen von Got das schwert beuolhen« (befohlen), und sie gekommen seien, »euch darumb als die lesterer Gotes zu straffen«. Ultimativ forderten sie »den falschen propheten Thomas Montzer sampt seynem anhange lebendig herausantwortet« (herauszugeben) und dass man sich »in vnser gnad vnd vngnad ergebet«. Die Forderung wurde mehrheitlich abgelehnt. Als sich um die Sonne ein Ring zeichnete, predigte Müntzer, dass dies das göttliche Himmelszeichen sei. »Si sollten nur hertzlich streiten und keck sein.« Die Versammelten stimmten den Pfingstchoral an. Diese Situation nutzten die fürstlichen Truppen und feuerten mit ihren in Stellung gebrachten Geschützen in die Wagenburg. Reiter drangen in das Lager ein. Panik brach aus. Etwa 6000 Aufständische verloren im Gemetzel ihr Leben.

Müntzer konnte noch fliehen und sich in der Stadt verbergen, wo er jedoch bald von Söldnern entdeckt und Graf Ernst von Mansfeld, seinem ärgsten Feind, übergeben wurde. Im Wasserschloss Heldrungen begann am 16. Mai 1525 das Verhör. In der Absicht, Müntzers Lehre und Tun als ketzerisch und ungesetzlich zu brandmarken, sorgten die Sieger dafür, dass Mitschriften von Aussagen, die er während des Verhörs gemacht hatte, schnell verbreitet wurden. Mit dem irreführenden Titel »Bekenntnis Thomas Müntzers« (Bekentnus Thomas Muntzers) wurde es sogleich variationsreich mehrfach gedruckt. Befragt nach dem Ziel des Aufruhrs soll Müntzer unter Folter gesagt haben: »Dye entporunge habe er darumb gemacht, das dye christenheyt solt alle gleych werden und das dye fursten und herrn, dye dem evangelio nit wollten beystehen, sollten vortriben und totgeschlagen werden.« Der Grundsatz seines Verbündnisses sei gewesen, dass alle Güter jedem nach seinen Bedürfnis ausgeteilt werden: »omnia sundt communia«. Müntzer war gewillt, die Normen und Gebote des Evangeliums radikal zu befolgen, wobei er den Abbau der sozialen Ungleichheit einschloss. Als Luther den Verhörtext las, sah er darin Müntzers teuflische Verstockung und Verblendung. Für ihn blieb Müntzer ein »Werkzeug des Satans« und ein »Zerstörer aller Ordnung«.
Mit gebrochenen Händen nicht mehr zum Schreiben fähig, diktierte Müntzer am 17. Mai 1525 seinen letzten Brief, der an die christliche Gemeinde und den Rat in Mühlhausen gerichtet war. Er forderte sie auf, die Fürsten um Gnade zu bitten, »dormit des vnschuldigen bluts nit weyter vorgossen werde«. Die Schuld am Scheitern des Aufstands sah er darin, dass er vom Volk nicht recht verstanden worden sei, vor allem aber dass »eyn yder seyn eygennutz mehr gesucht dan dye rechtfertigung der christenheyt«. In diesem Abschiedsbrief bat er auch darum, seiner Frau Ottilie von Gersen seine Bücher und den Hausrat auszuhändigen, was aber nicht geschah. Unklar ist, wie es seiner Witwe und dem gemeinsamen Kind erging.
1531 beklagte Luther, dass zu Müntzers Richtstätte auf dem Rieseninger Berg viele »gewissenslose Leute« pilgerten, die nicht nur aus dem nahen Mühlhausen kämen. Er forderte, dass derart Verehrung aufhören müsse. Die Hinrichtungsstätte wurde über Jahrhunderte hinweg zu einem Ort wechselnder Gedenkkultur. 1901 wurde auf dem Rieseninger Berg ein Bauernkriegs-Denkstein errichtet, dessen Inschrift dem Bauernkrieg von 1525 als Mühlhausens Unglücksjahr gewidmet war, in dem ein Strafgericht über das Zentrum der radikalreformatorischen Bewegung gehalten wurde.

Von Marion Damaschke erschienen unter anderem diese Bücher: »Signaturen einer Epoche. Beiträge zur Geschichte der frühen Neuzeit« (2012), »Thomas Müntzer. Keine Randbemerkung der Geschichte« (2017), »Bauernkrieger im Talar: Thomas Müntzer in der Belletristik« (2021) sowie »Thomas Müntzer im Blick« (2023).

Immerhin hat die evangelisch – lutherische Gemeinde zu Mühlhausen einen Fernseh-Gottesdienst im ZDF am 25. mai 2025 gestalten können zum Thema Thomas Müntzer. LINK.

COPYRIGHT: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon Berlin