Die Theologie Augustins überwinden.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 10.6.2025.

Wir haben mit der Wahl eines Augustiners (“Sohn des heiligen Augustinus”, Selbstbezeichnung Leo XIV.) zum Papst eher Schlimmes befürchtet: Dies ist die ständige Bezugnahme auf den heiligen Augustinus, er lebte im 4. und 5. Jahrhundert. Ein moderner Heiliger? Garantiert nicht. Lassen wir ihn ruhen.  Aber leider bestätigt sich diese unsere Prognose der Augustinus Zitiererei durch den Papst  fast ständig: Den Kandidaten für Priesteramt (“Seminaristen”) empfahl Leo XIV., sich an Sprüche Augustins  zu halten und vor allem den Zölibat hochzuschätzen. Mit etwas Anstrengung sei der Zölibat doch zu leben, sagte er den 20 -25 Jahre jungen Männern, darf man das theologisch und psychologisch naiv nennen? Natürlich. LINK:

Und auch die am 25. 6. versammelten Bischöfen ermahnte er, “Vorbild” zu sein. LINK

Immer wieder wird Augustin zitiert von Papst Leo XIV.: Der Journalist und Vatikan – Spezialist der angesehenen katholischen Tageszeitung LA CROIX (Paris), Mikael Corre,  schreibt am 14.6.2025 zusammenfassend über die Form der Argumente von Papst Leo XIV.: Er hielt einen Vortrag für Priester, Mikale Corre berichtet.: Leo XIV. beendet sein Statement für die Priester, indem er den heiligen Augustinus zitiert, wie er es in fast allen seinen Ansprachen tut: Papst Leo zitierte also Augustin: “Liebt diese Kirche, bleibt in dieser Kirche, seid diese Kirche. Liebt den Guten Hirten, den sehr schönen Gatten (sic), der keine Person täuscht und nur will, dass keine Person untergeht…” (Le 12 juin, Léon XIV terminait son adresse aux prêtres en citant saint Augustin (Sermons 138, 10), comme il le fait dans presque tous ses discours. « Aimez cette Église, restez dans cette Église, soyez cette Église. Aimez le bon Pasteur, l’Époux très beau, qui ne trompe personne et ne veut que personne ne périsse…”). LINK

Wie soll theologisch diese offenbar vom Papst geteilte Priesterspiritualität aus dem 4. Jahrhundert bewertet werden? In jedem Fall ist sie nicht auf der Höhe der Theologie von heute… Nach einer Abschaffung des sinnlosen Zölibatsgesetzes klingen seine Worte jedenfalls  nicht…Wir haben unsere Meinung schon früher mitgeteilt: Zu den “Progressivsten” zählen die dem Denken des heiligen Augustin verpflichteten Theologen, also auch die Augustiner, bekanntermaßen nicht. Wegweisende moderne Theologen gehören eher anderen Orden an. Ob auch der Augustiner Papst Leo XIV. zu den eher behutsamen, durchaus das übliche Katholische unbedingt bewahrenden, auf Ausgleich und “Einheit” bedachten Augustinern gehört, ist wahrscheinlich…

Nebenbei: Kann ein Papst dieser Kirche überhaupt progressiv sein? Erst dann, wenn er selbst das Papsttum abschafft. Das könnte zumal ein Papst, dessen Mitbruder im Augustinerorden Martin Luther ist! Aber von Martin Luther hat Leo XIV. bisher nicht einmal gesprochen…

Ein Vorwort zu unserem Hinweis, einer “Provokation”: 
Heute sollten sich Christen und TheologInnen mit der Theologie des Augustinus befassen, um die Grenzen und Begrenztheiten des Theologen Augustin zu erkennen und sich auch von den Verirrungen seiner Theologie zu befreien. Augustinus mag ja einige allgemeine humane Weisheiten etwa in seinen „Confessiones“ geschrieben und etwa über die Zeit treffend philosophiert haben: Aber einzelne populäre Weisheiten wie: „Unruhig ist unser Herz, bis ruht in dir o Gott“ (das heißt: „Ruhe gibt es auf Erden nicht, auch nicht durch die Philosophie, auch nicht durch den Glauben“) bestimmen nicht das Gesamtwerk.
Dabei sind wir uns der Allmacht der Theologie Augustins bis heute bewusst, etwa auch im offiziellen „Katechismus der Katholischen Kirche“ (Vatikanstadt 1993): Dort wird Augustinus in 88 Paragraphen zitiert, häufiger als Thomas von Aquin… Nebenbei: Aus dem 20.Jahrhundert wird niemand zitiert, aus dem 19. Jahrhundert nur der Pfarrer von Ars, der zwar heiliggesprochen wurde, aber theologisch völlig ungebildet war, betonen Historiker. Der Pfarrer von Ars, Johannes Vianney, wird im Katechismus zitiert: „Der Priester setzt auf Erden das Erlösungswerk fort“…, § 1589.

Zu Augustins Aussagen über “die Frauen” siehe FUßNOTE 2.

 

Unsere Thesen:

1.
Augustinus und seine Theologie wird zweifellos im Mittelpunkt der theologischen Debatten und spirituellen Interessen der nächsten Monate und Jahre stehen: Auch eine „augustinische Bücherflut“ ist wahrscheinlich… Papst Leo XIV. ist Mitglied des Augustinerordens (OSA), er hat von Anfang an als Papst betont „Ich bin ein Sohn des heiligen Augustinus“, er spricht immer wieder in seinen Ansprachen von einigen allgemeinen Aspekten der Theologie Augustins. Und der Papst setzt sich sogar gelegentlich, im allgemeinen verbleibend, von ungewöhnlichen theologischen Aussagen Augustins ab (Fußnote 1).

2.
Es ist also Zeit, etwas näher das theologische Profil von Augustinus außerhalb von wohlwollenden Zitaten kritisch zu betrachten. Angesichts des nur riesig zu nennenden Umfangs der Schriften des Augustinus können hier selbstverständlich nur einige „Grundlinien“ seines Werkes kritisch erwähnt werden, eines Denkens, das durchaus Entwicklungen vorweist, und diese Entwicklung führt weg von großer Offenheit in jungen Jahren hin zur Strenge und Militanz im Alter als Bischof.

3.
Kurt Flasch, Philosophiehistoriker und Philosoph, Spezialist für mittelalterliches Denken, ist ein international geschätzter Kenner der Werke des Augustinus. Kurt Flaschs Studien sind deswegen wichtig, weil sie nicht kirchengebunden sind, die bekanntlich oft der „enormen Größe und Bedeutung des heiligen Augustinus“ erliegen und nur nebenbei die Grenzen seines Denkens freilegen.

4.
Kurt Flasch bietet in einigen Kapiteln seines Buch „Warum ich kein Christ bin“ aus dem Jahr 2013 ( C.H.Beck Verlag) zentrale Erkenntnisse zu wichtigen theologischen Aussagen Augustins: Die Seitenzahlen in den Zitaten hier beziehen sich auf dieses Buch. Auf die große Augustinus – Studie Kurt Flaschs „Augustin. Einführung in sein Denken“, 487 Seiten (Reclam Verlag, 1980) kommen wir später zurück, um die eher knappen Ausführungen Flaschs von 2013 zu bestätigen.

5. Zum Umgang mit der Bibel:
Augustin will in seinem Buch „De consensu evangelistorum“ („Über den Konsens der Evangelisten“) eine Harmonie der Aussagen der vier Evangelisten herausstellen. „Augustin sah die Autorität der Glaubenszeugen bedroht, wenn sie nicht mit EINER Zunge sprachen. Seine Argumentation illustriert als ihr Gegenteil die historisch – kritische Methode der Bibelauslegung.“ (S. 53). „An einer kulturell – historischen Einordnung des Bibeltextes hatte er kein Interesse.“ (Ebd.). „Augustinus konnte kein Hebräisch und kaum Griechisch verstehen“ (ebd.), er glaubte mit den Übersetzungen der Bibel ins Lateinische die Bibel kompetent auslegen zu können…

6.
Augustin war als neu-platonischer Philosoph an rationalen Begründungen des Glaubens interessiert. Aber als Begründungen, sich auf den Glauben einzulassen, waren ihm dann doch äußerliche Fakten wichtig: Etwa: Die Missionserfolge der Kirche wurden gerühmt, auch die Wunder Jesu seien ein Grund zu glauben; und die regelmäßige Abfolge der Bischöfe seit Petrus sei hoch zu respektieren. Und vor allem: „Allein seine, Augustins Kirche sei die katholische, denn selbst Häretiker nennen sie so“ (S. 64).

7.
Platon spielte in der geistigen Entwicklung Augustins eine entscheidende Rolle. Augustin lehrte: „Der Glaube an die zeitliche Offenbarung (in Jesus) ermögliche die rein geistige Einsicht. Diese bestehe in der platonisierenden Erkenntnis Gottes als dem einzig beständigen Glück der Seele“ (S. 92f.)
Wesentliches der Philosophie Platons stimme mit dem christlichen Glauben überein, meinte Augustin. Das können Christen aber erst erkennen, wenn sie von der Gnade Gottes angeleitet werden.
„Wenn die großen griechischen Philosophen noch lebten, würden sie Christen sein. Sie bräuchten an ihren Lehren nur wenige Worte zu ändern“, so fasst Kurt Flasch Augustins Überzeugung zusammen (S. 93).
Augustin übernahm also den „platonisch-universalen Theismus“ (S. 93). Platons Begriff von Gott als dem „höchsten Gut“ setzte sich dann in der Kirche durch, ebenso die platonische Überzeugung, „sinnliches Vergnügen sei der Bestimmung der Seele fürs Jenseits unterzuordnen. (S. 94). „Augustins Neu – Platonismus konzentrierte sich darauf, die Seele durch asketisches Leben zum jenseitigen Dauerglück beim rein geistigen Gott zu führen.“ (S. 94).

8.
Die radikale Lehre von der Gnade, die Gott gewährt, ist seit 396/397 für Augustin entscheidend: „Für ihn endeten nicht mehr nur alle Ungetauften im ewigen Höllenfeuer, sondern auch die Mehrheit der Christen“ (S. 87).

9.
Auf die verheerende Erbsündenlehre Augustins, haben wir schon oft hingewiesen. LINK. Mit seiner Erbsündenlehre hat Augustin das christliche Denken vergiftet und Sexualität letztlich als „Übertragungsweg“ der Erbsünde deklariert.
Kurt Flasch schreibt: „Augustinus machte aus dem Apfelbiss, den der Jesus der Evangelien nie erwähnt hatte, den Sündenfall der gesamten Menschheit und den Beginn der Teufelsherrschaft auf Erden“ (S. 196). „Augustin dachte die Erbsünde als die durch geschlechtliche Vermehrung übertragene Fortdauer der Ursünde im Paradies. Augustin ERFAND die Erbsünde, die in der Theologie vor ihm nur ein Erbschaden war, nun als wahre Schuld, als wirkliche Sünde, die auch den Neugeborenen anhafte…“ (S. 197).
Die Konsequenz: „Im Denken Augustins kommen selbst alle Getauften nicht mehr in den Himmel.“ (S. 197) Erlösung heißt dann: Der von den Sünden der Menschen erzürnte Gott (Vater) „kann allein besänftigt werden durch die Tötung seines eigenen Sohnes, des Gottesohnes, am Kreuz“ (S. 198.) Diese abstoßende Vorstellung von einem Gott, der seinen Sohn in den Tod schickt als Erlösung der Menschen wird heute noch theologisch gelehrt, hat sich aber heute de facto wohl erledigt: Gebildete Christen glauben das einfach nicht mehr…
Aber Augustinus sagt: „Wenn Gott wollte, würden alle gerettet. Aber Gott will es nicht seit Adams Sünde; er rettet aus der Masse der Sünder nur, wen er retten will. Also geht die überwiegende Mehrheit für immer verloren“ (S. 208). An dieser Stelle muss an das Fortleben dieser theologischen Ideologie etwa im Denken des Reformators Calvins erinnert werden…

10.
Kritische Hinweise zu einigen zentralen theologischen Aussagen Augustins bietet keineswegs nur Kurt Flasch. Man muss nur die ausführliche Biographie des Historikers Peter Brown (Oxford) „Augustinus von Hippo“ lesen (auf Deutsch erschienen 1982): Auch Peter Brown beschreibt den schwierigen Charakter Augustins, seine Strenge als Bischof im Kampf gegen die große Glaubensgemeinschaft der Donatisten, seinen leidenschaftlichen, polemischen Kampf gegen Andersdenkende insgesamt. Sein Kampf galt auch kompetentem gebildeten Bischöfen wie Julian von Eclanum: Er lehnte die Erbsündenlehre Augustins ab und wurde von ihm verfolgt… Die Erbsündenlehre Augustins, die Julian von Eclanum zurecht ablehnt, beschreibt Peter Browns: „Da der Geschlechtstrieb für Augustin eine permanente Strafe war, wurde er als permanente Neigung, als triebhafte Spannung dargestellt, der man widerstehen konnte, die jedoch in Tätigkeit blieb, selbst wenn sie unterdrückt wurde“ (S. 340). Und weiter: „Der Gott des Augustinus war ein Gott, der eine Kollektivstrafe für die Sünde eines Mannes (Adam) verhängt hatte“. Die Lehre des 1. Timotheus Briefes im Neuen Testament: „Gott will, dass ALLE Menschen gerettet werden“ (1 Tim. 2,4) bemühte sich „Augustin wegzuerklären… (S. 351), also beiseite zu lassen, zu ignorieren. Und angesichts der theologischen Lehren des „liberalen“, auf die Kraft der menschlichen Freiheit setzenden Theologen Pelagius wollte er seine katholische Gemeinde wie in eine Festung einsperren, um sie vor den Angriffen des Irrlehrers zu schützen.“(S. 352). Über Pelagius contra August hat Kurt Flasch in seiner Studie „Augustin. Einführung in sein Denken“ ausführlich geschrieben (S. 176 ff.): “Als der Bischof von Rom, Zosimus, den Theologen Pelagius rehabilitierte, intrigierte Augustin solange beim kaiserlichen Hof in Ravenna, bis der Kaiser intervenierte…“ Deswegen wurde Pelagius aus Rom verbannt…“ (S. 178) und seine Anhänger auf Betreiben Augustins verfolgt. Augustin gelang es mit Bestechungen die Pelagius – Freunde einzuschränken, „gegen die verbleibenden Anhänger des Pelagius mobilisierte Augustin die Staatsgewalt“ (S. 179).

11.
Man mag auch im Buch von Peter Brown einzelne Zitate und Sentenzen finden, die einen sympathischen Augustinus zeigen: Aber im ganzen war er als Bischof ein sehr polemischer Theologe in den aufgewühlten Zeiten des 4. und 5. Jahrhunderts. Und es mag ja sein, dass seine Weisungen, also seine „Regel“ zum Zusammenleben der Priester (die so genannte Ordensregel) nach wie vor allgemein gehaltene, durchaus noch inspirierende Vorschläge enthalten, aber was bleibt denn sonst noch?
Nebenbei: Dass Augustinus von seiner Herkunft her ein Afrikaner ist, wird meines Wissens oft übersehen oder vergessen. Vielleicht wäre dieser „afrikanische Augustinus“ nicht nur eine Herausforderung für die Augustinerorden (es gibt ja mehrere), etwa indem sie ihre Klöster in Europa für Flüchtlinge aus Afrika öffnen und – wie die Jesuiten – einen „Flüchtlingsdienst“ einrichten…

12.
Henri Marrou, ein „klassischer“ Augustinus- Kenner und durchaus Augustinus – Freund, schreibt über die enorme Bedeutung Augustins in den Kirchen im 17. Jahrhundert: „Er erfüllt das ganze Jahrhundert, alle zitieren, benutzen und kommentieren ihn… es wird schließlich eine Besessenheit daraus: Man wagt nicht mehr, Vorbehalt und Kritik zu äußern, der heilige Augustinus hat immer und überall recht.“ (in Rowohlts Monographie „Augustinus“ von Henri Marrou, 1984, S. 147).

13.
Hinweise von Kurt Flasch aus einem Buch „Augustin. Einführung in sein Denken“, Reclam, 1980:
Im 17. Kapitel seiner Studie spricht Flasch vom „Zwiespalt Augustins“ (S. 403 ff.). Augustin sieht „das Böse gerade bei den `guten` Taten (S. 404). „Er bestand darauf, das Höllenfeuer sei körperliches Feuer“ (S. 419). „Solche Sätze gaben dem Kirchenglauben der westlichen Christenheit eine Buchstäblichkeit und Enge, die ihn mit der (philosophischen) Aufklärung in Konflikt brachte (S. 419). Und auch dies: „Die Gewohnheiten der Gruppe (bestimmter Christen) sollte das Sprechen einzelner normieren. Vielleicht hat Augustin an keiner anderen Stelle seinen Bruch mit dem antiken Ideal freier Rede härter und folgenreicher ausgesprochen als an dieser Stelle“ ( S. 420). „Der Militärdienst wurde bei ihm unbedenklich. Augustin konnte christliches Leben und Militärdienst erbaulich in Parallele setzen“(S. 422).

14.
Papst Leo XIV. beschwört als Augustiner seit Beginn seiner Regierung ständig den Wert der EINHEIT unter den Gläubigen. Der Papst meint, Einheit sei DIE zentrale Forderung Augustins für die Kirche auch heute. Wer sich allerdings genauer anschaut, wie im einzelnen Augustin als Bischof für die Einheit unter den vielfältigen Christen in Nordafrika damals sorgte (von der großen kirchlichen Bewegung der Donatisten war schon die Rede) und seiner katholischen Kirche auch mit Druck und Zwang zum Sieg verhalf, der hat seine Zweifel an der Relevanz der augustinischen Einheits-Idee. Sie passt angesichts der Pluralität der Kulturen und Theologien nicht mehr in unsere Zeit.

15.
Die Idee einer theologischen Einheit unter den eineinhalb Milliarden Katholiken heute ist ohnehin sehr problematisch. Denn die Vielfalt der Glaubensüberzeugungen und moralischen Vorstellungen ist unter den 1,5 Milliarden Katholiken heute so unterschiedlich, dass von einer Einheit keine Rede sein kann, Einheit im Sinne von: “Wir Katholiken glauben alle das Gleiche und haben die gleichen theologischen Prinzipien etwa zur Rolle der Frauen oder der Homosexuellen in der Kirche“ . Und eine solche Einheit „Alle glauben das Gleiche und sprechen in gleichen Formeln vom Glauben“ ist nicht nur faktisch unmöglich, sondern auch theologisch nicht wünschenswert und angesichts der Vielfalt der Kulturen auch sinnlos.

16.
Über die Bedeutung der Einheitsvorstellung beim Augustiner Papst Leo XIV. wird in Zukunft noch viel debattiert und kritisiert werden, hoffentlich.

Fußnote 1:
Es ist aber beachtlich, dass der Augustinus – begeisterte Papst Leo XIV. schon am 18.Mai 2025 in seiner ersten großen, wichtigen Predigt zur Amtseinführung betonte: “Es geht niemals darum, andere durch Zwang, religiöse Propaganda oder Machtmittel zu vereinnahmen, sondern immer und ausschließlich darum, so zu lieben, wie Jesus es getan hat.“ Und der Augustiner Papst Leo XIV. machte diese Aussage noch deutlicher: „Wir sind gerufen, allen Menschen die Liebe Gottes zu bringen, damit jene Einheit Wirklichkeit wird, die die Unterschiede nicht aufhebt, sondern die persönliche Geschichte jedes Einzelnen und die soziale und religiöse Kultur jedes Volkes zur Geltung bringt.“ Das sind hoffentlich programmatische, man möchte beinahe sagen: anti – augustinische Worte. LINK https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2025-05/wortlaut-predigt-von-leo-xiv-zur-amtseinfuhrung.html
Der Augustiner Papst Leo XIV. widerspricht der höchst problematischen Weisung des Bischofs Augustinus, man solle die unwilligen Menschen auch zwingen, den Glauben anzunehmen… Augustinus bezieht sich dabei auf das Gleichnis Jesu vom großen Gastmahl (Lukas14,23). Dieses Wort Jesu ist eine Einladung fremder Gäste zu einem Festmahl, es hat aber nichts mit zwanghafter Einfügung von Ketzern in die katholische Kirche zu tun, wie Augustinus dieses Jesuswort umdeutete. Augustinus versteht es als „Aufforderung zur Gewaltanwendung und er verwendet es neben anderen Argumenten als Beleg zur Billigung von Gewaltmaßnahmen gegen Häretiker. Das von Augustinus als dem erstem, doch nicht häufig verwendete Zitat hatte für die Ketzerbekämpfung in Mittelalter und Neuzeit verheerende Wirkung.“ LINK:

Fußnote 2:

Augustins Aussagen über Frauen:

“Ist Augustin auf eine gleichrangige Bewertung beider Geschlechter bedacht, so ändert sich das Bild bei der Frage nach dem Zweck der Erschaffung eines weiblichen Partners für Adam und den daraus folgenden spezifischen Aufgaben der Frau. Augustin: „Erschaffen wurde die Frau also für den Mann, aus dem Mann, mit ihrem Geschlecht, ihrer Formung und der Verschiedenheit ihrer Organe, die das Kennzeichen der Frau sind.“ Die Hilfsfunktion der Frau erfüllt sich ausschließlich in ihrer Rolle als Mutter. Die Frage nach möglichen Alternativen für die Rolle der Frau stellt Augustin sichtlich vor ein Rätsel: „Wenn die Frau nicht dem Manne zur Hilfeleistung, um Kinder hervorzubringen, gemacht worden ist, zu welcher Hilfe ist sie dann gemacht worden?“ Der Gedanke, Mann und Frau könnten durch freundschaftliche Beziehungen miteinander verbunden sein, erscheint Augustin als abwegig, schließlich birgt der Umgang mit Frauen stets die Gefahr der Erotisierung in sich, welche die Reinheit des freundschaftlichen Umgangs trüben könnte. Zudem implizierte der antike Freundschaftsgedanke die Freundschaft unter Gleichen, die allein die notwendige Einheit und Verbundenheit zu erbringen vermag.

Ihre anthropologische Bestimmung als Gehilfin des Mannes verpflichtet die Frau in der ehelichen Beziehung zu spezifischen Pflichten und Wesenszügen. Augustin entwirft das Sittenbild einer christlichen Ehefrau mit den wesentlichen Tugenden des Gehorsams und der Sittsamkeit im Rahmen ihrer Aufgabe als treusorgende Mutter der aus der Ehe entsprungenen Kinder.

Augustin beschränkt die Möglichkeiten weiblicher Selbstverwirklichung wie seine christlichen Zeitgenossen auf die Ehe, die Witwenschaft und die Jungfräulichkeit, wobei er stets die Superiorität der Jungfräulichkeit hervorhebt. Paradebeispiel für die Vollendung des „züchtig-frommen Frauentypus“ ist Maria, da sie sowohl das Ideal der Jungfräulichkeit als auch das der Ehefrau und Mutter in Reinform repräsentiert. An ihr wird auch die androzentrische Perspektive des frühchristlichen Frauenbildes deutlich, denn Maria erscheint nie als eigenständige Persönlichkeit, sondern stets nur in ihrer Beziehung zu einem männlichen Partner: Sie ist die jungfräuliche Mutter, die Braut Christi und die folgsame Gattin Josefs, und ihre Aufgaben beschränken sich auf ihre dienende mütterliche Funktion.

Sexuelle Enthaltsamkeit ist für Augustin aber nur dann von moralischer Bedeutung, wenn sie in dem höheren sittlichen Zweck der exklusiven Bindung an Gott und der Abwendung von allem Weltlichen gründet. Selbst eine mehrfach verheiratete christliche Frau ist für Augustin besser als eine jungfräuliche Häretikerin, da die spirituelle Virginität auch ohne die des Körpers realisierbar ist und umgekehrt.

Allerdings gibt der Autor Kiesel zu bedenken, dass Augustins Frauenbild auf dem Boden einer asketisch geprägten eschatologischen Naherwartung entstanden ist und demzufolge alle irdischen Beziehungen unter dem Aspekt der Vorläufigkeit und Zweitrangigkeit zu betrachten sind.”

Quelle: https://www.information-philosophie.de/augustinus-frauenbild.html.

SIEHE AUCH UNSEREN BEITRAG “AUGUSTIN EIN RIGIDER THEOLOGE der spätantiken Welt. veröffentlicht am 26.5.2025: LINK 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Luther und die Philosophie: Ein verdrängtes Thema, auch heute.

Ein Hinweis von Christian Modehn

In der Rubrik  „Vergessene Texte – heutige Texte“ stellt der Religionsphilosophische Salon philosophische und theologische Bücher und Essays vor, die heute leider fast nicht mehr viel Beachtung finden. Sie verdienen aber große Aufmerksamkeit und weitere Diskussion. Zum Beispiel der Essay des polnischen Philosophen Leszek Kolakowski (geb. in Radom, PL, 1927, gest. in Oxford GB, 2009). Der Essay heißt: „Der philosophische Sinn der Reformation“, veröffentlicht in dem Buch „Geist und Ungeist christlicher Tradition“ (Kohlhammer Verlag 1971). Dieses Buch ist leider nur noch antiquarisch zu haben, eigentlich schade, dass solche wichtigen Texte so schnell „verschwinden“.

Im Reformationsgedenken, das weithin ein Luther-Gedenken 2017 werden wird, fehlen meines Erachtens Auseinandersetzungen mit dem heiklen Thema „Luther (bzw. auch Calvin) und die Philosophie“. Die evangelischen Organisatoren dieses Reformations-Festivals (mit dem Kirchentag im Mai 2017 in Berlin und Wittenberg) haben meines Wissens dazu keine aktuellen ausführlichen selbstkritischen Studien veröffentlicht. Werden Philosophen bei diesem Reformations-Festival ausgesperrt? Oder werden sie ihre eigenen Vorschläge zum Thema Glauben und Wissen vortragen können? Wenn man Philosophieren und damit Philosophie als die elementare geistige Haltungen des Menschen betrachtet, sind sie im Zusammenhang von Reformation und Glauben genauso wichtig wie „Glaube und Kunst“ oder „Glaube und Musik“…

Die traditionelle extreme Abwehr des philosophischen Denkens als eines möglichen Weges des Menschen zu Gott ist innerhalb der klassischen protestantischen Orthodoxie allseits bekannt. Diese Zurückweisung des lebendigen Philosophierens als eigenständiger „Leistung“ der Menschen hat ihre Gründe zweifellos in der Gnaden-Lehre der Reformatoren. Da wird dann gern darauf verwiesen: Die „Natur“ des Menschen ist so verdorben und so schlecht, dass diese Verdorbenheit eben auch den Verstand betrifft. So ist eigentlich kein hilfreicher, konstruktiver philosophischer Gedanke zur Gottesfrage möglich. Aber: So total verdorben wollten dann die Reformatoren die menschliche Vernunft doch nicht gelten lassen. Sie gestehen immerhin ein: Mit gewissen Restbeständen der Vernunft können selbst die Heiden „ein bisschen was“ von Gott ahnen. Auf diesen letzten “guten Schimmer” von Vernunft etwa bei Calvin hat der Philosoph Leszek Kolakowski hingewiesen, in seinem oben genannten Essay „Der philosophische Sinn der Reformation“. Auf Seite 123 schreibt Kolakowski: „Gott hat den Menschen (im Sinne Calvins) ein wenig natürliche Kenntnis von sich verliehen. So viel nämlich, dass sich niemand vor Gottes Gericht durch Unwissenheit rechtfertigen kann. Das `natürliche Licht` ist demnach in göttlichen Dingen bloß Werkzeug, um den Sündern ein Alibi zu entziehen und Ausflüchte unmöglich zu machen…“ Für den Glauben selbst ist das so genannte natürliche Licht der Vernunft völlig wertlos. Gott als bleibendes Geheimnis, der dogmatische Kern des Glaubens, wird niemals vernünftig thematisiert. Kolakowski vermutet hinter dieser Haltung der Reformatoren: dass der Mensch sich selbst als Vernunftwesen verachten soll. „Für Luther heißt Gott zu lieben sich selbst zu lassen“ (im Sinne von loslassen, aufgeben) (S. 122).

Die Aufgabe des Selbst, des natürlichen Selbst wie das begnadeten, als Verzicht auf die mit dem Selbst angeblich automatisch mit-gegebene Selbstherrlichkeit, zu der Luther auch das philosophische Denken zählt, ist also zentral.

Zunächst soll – über Kolakowski hinaus – an die aktuelle theologische Erkenntnis erinnert werden: „Die Natur“ „des“ Menschen “vor” aller Gnade, also zeitlich gesehen vor aller Anwesenheit des göttlichen Geistes IM Menschen, ist eine abstrakte und unsinnige Konstruktion. „Die Natur“ des Menschen vor (zeitlich verstanden) aller Gnade gibt es eigentlich nicht: De facto ist die Menschheit als ganze immer schon von der Anwesenheit des göttlichen Geistes bestimmt. Dies ist etwa die zentrale Erkenntnis des Theologen Karl Rahner. Er bezieht sich dabei auf ein biblisches Verstehen Gottes, der unmöglich die einen, bloß „natürlichen“ Menschen verdammen, die anderen, die zufälligerweise die Gnade haben, retten kann. Rahner denkt dabei, um das Neue Testament zu zitieren, an den Spruch aus dem ersten Timoteus Brief (2,4): „Gott will das aller Menschen“. Diese Erkenntnis hat, so scheint es, bis heute in der reformatorischen Theologie zu keiner Veränderung des Denkens geführt, in dem Sinne: dass die Gnade IMMER SCHON anwesend ist für alle Menschen. Diese ewigen und so sinnlos erscheinenden Diskussionen über die Prädestination kommen aus der Abweisung dieser Erkenntnis. Rahner hat in dieser Frage recht, weil er Gott NICHT als willkürlich Gnade austeilenden Tyrannen denkt. Ob über diese überholte Prädestinationslehre (also die Erlösung nur einiger Erwählter) im Reformationsjubiläum 2017 nochmals zustimmend und „letztlich“ verstehend gesprochen wird? Gott bewahre uns davor! Es gibt viel Dringenderes!!

Kolakowski erinnert in seinem Beitrag deutlich an diese theologisch überholte Haltung der Reformatoren, die da heißt: „Vernunft und Argumente können in keiner Hinsicht das Christentum stärken… Alle Vorstellungen der Philosophie von göttlichen und menschlichen Dingen macht die Heilige Schrift zunichte (123).

Diese globalen Erkenntnisse sind bekannt. Interessant sind die zwei Konsequenzen, die Kolakowski entwickelt, sie können hier nur in Kürze dargestellt werden, deswegen lohnt sich die ausführliche Diskussion des Textes!

Wenn der einzelne Mensch, selbst der Getaufte, sündhaft auf sich selbst beharrt, also auf seinem „Einzeldasein“ (126) besteht, diese Situation aber überwinden will, dann kann auch dies eine Konsequenz sein: Es ist besser, sich als einzelner förmlich aufzugeben und in der Einheit des Göttlichen zu zerfließen. Diese Haltung nennt Kolakowski die mystische Haltung. Auch sie ergibt sich also aus der Position Luthers! Wenn in der Fixiertheit auf die Gnade, die alles bewirkt, weiter gedacht wird, meint der Philosoph, kann diese Tendenz zum Pantheismus führen, also jener Haltung, in der nur Gott alles wirkt und alles bewirkt. Totale Gnade, könnte man sagen. Alles ist Gott. Kolakowski verweist auf Sebastian Franck, „den ersten Pantheisten, den die Reformation ins Leben rief“ (127), auf Jacob Böhme, Valentin Weigel und Angelus Silesius. Kolakowski sieht – in einer spekulativen These – dass Luther sozusagen unbewusst, also alles andere als gewollt in seiner Theologie ein „Zwischenglied“ bildet zwischen spätmittelalterlicher Mystik und „pantheistischer Mystik späterer Jahrhunderte“ (127).

Dem Titel seines Essays entsprechend gibt Kolakowski noch den Hinweis, dass die praktische Philosophie Kants von Luther mit geprägt ist. „Die Überzeugung, dass die eigentliche moralische Bewertung sich einzig auf den Willen selbst bezieht, ist lutherischer Herkunft“. So wirkt Luther also auch hier ungewollt als Gegner der Philosophie tatsächlich in der Philosophie weiter…

Aber Luther hat durch seine Natur – und Gnadenlehre auch eine „existentielle Richtung“ der Philosophie mit – bewegt und mit -bewirkt, wie Kolakowski schreibt (129). „Christ ist im Sinne Luthers, wer im Glauben lebt. Der Glaube ist nicht Überzeugung, sondern totale geistige Wiedergeburt, völlige Erneuerung, Vernichtung des alten Menschen und der Akt des Eintretens in eine neue Wirklichkeit, ein Akt, den keinerlei natürlicher Mittler (Kirche usw.) anstelle des einzelnen Menschen erfüllen kann“(130). Mit anderen Worten: Der Glaubende ist als erlöster Einzelner ganz auf seinen eigenen Gott gestellt. In Kierkegaard sieht Kolakowski den Propheten dieses extrem existentiellen Christentums. Für Kierkegaard erlebt der Gläubige die völlige Subjektivität, sie ist nur noch auf die göttliche Subjektivität bezogen, kennt nichts anderes. Der einzelne Glaubende braucht die objektiven Bindungen nicht, letztlich nicht die Kirche, nicht die objektiven Sprachregelungen die vorgegebenen Gesetze. Kolakowski sieht auch darin eine Wirkungsgeschichte Luthers, ungewollt natürlich, aber Luther inspiriert förmlich die Existenzphilosophie. Kierkegaard ist ein Zwischenglied zwischen Luther und der modernen Existenzphilosophen. Das ist für Kolakowski „keine künstlich konstruierte Koinzidenz, sondern eine reale energetische Verbindung“ (137). Luther hat, so meint er, durch seine ablehnende Haltung zur Philosophie diese Philosophie doch angeregt, sogar „den Keim der neuzeitlichen Philosophischen Kultur“.

Luther, der große Feind der angeblich verdorbenen Philosophie, hat das philosophische Denken dann indirekt doch inspiriert: Ein schönes Paradox, ein Zeichen, dass sich Philosophieren nicht klein kriegen lässt, auch nicht von theologischen Vorurteilen.

WEITERE TEXTE:

“Wir haben von Luther fast nichts gelernt” ist der Titel eines Hinweises zur Luther-Rezeption im heutigen Katholizismus, klicken Sie hier.

Luther in der Sicht heutiger PhilosophInnen, klicken Sie bitte hier.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.