Karl Kraus – Sein „Dienst am kritischen Wort“

Ein Hinweis anläßlich des 150. Geburtstages
Von Christian Modehn am 18.4.2024

1.
Es gilt, vorsichtig zu sein, wenn wir aktuell an Karl Kraus, den Autor, Satiriker, Schriftsteller, den Kritiker der Sprache und der Wörter mit einem Hinweis erinnern:
Geboren wurde Karl Kraus am 28. April 1874 in Gitschin, Böhmen, gestorben ist er am 12.Juni 1936 in Wien.

2.
Warum eine besondere Vorsicht bei dem, hier nur sehr kurz gefassten, Erinnern an Karl Kraus?
Seine politische Haltung in etlichen seiner Lebensphasen haben Kenner oft reaktionär genannt, (so etwa Sigurd Paul Scheffel, in „Literaturen”, Heft 1/2 2004, S. 36). Manche betonen wohl zu recht, die Haltung Karl Kraus` gegenüber der liberalen Presse („Neue Freie Presse“, Wien) sei von Hass bestimmt gewesen. Sein Eintreten für den österreichischen Politiker und späteren Diktator Engelbert Dollfuß (1933/34) ist bekannt.„Dass er die ‚Bewegung’ (Nationalsozialismus) lange unterschätzt hat, lässt sich nicht leugnen“   LINK  
Karl Kraus hat sicher auch die Moderne und damit wohl auch demokratische Strukturen heftig attackiert.
Und auch dies: Karl Kraus, in einer liberalen, bürgerlichen jüdischen Familie großgeworden, hat später dieses elitär empfundene jüdische Milieu seiner Herkunft und Umgebung abgelehnt und öffentlich kritisiert. Er war gegen den Zionismus und erhoffte sich die Überwindung jeglicher Getto – Existenz der Juden von einer vollständigen Assimilierung der Juden an ihre Umgebung.
Karl Kraus ist 1899 aus der „jüdischen Kultgemeinschaft“ ausgetreten, er konvertierte im Jahr 1911 zum Katholizismus, sein Taufpate war in der Wiener Karls-Kirche der Architekt Adolf Loos. Kraus löste sich aber im Jahr 1922 wieder von der Kirche, wohl auch aus aktuellem Ärger darüber, dass in einer Salzburger Kirche weltliche Theateraufführungen stattfanden.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass Kraus keineswegs nur der scharfe und streitbare Polemiker, er war durchaus hilfsbereit, unterstütze großzügig z.B. Autoren in finanzieller Not… (vgl. „Karl Kraus“ von Paul Schick, Rowohlt Monographien, 1978, S. 58).

3.

Das umfangreiche Werk von Karl Kraus hat seinen Mittelpunkt in der satirischen Zeitschrift „Die Fackel“, sie erschien von 1899 – 1936, seit 1911 mit dem Zusatz “Sämtliche Beiträge von Karl Kraus“. „Die Fackel“ wurde in unregelmäßiger Folge publiziert, war im Sinne des Gründers und dann einzigen Autors eine Art anti-journalistische Zeitschrift, also eine, die gegen alle sprachliche Oberflächlichkeit argumentierte und polemisierte, sie legte Korruption und Verblendung frei – im Unterschied zu den damals üblichen führenden Presseerzeugnissen.

4.
Trotz der Probleme und Irritationen zu Karl Kraus sind für uns zwei Aspekte seiner Publikationen wichtig: Es ist seine SPRACHKRITIK, die auch in seinen zahlreichen Aphorismen Ausdruck findet.
Und wichtig ist es für uns, auf das berühmte Theaterstück, die Tragödie in 220 (!) Szenen, mit dem Titel „Die letzten Tage der Menschheit“ (verfasst von 1915 – 1922) hinzuweisen.

5.
Die Sprachkritik von Karl Kraus kann heute eine Anregung sein, kritisch mit dem eigenen Sprechen und dem Erleben der Sprache anderer umzugehen und zu einer neuen Wahrhaftigkeit des Sprechens und der Sprache zu finden, befreit von Floskeln und Schablonen.
Die folgenden Aphorismen von Karl Kraus sind entnommen: „Gemütlich bin ich selber“, Büchergilde Gutenberg, 2004. Die Seitenzahlen beziehen sich auf dieses Buch.

„Ich möchte mit der Umgangssprache nicht Umgang haben“. (Seite 81).

„ Mit Leuten, die das Wort èffektiv` gebrauchen, verkehre ich in der Tat nicht“ (S. 47).

„`Gottvoll` ist in mancher Gegend ein Superlativ von `komisch`. Ein Berliner, der eine Moschee betrat, fand diese gottvoll“ (S. 70).

„Nicht alles, was totgeschwiegen wird, lebt“ (S. 29).

„Am Chauvinismus ist nicht so sehr die Abneigung gegen die fremden Nationen als die Liebe zur eigenen unsympathisch“ (S. 23).

„Der Übermensch ist ein verfrühtes Ideal, das den Menschen voraussetzt“. (S. 22)

„Aussprechen, was ist – ein niederer Heroismus. Nicht dass es ist, sondern, dass es möglich ist: Darauf kommt es an. Aussprechen, was möglich ist!“. (S. 64)

„Meine Sprache ist die Allerweltshure, die ich zur Jungfrau mache“. (S. 63)

„Ein Übel gedeiht nie besser, als wenn ein Ideal davor steht“ (S. 77).

„Der Fortschritt macht Portemonnaies aus Menschenhaut“ (S. 60).

„Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten“ (S. 51).

„Sozialpolitik ist der verzweifelte Entschluss, an einem Krebskranken eine Hühneraugenoperation vorzunehmen“ (In: Karl Kraus, „Beim Wort genommen“,München, 1955, S. 70.)

„Der Unsterbliche erlebt die Plage aller Zeiten“ (ebd., S. 267).

„Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd des Gedankens“ (ebd. S, 235):

6.
Karl Kraus war überzeugt, dass sich schon in einem unauffälligen, „lockeren“, verschluderten Sprechen (und Schreiben), selbst von angeblichen Nebensächlichkeiten, etwas Übles, unbedingt Abzuwehrendes zeigt. Denn Sprache und Sprechen sind für ihn keine selbstverständlich wie automatisch laufende Aktivität, sie erfüllen keine äußere, diplomatisch – verschlüsselte Funktion. Sie sind als verstümmelte Formeln und ultra-kurze Phrasen nicht akzeptabel und des Menschen nicht würdig. In einer solcher Sprach – und damit Lebenspraxis wird nur Nebel verbreitet, und Herrscher wollen ihre Herrschaft etablieren. Karl Kraus will zu einer kritischen „Ehrfurcht vor dem Wort“ beitragen. Und die lebt von dem ständigen Zweifel an der Qualität des eigenen Sprechens.

7.
Die sozialen Medien heute sind bestimmt von ultrakurzen Informations- Fragmenten. Aktuell ist also – im Sinne von Karl Kraus – eine genau beobachtende Sprachkritik zu leisten, die etwa den Statements der PolitikerInnen gilt. Ein Beispiel die Floskel: „Das haben wir auf den Weg gebracht“. Eine solche „Info“ habe ich von einer so genannten „Spitzenpolitikerin“ in einem Interview von ca. 3 Minuten etwa 15 mal gehört (im Jahr 2024). Ihr fiel keine andere Sprache ein, um ihre politische „Aktivität“ präzise und umfassend mitzuteilen.
Mit dieser Floskel soll die dumpfe Ahnung geweckt werden, die Politiker hätten „etwas getan“, „etwas realisiert“, „etwas verändert“, „etwas reformiert“, sie hätten „ein Versprechen praktisch eingelöst“. Aber was passiert mit dem Projekt als einer Idee, die dann „auf den Weg gebracht“ wird und dort, auf dem Weg, vielleicht unerledigt liegen bleibt wegen der Allmacht der Bürokratie?
Immerhin wird das „Unwort des Jahres“ seit langem dokumentiert. Ein Beispiel: der Begriff „Kollateralschaden“. Er soll verschleiern, dass bei militärischen Attacken gegen einen Feind auch unschuldige Menschen, Zivilisten getötet werden. Wenn ein Politiker hingegen den Mut zur Wahrheit hätte und sagte: „Auch Zivilisten wurden getötet“ klingt dies verstörender und wahrhaftiger als zu sagen: „Es gab Kollateralschäden“. Es ist die Verwendung von Substantiven aus dem technischen Bereich, die das Unmenschliche verschleiern soll. „Kollateralschäden“ entstehen meist außerhalb der Verantwortlichkeit der Menschen.
Für das Ertrinken vieler tausend Flüchtlinge im Mittelmeer seit Jahren gibt es noch keinen verschleiernden, verharmlosenden, neutralisierenden Begriff. Vielleicht könnten – zynische – Politiker in ihrer Frechheit sagen: „Leider sind wieder viele Nichtschwimmer aus Afrika im Mittelmeer gescheitert“.

8.
Es gibt seit Jahrhunderten auch einen Verfall der religiösen Sprache: Man zähle nur einmal nach, wie oft etwa Papst Franziskus bei jeder kleineren oder größeren oder ganz großen Krise sich auf die Formel zurückzieht: „Ich werde für die Betroffenen beten“. Damit will er – in einem korrekten theologischen Verständnis – wahrscheinlich sagen: „Ich bin überzeugt, ich kann diese himmlische göttliche Macht durch meine Worte bewegen, alles zum Guten zu wenden.“ Man kann diese hilflose Frömmigkeit mit ihren floskelhaften Formulierungen durchaus Aberglauben nennen. Warum soll denn Gott höchst persönlich das Bitt-Gebet des Papstes erfüllen und nicht ein ganz anderes Gebet, etwa die Bitte des Putin – Freundes Patriarch Kyrill, Gott möge den Krieg Russlands zum Erfolg führen? Ob gegen den päpstlichen und überhaupt weit verbreiteten Aberglauben auch der Spruch gilt „Da hilft nur noch beten“, wäre zu prüfen. Oder ist Beten vielleicht doch das hilflose Schreien der armen Kreatur: des Menschen?

9.
„Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus, entstanden 1915 – 1922, als Antwort auf die Gräuel des 1. Weltkrieges.
Hier kann nicht das monumentale Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ (220 Szenen, 500 Figuren, viele Schauplätze, viele aktuelle Zitate eingebaut…) angemessen beschrieben oder kritisch betrachtet werden. Es kann nur empfohlen werden, dieses vielschichtige Werk mit viel Geduld zu lesen oder Kurzfassungen zu hören… , um sich aus jeglicher Ignoranz oder der Oberflächlichkeit in der Wahrnehmung des Krieges überhaupt zu befreien.
Auch hier wieder werden von Karl Kraus kritische Bemerkungen zu den leeren Floskeln und Worthülsen hervorgehoben, etwa, heute noch üblich, „Der Krieg ist ausgebrochen“. Wie ein Unwetter also, wie ein von Menschen unabhängiges Naturgeschehen? Solche Sprache erzeugt Gefühle der Verantwortungslosigkeit bei den Menschen. Kraus kritisiert ideologische Phrasen, wie „deutsche Bildung“ oder „christliche Zivilisation“. Er sieht in der Presse, dem oberflächlichen, ideologischen Journalismus eine der Hauptgründe für den Krieg und die „letzten Tage der Menschheit“. Sie die Ideologie, in der Presse verbreitet, hat „unser Herz ausgehöhlt“ (Karl Kraus)

10.
Wichtiger scheint mir, sich der Tatsache zu stellen, dass dieses ungeheuer große Drama mit der Auslöschung der Menschheit endet. Man nennt dieses Ereignis populär „Apokalypse“.
Dieser Gedanke, dass die Menschheit sich selbst vernichtet, ist heute so fern ja nicht, auch wenn „die Menschheit“ dieses absolute Ende auch heute gern verdrängt … und sich mit der Floskel rettet: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Den Wahrheit – Aspekt dieses frommen Wunsches hat noch keiner – Gott sei Dank – erlebt. Denn dann wäre die Katastrophe so total, dass die Menschen die Hoffnung verlieren und damit auch ihr geistiges und materielles Leben.

Anstelle dieses eher gedankenlosen frommen Wunsches „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ kommt es darauf an, genau zu bestimmen: Wer denn den Menschen die Hoffnung nimmt! Wer denn die existentielle Aussichtslosigkeit betreibt oder fördert. Es läuft auf die Erkenntnis hinaus: Es gibt Verbrecher in der Politik, die der Menschheit diese letzte Hoffnung permanent zu nehmen versuchen, diese Kriegstreiber und absoluten Nihilisten und Freunde des Todes in Russland, im Nahen Osten, im Iran, in Nord-Korea und so weiter.

Die Hoffnung wird heute also „getötet“. Von Menschen wird Hoffnung als Lebenselixier zum Sterben gebracht, durch Politiker, auch durch solche in der demokratischen Welt, die die schon bestehende Klima – Katastrophe ein bißchen „bewältigen“ wollen. Immer im Interesse ihrer Lobby – Gruppe. Und gegen solche Politiker oder international agierenden Ökonomen können die Bürger in der verbliebenen kleinen demokratischen Welt doch etwas tun. Oder?
Das Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ (Karl Kraus) könnte heute als Thema die letzten Tage der Menschheit meinen. Das zu sagen, hat nichts mit Pessimismus oder gar „Alarmismus“ zu tun. Dies ist eine Tatsachenbeschreibung.

11.
Das Drama endet mit dem Untergang der Welt. Gott, der Schöpfer der Welt, weist die Verantwortung für die „Apokalypse“ zurück, es war die Verblendung der Menschen, die entfesselte Unvernunft, die das definitive Ende bereitet. Gott sagt also in „Die letzten Tage der Menschheit“: „Ich habe es (das Ende der Menschheit) nicht gewollt“. Das heißt: Gewollt haben es Menschen, diese freien Wesen, die auch frei sind, um den Untergang zu wollen.

12.
Zum Schluss: Worte von Karl Kraus.

„Wo kommen all die Sünden nur hin, die die Menschheit täglich begeht? Sollten überirdische Wesen nicht finden, dass der Äther schon zum Schneiden dick sei?“ („Gemütlich bin ich selbst“, a.a.O., S. 83)

„ Meine Leser glauben, dass ich für den Tag schreibe, weil ich aus dem Tag schreibe. So muss ich warten, bis meine Sachen veraltet sind. Dann werden sie möglicherweise Aktualität erlangen“ (ebd., S. 37).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

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