Sinn (und Unsinn) der Verehrung Marias, der „Gottesmutter“…

Nicht nur im Monat Mai…

Ein Hinweis von Christian Modehn am 29.4.2024

1.
Die religiösen und durchaus esoterischen Phantasien der Katholiken und der nicht nur katholischen Künstler haben seit Jahrhunderten ein großes Thema: Maria, die Frau, die auch in offizieller katholischer und orthodoxer Lehre „Gottesmutter“ genannt wird, die aber, jenseits aller theologischen Spekulationen, eigentlich vor allem die leibliche Mutter Jesu von Nazareth war. Eine Mutter übrigens, mit der ihr Tischler – Sohn und spätere Prophet Jesus, laut neutestamentlichem Befund, allerhand Schwierigkeiten hatte. Familie war ohnehin nicht das dringende Thema Jesu von Nazareth.

2.
Weil aber die Herren der Kirche etwa im 4. Jahrhundert aus dem armen Propheten Jesus von Nazareth den Christus, den göttlichen Weltenherrscher, gemacht haben, wurde dann selbstverständlich aus der „armen Magd des Herrn mit Namen Maria“ die Gottes – Mutter: So hat es das Konzil von Ephesus im Jahr 431 beschlossen. Seit der Zeit wird die Mutter Gottes in Gebeten und Litaneien gelobt, gepriesen, vor allem aber angefleht um mutter-göttlichen Beistand. Bei so viel Enthusiasmus für die arme Frau aus Nazareth als Mutter Gottes lag es nahe, immer überschwänglicher zur werden: 1950 verfügte Papst Pius XII. das Dogma von der leiblichen (!) Aufnahme Marias in den Himmel. Als hätte die Welt nach dem Holocaust und dem 2. Weltkrieg keine anderen Sorgen! Aber kirchentreu wie die Regierungen damals waren, wurde dieses Fest (Feiertag am 15. August) sogar zum Staatsfeiertag erklärt, etwa in Bayern, in NRW, Baden – Württemberg… in Frankreich, Spanien und so weiter.

3.
Wichtiger ist: Die Gläubigen können sich in ihrem frommen Umgang mit Maria förmlich austoben in ihrer Phantasie: Nicht nur die Orte, in denen Maria als Jungfrau höchst persönlich „erschien“, wie Lourdes oder Fatima usw., sind Schöpfungen frommer und politisch-rechtslastiger Einbildungskraft. Tausend Namen wurde Maria zugewiesen, die „Lauretanische Litanei“ nennt 50, zuerst natürlich den Titel „Mutter Gottes“. Wenn man schon eine Gottes Mutter verehrt, dann liegt es doch der Phantasie folgend nahe: Maria auch neben Jesus Christus als Miterlöserin anzuerkennen und entsprechend zu verehren. Papst Pius XI. dachte daran und auch der Marien-Fan, der Pole Papst Johannes Paul II. Es ist wohl nur die Angst vor Auseinandersetzungen mit den Protestanten, dass Maria noch nicht offiziell als Miterlöserin neben Jesus Christus gestellt wird. Es gibt immer wieder Versuche extremer Katholiken, Maria als Miterlöserin zu deklarieren. LINK

4.
Auch wenn die Päpste bis jetzt nicht so weit gehen und Maria den Titel „Miterlöserin“ offiziell zusprechen: Tatsache ist doch wohl, dass de facto viele Marien-FreudInnen in ihrem eigenen spirituellen Sehnen und Klagen Maria (fast) wie eine Göttin verehren. Diese Tatsache ist unangenehm für die katholische Kirchenführung und wird deswegen auch nicht umfassend untersucht. Wer aber nur die vielen tausend Barock – Gemälde über den Altären anschaut, wird oft Maria als Himmelskönigin gleichberechtigt neben Gott – Vater und Christus thronend sehen. Maria also die Göttin im Christentum? In der katholischen Kirche? Das würde die Gesamtstruktur dieser Kirche erschüttern, nicht nur dem Monotheismus ein neues Gesicht geben, vor allem aber die männliche Klerus – Herrschaft beenden. Also: Bloß keine Göttin Maria im Katholizismus, ist die Devise der Kirchenführer. Dabei sind sie selbst die eifrigste Verehrer der idealisierten Frau, der Gottesmutter Maria, sie verpassen keinen Gedenktag in Lourdes oder Fatima. Auch der progressive Papst Franziskus liebt diese Orte, wo die Jungfrau höchstpersönlich angeblich wunderbar erschien.
Aber… Maria als Göttin: Das wäre eine Konkurrenz zum strengen männlich – göttlichen Gesetzgeber. Eine Maria als Göttin würde Sanftheit ausstrahlen, Zuversicht, Geduld, Hilfsbereitschaft, um einmal die klassischen „Frauen – Klischees“ auch hier zu bedienen. Klerikale Härte lässt sich mit einem männlich geprägten Gott besser durchsetzen…

5.
Gegen so vielen offenbar ungebremsten katholischen Überschwang im Religiösen ist religionswissenschaftlich und philosophisch zunächst nichts zu sagen. Jeder und jede kann glauben, was er oder sie glauben will oder was einem alles so einfällt, wenn er/sie der Phantasie freien Lauf lässt beim Gedanken an Maria, die Gattin des Joseph. Dann wird aber klassisch liberal immer hinzugefügt: Dies gilt, solange dieser Glaube andere Menschen nicht einschränkt in ihrer Freiheit.

6.
Darüber wäre eigens nachzudenken und zu forschen, dass der extreme Marien – Glaube in der spanischen Welt (auch Lateinamerikas) zu einer mystischen Überhöhung dieser Frau führt: Der die Männer sich „hingeben“ wollen, weil sie nur diese imaginäre Frau Maria wirklich verehren wollen. Dieser Kult kostet nichts, erzeugt keine Verantwortung, etwa für eine Familie. Gleichzeitig führt dieser oberflächliche männliche Glaube an die reine göttliche Jungfrau zu einer Degradierung der lebendigen Frauen und Partnerinnen in der Gesellschaft … und der Kirche… Frauen sind in dieser „Marien-Welt“ letztlich die Dienerinnen, die Gehorchenden, die „zur Verfügung Stehenden“, wenn nicht gar bloß die eher „schmutzigen Weiber“, die man unterdrücken darf. Die Abwehr des katholischen Lehramtes, Frauen zu katholischen Priesterinnen zuzulassen, beruht auf diesem uralten, mythischen Wahn der „schmutzigen“, der „unreinen“ Frau, die für den heiligen Dienst am Altar ungeeignet ist. Dieser Zusammenhang wurde hundertmal historisch nach – gewiesen.
Wie schmutzig jetzt männliche katholische Priester erkannt sind, im Rahmen des sexuellen Missbrauchs durch Priester weltweit, ist eine neue traurige Variante zum Thema „katholischer Schmutz“.

7.
Es müsste also endlich der Zusammenhang untersucht werden, zwischen veräußerlichtem Marien – Kult und Gewalt und Degradierung von Frauen. Die von Papst Franziskus viel gerühmte „Volksreligion“ in Lateinamerika enthält also viel Gift, das theologisch freigelegt werden müsste.

8.
Wir wollen hier daran erinnern, dass fromme Marien – Phantasien und Marien – Ideologien die seelische Entwicklung der Menschen einschränken können. Der hilflose Mensch steht einer willkürlichen Gottheit gegenüber selbst wenn diese ein freundliches weibliches Gesicht hat. Diese Frömmigkeit kann politisch lähmen, zur Resignation führen, es sei denn man liest das Gebet Marias, das „Magnificat“. Darin rühmt sie ihren Gott, der die Mächtigen vom Thron stürzt. Aber diesen Text singen die Mönche lieber auf Lateinisch als in der Landessprache. Zu „gefährlich“ … für Kirchen und Staat…und neoliberale Ökonomen, wenn sie sich darauf einließen.

9.
Wir haben auch – inspiriert von Hermann Kurze und Christiane Schäfer (Fußnote 1) – die bis heute üblichen Marien- Lieder untersucht. Alle diese alten Songs, auch heute noch im Gebrauch in Deutschland, haben diesen flehentlichen Charakter: Maria hilf, Maria die Barmherzige, Du bist die Königin, die Mutter Gottes… Das kann man ja glauben. Man muss nur wissen, welche Konsequenzen sich aus einer solchen Haltung ergeben: Das Gefühl der Abhängigkeit von irgendwie überirdischen Mächten, die selbstverständlich als göttliche Mächte tun und lassen können, was sie wollen im Umgang mit den Menschen. Zu unserem ausführlichen Hinweis zum Inhalt vieler üblicher Marien-Lieder: LINK.

10.
Eine christlich inspirierte Lebensphilosophie, Glauben genannt, hält nur eine Erkenntnis für wichtig, weil einsichtsvoll und vernünftig nachvollziehbar: Der Mensch lebt „trotz allem“ in einem Raum „göttlicher“, d.h. von keinem Menschen zerstörbarer transzendenter Geborgenheit. Diese Erfahrung kann trösten, darf aber nicht vertrösten. Sie gibt eine innere Ruhe auch in Krisenzeiten, sie ist aber nicht egozentrisch, sondern lebt vom Impuls, für die materielle Befreiung und politische Gleichberechtigung der anderen Menschen zu kämpfen. Im Sinne der Poesie des „Magnificat“. LINK:

Fußnote 1: Hermann Kurze, Christiane Schäfer, „Mythos Maria. Berühmte Marienlieder und ihre Geschichte“. C.H.Beck Verlag, 2014, 303 Seiten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Ein Gedanke zu „Sinn (und Unsinn) der Verehrung Marias, der „Gottesmutter“…

  1. Zu Maria als titelreicher Gottesmutter und zur Marienverehrung ist zu sagen, dass diese in einem ursprünglichen Wortsinne wahrhaft „esoterisch“, also für Uneingeweihte nicht oder nur schwer verständlich sind.

    Da sowohl das Urchristentum, als auch der Katholizismus Kinder der Antike sind, ist es unmöglich, deren spezifische Eigenarten ohne grundlegende Kenntnis der religiösen Theorie und Praxis der Antike zu verstehen. Schon der Monotheismus des Judentums und auch der des Katholizismus kam ja nicht aus einem luftleeren Raum, sondern entstand in einem lebendigen, durch große Vielfalt der Glaubensvorstellungen und Riten geprägten pagan-religiösen Umfeld.

    Die scheinbar so scharfe Abgrenzung der sich entwickelnden monotheistischen Strömungen vom Paganismus ist eigentlich eine Ironie und Paradoxie. Tatsächlich wurde nämlich von Beginn an vieles am äußeren Rahmen, der Ikonographie, der theologischen Nomenklatur und der religiösen Praxis im orthodoxem Lehramt und der Volksfrömmigkeit aus der paganen Umwelt übernommen oder nur umgedeutet und angepasst. Also alles (bis hin zum Glaube an Erlösung nach dem Tod) schon mal dagewesen, könnte man sagen. Dem Monotheismus entbehrte es offenkundig von Anfang an an Originalität, könnte man ebenfalls sagen.

    In diesem Kontext müssen auch scheinbar „typisch“ katholische Riten vom Weihrauch und Kerzenopfer bis hin zur Marienverehrung gesehen werden. Die im Hinweis erwähnten Titel Mariens von der „Gottesmutter“ bis zur „Himmelskönigin“ sind historisch betrachtet nichts Neues. Die schon allein religionsgeschichtlich und von ihrer immensen Wirkung her wahrlich große ägyptische Göttin Aset trug – auch und gerade in ihrer griechisch-römischen Variante als Isis – schon lange vor dem Christentum ähnliche Ehrentitel und wurde, wie auch andere Göttinnen, ähnlich verehrt.

    Über die teilweise verblüffend ähnliche Ikonographie und “Lebensgeschichte” von Isis und Maria wurde schon viel geschrieben, dennoch führt natürlich kein direkter Weg von Isis zu Maria, auch nicht im „christlichen Untergrund“. Parallelen sind aber nicht zu leugnen.

    Die sog. „Kirchenväter“ legten die Marienverehrung nicht nur wegen der Erlöserfunktion Jesu fest, sondern auch, um dem überaus virulenten Wunsch eines weiblichen Ansprechpartners für die Gläubigen nachzukommen. Im 4. Jahrhundert war der Isiskult nach wie vor sehr stark und attraktiv und die Wegführung und Transzendierung Mariens von der bloßen leiblichen Mutter hin zur zwar nicht göttlichen, aber gottähnlichen Person bot eine für den orthodoxen Katholizismus gefahrlosere Möglichkeit, die Volksfrömmigkeit entsprechend zu kanalisieren.

    Das kuriose Konzept der „Hyperdulia“, also der “gesteigerten” Verehrung zwischen normaler Verehrung (etwa von Heiligen) und Anbetung (von Gott) wurde exklusiv für Maria entwickelt. Dennoch fremdelte das Patriarchat der Kirchenoberen stets mit Maria und vieles blieb unter der offiziellen Ebene und aus den Gottesdiensten fern und fand nur auf Volksebene ohne Priester z. B. in kleinen Kapellen statt.

    Die einseitige Zuweisung der Marienverehrung und der Zuschreibung eines Status Mariens als Co-Redemptrix zu reaktionären kirchlichen Kreisen ist allerdings unzulässig.

    Das vom Verfasser selbst erwähnte und in Diktaturen oft verbotene Magnificat zeigt ja den selbstbewussten, revolutionären Charakter der Maria. In diesem Zusammenhang ist auch die oft missverstandene Jungfräulichkeit Mariens korrekt zu deuten. Diese kann nicht – wie es rechte christliche Kreise in ihrer Misogynie natürlich permanent tun – biologistisch interpretiert werden, sondern ist ein Ehrentitel für insbesondere von Männern (Patriarchen) und männlichen Wesen unabhängige, selbstbewusste und mächtige Frauen bzw. weibliche Wesen. „Jungfrau“ heißt in diesem Zusammenhang demnach frei, offen, ungebunden, selbstbestimmt und nicht eingeengt zu sein, v. a. nicht durch patriarchale Wunschvorstellungen.

    Das für viele progressive Christen und Christinnen sowie auch Nicht-Christen (darunter viele Neopagane) attraktive an der nicht-demütigen, selbstbewussten, „esoterischen“ Maria, welche nicht als “Immaculata”, sondern etwa in Gestalt von Schwarzen Madonnen etc. verehrt wird, ist ja gerade die Verbindung “geerdeter” unendlicher Güte, Liebe und Milde mit gleichzeitig großer himmlischer Macht.

    Zu einer solchen Maria kommen besonders die Gebrochenen, die „Sünder“ und Ausgestoßenen, da sie sich durch Fürsprache Mariens Gnade und Milde vor dem Weltenrichter erhoffen. Das ist nicht nur „Phantasie“, sondern für diese Menschen eine tiefe spirituelle Erfahrung. Sie hoffen und wissen, dass – salopp gesagt – die machtvolle und unendlich gütige Maria einem allzu strengen Richterspruch ihres Sohnes Einhalt gebieten wird.

    Der offiziellen Kirche ist dies selbstverständlich eher unangenehm und es wird verschwiegen, aber Maria lässt sich in ihren sprichwörtlichen „1000 Bildern“ halt nicht bändigen. Das esoterische Wissen war – durch Kunst bis hin zur für die Kirchenoberen „unaussprechlich-ketzerische“ Trinitäts-Schreinmadonna dargestellt – über die Jahrhunderte hinweg immer vorhanden.

    Tatsächlich bietet die Marienverehrung, wenn sie richtig verstanden und dem Missbrauch der Fundamentalisten entzogen wird, viel Raum für eine kooperative, menschenfreundliche, plurale und inklusive Religiosität. Damit kann sie durchaus einen wertvollen Beitrag gegen die zunehmend hasserfüllte religiöse Radikalisierung innerhalb und außerhalb des Christentums leisten.

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