„Das Christentum ist Platonismus fürs Volk“.

Wie Augustinus das Christentum als eine Theorie etablierte und wie Papst Leo XIV. damit umgeht.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 26.8.2025

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Ein Vorwort: Wir haben schon kürzlich vor der Theologie Augustins – vor zentralen Aussagen – gewarnt. LINK 

Und weisen darauf hin, dass von Papst Leo XIV., der sich als “Sohn des heiligen Augustinus” explizit versteht, keine grundlegende Kritik an seinem angeblich so heiligen und so berühmten “Vater” zu erwarten ist und damit keine tiefgreifende Reformation der römischen Kirche, schon gar nicht ein Abschaffen des verheerenden Augustinus – Dogmas der Erbsünde, schon gar nicht eine Ökumene mit den Protestanten als “versöhnte Verschiedenheit Gleichberechtigter”. Mit anderen Worten: Das einzige, was Papst Leo XIV. ständig sagt und ständig täglich mehrfach fordert, ist die Aufforderung zum Bittgebet. Wir würden uns freuen, Positives, Konkretes, Wegweisendes, Praktisches, auch Politisches  von Leo XIV. berichten zu können, erwarten es aber eher nicht. Denn: Was sagt Leo XIV. zum Massaker in der katholischen Schule in Minneapolis: “Betet”. “Die Seelen kommen in den Himmel.” Er sagt als US Amerikaner nicht: Keine Waffen im Privatbesitz! Eigentlich sehr schwach für eine angebliche “hochgeschätzte moralische Autorität.” (siehe auch Fußnote A).  Nun hat der Provinzial der Augustiner in Italien, Pater Gabriele Pedicino, vor großen Erwartungen an Papst Leo gewarnt, “große Knalleffekte sind nicht zu erwarten”, Leo sei sanft und zurückhaltend. Der Jesuit Antonio Spadaro, ein Vertrauter von Papst Franziskus, meinte eher vieldeutig, Papst Leo XIV. kennzeichne eine “kontemplative Nüchternheit”. LINK.  Zur Einschätzung von Gabriele Pedicino: LINK   

Wir schlagen AUCH als Lektüre dringend vor: Die sehr treffende kritische Augustinus-Darstellung des Augustinus-Forschers Kurt Flasch in “Kampfplätze der Philosophie”, Vittorio Klostermann Verlag, 2008, dort die Seiten 11 -41! Ob Papst Leo XIV. und seine Augustiner dieses Buch kennen? Wir empfehlen denen die Lektüre dringend, um die großen “Begrenztheiten” (milde formuliert) dieses Heiligen aus der Spätantike, des 4. und 5. Jahrhunderts, wahrzunehmen.

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1.
„Das Christentum ist Platonismus fürs Volk.“ Ein viel diskutierter Satz Friedrich Nietzsches, notiert in der Vorrede seines Buches „Jenseits von Gut und Böse“ (1885). Ein Urteil Nietzsches, das vielen Christen Probleme bereitet: Kann denn Nietzsche den Christen und ihren Theologen Wahres sagen? Nietzsches Erkenntnis hat aber bei keinem Geringeren als dem Kirchenvater Augustinus ihre Grundlage: Darauf weist der Spezialist für antike Philosophie, Pierre Hadot (Fußnote 1) hin. Hadot bezieht sich auf Augustins Schrift „de vera religione“, einige Monate nach seiner expliziten Hinwendung zum Christentum, im Jahr 390 verfasst. Seine berühmten „Confessiones“ („Bekenntnisse“) verfasste Augustin zwischen 396 und 398. (Zu Nietzsches Identität von Christentum und Platonismus: Fußnote 2).

2. Sich von der sichtbaren Welt abwenden
Unsere Übersetzung der entscheidenden Erkenntnis Hadots: „In den Jahren, die seiner Bekehrung folgen, hat Augustin in seinem Buch „Über die wahre Religion“ den Platonismus und das Christentum konfrontiert. In seinen Augen decken sich das Wesentliche der platonischen Lehren und das Wesentliche der christlichen Lehre…In der Ethik des Platonismus lässt sich entdecken, dass die rationale und intellektuelle Seele in der Lage ist, sich der Kontemplation der Ewigkeit Gottes zu erfreuen und darin das ewige Leben zu finden. Dies ist für Augustin das Wesen des Platonismus. Dies ist für ihn aber auch das Wesen des Christentums, indem er eine Anzahl von Passagen des Neuen Testaments zitiert. Dabei stellt er die sichtbare Welt der unsichtbaren Welt gegenüber, das Fleisch dem Geist. Aber was ist denn dann der Unterschied zwischen dem Christentum und der Philosophie des Platonismus? Für Augustin besteht er in der Tatsache, dass der Platonismus nicht die Massen bekehren konnte. Der Platonismus konnte nicht die Massen abwenden von den irdischen Dingen, um sie auf die spirituellen Dinge hin zu orientieren. Während seit der Ankunft Christi die Menschen aller `Kategorien` diese christliche Lebensform angenommen haben und man so einer wahrlich Transformation der Menschheit beiwohnt. Wenn Platon auf die Erde zurückkäme, würde er (im Blick auf die Kirche) sagen: Voilà, das ist es, was ich den Massen nicht zu predigen wagte…In dieser Perspektive Augustins, hat das Christentum den selben Inhalt wie der Platonismus.
Es handelt sich imChristentum darum, dass sich der Mensch von der sichtbaren Welt abwendet, um Gott zu betrachten und die spirituelle Wirklichkeit. Einzig das Christentum konnte dafür sorgen, dass diese Lebenshaltung auch von den volkstümlichen Massen angenommen wurde.“ Soweit das entscheidende Zitat des schon erwähnten Philosophiehistorikers Pierre Hadot (S. 375, 377).
Nebenbei: Eine Erkenntnis, die auch von anderen Philosophen geteilt wird, etwa von Heinrich Niehues – Pröbsting (Fußnote 3) in „Die antike Philosophie, Frankfurt/M. 2004, S.223).

3. Die Rede von der EINHEIT und die bleibende Hierarchie
Augustin (354-430) kannte Übersetzungen (ins Lateinische) der Griechisch schreibenden so genannten neu-platonischen Philosophen, sie verstanden sich in der Nachfolge Platons. Die Philosophie des Neo-Platonikers Plotin (204 -270 n.Chr.) kannte Augustinus genau, schon in einer seiner ersten Schriften „de ordine“ (386) bezieht er sich auf Plotin. Durch Plotin kommt er zur Erkenntnis eines immateriell zu denkenden Gottes, was Augustin zur Abkehr von seinem bisherigen Glauben im Sinne der Manichäer – Kirche (einer so genannten Sekte) führte. Vor allem lernte Augustin von dem neuplatonischen Philosophen Plotin: Dass in der gesamten Wirklichkeit das Prinzip DES EINEN gilt, d.h. alles ist mit dem EINEN Grundprinzip verbunden, eine Aussage, die Augustin zur Erkenntnis der Übereinstimmung des plotinischen Prinzips mit dem Glauben an den EINEN Gott des Christentums führte. Der Gedanke der EINHEIT wird zum zentralen Wert Augustins – bis heute. Man denke an den Wahlspruch des Augustiners Papst Leo XIV.: „In illo uno unum.“ Dieser Wahlspruch des Papstes ist sozusagen eine auf Christus bezogene Variante der philosophischen Prinzips des Neo – Platonikers Plotin : „Alles Seiende ist durch durch das Eine ein Seiendes.“ (Fußnote 4)

4. Die Praxis der Glaubenden ist: Zur Messe gehen
Durch die ständigen direkten und indirekten Hinweise des Augustiners Papst Leo XIV. auf „seinen“ „Ordensvater“ Augustinus (der gar nicht der Gründer des Augustinerordens ist, sondern nur der Verfasser einer knappen Ordensregel) wird die allgemeine Aufmerksamkeit auf unser Thema verstärkt: Zusammenfassend gesagt: Augustin hat wesentliche Erkenntnisse dieses Neo-Platonismus in seine Theologie integriert, er hat also dafür gesorgt, dass zentrale Aussagen Platons Einzug fanden in die christliche Theologie … bis heute. Der Neo-Platonismus bietet sozusagen den geistigen, theologischen Rahmen für das Verstehen und Deuten des christlichen Glaubens: Dabei wurde christlicher Glauben absolut zuerst als eine geistige, seelische, also letztlich „theoretische“ Haltung der Verbundenheit mit der göttlichen Welt verstanden. Das Christentum also wurde – und wird weithin – als eine theoretische Haltung in der Lebensgestaltung verstanden, als gedankliche und gemütvolle Verbundenheit mit bestimmten, auf die Transzendenz Gottes und seiner Heiligen bezogenen Dogmen und kirchlichen Weisungen. Glauben ist also nicht zuerst und vor allem eine praktische Lebenshaltung, im Sinne eines Handelns, einer Praxis, die Nächstenliebe, Frieden und Gerechtigkeit sichtbar und strukturell spürbar verwirklicht. Natürlich braucht man dafür auch wieder eine Theorie, aber sie dient der wichtigeren Praxis. Die Weisungen Jesu von Nazareth zu dem alles entscheidenden guten, d.h. „gottgewollten“ Leben werden von der Kirchenführung zuerst und vor allem auf die Teilnahme an den sakralen Liturgien und „Gottesdiensten“ bezogen. Bekanntlich wird bis heute von katholischen Kirchenführern, Theologen und Religionssoziologen religiöse PRAXIS als Teilnahme an der Messe am Sonntag definiert. Das heißt: Wer den Glauben praktiziert, geht zur Messe! Nicht das Tun des Gerechten ist der wahre Gottesdienst. Dabei hat Jesus von Nazareth genau das Gegenteil gelehrt: Letztlich kommt es „vor Gott“ nur auf eine humane tätige Praxis der Nächstenliebe an, alles andere ist sekundär. Aber weil nur der zölibatäre Klerus die Messe, die Eucharistie gemäß Kirchen/Klerus-Gesetz leiten darf, wird auch die Messe zum Zentrum des Glaubens erklärt. Wie anders sollte denn sonst die Sonderrolle des Klerus noch aufrecht erhalten werden…

5. Frieden der Seele
Der große Augustinus- Spezialist Kurt Flasch nennt in seiner Studie „Augustin. Einführung in sein Denken“ den Autor von „de vera religione“ explizit platonisch bzw. neoplatonisch (S. 100 und 101). „Der Platoniker Augustin interessierte an Jesus nicht das historische Individuum, sondern seine unwandelbare Weisheit, die im Innern aller Menschen befragt wird“ (S. 103). Selbst wenn Augustinus und andere „Kirchenväter“ die gesamte Philosophie des Neuplatonismus nicht “total“, sozusagen eins zu eins, in die Kirchenlehre überführten, so sind doch zentrale Denkmuster und Prinzipien des Neoplatonismus bis heute selbstverständlich und üblich. Es kam, wie Pierre Hadot betont – zu entscheidenden „Verschiebungen“, „Neuakzentuierungen“ der ursprünglichen Weisungen des Evangeliums. „Die Idee des Evangeliums von der beginnenden Herrschaft des Reiches Gottes auf Erden (immer zu verstehen auch als politisch -soziale Realität, CM) „wurde ersetzt durch das platonische Ideal der Einheit des Menschen mit Gott“. Diese Einheit wurde als eine Vergöttlichung des Menschen verstanden, schreibt Pierre Hadot, und diese erreicht der Mensch durch Askese und Kontemplation. In der Sicht Augustins wird dann das christliche Leben nicht zuerst als ein Leben des konkreten, leibhaftigen Menschen verstanden, sondern eher als das Leben einer Seele. „Es handelt sich bei Augustin, dem Platoniker, darum, den Körper zu fliehen und sich einer transzendenten Welt zuzuwenden und, wenn möglich, sogar in der mystischen Erfahrung diese transzendente Realität zu erreichen.“ Für den Augustin als den Verfasser „de vera religione“: gilt: „Für ihn, von Platon bestimmt, ist die Aufmerksamkeit auf sich selbst, die Suche nach einer Leidenschaftslosigkeit, nach dem Frieden der Seele, der Abwesenheit von Sorgen … das vorrangige Ziel des spirituellen Lebens der Christen.“ (a.a.O.).

6. Immer wieder sagt Papst Leo: Bittgebete helfen
Man denke bloß nicht, dass dieses überlieferte Glaubensverständnis von Papst Leo XIV. korrigiert würde, man glaube bloß nicht, dass ein Augustiner als Papst, „Sohn des heiligen Augustinus“, wie er sich von Anbeginn seines Pontifikates nennt, daran Grundlegendes reformiert. Leo XIV. lässt in seinen Predigten und Ansprachen keinen Zweifel daran, dass der christliche Glaube zuerst und vor allem eine explizit fromme, spirituelle Haltung ist. Dafür anstelle von vielen anderen ähnlichen Zitaten der letzten Wochen nur zwei Beispiele.
Am 25.8. 2025 sagte Papst Leo den versammelten Ministrantinnen: „Liebe Ministranten, die Feier der Messe rettet uns heute!  Sie rettet die Welt heute! Sie ist das wichtigste Ereignis im Leben eines Christen und im Leben der Kirche, denn sie ist die Begegnung, in der Gott sich uns aus Liebe immer wieder schenkt. Der Christ geht nicht aus Pflichtgefühl zur Messe, sondern weil er sie unbedingt braucht; er braucht das Leben Gottes, der sich schenkt, ohne etwas dafür zu verlangen!“ Die uralte Theologie wird also von Leo XIV. eingeschärft: Praxis des Glaubens ist Besuch der Eucharistie, die nur ein Priester feiern darf.
Am 24. 8. 2025 äußerte sich Papst Leo zum Bittgebet auf schlichteste Art, Ausdruck eines theologischen Denkens, das moderne TheologInnen längst als überholt und falsch dargestellt haben. Der Papst sagte anläßlich des Staats-Feiertags der Ukraine: „Ich flehe den Herrn an, die Herzen der Menschen guten Willens zu bewegen, damit der Lärm der „Waffen verstummt und dem Dialog Platz macht, um den Weg zum Frieden zum Wohl aller zu öffnen.” Bei seinem Mittagsgebet am Sonntag auf dem Petersplatz warb der Papst erneut um weltweite Gebete für den Frieden in dem “gemarterten Land“. Man sollte die Frage stellen: Warum sagt der Papst nicht anstelle der üblichen theologischen Floskeln: Der russisch – orthodoxe Patriarch Kyrill von Moskau, Freund von Putin, sollte endlich seine Kirche im Sinne des Evangeliums des Friedens gestalten und als endlich Kriegstreiber aufhören. Aber das sagt der Papst nicht, weil er ja eines Tages die katholische Kirche mit diesen zum Teil theologisch verkalkten Orthodoxen zusammenführen will. So bleibt es also – aus kirchlichen Gründen – alles bei theologischen Floskeln, die politisch und damit faktisch belanglos sind, wenn man denn schon etwas für die Realirstät des Friedens sorgen will.

Glaubt denn der Augustiner Papst Leo XIV. im Ernst, dass sich Gott im Himmel höchst persönlich bewegen lässt und wie durch ein Wunder, wie durch einen göttlichen Blitz, für einen Sieg der ukrainischen Truppen und die hoffentlich Niederlage Russlands sorgt. Was soll denn Gott Vater im Himmel bloß machen, wo doch auch auf der anderen Seite Patriarch Kyrill ebenso inständig Gott im Himmel anfleht, ER möge doch höchst persönlich für den Sieg Putins sorgen. … Darf man, mit Verlaub gesagt, auch als Augustiner – Papst, theologisch so schlicht im 21. Jahrhundert noch über das Bittgebet denken? Nein, sollte ein Papst des 21. Jahrhunderts eigentlich nicht. Wie viele Theologen und Bischöfe werden es wagen, das laut zu sagen?
PS: Ein gewisser Witz ist es vielleicht, dass Papst Leo die aus Frankreich stammenden MinistrantInnen, also Ministranten beiderlei Geschlechts, also auch die Mädchen, aufforderte: darüber nachzudenken, doch Priester zu werden. Meinte er damit auch die Mädchen? Sicher nicht. Oder ignorierte er deren Anwesenheit? Wörtlich sagte der Papst: “Ich hoffe auch, dass ihr auf den Ruf achtet, den Jesus an euch richten könnte, ihm im Priestertum näher zu folgen.“ Es sei “ein wunderbares Leben” als Priester, der jeden Tag in seiner Mitte Jesus auf so außergewöhnliche Weise begegne und ihn der Welt schenke. “Mögt ihr nach und nach, Sonntag für Sonntag, die Schönheit, das Glück und die Notwendigkeit einer solchen Berufung entdecken”, so der Papst. „Ja, ja,“, möchte ich ergänzen, „die zölibatären Priester sind alle so furchtbar glücklich…

7.
Nur wenn man diesen Hintergrund der offiziell etablierten kirchlichen Theorie- Präferenz im „Glaubens-Verständnis“ wahrnimmt, wird unser Blick auf dieses eigentlich „sehr spezielle“ Thema relevant. Man denke daran, wie gerade die protestantische Reformation die Ideologie des Römerbriefes von Paulus in den Mittelpunkt stellte: Der Glaube – als theoretische Haltung – sei absolut entscheidend für die Rechtfertigung des Sünders … und wie diese Reformatoren den Jakobus – Brief total ablehnten, weil der Autor Jakobus die Praxis der Liebe und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt des Glaubens stellte…Die von Jesus zentral gestellte Idee des umfassend human – heilenden Reiches Gottes gerät in den Hintergrund, in die „Zweitrangigkeit“… Die Kirche hingegen rückt bei Augustin in den Mittelpunkt. „Die Kirche erhebt den Anspruch, Heilsmittler zu sein, und maßt sich damit `ewige` Bedeutung an und macht sich zum Ziel der Entwicklung… Kirche und Gottesreich rücken nahe zusammen, ja gehen ineinander auf“, was biblisch und theologisch falsch ist, so der katholische Theologe Urs Eigenmann (Fußnote 5). In seiner Sicht wurden seit den Kirchenvätern (Augustin) und den ersten Konzilien „transzendente Wahrheiten formuliert, und nicht mehr den Menschen und Propheten Jesus von Nazareth über alles achtet.

8.
In seinen „Retractationes“ (d.h. in dem kritischen Rückblick aufs frühe, eigene Werk) tadelt sich dann Augustin am Ende seines Lebens dann auch noch, dass er in dem genannten Text „de vera religione“ „an Christus die Gewaltlosigkeit gerühmt habe“, berichtet der große Augustinus – Forscher Prof. Kurt Flasch in „Augustin. Einführung in sein Denken“ (Reclam, 1980, Seite 102). „Der späte Augustin rühmt hingegen an Jesus die Gewalt, etwa im Umgang mit den Händlern im Tempel oder bei der Austreibung der Dämonen…(S. 103). Flasch nennt diese Haltung des späten, des alten Augustin, „antihumanistisch“ (ebd.).

9.
Augustinus hat an einer metaphysischen Grundkonzeption des Christentums immer festgehalten, im Sinne von: das Himmlische ist entscheidend, das innere Leben wichtiger als das politische und soziale. Gott wurde vom alten Augustin als Herrscher verstanden, der seine Gnade einigen wenigen Erwählten nach seiner Laune zukommen lässt, den meisten aber diese Gnade verweigert. Weil Gott in der offenbar allwissenden Sicht Augustins so erzürnt ist über die Erbsünde des ersten Menschen im Paradies… Da darf er als Gott total willkürlich handeln. Von Gott als der „höchsten Vernunft“ ist (noch) keine Rede.
Nebenbei: Dass die Erbsündenlehre, von Augustin erfunden, auch eine endlich abzuschaffende Ideologie ist, haben wir mehrfach im Anschluss an die Studien von Prof. Kurt Flasch betont. LINK

10. Geringe Aussichten auf eine Reformation der römischen Kirche
Bleibt das Christentum, bleiben die Kirchen, also Platonismus fürs Volk? Das ist sehr wahrscheinlich bei einem Papst Leo XIV., der sich als „Sohn des heiligen, aber eben neoplatonischen Augustinus“ versteht und der so viel von (plotinisch – augustinischer) EINHEIT schwärmt, die ja nicht universelle Gleichheit aller Menschen meint, sondern immer auch eine Hierarchie bedeutet. Wer an der Spitze der Kirche steht und von Einheit aller schwärmt, das ist der Papst…

Der Augustiner Martin Luther schaut im Himmel hilflos zu angesichts des ewig fortbestehenden Papsttums mit einem letztlich immer noch ungebrochen totalen Anspruch. Auf die Aufhebung des Zölibatsgesetzes wagen  viele KatholikInnen genauso wenig zu hoffen wie auf die umfassende Gleichberechtigung der Frauen in dieser Kirche, etwa die Zulassung zum Priesteramt. Hat Papst Leo in den nun fast 4 Monaten dauernden Regentschaft ein weiterführendes Wort gesagt zur Zulassung von Frauen wenigstens zum Diakonat und zum Priesteramt? Ich vermute nein. Und wird es so bleiben? Ich vermute Ja, denn Augustin,  der “Vater” des Papstes, liebte zwar als junger Mann eine Frau (das gemeinsame Kind hieß Adeodat, “Von Gott gegeben”), aber Augustin vertrieb dann aber seine Frau, als er Katholik wurde … und sah später in den Frauen eher eine zweitrangige Schöpfung.

Fußnote A: ” Papst Leo XIV. betet für die Opfer des Anschlags auf die katholische Schule in Minneapolis/USA. Er sei allen nahe, die von dieser „schrecklichen Tragödie“ betroffen seien, „insbesondere den Familien, die den Verlust eines Kindes zu beklagen haben. So hieß es in einem vom Vatikan veröffentlichten Telegramm an den Erzbischof von Minneapolis, Bernard Hebda. Die Seelen der Verstorbenen vertraue er der Liebe Gottes an.”  ORF Online seit heute, 28.8.2025 9.07 Uhr.

Fußnote 2: Nietzsche hat sich schon früh, etwa in Basel 1869, mit Platon auseinandergesetzt.. 1871 betonte er, „die echte Lust am Wirklichen sei Platon fremd gewesen“… In seinem Spätwerk verschärfte Nietzsche seine Kritik, auch seine Polemik gegen Platon. Er wehrt sich gegen die Metaphysik Platons, nach der Gott die Wahrheit sei, darin „antizipiere Platon das Christentum“. Damit ist eine Perspektive der heftigsten Einwände gegen das Christentum eröffnet, die im „Antichrist“ formuliert werden. Kaum berührt von Nietzsches Haß auf die Kirche als lebensfeindlicher Macht ist hingegen die Gestalt Jesu, die Nietzsche durchaus schätzt.

Fußnote 3: Heinrich Niehues – Pröbsting, in „Die antike Philosophie“, Frankfurt/M. 2004, S.223).

Fußnote 4:
Plotin lehrt: „Ziel alles Verhaltens und Erkennens, auch höchstes sittliches und religiöses Ziel, ist die Schau des Einen… Am höchsten Punkt der plotinischen Philosophie kommt es in der Ruinen Ekstaae der Schau zur Vereinigung (unio mystica) mit dem Einen, Göttlichen und Guten.“ (Zit in Lexikonartikel „Plotin“ in „Metzler Philosophen Lexikon. Stuttgart-Weimar, 2003, S. 563.) Dass der Körper (und die Sexualität) Quelle allen Leids für Plotin ist, kann hier nur angedeutet werden: Deswegen ist ja für ihn die übersinnliche Welt, das Nicht- Materielle, das Wichtigste. In dem genannten Lexikonbeitrag wird auf S. 562 über Plotin berichtet: „Es heißt, wie Porphyrios, der wichtigste Schüler und Biograph Plotins berichtet, dass Plotin sich schämte, ìm Leib zu sein`. Aufgrund dieser Geringschätzung des Leiblichen und Sinnlichen habe sich Plotin geweigert, etwas über seine Herkunft, seine Eltern und seine Heimat zu erzählen.“

Fußnote 5: Urs Eigenmann, zit in: “Der himmlische Kern des Irdischen“, Edition exodus, 2. Aufl. 2025, S. 163.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Theologie Augustins überwinden.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 10.6.2025 und am 4.8.2025 wegen der ständigen “Augustinus-Zitierei” durch Papst Leo XIV.

Ergänzung am 4.8.2025: Während der katholischen Weltjugendtage in Rom Anfang August 2025 zitierte Papst Leo XIV. ständig nette Sprüche und irgendwelche Weisheiten seines viel geliebten Meisters Augustinus aus dem 4.und 5. Jahtrhundert. Dieser Augustin sollte angesichts seiner verheerenden Lehren etwa zur Erbsünde  endlich beiseite gelassen und überwunden werden. Aber nein, den ahnungslosenen und enthusiastischen  Jugendlichen aus aller Welt wird ein “weiser” und angeblich aktueller Augustinus mit einigen hübschen Zitaten als Vorbild empfohlen. Wir halten das für einen Irreweg. Kann ein Papst nicht eher die Mitarbeit an demokratischen NGOs empfehlen als fromme und allgemeine, letztlich belanglose Ermahnungen von sich zu geben? Und es wird hoffentlich die Zeit kommen, in der sich kritische und kirchenunabhängige Historiker und Religionswissenschaftler die Mühe machen, diese Augustinus – Zitierei von Papst Leo XIV. zu dokumentieren und krtitisch zu bewerten.

Diese Reden des Papstes Leo XIV. von der “Einheit der Kirche” sind, nebenbei, eine Illusion: Die Katholische Kirche ist weltweit de facto und unumkehrbar schon jetzt  so stark auseinandergebrochen in ihrer Vielfalt, dass eine uniforme, päpstlich-fixierte Einheit nichts als ein Traum ist. Und dieser Traum, man möchte sagen diese klerikale Ideologie, sollte beendet werden zugunsten einer explizit gewollten Pluralität IM Katholizismus…Aber auch dies zusagen ist nur ein Traum angesichts der nach wie vor absoluten klerikalen Macht.

Im Juni 2025  notiert: Wir haben mit der Wahl eines Augustiners (“Sohn des heiligen Augustinus”, Selbstbezeichnung Leo XIV.) zum Papst eher Schlimmes befürchtet: Dies ist die ständige Bezugnahme auf den heiligen Augustinus, er lebte im 4. und 5. Jahrhundert. Ein moderner Heiliger? Garantiert nicht. Lassen wir ihn ruhen.  Aber leider bestätigt sich diese unsere Prognose der Augustinus Zitiererei durch den Papst  fast ständig: Den Kandidaten für Priesteramt (“Seminaristen”) empfahl Leo XIV., sich an Sprüche Augustins  zu halten und vor allem den Zölibat hochzuschätzen. Mit etwas Anstrengung sei der Zölibat doch zu leben, sagte er den 20 -25 Jahre jungen Männern, darf man das theologisch und psychologisch naiv nennen? Natürlich. LINK:

Und auch die am 25. 6. versammelten Bischöfen ermahnte er, “Vorbild” zu sein. LINK

Immer wieder wird Augustin zitiert von Papst Leo XIV.: Der Journalist und Vatikan – Spezialist der angesehenen katholischen Tageszeitung LA CROIX (Paris), Mikael Corre,  schreibt am 14.6.2025 zusammenfassend über die Form der Argumente von Papst Leo XIV.: Er hielt einen Vortrag für Priester, Mikale Corre berichtet.: Leo XIV. beendet sein Statement für die Priester, indem er den heiligen Augustinus zitiert, wie er es in fast allen seinen Ansprachen tut: Papst Leo zitierte also Augustin: “Liebt diese Kirche, bleibt in dieser Kirche, seid diese Kirche. Liebt den Guten Hirten, den sehr schönen Gatten (sic), der keine Person täuscht und nur will, dass keine Person untergeht…” (Le 12 juin, Léon XIV terminait son adresse aux prêtres en citant saint Augustin (Sermons 138, 10), comme il le fait dans presque tous ses discours. « Aimez cette Église, restez dans cette Église, soyez cette Église. Aimez le bon Pasteur, l’Époux très beau, qui ne trompe personne et ne veut que personne ne périsse…”). LINK

Wie soll theologisch diese offenbar vom Papst geteilte Priesterspiritualität aus dem 4. Jahrhundert bewertet werden? In jedem Fall ist sie nicht auf der Höhe der Theologie von heute… Nach einer Abschaffung des sinnlosen Zölibatsgesetzes klingen seine Worte jedenfalls  nicht…Wir haben unsere Meinung schon früher mitgeteilt: Zu den “Progressivsten” zählen die dem Denken des heiligen Augustin verpflichteten Theologen, also auch die Augustiner, bekanntermaßen nicht. Wegweisende moderne Theologen gehören eher anderen Orden an. Ob auch der Augustiner Papst Leo XIV. zu den eher behutsamen, durchaus das übliche Katholische unbedingt bewahrenden, auf Ausgleich und “Einheit” bedachten Augustinern gehört, ist wahrscheinlich…

Nebenbei: Kann ein Papst dieser Kirche überhaupt progressiv sein? Erst dann, wenn er selbst das Papsttum abschafft. Das könnte zumal ein Papst, dessen Mitbruder im Augustinerorden Martin Luther ist! Aber von Martin Luther hat Leo XIV. bisher nicht einmal gesprochen…

Ein Vorwort zu unserem Hinweis, einer “Provokation”: 
Heute sollten sich Christen und TheologInnen mit der Theologie des Augustinus befassen, um die Grenzen und Begrenztheiten des Theologen Augustin zu erkennen und sich auch von den Verirrungen seiner Theologie zu befreien. Augustinus mag ja einige allgemeine humane Weisheiten etwa in seinen „Confessiones“ geschrieben und etwa über die Zeit treffend philosophiert haben: Aber einzelne populäre Weisheiten wie: „Unruhig ist unser Herz, bis ruht in dir o Gott“ (das heißt: „Ruhe gibt es auf Erden nicht, auch nicht durch die Philosophie, auch nicht durch den Glauben“) bestimmen nicht das Gesamtwerk.
Dabei sind wir uns der Allmacht der Theologie Augustins bis heute bewusst, etwa auch im offiziellen „Katechismus der Katholischen Kirche“ (Vatikanstadt 1993): Dort wird Augustinus in 88 Paragraphen zitiert, häufiger als Thomas von Aquin… Nebenbei: Aus dem 20.Jahrhundert wird niemand zitiert, aus dem 19. Jahrhundert nur der Pfarrer von Ars, der zwar heiliggesprochen wurde, aber theologisch völlig ungebildet war, betonen Historiker. Der Pfarrer von Ars, Johannes Vianney, wird im Katechismus zitiert: „Der Priester setzt auf Erden das Erlösungswerk fort“…, § 1589.

Zu Augustins Aussagen über “die Frauen” siehe FUßNOTE 2.

 

Unsere Thesen:

1.
Augustinus und seine Theologie wird zweifellos im Mittelpunkt der theologischen Debatten und spirituellen Interessen der nächsten Monate und Jahre stehen: Auch eine „augustinische Bücherflut“ ist wahrscheinlich… Papst Leo XIV. ist Mitglied des Augustinerordens (OSA), er hat von Anfang an als Papst betont „Ich bin ein Sohn des heiligen Augustinus“, er spricht immer wieder in seinen Ansprachen von einigen allgemeinen Aspekten der Theologie Augustins. Und der Papst setzt sich sogar gelegentlich, im allgemeinen verbleibend, von ungewöhnlichen theologischen Aussagen Augustins ab (Fußnote 1).

2.
Es ist also Zeit, etwas näher das theologische Profil von Augustinus außerhalb von wohlwollenden Zitaten kritisch zu betrachten. Angesichts des nur riesig zu nennenden Umfangs der Schriften des Augustinus können hier selbstverständlich nur einige „Grundlinien“ seines Werkes kritisch erwähnt werden, eines Denkens, das durchaus Entwicklungen vorweist, und diese Entwicklung führt weg von großer Offenheit in jungen Jahren hin zur Strenge und Militanz im Alter als Bischof.

3.
Kurt Flasch, Philosophiehistoriker und Philosoph, Spezialist für mittelalterliches Denken, ist ein international geschätzter Kenner der Werke des Augustinus. Kurt Flaschs Studien sind deswegen wichtig, weil sie nicht kirchengebunden sind, die bekanntlich oft der „enormen Größe und Bedeutung des heiligen Augustinus“ erliegen und nur nebenbei die Grenzen seines Denkens freilegen.

4.
Kurt Flasch bietet in einigen Kapiteln seines Buch „Warum ich kein Christ bin“ aus dem Jahr 2013 ( C.H.Beck Verlag) zentrale Erkenntnisse zu wichtigen theologischen Aussagen Augustins: Die Seitenzahlen in den Zitaten hier beziehen sich auf dieses Buch. Auf die große Augustinus – Studie Kurt Flaschs „Augustin. Einführung in sein Denken“, 487 Seiten (Reclam Verlag, 1980) kommen wir später zurück, um die eher knappen Ausführungen Flaschs von 2013 zu bestätigen.

5. Zum Umgang mit der Bibel:
Augustin will in seinem Buch „De consensu evangelistorum“ („Über den Konsens der Evangelisten“) eine Harmonie der Aussagen der vier Evangelisten herausstellen. „Augustin sah die Autorität der Glaubenszeugen bedroht, wenn sie nicht mit EINER Zunge sprachen. Seine Argumentation illustriert als ihr Gegenteil die historisch – kritische Methode der Bibelauslegung.“ (S. 53). „An einer kulturell – historischen Einordnung des Bibeltextes hatte er kein Interesse.“ (Ebd.). „Augustinus konnte kein Hebräisch und kaum Griechisch verstehen“ (ebd.), er glaubte mit den Übersetzungen der Bibel ins Lateinische die Bibel kompetent auslegen zu können…

6.
Augustin war als neu-platonischer Philosoph an rationalen Begründungen des Glaubens interessiert. Aber als Begründungen, sich auf den Glauben einzulassen, waren ihm dann doch äußerliche Fakten wichtig: Etwa: Die Missionserfolge der Kirche wurden gerühmt, auch die Wunder Jesu seien ein Grund zu glauben; und die regelmäßige Abfolge der Bischöfe seit Petrus sei hoch zu respektieren. Und vor allem: „Allein seine, Augustins Kirche sei die katholische, denn selbst Häretiker nennen sie so“ (S. 64).

7.
Platon spielte in der geistigen Entwicklung Augustins eine entscheidende Rolle. Augustin lehrte: „Der Glaube an die zeitliche Offenbarung (in Jesus) ermögliche die rein geistige Einsicht. Diese bestehe in der platonisierenden Erkenntnis Gottes als dem einzig beständigen Glück der Seele“ (S. 92f.)
Wesentliches der Philosophie Platons stimme mit dem christlichen Glauben überein, meinte Augustin. Das können Christen aber erst erkennen, wenn sie von der Gnade Gottes angeleitet werden.
„Wenn die großen griechischen Philosophen noch lebten, würden sie Christen sein. Sie bräuchten an ihren Lehren nur wenige Worte zu ändern“, so fasst Kurt Flasch Augustins Überzeugung zusammen (S. 93).
Augustin übernahm also den „platonisch-universalen Theismus“ (S. 93). Platons Begriff von Gott als dem „höchsten Gut“ setzte sich dann in der Kirche durch, ebenso die platonische Überzeugung, „sinnliches Vergnügen sei der Bestimmung der Seele fürs Jenseits unterzuordnen. (S. 94). „Augustins Neu – Platonismus konzentrierte sich darauf, die Seele durch asketisches Leben zum jenseitigen Dauerglück beim rein geistigen Gott zu führen.“ (S. 94).

8.
Die radikale Lehre von der Gnade, die Gott gewährt, ist seit 396/397 für Augustin entscheidend: „Für ihn endeten nicht mehr nur alle Ungetauften im ewigen Höllenfeuer, sondern auch die Mehrheit der Christen“ (S. 87).

9.
Auf die verheerende Erbsündenlehre Augustins, haben wir schon oft hingewiesen. LINK. Mit seiner Erbsündenlehre hat Augustin das christliche Denken vergiftet und Sexualität letztlich als „Übertragungsweg“ der Erbsünde deklariert.
Kurt Flasch schreibt: „Augustinus machte aus dem Apfelbiss, den der Jesus der Evangelien nie erwähnt hatte, den Sündenfall der gesamten Menschheit und den Beginn der Teufelsherrschaft auf Erden“ (S. 196). „Augustin dachte die Erbsünde als die durch geschlechtliche Vermehrung übertragene Fortdauer der Ursünde im Paradies. Augustin ERFAND die Erbsünde, die in der Theologie vor ihm nur ein Erbschaden war, nun als wahre Schuld, als wirkliche Sünde, die auch den Neugeborenen anhafte…“ (S. 197).
Die Konsequenz: „Im Denken Augustins kommen selbst alle Getauften nicht mehr in den Himmel.“ (S. 197) Erlösung heißt dann: Der von den Sünden der Menschen erzürnte Gott (Vater) „kann allein besänftigt werden durch die Tötung seines eigenen Sohnes, des Gottesohnes, am Kreuz“ (S. 198.) Diese abstoßende Vorstellung von einem Gott, der seinen Sohn in den Tod schickt als Erlösung der Menschen wird heute noch theologisch gelehrt, hat sich aber heute de facto wohl erledigt: Gebildete Christen glauben das einfach nicht mehr…
Aber Augustinus sagt: „Wenn Gott wollte, würden alle gerettet. Aber Gott will es nicht seit Adams Sünde; er rettet aus der Masse der Sünder nur, wen er retten will. Also geht die überwiegende Mehrheit für immer verloren“ (S. 208). An dieser Stelle muss an das Fortleben dieser theologischen Ideologie etwa im Denken des Reformators Calvins erinnert werden…

10.
Kritische Hinweise zu einigen zentralen theologischen Aussagen Augustins bietet keineswegs nur Kurt Flasch. Man muss nur die ausführliche Biographie des Historikers Peter Brown (Oxford) „Augustinus von Hippo“ lesen (auf Deutsch erschienen 1982): Auch Peter Brown beschreibt den schwierigen Charakter Augustins, seine Strenge als Bischof im Kampf gegen die große Glaubensgemeinschaft der Donatisten, seinen leidenschaftlichen, polemischen Kampf gegen Andersdenkende insgesamt. Sein Kampf galt auch kompetentem gebildeten Bischöfen wie Julian von Eclanum: Er lehnte die Erbsündenlehre Augustins ab und wurde von ihm verfolgt… Die Erbsündenlehre Augustins, die Julian von Eclanum zurecht ablehnt, beschreibt Peter Browns: „Da der Geschlechtstrieb für Augustin eine permanente Strafe war, wurde er als permanente Neigung, als triebhafte Spannung dargestellt, der man widerstehen konnte, die jedoch in Tätigkeit blieb, selbst wenn sie unterdrückt wurde“ (S. 340). Und weiter: „Der Gott des Augustinus war ein Gott, der eine Kollektivstrafe für die Sünde eines Mannes (Adam) verhängt hatte“. Die Lehre des 1. Timotheus Briefes im Neuen Testament: „Gott will, dass ALLE Menschen gerettet werden“ (1 Tim. 2,4) bemühte sich „Augustin wegzuerklären… (S. 351), also beiseite zu lassen, zu ignorieren. Und angesichts der theologischen Lehren des „liberalen“, auf die Kraft der menschlichen Freiheit setzenden Theologen Pelagius wollte er seine katholische Gemeinde wie in eine Festung einsperren, um sie vor den Angriffen des Irrlehrers zu schützen.“(S. 352). Über Pelagius contra August hat Kurt Flasch in seiner Studie „Augustin. Einführung in sein Denken“ ausführlich geschrieben (S. 176 ff.): “Als der Bischof von Rom, Zosimus, den Theologen Pelagius rehabilitierte, intrigierte Augustin solange beim kaiserlichen Hof in Ravenna, bis der Kaiser intervenierte…“ Deswegen wurde Pelagius aus Rom verbannt…“ (S. 178) und seine Anhänger auf Betreiben Augustins verfolgt. Augustin gelang es mit Bestechungen die Pelagius – Freunde einzuschränken, „gegen die verbleibenden Anhänger des Pelagius mobilisierte Augustin die Staatsgewalt“ (S. 179).

11.
Man mag auch im Buch von Peter Brown einzelne Zitate und Sentenzen finden, die einen sympathischen Augustinus zeigen: Aber im ganzen war er als Bischof ein sehr polemischer Theologe in den aufgewühlten Zeiten des 4. und 5. Jahrhunderts. Und es mag ja sein, dass seine Weisungen, also seine „Regel“ zum Zusammenleben der Priester (die so genannte Ordensregel) nach wie vor allgemein gehaltene, durchaus noch inspirierende Vorschläge enthalten, aber was bleibt denn sonst noch?
Nebenbei: Dass Augustinus von seiner Herkunft her ein Afrikaner ist, wird meines Wissens oft übersehen oder vergessen. Vielleicht wäre dieser „afrikanische Augustinus“ nicht nur eine Herausforderung für die Augustinerorden (es gibt ja mehrere), etwa indem sie ihre Klöster in Europa für Flüchtlinge aus Afrika öffnen und – wie die Jesuiten – einen „Flüchtlingsdienst“ einrichten…

12.
Henri Marrou, ein „klassischer“ Augustinus- Kenner und durchaus Augustinus – Freund, schreibt über die enorme Bedeutung Augustins in den Kirchen im 17. Jahrhundert: „Er erfüllt das ganze Jahrhundert, alle zitieren, benutzen und kommentieren ihn… es wird schließlich eine Besessenheit daraus: Man wagt nicht mehr, Vorbehalt und Kritik zu äußern, der heilige Augustinus hat immer und überall recht.“ (in Rowohlts Monographie „Augustinus“ von Henri Marrou, 1984, S. 147).

13.
Hinweise von Kurt Flasch aus einem Buch „Augustin. Einführung in sein Denken“, Reclam, 1980:
Im 17. Kapitel seiner Studie spricht Flasch vom „Zwiespalt Augustins“ (S. 403 ff.). Augustin sieht „das Böse gerade bei den `guten` Taten (S. 404). „Er bestand darauf, das Höllenfeuer sei körperliches Feuer“ (S. 419). „Solche Sätze gaben dem Kirchenglauben der westlichen Christenheit eine Buchstäblichkeit und Enge, die ihn mit der (philosophischen) Aufklärung in Konflikt brachte (S. 419). Und auch dies: „Die Gewohnheiten der Gruppe (bestimmter Christen) sollte das Sprechen einzelner normieren. Vielleicht hat Augustin an keiner anderen Stelle seinen Bruch mit dem antiken Ideal freier Rede härter und folgenreicher ausgesprochen als an dieser Stelle“ ( S. 420). „Der Militärdienst wurde bei ihm unbedenklich. Augustin konnte christliches Leben und Militärdienst erbaulich in Parallele setzen“(S. 422).

14.
Papst Leo XIV. beschwört als Augustiner seit Beginn seiner Regierung ständig den Wert der EINHEIT unter den Gläubigen. Der Papst meint, Einheit sei DIE zentrale Forderung Augustins für die Kirche auch heute. Wer sich allerdings genauer anschaut, wie im einzelnen Augustin als Bischof für die Einheit unter den vielfältigen Christen in Nordafrika damals sorgte (von der großen kirchlichen Bewegung der Donatisten war schon die Rede) und seiner katholischen Kirche auch mit Druck und Zwang zum Sieg verhalf, der hat seine Zweifel an der Relevanz der augustinischen Einheits-Idee. Sie passt angesichts der Pluralität der Kulturen und Theologien nicht mehr in unsere Zeit.

15.
Die Idee einer theologischen Einheit unter den eineinhalb Milliarden Katholiken heute ist ohnehin sehr problematisch. Denn die Vielfalt der Glaubensüberzeugungen und moralischen Vorstellungen ist unter den 1,5 Milliarden Katholiken heute so unterschiedlich, dass von einer Einheit keine Rede sein kann, Einheit im Sinne von: “Wir Katholiken glauben alle das Gleiche und haben die gleichen theologischen Prinzipien etwa zur Rolle der Frauen oder der Homosexuellen in der Kirche“ . Und eine solche Einheit „Alle glauben das Gleiche und sprechen in gleichen Formeln vom Glauben“ ist nicht nur faktisch unmöglich, sondern auch theologisch nicht wünschenswert und angesichts der Vielfalt der Kulturen auch sinnlos.

16.
Über die Bedeutung der Einheitsvorstellung beim Augustiner Papst Leo XIV. wird in Zukunft noch viel debattiert und kritisiert werden, hoffentlich.

Fußnote 1:
Es ist aber beachtlich, dass der Augustinus – begeisterte Papst Leo XIV. schon am 18.Mai 2025 in seiner ersten großen, wichtigen Predigt zur Amtseinführung betonte: “Es geht niemals darum, andere durch Zwang, religiöse Propaganda oder Machtmittel zu vereinnahmen, sondern immer und ausschließlich darum, so zu lieben, wie Jesus es getan hat.“ Und der Augustiner Papst Leo XIV. machte diese Aussage noch deutlicher: „Wir sind gerufen, allen Menschen die Liebe Gottes zu bringen, damit jene Einheit Wirklichkeit wird, die die Unterschiede nicht aufhebt, sondern die persönliche Geschichte jedes Einzelnen und die soziale und religiöse Kultur jedes Volkes zur Geltung bringt.“ Das sind hoffentlich programmatische, man möchte beinahe sagen: anti – augustinische Worte. LINK https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2025-05/wortlaut-predigt-von-leo-xiv-zur-amtseinfuhrung.html
Der Augustiner Papst Leo XIV. widerspricht der höchst problematischen Weisung des Bischofs Augustinus, man solle die unwilligen Menschen auch zwingen, den Glauben anzunehmen… Augustinus bezieht sich dabei auf das Gleichnis Jesu vom großen Gastmahl (Lukas14,23). Dieses Wort Jesu ist eine Einladung fremder Gäste zu einem Festmahl, es hat aber nichts mit zwanghafter Einfügung von Ketzern in die katholische Kirche zu tun, wie Augustinus dieses Jesuswort umdeutete. Augustinus versteht es als „Aufforderung zur Gewaltanwendung und er verwendet es neben anderen Argumenten als Beleg zur Billigung von Gewaltmaßnahmen gegen Häretiker. Das von Augustinus als dem erstem, doch nicht häufig verwendete Zitat hatte für die Ketzerbekämpfung in Mittelalter und Neuzeit verheerende Wirkung.“ LINK:

Fußnote 2:

Augustins Aussagen über Frauen:

“Ist Augustin auf eine gleichrangige Bewertung beider Geschlechter bedacht, so ändert sich das Bild bei der Frage nach dem Zweck der Erschaffung eines weiblichen Partners für Adam und den daraus folgenden spezifischen Aufgaben der Frau. Augustin: „Erschaffen wurde die Frau also für den Mann, aus dem Mann, mit ihrem Geschlecht, ihrer Formung und der Verschiedenheit ihrer Organe, die das Kennzeichen der Frau sind.“ Die Hilfsfunktion der Frau erfüllt sich ausschließlich in ihrer Rolle als Mutter. Die Frage nach möglichen Alternativen für die Rolle der Frau stellt Augustin sichtlich vor ein Rätsel: „Wenn die Frau nicht dem Manne zur Hilfeleistung, um Kinder hervorzubringen, gemacht worden ist, zu welcher Hilfe ist sie dann gemacht worden?“ Der Gedanke, Mann und Frau könnten durch freundschaftliche Beziehungen miteinander verbunden sein, erscheint Augustin als abwegig, schließlich birgt der Umgang mit Frauen stets die Gefahr der Erotisierung in sich, welche die Reinheit des freundschaftlichen Umgangs trüben könnte. Zudem implizierte der antike Freundschaftsgedanke die Freundschaft unter Gleichen, die allein die notwendige Einheit und Verbundenheit zu erbringen vermag.

Ihre anthropologische Bestimmung als Gehilfin des Mannes verpflichtet die Frau in der ehelichen Beziehung zu spezifischen Pflichten und Wesenszügen. Augustin entwirft das Sittenbild einer christlichen Ehefrau mit den wesentlichen Tugenden des Gehorsams und der Sittsamkeit im Rahmen ihrer Aufgabe als treusorgende Mutter der aus der Ehe entsprungenen Kinder.

Augustin beschränkt die Möglichkeiten weiblicher Selbstverwirklichung wie seine christlichen Zeitgenossen auf die Ehe, die Witwenschaft und die Jungfräulichkeit, wobei er stets die Superiorität der Jungfräulichkeit hervorhebt. Paradebeispiel für die Vollendung des „züchtig-frommen Frauentypus“ ist Maria, da sie sowohl das Ideal der Jungfräulichkeit als auch das der Ehefrau und Mutter in Reinform repräsentiert. An ihr wird auch die androzentrische Perspektive des frühchristlichen Frauenbildes deutlich, denn Maria erscheint nie als eigenständige Persönlichkeit, sondern stets nur in ihrer Beziehung zu einem männlichen Partner: Sie ist die jungfräuliche Mutter, die Braut Christi und die folgsame Gattin Josefs, und ihre Aufgaben beschränken sich auf ihre dienende mütterliche Funktion.

Sexuelle Enthaltsamkeit ist für Augustin aber nur dann von moralischer Bedeutung, wenn sie in dem höheren sittlichen Zweck der exklusiven Bindung an Gott und der Abwendung von allem Weltlichen gründet. Selbst eine mehrfach verheiratete christliche Frau ist für Augustin besser als eine jungfräuliche Häretikerin, da die spirituelle Virginität auch ohne die des Körpers realisierbar ist und umgekehrt.

Allerdings gibt der Autor Kiesel zu bedenken, dass Augustins Frauenbild auf dem Boden einer asketisch geprägten eschatologischen Naherwartung entstanden ist und demzufolge alle irdischen Beziehungen unter dem Aspekt der Vorläufigkeit und Zweitrangigkeit zu betrachten sind.”

Quelle: https://www.information-philosophie.de/augustinus-frauenbild.html.

SIEHE AUCH UNSEREN BEITRAG “AUGUSTIN EIN RIGIDER THEOLOGE der spätantiken Welt. veröffentlicht am 26.5.2025: LINK 

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