250. Geburtstages der ersten Salonière in Berlin, Rahel Varnhagen

Anregungen anlässlich des 250. Geburtstages der ersten Saloninère in Berlin, Rahel Varnhagen.

Von Christian Modehn

1.
Gedenktage sind nicht nur Tages des Rückblicks und der kritischen Erinnerung, sondern auch Tage des Vorblicks: Der Blick in die (nahe) Zukunft soll von der Begrenztheit des Gegenwärtigen befreien und Neues soll konzipiert werden, Besseres, das die Routine traditioneller kultureller Praxis überwindet.
2.
So ist auch beim Denken an Rahel Varnhagen (17.5.1771 bis 7.3.1833). Ihr großartiges Lebenswerk ist bekannt, wer es noch nicht kennt, sollte seine Bildungslücke alsbald schließen, Gelegenheiten gibt es ausreichend, auch im www. Dabei wird man sich auch auf die vielfältigen großartigen schriftstellerischen Leistungen Varnhagens konzentieren.
3.
Ich möchte hier nur an ihre bleibende Leistung erinnern, die mir von aktueller Bedeutung erscheint: Es ihre Gründung und Gestaltung von Gesprächsrunden, die dann später “Salons“ genannt wurden, also gesellige Zusammenkünfte mit hohem Gesprächsniveau, an dem sich unterschiedliche Menschen, meist Männer, beteiligten. Die Liste der „berühmten“ TeilnehmerInnen ist lang: Jean Paul, die Brüder Humboldt, Friedrich Schlegel, Heinrich Heine, Schleiermacher, Hegel usw. Die Gastgeberin, Rahel Varnhagen, leitete ihre Salons von 1790 bis 1806, und dann noch einmal von 1820 bis 1833. Die Zusammenkünfte in der Privatwohnung waren geprägt vom Geist der Aufklärung und damit der Vernunft, und damit auch der Toleranz: Diese Lebensphilosophie war bester Ausdruck ihrer zeitgemäßen jüdischen Spiritualität.
3.
An Rahel Varnhagen denken – das heißt heute: Nachdenken, wie denn diese offenen und von Vielfalt und Toleranz geprägten SALONS heute eine große Rolle spielen können. Dass es sozusagen „objektiv“ in der Gesellschaft einen Bedarf gibt an niveauvollem Gespräch und Austausch der verschiedenen Meinungen, braucht nicht bewiesen zu werden. Zumal die großstädtische Gesellschaft zerfällt förmlich in Inseln der Kommunikation der Gleichen, wenn nicht ohnehin die Isolierung und Einsamkeit des einzelnen beherrschend ist.
4.
Ich will nur daran erinnern, dass de facto in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, die alte Struktur der Kirchengemeinde sich auflöst: Gottesdienste werden gefeiert mit stets abnehmender Teilnehmerzahl. Aber wichtiger noch: Die Gesprächsangebote, die „Gruppen“, die Bildungsveranstaltungen in den Kirchengemeinden sind eher marginal. Und wenn sie noch stattfinden, müsste das intellektuelle und kritische Niveau geprüft werden. In den meisten Fällen bleiben diese Gruppen eher „homogen“ unter sich: Welcher Atheist, welcher Skeptiker, welcher Flüchtling, welcher ausländische Student usw. verirrt sich schon in einen üblichen Gemeindekreis?
5.
In dieser Situation des kirchlichen Niedergangs haben die offenen Debatten über Spiritualität, Lebenskunst, Religion, Philosophie in Salons eine große Chance. Sie finden nicht unter einem Dach einer Kirche oder einer Religion statt, diese Salons sind undogmatisch, offen, plural, an der Vielfalt und dem Streitgespräch interessiert.
6.
Wer kann solche Salons eröffnen? Jeder und jede, der/die sich für kompetent hält, nicht nur einen angenehmen Gesprächsraum anzubieten, sondern auch thematisch die Abende zu gestalten. Ein Künstler lädt zu Gesprächen über Kunst ein, warum nicht auch zu religiöser Kunst? Ein Kenner der Romane oder eine geduldige Leserin von Poesie lädt zu literarischen Gesprächen ein, die ohnehin die grundlegenden Sinnfragen berühren. Ein Naturwissenschaftler lädt ein, über Natur, Naturschutz, Naturgesetze und Evolution oder gar „Schöpfung“ usw. zu sprechen.
7.
Nun leben in den großen Städten zumal auch viele TheologInnen, die noch als solche tätig sind oder längst andere Berufe (Coach etc.) haben: Warum laden sie nicht zu Gesprächen über „Gott und die Welt“ ein? Und die vielen Leute, die Philosophie studiert haben: Der philosophische Salon wäre in meiner Sicht die beste Form der Erinnerung an Rahel Varnhagen.
8.
Die Frage ist, ob die entsprechenden Herren und Damen des kulturellen Establishments die enorme Bedeutung der Salons erkannt haben. Interessieren sie sich mehr für die Opernhäuser und Theater als für die eher „kleinen“, aber feinen kulturellen Basisinitiativen, wie die Salons? Falls dies der Fall ist, sollten die kulturell verantwortlichen Politiker und auch die Hochschulen und Universitäten überlegen: Wie kann man in einer Art Grundkurs Salonnièren ausbilden und fördern? Wie können die Organisatoren auch finanziell unterstützt werden, ohne dass dabei die Salons in Abhängigkeit geraten?
9.
Über den seit 2007 bestehenden (wegen Corona seit einem Jahr „ruhenden“) „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ kann man sich informieren und vielleicht inspirieren lassen: LINK.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Willkommen im Religions-Philosophischen Salon Berlin

Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist seit 2007 eine Initiative von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus. Seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 gab es keine öffentlichen Salon – Veranstaltungen (“Präsenz-Veranstaltungen”) mehr, hingegen werden oft neue Beiträge als Hinweise zur Debatte auf unserer Website publiziert.

Warum ein religionsphilosophischer Salon?
Warum ein religionsphilosophischer Salon?

1.

Der Titel und die „Sache“ „philosophischer Salon“ sind alles andere als verstaubt. Das Interesse an philosophischen Gesprächen und Debatten in überschaubarem Kreis, in angenehmer Atmosphäre (also in einem „Salon“), ist evident.
(Frontal-) Vorträge – etwa in Akademien – vor zahlreichem, weithin bloß zuhörendem Publikum sind oft Ausdruck autoritären Belehrens. Ein Salon ist ein freundlicher Ort des Dialogs.

2.

In unserem religionsphilosophischen Salon soll das Philosophieren geübt werden, also das selbstkritische, systematische Nachdenken. Das Thema Religion wird auch in den heutigen Philosophien ernst genommen. Philosophische Religionskritik hat nicht mehr Sinn zu beweisen, dass Religion bedeutungslos ist, im Gegenteil: Philosophische Religionskritik zeigt, welche Form einer vernünftigen Religion bzw. Spiritualität heute zur Lebensgestaltung gehören kann. Und welche Gestalten von Religion/Kirchen/”Sekten” alles andere als einen befreienden Charakter haben. Der Klerikalismus herrscht ungebrochen in der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen; im weiten Feld des Evangelischen nimmt die Herrschaft der fundamentalistischen evangelikalen Kirchen ständig. freisinnige, vernünftige christliche Kirchen sind leider marginal (vgl. die Remonstranten). 

3.

Unser religionsphilosophischer Salon ist wichtig angesichts des tiefgreifenden religiösen Umbruchs in Deutschland /Europa. Die Bindung an die Kirchen lässt bekanntlich immer mehr nach. Die so genannte Säkularisierung nimmt zu. Aber Säkularisierung bedeutet gerade nicht automatisch Zunahme des Atheismus. Religionsphilosophische Salons können die Themen der Religionen und das subjektive Bewegtsein durch religiöse Fragen angesichts der Kirchenkrise vernünftig weiterführen, in der Freiheit des Geistes… über den Klerikalismus oder den vielfältigen religiösen Fundamentalismus hinaus.

4.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt es nur im Plural, die (Religions-)Philosophien in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen nicht länger als „zweitrangig“ behandelt werden. In welcher Weise Religion dort zum „Opium“ wird angesichts des Elends so vieler Menschen, ist eine besonders relevante Frage, auch angesichts der Zunahme christlicher und muslimischer Fundamentalismen. Dringend wird die Frage: Inwieweit ist philosophisches Denken Europas eng mit dem kolonialen Denken verbunden?

5.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien bieten also in ihren vielfältigen Entwürfen unterschiedliche Hinweise zur Fähigkeit der Menschen, ihre engen Grenzen zu überschreiten und sich dem im Denken zu nähern, was die Tradition Gott oder Transzendenz nennt. Dabei treten diese unterschiedlichen Entwürfe in einen lernbereiten Dialog. In unserem religionsphilosophischen Salon gibt es z.B.ein starkes Interesse am (Zen-) Buddhismus.

6.

Uns ist es wichtig uns zu zeigen, dass Menschen im philosophischen Bedenken ihrer tieferen Lebenserfahrungen das Endliche überschreiten können und sollen und das Göttliche, das Transzendente erreichen können. Das Göttliche als das Gründende und Ewige zeigt sich dabei im Denken als bereits anwesend. Es ist sozusagen unthematisch gegenwärtig im Geist des Menschen.
Wenn der Mensch nach dem Göttlichen fragt, hat er also notwendigerweise „immer schon“ ein gewisses Vorverständnis vom Göttlichen. Dieses „Vorwissen“ gilt, nebenbei, für alles Fragen und Suchen.

7.

Insofern ist Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie auch eine subjektive Form der Lebensgestaltung, d.h. eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln.
Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kennt keine Dogmen, sicher ist nur das eine Dogma: Umfassend selbstkritisch zu denken und alle Grenzen zu prüfen, in die wir uns selbst einsperren oder in die wir durch andere, etwa durch politische Propaganda, durch Konsum und Werbung im Neoliberalismus, eingeschlossen werden. In dieser Offenheit, Grenzen zu überschreiten, zeigt sich die Lebendigkeit der Religions -Philosophie. Philosophieren ist etwas Lebendiges, im Unterschied zu vielen klerikalen Konfessionen ist sie nichts Erstarrtes voller Verbotsschilder

8.

Diese „Entdeckungsreisen“ der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können angestoßen werden durch explizit philosophische Texte, aber auch durch Poesie und Literatur, Kunst und Musik, durch eine Phänomenologie des alltäglichen Lebens, durch die politische Analyse der vielfachen Formen von Unterdrückung, Rassismus, Fundamentalismus. Mit anderen Worten: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie findet eigentlich in allen Lebensbereichen statt, kann sich von allen „Produkten des Geistes“ (Hegel) bewegen lassen. Wer die Gesprächsthemen anschaut, die wir seit 2007 in den meist monatlichen Veranstaltungen („Salon-Abende“) in den Mittelpunkt stellen, wird von der großen Vielfalt überrascht sein. Bisher fanden ca. 100 Salon-Gespräche statt.

9.

Wo hat unser religionsphilosophischer Salon seinen Ort? Als Raum eignet sich nicht nur eine große Wohnung oder der Nebenraum eines Cafés, sondern auch eine Kunst – Galerie. In den vergangenen 7 Jahren fanden wir in der Galerie „Fantom“ in Charlottenburg freundliche Aufnahme. Zuvor in verschiedenen Cafés. Kirchliche Räume, Gemeinderäume etwa, sind für uns keine offenen und öffentlichen Räume. Sie sind meist nicht sehr „inspirierend“, d.h. sie sind „ungemütlich“, also keine Salons, sondern eher Amtsstuben.

10.

In unserem religionsphilosophischen Salon sind selbstverständlich Menschen aller Kulturen, aller Weltanschauungen und Philosophien und Religionen willkommen. Unser Salon ist insofern hoffentlich ein praktisches Exempel, dass es in einer Metropole – wie Berlin – Orte geben kann, die auch immer vorhandenen „Gettos“ überwinden.

11.

Unser religionsphilosophischer Salon sollte auch ein Ort freundschaftlicher Begegnung und menschlicher Nähe. Darum haben wir in jedem Jahr im Sommer Tagesausflüge gestaltet, mit jeweils 10 – 12 TeilnehmerInnen: Etwa nach Erkner (Gerhart Hauptmann Haus), Karlshorst (das deutsch-russische Museum), Jüterbog als Ort der Reformation, das ehem. Kloster Chorin, Frohnau (Buddhistisches Haus), Lübars… Außerdem gestalteten wir kleine Feiern in privatem Rahmen anlässlich von Weihnachten. Auch ein Kreis, der sich mehrfach schon traf, um Gedichte zu lesen und zu meditieren, hat sich aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon entwickelt. Aber alle diese Initiativen waren (und sind wohl) mühsam, u.a. auch deswegen, weil letztlich die ganze Organisation von den beiden Initiatoren – ehrnemtlich selbstverständlich – geleistet wurde und wird.

12.

Anlässlich der „Welttage der Philosophie“, in jedem Jahr im November von der UNESCO vorgeschlagen, haben wir größere Veranstaltungen mit über 60 TeilnehmerInnen im Berliner AFRIKA Haus gestaltet, etwa mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb, dem Theologen Michael Bongardt. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in unserem Salon über Emil Cioran gesprochen, der Philosoph Peter Bieri diskutierte im Salon über sein Buch „Wie wollen wir leben?“, die Politologin Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, Thomas Fatheuer von der Heinrich – Böll- Stiftung vertiefte das Thema; der evangelische Pfarrer Edgar Dusdal (Karlshorst) berichtete über seine Erfahrungen in der DDR; der Theologe der niederländischen Kirche der Remonstranten, Prof. Johan Goud (Den Haag), war zweimal bei uns zur Diskussion, öfter dabei waren Dik Mook und Margriet Dijkmans – van Gunst aus Amsterdam…

Am 25.1.2023 notiert: Eine traurige Nachricht, ein großer Verlust für eine moderne “liberale Theologie”: Prof. Wilhelm Gräb, Prof. em. für praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin,  ist am 23. Januar 2023 in Berlin nach langer Krankheit gestorben. Der Religionsphilosophische Salon Berlin verdankt ihm viele wichtige Anregungen und dankt nochmals auf diese Weise für insgesamt 65 Beiträge und Interviews, die Wilhelm Gräb in mehr als zehn Jahren für diese website gab. LINK.

Ich darf sagen, wir haben einen Freund verloren, der als ein Theologe der heutigen Moderne ungewöhnliche, aber richtige Perspektiven zeigte in seiner großen Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit. Für ihn war die religiöse Glaubensform eines jeden Menschen wichtiger als die fixierenden, dogmatischen Lehren der Kirche. Diese theologische Freiheit, alle dogmatische Engstirnigkeit, allen Fundamentalismus auch in der evangelischen Kirche zu überwinden, “beiseite zu tun”, wie Wilhelm gern sagte, ist in ihrem radikalen Mut schon ziemlich einmalig. Ob diese Vorschläge und Ansätze zu einer Reformationen der Kirchen noch ernstgenommen werden, gerade in dieser “Kirchenkrise” ist eine offene Frage… Über seine Verdienste in der Forschung zu Schleiermacher wird später zu berichten sein.

Interessant in dem Zusammenhang das Interview, das uns Wilhelm Gräb 2012 zum Thema TOD und Sterben gab: LINK 

Zur theologischen Besinnung empfehle ich auch unser Interview mit Wilhelm Gräb “Der Gott der Liebe”. LINK:

Über vierzig viel beachtete Interviews mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb (Berlin, Humboldt – Universität) sind auf unserer Website publiziert. LINK.

Vorläufige Bilanz

Die Bilanz, vorläufig, Ende Juni 2022, formuliert: Einige wenige Interessenten außerhalb von Berlin haben die Idee des religionsphilosophischen Salons aufgegriffen. Aber wir können nicht sagen, dass etwa im kirchlichen Bereich, evangelisch wie katholisch, die Idee des freien und undogmatischen und offenen Salon-Gesprächs außerhalb der üblichen kirchlichen Räume (!), also in Café oder Galerien,  aufgegriffen und realisiert wurde. Das ist ein Faktum: Je mehr Christen aus den Kirchen austreten, um so ängstlicher und dogmatischer werden die Kirchen(führer), also auch ihre Pfarrer usw. Der Weg der Kirche in ein kulturelles Getto scheint vorgezeichnet zu sein, zumindest für die katholische Kirche. Tatsächlich haben sich über all die Jahre sehr sehr wenige “Vertreter” der großen Kirchen für unsere Initiative überhaupt interessiert. So konnten wir auch in jeder Hinsicht frei arbeiten!

Hinweis zu unseren Themen
Hinweis zu unseren Themen:
Eine Übersicht unserer Themen im Salon von Februar 2020 bis 2015 finden Sie hier. Die Themen von 2009 bis 2015 werden demnächst dokumentiert. Genauso wichtig wie die Salonabende sind auch die religionsphilosophischen und religionskritischen Hinweise Christian Modehn, publiziert auf der Website www.religionsphilosophischer-salon.de , bisher sind dort ca.1.300 Beiträge als „Hinweise“ veröffentlicht, mehr als eine Million vierhundertausend „Klicker“ gab es bisher (Stand 27.6.2022).

Der geplante religionsphilosophische Salon am 27.3.2020 über Hegel musste leider wegen der Corona – Pandemie ausfallen. Wir hoffen, dass noch einmal Salon – Gespräche stattfinden können. Sicher auch über Hegel.
Dass die Veranstaltung über Hegel anlässlich seines 250. Todestagesausfallen musste, ist aber besonders zu bedauern. Einige einführende Hinweise zur Philosophie Hegels hatte ich für den 27.3. 2020 vorbereitet, klicken Sie hier. Nach wie vor empfehle ich das große „Hegel-Handbuch“ von Walter Jaeschke, J.B. Metzler Verlag, 3. Auflage, 540 Seiten, nur 24, 90Euro.

Unser letztes Salongespräch fand am Freitag, den 14.Februar 2020 , wie immer um 19 Uhr statt, über das Thema: “Das Kalte Herz”. Mehr als ein Märchen (von Wilhelm Hauff). „Das kalte Herz“ offenbart die “imperiale Lebensweise”. 22 TeilnehmerInnen waren dabei. Leider mussten wir – wie öfter schon – acht Interessierten absagen, weil der Raum eben klein ist und nur eine Gruppe eine Gesprächssituation ermöglicht. Aber das große Interesse, ohne jede öffentliche Werbung, allein im Internet, und ohne jede Finanzierung von außen, ist schon bemerkenswert. Für einige vertiefende Hinweise zur imperialen Lebensweise: Beachten Sie diesen LINK.

Gründer

Gründer und Initiator des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ sind:
Christian Modehn, 1948 in Berlin – Friedrichshagen geboren, hat nach dem Abitur in West-Berlin Theologie (Staatsexamen über Heidegger) und Philosophie (M.A. über Hegel) studiert: In Berlin (F.U.), St. Augustin, Bonn und München. Er arbeitete von 1973 bis 2007  immer als freier Journalist, über die Themen Religionen, Kirchen und Philosophien, für Fernseh- und Radiosender der ARD, sowie für die Zeitschrift PUBLIK – FORUM. Zur Information über einige meiner Hörfunksendungen und Fernsehdokumentationen klicken Sie bitte hier.
Und:
Hartmut Wiebus, 1944 in Seehausen/Altmark geboren, hat in Berlin (F.U.) Pädagogik (Diplomarbeit über Erich Fromm) und Psychologie studiert, und vor allem als evangelischer Klinikseelsorger gearbeitet.

Der religionsphilosophische Salon Berlin erhält von keiner Seite finanzielle Zuwendungen oder Unterstützung. Wir sind unabhängig und frei. Alle Arbeit für den Salon, also Organisation und die Impuls-Referate und die Moderation, leisten wir ehrenamtlich. Von den TeilnehmerInnen eines Salon-Abends werden lediglich 5 Euro erbeten … für die Raummiete in der Galerie Fantom.

Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus, am 8.5.2021, erneut bearbeitet am 27.6.2022.

Papst Franziskus schafft einen Paragraphen 175 für den Klerus

Ein aktueller Hinweis von Christian Modehn am 2.12.2018

Am 3. Dezember 2018 erscheint als Buch, weltweit, ein Interview, das der spanische Priester Fernando Prado mit Papst Franziskus führte. Das Interview bezieht sich auf die so genannten geistlichen Berufungen, also auf Priester und Ordensleute. Erwartungsgemäß spricht der Papst auch wieder von Homosexuellen, das heißt hier von homosexuellen Priestern und Ordensleuten (offenbar denkt er nur an Männer, lesbische Nonnen sind bislang noch nicht im päpstlichen Visier, kommt wohl noch).

Was bisher als Auszug aus dem neuen Buch vorliegt, ist schlicht ein Skandal. Es hinterlässt bei gebildeten Lesern die schon von Freunden in Spanien gestellte Frage: Dreht der Papst jetzt durch? Was sagt der Papst? Die Kirche muss „anspruchsvoll sein“, deswegen hätten bekennende Homosexuelle im Klerus nichts zusuchen. Anspruchsvoll soll bedeuten: Homosexuelle Priester vermindern das Niveau des Katholizismus…

Denn diese schwulen Priester können ein  „Doppelleben führen“. Wenn das so ist, so der Papst, sollten homosexuelle Priester besser, „das Priesteramt und das geweihte Ordensleben verlassen“. Also Rausschmiss und vorher die Bespitzelung durch treue Spione. In Zeiten des § 175 war es auch nicht anders: Schwule wurden von den Nazis mindestens aus ihren Ämter und angesehenen Berufen entfernt. Man kann also sagen: In der katholischen Kirche soll der § 175 fortbestehen. Papst Franziskus hat so viel Mut, sein sexualwissenschaftliches Niveau zu dokumentieren, indem er tatsächlich, so wörtlich, meint, „Homosexualität sei in Mode“. Als würden sich homosexuelle Menschen aus einer modischen Laune heraus diese ihre Sexualität wählen. So viel Unsinn hat man schon im zurückliegenden 20. Jahrhundert kaum noch unter ernstzunehmenden Leuten gelesen.

Der Papst empfiehlt zudem erneut, wie religiöse und rechtslastige Fundamentalisten aller Couleur, dass Homosexuelle wieder „psychologisch  und affektiv gesund“ werden sollten. Homosexualität also als Krankheit: Man glaubt zu träumen, wie ungebildet sind eigentlich diese geistlichen Herren im Vatikan? Der Papst empfiehlt eine tief schürfende Analyse der Priesterkandidaten hinsichtlich ihrer Homosexualität. Dabei, so wörtlich, „sollte man auf die erfahrene Stimme DER Kirche hören“. Seit wann hat DIE Kirche (also die Hierarchie ist immer gemeint, wenn von DIE Kirche die Rede ist) auch nur die geringste Ahnung von dem, was Sexualitäten heute betrifft? Was weiß DIE Kirche von Gender, von Feminismus, von sexueller (normaler) Vielfalt? Der Text des Papstes ist ja der beste Beleg fürs Nichtwissen. Der Papst gibt zu, dass Bischöfe aufgrund mangelnder Kenntnis völlig irritiert sind, wenn sich in ihrem  Klerus Priester als homosexuell zeigen. Ja, ja, so muss der Papst eingestehen, „auch im Ordensleben gibt es keinen Mangel an Fällen“. Mit „Fällen“ meint der oberste Hirte der Kirche homosexuelle Menschen. Sie sind „Fälle“! Die Verwendung dieses Wortes auf Menschen nannte man nach der Nazi –Zeit die „Sprache des Unmenschen“, aber das am Rande. Selbst wenn dem Papst ein Ordensoberer sagt, es gebe halt eine Zuneigung zwischen Männern, hält der Papst dies, so wörtlich, für einen Fehler. Der Papst denkt wohl: Priester sind bessere Maschinen, die ohne jede noch so leise Form von Erotik, von Nähe und Freundschaft auskommen müssen. Der Papst und die oberste Clique im Vatikan wollen also Priester als neutrale Wesen, als Funktionäre. Der Papst ist verlogen: Er verschweigt, dass viele heterosexuelle Priester ja doch auch Erotik erleben und Kinder zeugen, die sie meistens dann verbergen und verleugnen, die Alimente zahlt der Bischof oder die Ordensleitung. Das sind beträchtliche Summen an Kirchensteuern etwa… An die verstoßenen Frauen und an die Kinder, die ihren Vater nicht kennen, nicht nennen dürfen, denken die wenigsten hohen Klerus-Funktionäre. Sie zahlen ja, das ist alles. Das System bleibt erhalten… Ein regelrechter Hass auf Homosexuelle zeigt sich erneut in der römischen Kirche bis hinauf zu diesem Papst, den einige einst noch für akzeptabel aufgeschlossen hielten, bloß weil er ein paar linke Thesen zur Ökonomie unters Volk brachte oder Obdachlosen die Füße wusch oder Erzbischof Romero heilig gesprochen hat. Nun zeigt Papst Franziskus, dass er ins reaktionäre Lager abgerutscht ist. Vielleicht aus Angst vor den machtvollen, noch „reaktionäreren“ Prälaten in der päpstlichen Kurie… Mal sehen, was er alles verbreiten wird beim Weltjugendtreffen in Panama im Januar 2019. Kondome werden bestimmt nicht offiziell verteilt, und es wird das ungeborene Leben erneut aufs höchste verteidigt und nicht das geborene Leben im Elend und der Gewalt Zentralamerikas. Dass der unsägliche Machismus auch gewalttätig, tötend, anti—schwul ist, weiß jeder Gebildete. Wird es einen päpstlichen, kirchlichen Aufstand in Panama geben gegen den Machismus – Wahn? Wohl kaum, denn dann müsste die Kirche die Frauen endlich absolut gleichberechtigt und gleichwürdig behandeln, also etwa zum Priesteramt zulassen… Noch einmal: Der Papst schießt sich erneut auf die Homosexuellen ein, weil dies wohl auch eine Besänftigungsgeste ist bei den, sorry, völlig reaktionären Kardinälen, die so dumm sind und nicht wissen: Wer sich als Schwulen-Hasser etabliert, ist selbst schwul. Das wissen allmählich schon die Oberschüler.

Der Papst empfiehlt also dringend, wie einst schon der Ratzinger – Papst, Männer mit homosexueller Neigung nicht in den Dienst des Priestertums oder der Orden aufzunehmen. Wird diese Weisung befolgt, sind die Priesterseminare und Ordenshäuser bald völlig leer oder nur bewohnt von Lügnern, die als Schwule ihre tiefe Zuneigung zu Frauen bekennen müssen (auch diese Zuneigung dürfen sie dann ja auch nicht ausleben). Die römische Kirche ist eine Kirche, die es sich erlaubt, sich auf Jesus zu berufen, auf den Mann, den Liebhaber, den Freund (etwa zum Lieblingsjünger Johannes), die aber Liebe als erotische Liebe für ihre Priester und Ordensleute verbietet. Kann man sich etwas Unmenschlicheres in dieser Welt vorstellen: Du darfst nicht lieben als oberstes Gebot für Seelsorger! Die römische Kirche sollte sich vom Zölibat befreien. Das wurde millionenfach seit Jahrhunderten gesagt von klugen Theologen und klugen Psychologen. Sie sollte sich der Wissenschaft und den Lebenserfahrungen reflektierter Menschen anschließen und lehren: Homosexualität ist eine ganz normale Variante menschlicher Sexualität. Basta! Und die Bischöfe und der Papst sollten die Gemeinden befragen, ob sie denn so furchtbar leiden unter homosexuellen Priestern. Wahrscheinlich ist dies eher nicht der Fall. Ich kannte –als ehemaliges Mitglied eines Ordens-  tatsächlich sehr viele homosexuelle Priester und Ordensleute, sehr viele, die waren und sind wahrlich alles andere als Ungeheuer. Die Gemeinden leiden wohl mehr unter der Raffgier und den Machtgelüsten heterosexueller Priester und Bischöfe.

Der Papst betreibt Homophobie. Und diese ist eine Form des Rassismus. Der Vatikan setzt die Politik des § 175 fort. Es könnte die Zeit sehr bald kommen, wo etwa katholische Homosexuelle, die dermaßen diskriminiert werden von Papst und Co., zahllose Namen nennen von homosexuellen Priestern und Ordensleuten und Bischöfen und Päpsten, so dass deutlich wird: Eigentlich ist dieser Klerus immer schon schwul gewesen, er hat sich nur selbst gehasst,  weil er der offiziellen unmenschlichen Kirchen – Ideologie/Moral dann doch entsprochen hat. Und, dies sehen wir heute: Weite Kreise des Klerus sind wegen dieser Unterwürfigkeit seelisch krank geworden. Kranke Priester sind also die Seelsorger der Gemeinden… Quelle: https://www.aciprensa.com/noticias/papa-francisco-un-homosexual-no-puede-ser-sacerdote-ni-consagrado-89755 Papa Francisco. La fuerzade la vocación. La vida consagrada hoy. Una conversación con Fernando Prado( Publicaciones Claretianas)

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Was tun? Ein philosophischer Salon über den Mut, diese schwierige Tugend.

Der nächste religionsphilosophische Salon findet am Freitag, den 15. September 2017 um 19 Uhr in der Galerie Fantom in der Hektorstr. 9 in Berlin-Wimersdorf statt.

Angesichts der allgemein erfahrenen Hilflosigkeit gerade auf dem politischem Feld stellt sich die Frage: Was können wir (noch) tun? Diese Frage wird zu einer Reflexion über die schwierige (politische) Tugend, den MUT. Wir werden uns austauschen und dabei u.a. die Bücher “Was tun ?” des französischen Philosophen Jean Luc Nancy im Hintergrund  mit bedenken (das Buch erschien im Diaphanes Verlag) und der deutschen Philosophin Hilal Sezgim “Nichtstun ist keine Lösung” (Dumont Verlag). Es geht also um mehr Klarheit zu dem Thema: Was tun wir notgedrungen immer schon? Was können wir in unserem gemeinsamen Tun so verändern, dass noch (politische) Verbesserungen in der allgemeinen Misere möglich sind. Aber was wären die Maßstäbe für ein neues, besseres gemeinsames Tun? Und warum tun wir in der Hinsicht so wenig gemeinsam? Fehlt uns der Mut? Es ist so gar ein Zeichen für die gelebte Tugend Mut, in dem Zusammenhang auch über (eigene, gemeinsame) Faulheit, Trägheit, Ausreden, Resignation nachzudenken?  Lassen wir es zu, dass uns die “miesen Verhältnisse” unsere Lebendigkeit abtöten?

Herzliche Einladung. Für die Raummiete bitte ich um einen Beitrag von 5 Euro.

Anmeldundungen sind erwünscht an: christian.modehn@berlin.de

Die Neue Rechte – ein europäisches Phänomen

Dieser Beitrag von Christian Modehn, Berlin, wurde in der Zeitschrift ORIENTIERUNG (Zürich) im Jahr 1982 publiziert. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in Frankreich, besonders angesichts der Europa Wahlen 2014 mit dem überraschenden Erfolg der rechtsextremen Partei Front National, haben einige LeserInnen gebeten, diesen Text von 1982 noch einmal zugänglich zu machen. Er zeigt einige Hintergründe zur heutigen Entwicklung in Frankreich – aber nicht nur dort – auf.

Zur Erinnerung:

Der rechtsradikale “Front National” (FN) hat bei der Europa-Wahl 2014  25 Prozent der Stimmen erhalten und trat damit als “stärkste Partei” hervor. Marine Le Pen, die Tochter des langjährigen FN Führers Jean-Marie Le Pen, will die Partei zu einer “normalen Partei” machen. Diese “Normalität” scheint ihr durchaus gelungen zu sein, auch wenn aktuelle antisemitische Äußerungen ihres Vaters immer wieder für tiefe Irritationen sorgen. Immerhin haben 25 Prozent der Katholiken Frankreichs den FN 2014 gewählt. Die  Warnungen von offizieller kirchlicher Seite vor dem FN (vgl. etwa das Buch “Extreme Droite, Pourquoi les chrétiens ne peuvent pas se taire”, von Etienne Pinte und Jacques Turck, Paris 2012)  haben wenig Wirkungen erzielt. Die zahlreichen Demonstrationen gegen die gesetzliche Freigabe der “Homo-Ehe” 2013 wurden von vielen Bischöfen direkt auch persönlich unterstützt; unter den Demonstranten waren zahlreiche extrem-konservative Kreise aus dem weiten Umfeld des FN dabei. Diese offensichtliche, demonstrative “Melange” von Katholisch (bischöflich) und rechtsradikal hat sicher auch ihre Wirkungen gehabt beim Wahlerfolg des FN 2014. Der FN konnte als Partei der “Ordentlichen”, der “Moralischen”, auftreten. Was gibt es für größere Werte in einem konservativen katholischen Milieu, in dem Gehorsam mehr gilt als Freiheit und Selbstbestimmung.

Marine Le Pen betrachtet das Wahljahr 2014 ohnehin als “année strategique” (siehe dazu die neue umfassende Studie von Valérie Igounet, “Le Front National”, Editions du Seuil, Paris 2014, Seite 438).  2015 wird es Regionalwahlen geben, zwei Jahre später die Präsidentschaftswahlen. Merkwürdig bleibt, dass die Studie von Valérie Igounet nicht die Beziehungen zwischen Putin und Marine Le Pens FN erwähnt…

Der folgende, weiter unten publizierte Beitrag zeigt, wie seit Ende der neunzehnhundertsiebziger Jahre ein geistiges, “kulturelles” und religiöses Milieu geschaffen wurde, das den Aufstieg des FN förderte und begünstigte. Die Vordenker der “Neuen Rechte” in Frankreich hatten klar erkannt: Zuerst kommt die Veränderung des Bewusstseins, des Wissens, der Normen, dann folgt die diesen Normen entsprechende Politik. In meinem Buch “Religion in Frankreich” (Gütersloh 1993) habe ich auf den Seiten 120 ff. auf die innige geistig-politische Verbindung der katholischen Traditionalisten um den schismatischen  Erzbischof Marcel Lefèbvre und dem FN hingewiesen und darin erinnert, dass z.B. über viele Jahre vor dem Haupteingang der traditionalistischenHauptkirche Saint Nicolas du Chadonnet die Blätter des FN gern verkauft werden. Auch traditionalistische Klöster waren und sind Hochburgen der FN Fans, man denke etwa an die Abtei St. Madelaine in Le Barroux bei Avignon unter dem Abt Gérard Calvet.

Jean-Marie Le Pen hat immer wieder mit den Traditionalisten Messen gefeiert, etwa aus Anlass der Jeanne d Arc Feste. Bei den katholischen Traditionalisten fühlte sich der FN Chef (eigentlich gar nicht so fromm, wie er sagte) wohl, hat doch Monsignore Lefèbvre z.B. ausdrücklich den chilenischen Diktator Pinochet gelobt. “Katholisch und rechtsextrem hat sich in Frankreich schon seit der Revolution von 1789 gut gereimt” (S 122 in “Religion in Frankreich”). Auf die heutigen Beziehungen der katholischen Traditionalisten und Marine Le Pens Partei FN wird ein eigener Beitrag folgen.

Christian Modehn

Nachtrag am 1. 9. 2014: In dem neuen Buch der Philosophin Barbara Muraca “Gut leben”, Wagenbach Verlag 2014, Seite 64 ff. wird auf jüngere Aktivitäten von Alain de Benoist, einem der Chefdenker der nouvelle droite hingewiesen. De Benoist präsentiert sich jetzt als Öko-Aktivist, der für eine Welt mit weniger Wachstum eintritt. “Es geht ihm darum, rechtspopulistische Inhalte indirekt zu formulieren und zu tarnen, so dass sie nicht als direkte (sehr rechtslastige  CM) Botschaften erkannt werden und keinen unmittelbaren Widerstand hervorrufen” (S. 64). Erinnert wird etwa an Bioregionalisms und eine heidnische germanische Naturfrömmigkeit (S. 66) ….

Jetzt folgen die Beiträge aus der ORIENTIERUNG 1982:

1a
02
02
02
02
02
f6
f6
f6
f6
f6


02
02
02
02
02
02
f7
f8
f9
f10
f11
f12


Mit Kant heute philosophieren

In der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM erschien am 21. 9. 2012 ein Beitrag zur Aktualität Immanuel Kants, der Artikel ist ein Versuch, mit erzählerischen, fiktiven Formen das Interesse an seiner Philosophie zu beleben. Von der Form her ähnliche Beiträge habe ich zu Montaigne, Hegel, Schleiermacher und Heidegger verfasst.

Die Zitate der genannten Gäste im Haus Kants sind selbstverständlich authentisch. Christian Modehn

„Lass dich nicht bevormunden“

Tischgespräche im Hause Immanuel Kant

Von Christian Modehn

Fast ein Idyll, das Haus Immanuel Kants in Königsberg, am Prinzessinplatz, mitten in der Stadt, gelegen und doch von Gärten umgeben. Die Gäste erwarten den Hausherrn im „Besucherzimmer“. Immanuel Kant betritt den Raum, klein von Gestalt und wie immer fein gekleidet. Trotz seiner 70 Jahre ist er gesundheitlich auf der Höhe. Er begrüßt die Gäste seiner heutigen Tischrunde: die Philosophen Michael Bongardt, Jean Greisch und Herbert Schnädelbach. Mehrmals in der Woche nimmt sich Kant drei Stunden Zeit, mit einer kleinen Gesellschaft zu speisen und geistvoll zu plaudern. „Ist meine Philosophie aktuell?“, mit der Frage hatte Kant die Gäste eingeladen – zu einer Art Denk -Essen, „aber bitte, wie immer gemächlich, ich bin ein Anhänger der slow –food- Bewegung“.

„Es lohnt sich, ein Vergnügen zu kultivieren, das täglich genossen werden kann“. Mit diesen Worten bittet nun Kant seine Gäste in den Speiseraum im ersten Stock Es gibt sein Lieblingsgericht, Kabeljau in Senfsauce. Wie alle anderen Räume ist auch der Speisesaal von schlichter Einfachheit, ein großer Spiegel ist die einzige Zierde. Die Wände sind weiß gestrichen; nüchterne Klarheit schätzt Kant über alles. „Natürlich ist das Essen auch eine Pflicht. Aber auch unsere Lust der Sinne wird beim Essen angesprochen. Ich interessiere mich immer für neue Rezepte. Meinen geliebten Senf rühre ich ja bekanntlich selbst an. Mein Freund Theodor von Hippel hat kürzlich vorgeschlagen, ich sollte eine =Kritik der Koch -Kunst= schreiben, aber dazu fehlt mir die Zeit. Wichtiger ist: Philosophie kann niemals Rezepte verteilen. Sie bietet Orientierung, sie zeigt, wie mit der Anstrengung von Verstand und Vernunft ethisch wertvolles Leben möglich ist“.

Aber Philosophieren sollte nicht in Stress ausarten, entgegnet Jean Greisch, er ist eigens vom „Institut Catholique“ aus Paris angereist: „Für mich ist das Denken keine Arbeit. Es ist auch eine Lust zu denken, mehr noch: Philosophie kann Lebenslust sein“. Jean Greisch ist ein katholischer Philosoph, während ein anderer Gast, der Philosoph Herbert Schnädelbach, dem Atheismus zuneigt. Er führt den Gedanken gleich weiter: „Ich verstehe die Philosophie immer als eine Kultur der Nachdenklichkeit. Das bedeutet: Seinen Gedanken noch einmal nachzudenken, zu reflektieren. Und das können alle Menschen bei Kant wirklich lernen“.

Der Gastgeber hebt sein Glas, eine Aufforderung, den Sylvaner zu probieren. Der alt bewährte Diener Lampe, stets im Hintergrund, reicht das Gemüse. Seit vielen Jahren kümmert sich der ehemalige Soldat Martin Lampe um das Wohlbefinden des berühmten Königsberger Professors. Er weckt ihn morgens um 5 immer energisch, denn die Vorlesungen beginnen immer schon um 7 Uhr früh. Bei bester Laune kommt jetzt Kant ins Plaudern. Auf eine oft gestellte Frage will er lieber gleich selbst eingehen: „Warum bin ich Junggeselle geblieben? Als ich eine Frau habe brauchen können, habe ich als junger Mann keine Frau ernähren können. Und als ich sie später ernähren konnte, da habe ich keine Frau mehr gebraucht“. Mit leichtem Witz kann Kant über seine eigenen Begrenztheiten sprechen. Ihn habe halt die Liebe zur Philosophie völlig in Anspruch genommen, denken die Gäste und schmunzeln. Und gleich ist Kant wieder bei seiner Sache: „Ein Mensch ist erst dann erwachsen, wenn er einer Maxime, einer Art Regel fürs Leben, folgt“, sagt er, während die Gäste den Kabeljau probieren. „Diese Maxime heißt: Bemühe dich, jederzeit selbständig zu denken. Das ist der Sinn philosophischer Aufklärung. Luther und die Reformatoren haben das Selber – Lesen der Bibel propagiert. Ich sehe im Selber – Denken die Voraussetzung für menschliches Leben. Das Kriterium für gut und böse liegt in unserer Vernunft selbst. Was wahr und falsch ist, darf uns niemand einreden“.

Die Gäste haben es schon geahnt: Das gemeinsame Essen wird tatsächlich zu einer Art Arbeitssitzung. Oft verbietet sich ja Kant allerdings das Philosophieren bei Tisch, dann hört er sich lieber von Weltenbummlern die Berichte aus fernen Ländern an, will wissen, wie Menschen etwa in London oder Rom leben. Schließlich hat er ja seine Heimatstadt nie verlassen. Durch ausführliche Korrespondenz ist er bestens auf dem Laufenden, leidenschaftlich verteidigt er die Französische Revolution, Willkürherrschaft in Staat und Kirche ist ihm ein Graus. Er denkt demokratisch.

Aus einem Regal holt sich Kant sein Buch „Grundlegung der Metaphysik der Sitten“. „Nur eine Zeile möchte ich vorlesen: Es soll nicht sein, dass Menschen ihre Ziele nach eigener Laune auf Kosten anderer durchsetzen. Ethische Imperative sollen unbedingt für alle Menschen gelten“.

Michael Bongardt, Professor für Ethik an der Freien Universität Berlin, findet dieses Thema gerade in der multikulturellen Gesellschaft sehr wichtig: „Im Sinne Kants kann man nicht behaupten: Diese moralische Regel hat Gott gesetzt. Denn ein göttliches Gebot können wir Menschen ohnehin nicht „als göttlich“ erkennen. Wer kann uns mit Sicherheit sagen, dass ein Gebot von Gott kommt und nicht von Menschen erfunden wurde, die dann nur behaupten: Es stamme von Gott. Aber Kant lehrt sehr selbstbewusst: Auch wenn es ein göttliches Gebot wäre, so wären wir doch immer verpflichtet, nur das zu tun, was wir selber kraft eigener Vernunft für gut halten“. Kant blickt in die Runde, seine Augen strahlen: „Treffender hätte ich es auch nicht sagen können. Jeder einzelne kann in sich selbst entdecken, was gut ist und was es bedeutet, frei zu handeln. Dabei bleibt es“.

Die Gäste gönnen sich ein Schluck Weißwein. Aus dem fernen Frankreich lässt sich Kant den Wein liefern, Königsberg liegt zwar am Rande, ist aber doch eine kleine Metropole.

Nach einer Pause sagt Herbert Schnädelbach: „Aber wie gehen Menschen mit ihrer Freiheit um? Haben sie in ihrer Vernunft selbst ein Kriterium für das, was gut oder böse ist? Ich will an die wohl berühmteste Formulierung Kants erinnern, den „Kategorischen Imperativ“, der ja in mehreren Formulierungen vorliegt. „Handle so, dass die Maxime deines Willens, also dein persönlicher Lebensentwurf, jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. Das bedeutet auch: Niemals darf ein anderer Mensch für mich bloß ein Mittel, bloß ein Gegenstand meiner Interessen sein. Jeder Mensch ist absolut wertvoll. Er ist „Selbstzweck“. Kant fällt ihm ins Wort: „Jeder Mensch hat also immer ein Kriterium zur Verfügung, um die ethische Qualität seiner Handlungen beurteilen zu können. Kein Mensch darf wie eine Sache behandelt werden, Menschen als eine Ware zu betrachten, hat keinerlei ethische Rechtfertigung. Welche Wirtschaftsordnung ist dann noch gerechtfertigt? In meiner Philosophie steckt kritisches Potential“, betont Kant.

Dann wird der Gastgeber beinahe wütend: Die ethische Ausbildung in den Schulen sollte an erster Stelle stehen, erst dann kommt alles andere, auch die Religion. Aber wer der Vernunft in seinem Denken und Handeln folgt, muss sich auch auf rigoros erscheinende Einsichten einlassen. Er muss z.B. anerkennen: Niemals darf ein Mensch getötet werden. “Denn vernünftige Wesen wünschen sich immer, dass ihre Vernunft lebendig und aktiv ist. Wer sich und andere tötet, tötet die Vernunft. Zudem darf ich nicht über andere verfügen und sie töten. Jedes Vernunftwesen hat ein Recht darauf, zu leben“. Schwieriger ist eine andere Frage: Kann es ethisch erlaubt sein, gelegentlich zu lügen? „Ich denke: Wenn das so wäre, dann zerstört man letztlich die menschliche Gesellschaft“, sagt Kant sehr bestimmt, „niemand weiß dann noch, was grundsätzlich für alle gilt. Die Lüge vergiftet das Miteinander. Darum bin ich für das absolute Verbot zu lügen“.

„Aber kann dieses Verbot immer und überall gelten?“, wirft Herbert Schnädelbach in die Runde. „Man stelle sich die Situation vor: Ich verstecke jemanden in einer Diktatur vor der Geheimpolizei und ich werde gefragt: Ist der bei dir? Dann darf ich nach Kant nicht lügen. Sage ich die Wahrheit, gefährde ich das Leben des Oppositionellen und mein eigenes. Also es bleibt gar nichts übrig, dass ich in diesem Dilemma die Urteilskraft brauche. Ich muss dann fragen: Was ist der höhere Wert, was ist die größere Schuld. Das muss man abwägen. Und dafür gibt es keine Regeln“. Gelegentlich sollte man sich doch zugunsten des kleineren Übels entscheiden, Kant muss stillschweigend hier eine Grenze seines Denkens anerkennen.

Der Diener Lampe unterbricht die Debatte, die Gäste sollten doch bitte den nächsten Wein, einen Riesling, nicht vergessen. Aber die kleine Pause dauert nicht lange: „Liebe Gäste“, sagt nun Kant, „vergessen sie nicht: Der kategorische Imperativ hat auch eine politische Bedeutung: Meine Freiheit darf die Freiheit des anderen also nicht beschädigen, ich muss denjenigen Menschen in seiner Freiheit behindern, wenn er seine eigene Freiheit nur dazu benutzt, die Freiheit anderer einzuschränken“.

Kant hat sich erhoben. Er greift zu einem Buch, auf das er besonders stolz ist, es heißt: „Zum ewigen Frieden“. „Darin schreibe ich: In unserer politischen Arbeit sollen wir den universalen Frieden, den Weltfrieden, als Projekt anstreben. Denn was nützt es, wenn nur ein friedlicher Staat von lauter Kriegstreibern umgeben ist. Es ist ein langer Weg zum Weltfrieden, aber er ist ethisch geboten. Ich kritisiere die räuberische Außenpolitik, früher sprach man von Kolonialpolitik. Es gibt Staaten, die herrschsüchtig und für den Frieden verderblich sind. Es darf kein stehendes Heer mehr geben, denn das führt nur zum Wettrüsten“. Ob man Kant einen Friedensaktivisten nennen könne, fragen die Gäste. Kant antwortet lapidar: „Na klar“! „ Diese Vorstellung, Frieden für alle zu schaffen, wird übrigens auch von der Bibel unterstützt“, meint Michael Bongardt.

Die Gäste lassen sich gleich von dem Stichwort inspirieren und wollen ausführlicher über die Bedeutung der Religionen sprechen. Kant ist als Philosoph ein entschiedener Kirchenkritiker. Wie viele Feindseligkeiten der Rechtgläubigen musste er schon deswegen ertragen. „Aber es ist einfach falsch, wenn so viele Dummköpfe behaupten, ich sei ein „Zerstörer des Glaubens“, meint er. „Ich finde es von meiner Moralphilosophie her sogar notwendig, im Denken das Dasein Gottes anzunehmen. Gottes Existenz können wir aber nicht wissenschaftlich demonstrieren, weil ja Gott nicht als ein greifbarer Gegenstand erfahren werden kann“.

Jean Greisch will diese Aussage noch vertiefen: „Gott ist für Kant kein Erfahrungsgegenstand. Aber das bedeutet keinesfalls, dass der Gottesbegriff selbst sinnlos wäre. Man kann sagen: Das Unbedingte ist unbegreiflich. Wenn du Gott begreifen könntest, dann kannst du sicher sein, das kann nicht Gott sein, das sagt doch auch der heilige Augustinus“.

Die Runde ist von einer Stimmung erfasst, die man im Hause Kants manchmal „philosophische Begeisterung“ genannt hat. Der Gastgeber ruft dazwischen: „Wer sagt, dass Gott sicher existiere, der sagt mehr, als er wirklich weiß. Und wer das Gegenteil sagt, Gott existiere sicher nicht, der sagt ebenso mehr als er weiß. Niemand weiß genau und exakt, ob Gott existiert. Wir erreichen nur das göttliche Geheimnis“.

Herbert Schnädelbach greift diese Erkenntnis noch einmal auf: „Was die gelebte Religion betrifft, da hat Kant ja in seiner Religionsschrift gezeigt: Alles, was wir tun können, um gottgefällig zu sein, ist nur eines: Moralisch zu leben. Alles andere ist Abgötterei und Aberglaube“.

„Ist meine Überzeugung nicht modern, hilfreich im Kampf gegen den Fundamentalismus?“, fragt Kant durchaus rhetorisch. „Religiöse Praxis bedeutet für den einzelnen nichts anderes als die Anerkennung vernünftiger moralischer Pflichten. Nur dies will Gott von uns. So werden dogmatische Ansprüche begrenzt. Darum habe ich kein Verständnis für Konfessionen und Kirchen, wenn sie die Menschenrechte nicht respektieren und nur halbherzig die Demokratie unterstützen…“

Jean Greisch findet Kants Verständnis von Religion doch zu eng: „Religion ist nicht nur ethisch gutes Handeln, sie hat auch noch andere Komponenten, wie das Fest, die Feier, den Kult. Ich meine: Religion ist eine eigenständige Provinz im menschlichen Gemüt“. Dennoch bleibe Kants Religionskritik auch für Katholiken wertvoll, meint der Professor aus Paris. „Aberglaube, Fanatismus, Wundergläubigkeit: Die muss man tatsächlich unter Kontrolle halten. Ich glaube, da hat er recht. Und ich glaube, in dieser Beziehung müssen wir auch als Philosophen einen kritischen Blick für die institutionellen Organisationsformen der einzelnen Religionsgemeinschaften haben“.

Kant freut sich, dass die Grundidee seiner Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie immer noch respektiert wird. Und mit einem Seufzer fügt er hinzu: Genauso wichtig sei noch etwas ganz anderes: „Das Reich Gottes auf Erden ist die letzte Bestimmung des Menschen. Christus hat das Reich Gottes verkündet. Aber man hat ihn nicht verstanden und statt dessen das Reich der Priester und der Kirche errichtet und nicht das Reich Gottes, das in uns selbst, in Seele und Vernunft, zu finden ist“.

Von Ferne sind Stimmen zu hören, Studenten eilen zur Universität. Hier hat Kant viele Jahre bis zu 20 Vorlesungen wöchentlich gehalten, meist am Vormittag. Auch noch mit 70 Jahren, gönnt er sich täglich pünktlich um 4 Uhr seinen Spaziergang. Die Leute in Königsberg warten förmlich darauf, dass er seine „Runden zieht“.

Die Gäste müssen also aufbrechen. Herbert Schnädelbach wendet sich an Kant: „Ihre Philosophie ist ein inständiges Nachforschen mit dem Versuch, alle möglichen Argumente, die da mit im Spiel sind, zu berücksichtigen. Das ist irgendwie doch faszinierend, muss ich sagen“.

Der Gastgeber will noch ein gutes Wort mit auf den Weg geben: „Was mir am wichtigsten ist: Pflegen wir einen gesunden Verstand, bewahren wir uns ein fröhliches Herz und einen freien, selbst bestimmten Willen“. Und mit einem leichten Seufzer fügt er hinzu: „Nur mit kleinen Schritten folgt die Menschheit den Weisungen der Vernunft. Schließlich leben wir noch nicht in einer vernünftigen Welt, es gibt noch viel zu kritisieren und vernünftiger zu machen…“

…..Ganz kurz zur Person:

Immanuel Kant wurde 1724 in Königsberg geboren. Seine Hauptschriften sind „Kritik der reinen Vernunft“, Kritik der praktischen Vernunft“ und „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen vernunft“. In seinem Haus trafen sich regelmäßig Menschen aus ganz Europa. Der Meisterdenker hat seine Heimatstadt bis zu seinem Tod 1804 nur einmal – für einen kleinen Ausflug – verlassen. Darüber gibt es keine Zweifel: Kant lebt (mit seinem Denken) weiter. Die Geschichte der Philosophie lässt sich in „vor Kant“ und „nach Kant einteilen.

copyright: Christian Modehn

 

 

 

 

 

 

Simone Weil

  • Simone Weil, französische Philosophin, wurde am 3. Februar 1909 in Paris geboren.
  • Nach ihrem Philosophiestudium hat sich Simone Weil leidenschaftlich für die Probleme der Menschen „ganz unten“, am Rande der Gesellschaft, eingesetzt. Sie hat in der Fabrik gearbeitet, gleichzeitig aber auch eine spirituelle Vertiefung gesucht. Sie hat Orientierung in Klöstern gesucht und intensive Gespräche mit dem Dominikaner Pater Perrin in Marseille geführt.
  • Sie war am Widerstand gegen die Nazis beteiligt, von London aus wollte sie die Alliierten unterstützen. Im August 1943 ist sie in der englischen Hauptstadt gestorben, ausgezehrt von ihrem Einsatz. An Simone Weil erinnern sich gerade heute viele Franzosen: Sie ist sympathisch, weil sie ihre Suche nach Gott nie abgeschlossen hat, auch wenn sie nach einem Gottesdienst im Benediktiner Kloster Solesme bekannte:
    „Christus ist selbst zu mir herabgestiegen und hat mich gepackt“.
    Aber den Weg zur Taufe und damit zur vollen Kirchenmitgliedschaft fand sie nicht: Sie bliebt „auf der Schwelle stehen“, wie sie sagte, sie konnte die Kirche als Organisation und Institution nicht akzeptieren. Die philosophische Freiheit war ihr wichtiger. So blieb sie zwischen zweifelndem Unglauben und der inniger Verbundenheit mit Christus. Sie wollte vor allem im praktischen Dienst am Nächsten ihre Spiritualität leben. „Die Katholische Kirche sollte so weit und offen sein, dass sie Menschen wie mich, sozusagen dem Geiste nach aufnimmt, auch wenn ich de facto nicht dazugehöre. Denn Katholizismus bedeutet doch eigentlich eine ganz große Offenheit und Weite.