Ein Jahr: Papst Franziskus

Am 13. März 2013 wurde Jorge M. Bergoglio zum Papst gewählt. Er gab sich – sensationell – den ungewöhnlichen Titel Franziskus.

Einen ersten Versuch eines Rückblicks außerhalb der jetzt üblichen Lobeshymnen auch von Journalisten können Sie lesen, wenn Sie hier klicken.

Über den Hedonismus. Wenn die Lust zur Vernunft kommt

NDR Glaubenssachen am 2. März 2014

Wenn die Lust zur Vernunft kommt

Die Aktualität des Hedonismus

Von Christian Modehn

Das Layout dieses Beitrags entspricht dem für Hörfunkproduktionen üblichen Format.

 

1. SPR.:

Philosophische Schulen der Antike erleben heute eine Renaissance: Wer die Belastungen des Alters voller Gleichmut ertragen will, sucht sich gern Inspirationen bei Seneca und Marc Aurel, den Stoikern. Freunde des geduldigen Dialogs folgen den Weisungen des Sokrates, des Meisters treffender Fragen. Und wer sich dem Vergnügen des Nachtlebens hingibt, hat keine Scheu, sich in aller Offenheit zum Hedonismus zu bekennen. Für diese Menschen ist die Hedonè, wie die alten Griechen sagten, also Genuss, Lust und Vergnügen der Lebensinhalt.

2. SPR.:

In Berlin schwärmen nicht nur Touristen von den „Tempeln der Lust“. Sie denken dabei nicht etwa an die altbekannten Orte der Ausschweifung, die Bordelle. Sie meinen die großen Music–Clubs, die am Freitagabend öffnen und erst wieder montags bei Tagesanbruch schließen. Diese Tempel sind alles andere als erbauliche Orte zum gemütlichen Verweilen. Einst waren in den riesigen Hallen Heizkraftwerke untergebracht, Mauern aus grauem Beton und nackte Eisenträger haben einen eigenen, leicht morbiden Charme.

1. SPR.:

Die Massen, die dort Einlass suchen, sind auf die Gnade der Türsteher angewiesen. Aber hat man einmal das Heiligtum betreten, ist beinahe alles erlaubt: Dem exzessiven Tanzen bei dröhnender House – Music widmet man sich halbnackt. Der gestylte Körper soll schließlich bewundert werden. Hochprozentiger Alkohol fließt in Strömen und auch andere Drogen werden nicht verschmäht. Für sexuelle Kontakte mit Zufallsbekanntschaften stehen halbwegs abgedunkelte Räume zur Verfügung.

2.SPR.:

Die Besucher dieser Stätten der Lust haben sich einen philosophischen Schutzpatron erwählt: Epikur ist ihr Lehrmeister; ihm wollen sie folgen, wenn sie für etliche Stunden am Wochenende dem Alltag entfliehen und nichts anderes im Sinn haben als die Hedoné, die Lebenslust.

1. SPR.:

Aber war Epikur tatsächlich ein Epikuräer, also ein Freund des Vergnügens, gar ein Lüstling? War der Philosoph, der vor 2.400 Jahren lebte, eine Art antiker Partygänger, ein hemmungsloser Genussmensch, ganz den üppigen Speisen ergeben und dem edlen Wein?

2. SPR.:

Tatsächlich, Epikur liebte die Lebensfreude über alles, auch den Genuss, selbstverständlich auch die Lust. Aber er hatte sich dabei doch den Sinn für feine Nuancen bewahrt. Denn er wollte lustvoll leben, ohne dabei auf den Verstand zu verzichten. Deswegen ist sein Denken heute noch inspirierend und hilfreich.

1. SPR.:

Im Jahr 341 vor Christus wurde Epikur auf der Insel Samos geboren; schon als Jugendlicher begann er, Philosophie zu studieren. 306 ließ er sich in Athen nieder und sammelte dort eine große Gemeinschaft von Schülerinnen und Schülern. Sie bevorzugten als Treffpunkt einen großen Garten, schön wie ein Park angelegt, auch für den Gemüseanbau blieb ausreichend Platz. Inmitten der Natur wollten die Freunde der Weisheit, die Philo-Sophen, einzig der Frage nachgehen: Was ist eigentlich das wahre Leben, was ist der rechte Gebrauch der Lust?

2. SPR.:

Als Epikur mit 70 Jahren starb, hinterließ er über 300 umfangreiche Werke. Die meisten Texte blieben nur als Fragmente erhalten. Aber die noch vorliegenden Werke zeigen die Vielfalt seiner Interessen, auch eine umfassende Lehre über das Wesen der Natur hat er entwickelt. Heute werden seine Hinweise zur Lebenslust besonders geschätzt.

3. SPR.:

Wir nennen die Lust das Prinzip und das höchste Ziel eines glückseligen Lebens. Meine Schüler, Ihr sollt darum in eurem Leben die Hedoné, die Annehmlichkeit, die Lust suchen! Kostet die Süße des Lebens aus. Ich weiß nicht, was ich mir als das Gute vorstellen soll, wenn ich die Lust des Geschmackes, die Lust der Liebe, die Lust des Ohres beiseite lasse, ferner die angenehmen Bewegungen, die durch den Anblick einer Gestalt erzeugt werden, und was sonst noch für Lustempfindungen im gesamten Menschen durch irgendein Sinnesorgan entstehen.

1. SPR.:

Aber wie jeder Philosoph muss dann auch Epikur den Sinn für die Unterscheidung der Geister wecken. Von blinder Begeisterung für die Lust hielt er nichts. So will er zwar nicht als Spielverderber auftreten oder als verbitterter Moralapostel. Aber er kann die entscheidenden Fragen nicht unterdrücken:

3. SPR.:

Wie kann ich als Mensch eigentlich richtig genießen? Welche Lust bereichert wirklich mein Leben?

1. SPR.:

Epikur plädiert also für einen kritischen Umgang mit der Lust, er möchte den Genuss kultivieren und zeigen: Wer genießt, erfreut sich nicht am hastigen Trinken eines Glases Wassers oder am eiligen Herunterschlingen einer Scheibe Brot irgendwo auf der Straße oder bei der Arbeit. Genuss ist vielmehr ein Zustand, Genuss meint die Dauer des Wohlbefindens. Also etwa das angenehme Gefühl, bei großer Hitze den Durst mit einem Glas frischen Wassers gestillt zu haben und dabei zu entspannen. Nicht der sexuelle Akt als solcher ist schon der ganze Genuss, genauso wichtig ist die viel länger anhaltende Freude an der erotischen Begegnung mit einem anderen Menschen. Dieses Gefühl des Wohlseins spendet Lebensenergie, macht Mut, den oft so grauen und grausamen Alltag zu gestalten. Lust als das dauerhafte Wohlbefinden lebt in der Erinnerung  weiter und stärkt die Sehnsucht nach einem heilsamen Zustand. Epikur betont:

3. SPR.:

Wenn wir also behaupten, dass die Lust das höchste Ziel sei, dann meinen wir nicht die Gelüste der Zügellosen und die Schlemmereien, sondern die Freiheit von Körperschmerz und Verwirrung des Geistes.

1. SPR.:

Wie andere Philosophen der klassischen Zeit in Athen oder Rom, etwa die Stoiker, versteht sich auch Epikur als Therapeut, der die Beschwerden von Leib und Seele mit vernünftigen Argumenten kurieren will.

2 .SPR.:

Man stelle sich einmal vor, Epikur würde heute leben und hätte den großen Film „The Wolf of Wallstreet“ mit Leonardo diCaprio in der Hauptrolle gesehen. Die Geschichte eines Brokers, der im Geld förmlich ersäuft. Denn er und seine Kumpanen steigern ihre Besessenheit, über alles Geld der Welt zu verfügen, ins Maßlose und Irrsinnige. Dabei werden sie völlig enthemmt, ihr Handeln folgt nur noch dem Motto: Zuviel ist nie genug. Das Ende des Brokers ist erbärmlich.

1. SPR.:

Epikur würde wohl sagen: Schade, Mister Wolf und ihr anderen Herren der Wallstreet; leider habt ihr niemals von meiner Lehre gehört, die ich so zusammenfasse:

3. SPR.:

Nicht Saufereien und Orgien am laufenden Band, nicht der ständige Genuss von Knaben und Frauen, auch nicht der Genuss von wertvollen Speisen und Fischen auf einer luxuriösen Tafel sind das lustvolle Leben! Vielmehr entsteht lustvolles Leben im nüchternen Nachdenken über jene irrigen Meinungen, die in der Seele die Verwirrung verursachen.

2. SPR.:

Ohne die Tugend der Klugheit mit ihrem kritischen Abwägen kommt auch das lustbetonte Leben nicht aus. Welcher Genuss nimmt mir meine körperlichen Schmerzen und meine seelischen Beschwerden? Und welcher Genuss überspielt bestenfalls diese Leiden kurzfristig und stachelt mich dann wieder an, erneut denselben Genuss zu suchen … um dann doch wieder erneut zu leiden?  Aus diesem traurigen Kreislauf gibt es nur ein Entkommen, betont Epikur:

3. SPR.:

Entscheidend für ein lustvolles Leben ist, die Vielfalt unserer Bedürfnisse zu unterscheiden: Es gibt Bedürfnisse, auf die niemand verzichten kann, weil sie natürlich und notwendig sind, wie zum Beispiel das einfache Essen und die elementaren Getränke, etwa das Wasser. Auch die Erotik gehört dazu. Mit Vorsicht sollte man sich hingegen Bedürfnissen hingeben, die zwar natürlich, aber nicht notwendig sind, wie etwa der Genuss von Wein oder der Vielzahl von Leckerbissen. Und meiden sollte man eher Bedürfnisse, die weder natürlich noch notwendig sind, also etwa Ruhm zu erwerben und mit großem Reichtum ausgestattet zu werden. Um würdig als Mensch zu leben, muss man nicht von überflüssigem Luxus umgeben sein.

1. SPR.:

Einfachheit und Genuss passen also bestens zusammen. Epikur und seine Freunde konnten sich an den frischen Kräutern und dem Gemüse aus dem eigenen Garten erfreuen, Fisch und Fleisch aßen sie nur selten. Hingegen fanden sie Zeit, für die wunderbaren Gaben der Natur zu danken. Sie ist für Epikur die ewige Quelle sprudelnden Lebens.

3. SPR..
Dank sei der seligen Natur, dass sie es uns erlaubt, das Notwendige leicht zu beschaffen. Dieses Notwendige kann schon unsere Lustgefühle wecken, etwa die Freude am frischen Brot und dem Käse, dem leichten Wein: Da wird der Leib befriedigt und die Seele ist zufrieden. Es geschieht die Mäßigung der Gier und das Gleichgewicht der Gefühle wird spürbar.

2. SPR.:

Epikur, der Philosoph der maßvollen Lust, wird heute auch als Meister des alternativen, bescheidenen Lebens gepriesen. Der französische Philosoph Michel Onfray hat als leidenschaftlicher Verteidiger einer hedonistischen Lebenshaltung diese Lehren Epikurs neu entdeckt. In einem Interview mit der Zeitschrift „Philosophie Magazine“ sagte Onfray kürzlich:

3. SPR.:

Ich halte eine Art Lobrede auf die Askese im Geistes Epikurs. Und die besteht im Wesentlichen darin, nur die elementaren Dinge wichtig zu nehmen. Wenn man ein Dach über dem Kopf hat, etwas zum Essen und sich zu wärmen, braucht man dann wirklich mehr?

1. SPR.:

Ja, der Mensch braucht doch noch etwas mehr, betont Epikur, nämlich die Freundschaft. Erst unter Freundinnen und Freunden wird ein bescheidenes Leben zu einem lustvollen Leben. Den großen Gemüse-Garten zu hegen und zu pflegen, macht ja  nur Sinn, wenn die Ernte gemeinsam verspeist wird. Lebenslust stellt sich erst ein, wenn man mit lieben Menschen gemeinsam den Wein genießen kann, und dabei ins Philosophieren kommt. Die Freundschaft gibt dem Leben mit all seinem Kummer erst Sinn, schärft Epikur ein:

3. SPR.:

Man hat eher darauf zu achten, mit wem man esse und trinke, als was man esse und trinke. Denn ohne Freunde beim Essen ist das Leben nichts als eine Abfütterung, wie bei einem Löwen oder Wolf.

2. SPR.:

Dieses bescheidene, aber lustvolle Leben in Gemeinschaft macht Sinn, meint der Philosoph. In solchen Stunden geistvollen Zusammenseins kann die Seele geheilt werden, weil man sich im Gespräch gemeinsam von falschen Vorstellungen befreit, etwa: Immer mehr zu Besitzen und zu Haben sei das Wichtigste im  Leben. Hingegen, so Epikur, komme es doch einzig auf die Unerschütterlichkeit und Gelassenheit an, die Ataraxía, wie die Griechen sagten:

3. SPR.:

Haben wir die Gelassenheit erreicht, legt sich der Sturm für unsere Seele. Diese Ataraxia, diese Ruhe der Seele ist vergleichbar der Ruhe auf dem Meer, wenn kein bedrohlicher Wind aufkommt.

1.SPR.:

Epikur entspricht ganz dem Geist der antiken Philosophie, wenn er sich auch als Therapeut versteht, er will die tief sitzenden Ängste bearbeiten, vor allem die Furcht vor dem eigenen Tod. Sie kann zu einem zerstörerischen, alle Lebenslust erstickenden Gefühl werden:

3. SPR.:

Der Schmerz der Seele, die Todesangst, ist heftiger und andauernder als der leibliche Schmerz.

2. SPR.:

Wer lustvoll leben will, muss auch die Todesangst bewältigen, heißt eine der Grundüberzeugungen Epikurs:

3. SPR.:

Wir sollten erkennen: Der Tod betrifft uns letztlich überhaupt nicht. Denn solange wir leben, ist der Tod nicht da. Wenn der Tod aber einmal da ist, sind wir als Menschen auch nicht mehr da. Der Tod betrifft also weder die Lebenden noch die Verstorbenen.

1. SPR.:

Epikurs Vorschlag klingt rigoros: Kümmert euch also nicht um euren Tod. Beachtet ihn nicht! Solange ihr lebt, seid ihr ja nicht tot.

2. SPR.:

Diese Lehre klingt sehr einfach. Aber sie hat ihre Grenzen. Denn ich bin ja immer auch mit dem Tod lieber Menschen konfrontiert. Der Abschied von ihnen fällt mir schwer. Was wird aus ihnen nach dem Tod, diese Fragen sind doch nicht zu leugnen. Was wird aus mir, wenn ich einmal tot bin. Trotz dieser Einschränkungen hat Epikurs Philosophie der vernünftigen Lust in der Antike eine enorme Aufmerksamkeit gefunden. Er galt als der Lebemeister schlechthin. Der Philosoph Charles Werner betont:

3. SPR.:

In der Zeit voller Wirren in der Antike hat die Philosophie Epikurs unzähligen Seelen Ruhe und Frieden gebracht.

2. SPR.:

Epikur und seine Freunde waren eher von einem positiven Menschenbild geprägt, sie waren so optimistisch zu meinen, der Mensch können das rechte Maß im Umgang mit seinen Leidenschaft und der Lust selbst finden.

1. SPR.:

Die Kirchen haben Epikur nie so recht respektiert, geschweige denn akzeptiert. Christliche Theologen konnten das Thema Lust und Genuss nicht unbefangen wie Epikur allein nach den Grundsätzen der Vernunft besprechen. Große Kirchenlehrer, wie Tertullian oder Augustinus im 4. Jahrhundert, waren überzeugt, dass seit dem Sündenfall von Adam und Eva im Paradies jeder Mensch völlig außerstande ist, sinnvoll genießen zu können. Lust und Genuss konnten nur zu einem lasterhaften, einem sündigen Leben führen.

2. SPR.:

Schon der erste christliche Theologe, der Apostel Paulus, lehrte: Lust, gerade auch sexuelle Lust, sollte besser erst gar nicht erst entstehen. Keuschheit und Ehelosigkeit galten ihm als höhere Werte. Lustbetonte Liebe durfte selbst in der Ehe nicht sein. Später konnte die katholische Kirche Begierden und Freuden der Erotik nur akzeptieren, wenn sie ausdrücklich die Zeugung von Kindern intendierten. Viele Christen wurden nun zwischen menschlicher Lust und kirchlichen Vorschriften förmlich hin und her gerissen und in unsägliche Seelenqual gestürzt. Sie ließen sich einreden, Lust, Freude, Vergnügen gehörten nicht zur guten Schöpfung Gottes!

1. SPR.:

Die tiefe Kluft zwischen einer epikuräischen Zustimmung zur Lust und einer christlichen Abwehr ist nur selten überbrückt worden. Erst im 15. Jahrhundert wagt es der katholische Philosoph und Mitarbeiter am päpstlichen Hof, Lorenzo Valla, die Lehre Epikurs auch den Christen ausdrücklich zu empfehlen. Valla verfasste die Schrift „Über das wahre und das falsche Gute“. Darin wird die Lust als eine erstrebenswerte Gabe Gottes dargestellt und den Christen zur Praxis nahe gelegt. Eine Ungeheuerlichkeit damals! Der evangelische Theologe Jörg Lauster hat auf diesen weithin vergessenen Theologen der Renaissance Zeit aufmerksam gemacht:

3. SPR.:

Die Lust ist im Sinne Vallas eine das Leben steigernde Kraft und darum ein wertvolles Ziel der Lebensführung, z.B: Auch der Genuss der Speisen und die Sexualität tragen zum Gelingen des Lebens bei.

1. SPR.:

Aber wie sein Meister Epikur musste der Theologe Valla dann doch eine Einschränkung machen:

3. SPR.:

Die Menschen müssen auch bei der Lust abwägen, was gut ist,  und dabei auch auf die Erfüllung mancher sinnlicher Lust zugunsten geistigen Genusses verzichten.

2. SPR.:

Insgesamt sind aber Lorenzo Vallas Überlegungen eine absolute Ausnahme, sie sind ein herausragendes Denkmal der christlich – humanistischen Renaissance-Philosophie geworden. Bescheidene Ansätze für eine positiv gestimmte Theologie der Lust finden sich erst im 20. Jahrhundert. Einer der wenigen Theologen, die die Lust im christlichen Leben aufwerten wollen, ist der Protestant Manfred Jossutis, Professor emeritus an der Universität Göttingen. In seinem Plädoyer für die Lebenslust steht sein Lob der Sexualität an erster Stelle:

3. SPR.:

Alle Menschen sind auch Produkte von Begehren und Lust. Zur persönlichen Annahme des geschenkten Lebens gehört deshalb nicht nur die Bejahung der eigenen Körperlichkeit, sondern auch die Bejahung jenes unheimlichen Aktes, in dem die eigene Existenz grundgelegt ist. Sexuelle Praxis ist immer auch ein Akt der Lebensbejahung.

1. SPR.:

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit! Aber in kirchlichen Kreisen muss das noch immer betont werden, etwa, wenn man an die offizielle Warnungen vor dem Gebrauch von Kondomen denkt. Auf katholischer Seite hat der französische Bischof Jacques Gaillot ausdrücklich gefordert, die Lust doch bitte als selbstverständliche Tugend des christlichen Lebens zu respektieren. Der Bischof von Evreux hatte den Mut, im Jahr 1989 seine Überzeugung in dem genannten Herren Magazin Lui (sprich Lüí) )zu verbreiten:

3. SPR.:

Lust gehört zu uns Menschen und zum Leben. Lust ist nicht zu verurteilen, sondern sie ist uns von Gott geschenkt. Nur sollte man bei dem Vergnügen immer die Achtung vor der eigenen Person bewahren und auch die anderen Menschen respektieren. Im übrigen aber ängstigt mich der internationale Waffenhandel mehr als die Freizügigkeit der Sitten in der Lust.

1. SPR.:

Über diese Worte war der Vatikan alles andere als erfreut. Jacques Gaillot wurde 1995 als Diözesanbischof abgesetzt. Ihm wurde das längst untergegangene Wüstenbistum Partenia irgendwo in einer algerischen Einöde übergeben. Der Verteidiger der Lust wurde in die Wüste geschickt!

2.SPR.:

So wenden sich auch religiöse Menschen, die ein gleichermaßen lustvolles wie vernünftiges Leben führen wollen, doch eher an die Philosophie. Als guten  Ratgeber erleben sie dabei den Philosophen Michel de Montaigne, er war Katholik und Humanist. Aber er liebte es nicht, etikettiert und eingeordnet zu werde: Er wollte nichts anderes sein als ein allseitig interessierter Mensch. Er hat in seinen bis heute viel gelesenen Essais geschrieben:

3. SPR.:

Man sollte den Lüsten weder nachlaufen noch vor ihnen wegrennen. Man sollte sie willkommenheißen. Ich nehme sie sogar mit etwas breiteren Armen auf als üblich. Gerade jetzt, wo ich alt bin sage ich: Wir sollten feste zugreifen, sobald sich eine günstige Gelegenheit der Lust bietet. Überlassen wir die täglichen Diätempfehlungen den Ärzten und den Kalendermachern.

1. SPR.:

Montaigne liebte die Lust und den Genuss zu einer Zeit, die von blutigen Religionskriegen bestimmt war. Angst und Verzweiflung waren im 16. Jahrhundert stärker als Lebensfreude und Zuversicht. Montaigne nannte seine Epoche verderbt und hirnlos, barbarisch und ungeheuerlich. Aber er sah darin keinen Grund, sich dieser allgemeinen Stimmung von Hass und Niedertracht zu beugen. So bleibt sein Grundsatz der Philosophie der Lust bis heute inspirierend:

3. SPR.:

Ich halte nichts von einem missmutigen und mürrischen Geist, der über die Freuden des Lebens hinweg schleicht und bei den Widerwärtigkeiten verharrt. Mein Grundsatz ist: Ich liebe das Leben und hege und pflege es so, wie Gott es uns ja gegeben hat.

2. SPR.:

Und damit man ihn ja nicht zu fromm versteht, fügt Montaigne hinzu:

3. SPR::

Fern liegt mir der Wunsch, das Leben möchte des Bedürfnisses nach Essen und Trinken enthoben sein.

COPYRIGHT: Christian Modehn Berlin

 

 

 

 

 

 

 

Kritische Hinweise zu Papst Franziskus – nach einem Jahr

Den Papst kritisieren: Ein Hinweis:    “Ein Jahr Papst Franziskus”.

Von Christian Modehn

Der folgende Beitrag wurde zuerst in ähnlicher Form in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM (am 28.2.2014) veröffentlicht. Am Ende des Beitrags hier finden Sie einige weitere Aktualisierungen zu der Frage: Ist Papst Franziskus tatsächlich ein Reform-Papst?

Bisher sieht es so aus, als würden alle halbwegs progressiv gestimmten Katholiken zu einem neuen Ultramontanismus neigen, zu einem  jubelnden Bekennen wie einst in Zeiten des Kulturkampfes im 19. Jahrhundert: “Der Papst ist der größte”. Jenseits der Alpen, ultra montes, da gibt es den guten Herrscher…. Und dann kann man das Lied anstimmen, wie damals in Holland: “Römisch das sind wir, römisch das bleiben wir”.  “Treu zu Rom” sangen die deutschen Katholiken, vielleicht sollte man das Lied wieder hervorholen?

Es gibt jedenfalls eine Art heilige Scheu, diesen Papst zu kritisieren. Dabei sollen seine persönlichen Leistungen nicht geleugnet werden: Sein eher bescheiden wirkendes Leben, den Verzicht auf das Wohnen im Renaissance-Palast, das Füßewaschen von Gefangenen (auch Frauen!), der Mut, die katholische “Basis” nach der Einschätzung der katholischen Moral wenigstens zu fragen, selbst wenn der Papst und mit ihm die Kurie gleichzeitig sagt: “Da kann eigentlich nichts geändert werden”. Das heißt: Die Umfragen offenbaren aus vatikanischer Sicht eher ein “falsches Bewußtsein”. Dass in der Abweisung der katholischen Moral der “Heilige Geist” an der Basis sich machtvoll Ausdruck verschafft und auf Änderung drängt, um es theologisch zu sagen, auf diesen Gedanken kommen weder der Hof  (die Curie) noch die Bischöfe. Früher gab es einen gewissen Respekt für den Begriff “sensus fidelium”. Im 2. Vatikanischen Konzil aber behauptete der Klerus explizit: Diesen sensus fidelum, diesen Glaubenssinn (der Basis, der Laien) den interpretieren und deuten selbstverständlich nur wir Kleriker in Rom und anderswo. Solche “Reformbeschlüsse” des 2. Vatikanischen Konzils, des “Reformkonzils”, werden gern vergessen.

In jedem Fall, so scheint es, will sich der eher progressive Teil des Katholizismus jetzt bestimmte Illusionen nicht nehmen lassen angesichts von Papst Franziskus. Merkwürdiger noch sind die konservativen Verteidiger des ancien régime unter Benedikt dem XVI., diesem (angeblichen) “Mozart unter den Theologen”, diesem “feinen Geist” und Augustinus Freund; diese Leute vom ancien régime kritisieren Papst Franziskus auf polemische, manchmal hinterhältige Weise. Man ahnt, in welcher Gesellschaft er sich befindet.

Es muss aber unter Journalisten in  Deutschland und überall in der Welt möglich sein, auch eine angebliche Lichtgestalt wie Papst Franziskus außerhalb von Heiligenlegenden und Huldigungen zu betrachten, selbst wenn man sich als Journalist einer modernen, einer neuen liberalen und  kritischen Theologie verpflichtet weiß, wie der Autor dieser Hinweise.

Zum Text selbst, der in sehr ähnlicher Form in PUBLIK FORUM veröffentlicht wurde:

Die Konservativen haben ihren Papst und die Reformer haben ihren Papst. Denn Franziskus will der Liebling aller sein. Die einen jubeln, wenn er Erzbischof Gerhard Müller, den obersten Glaubenshüter, zum Kardinal ernennt. Die anderen dürfen sich über seine „kollegiale Wende“ freuen, weil er sich von 8 Kardinälen beraten lässt. Die einen begeistern sich für seine dogmatisch „festen“ Predigten, die er in der Kapelle seines Domizils Santa Marta hält. Bei den anderen weckt er politische Leidenschaft, wenn er die Sache der Flüchtlinge zu seiner eigenen macht. Der Apostel Paulus nannte diese Haltung „allen alles werden“. Sie ist auch für Ignatius von Loyola, dessen Orden Jorge Bergoglio angehört, ein Leitprinzip.

Mitten in der Kirchenkrise und nach der eher frustrierenden Herrschaft Benedikt XVI., inszeniert Papst Franziskus seine Offensive des Charmes, des Lächelns, der Nähe. Wenn er schlichte Lebensweisheiten verbreitet, sind ihm die  Sympathien sicher. Am Valentinstag empfahl er den Eheleuten, niemals im Streit abends ins Bett zu gehen… In seiner argentinischen Heimat wird er bereits wie ein Heiliger verehrt: „Bescheiden, intelligent, zärtlich, stark, ehrlich und entschieden“ nennt ihn die dortige Theologin Nancy Raimondo.

Aber seine Menschenfreundlichkeit steht im Dienst einer größeren Sache: „Ich träume von einer missionarischen Entscheidung“, so in seinem Schreiben „Evangelii gaudium“, „die fähig ist, alles zu verwandeln“. Verändert werden sollen Gewohnheiten, Strukturen, Zeitpläne, Sprachgebrauch in der Kirche. Franziskus will durch seinen Eifer die Kirche wieder stark und attraktiv machen.

Seit den ersten Stunden seines Pontifikats wiederholt er unermüdlich: “Wie sehr wünsche ich eine Kirche für die Armen“. Sympathische Worte, wer könnte im Ernst etwas dagegen haben? Genauer betrachtet, wird diese Sehnsucht aber kaum präzisiert. Es wird kein Programm entwickelt, wie Armut in der Kirche realisiert werden kann. Das Hauptproblem liegt bei dem „FÜR“. Denn eine Kirche FÜR die Armen im Sinne des Papstes steht den Armen noch caritativ -helfend gegenüber. Hingegen entspräche das Motto „Eine Kirche DER Armen“ oder „eine Kirche MIT den Armen“ der Forderung der 500 Konzilsväter, die sich im so genannten „Katakombenpakt“  im November 1965 verpflichteten, radikal eine arme Kirche zu gestalten. Eine Kirche FÜR die Armen kann sogar noch Machtansprüche verbergen: Wenn etwa die Kirche als eine Art starke Volks – Bewegung verstanden wird, als Konkurrenz zu den eher linken „Volksbewegungen“ in Venezuela, Ecuador und Bolivien. Darauf hat der argentinische Philosoph und Theologe Rubén Dri hingewiesen.

Unklar bleibt, wie sich denn Franziskus eine gerechte Weltgesellschaft konkret vorstellt. Der entscheidende Ziel-Begriff  könnte heißen „Zivilisation der Armut“: Sie ist nur möglich mit „unvermeidlichen Einschränkungen im Lebensstil der reichen Länder“ (P. Martin Maier SJ). Konkrete Schritte zur Veränderung des Lebensstils der reichen Kirchen des Nordens hat Papst Franziskus bisher nicht beschrieben, geschweige denn durchgesetzt. Die päpstliche Bank will er zwar transparenter gestalten, sie soll nicht länger kriminellen Geldwäschern zur Verfügung stehen. Auch über die vatikanische Güterverwaltung, inklusive des Immobilienbesitzes, will der Papst mehr Klarheit: Aber es findet kein Nachdenken statt, warum denn ein Papst überhaupt eine Bank und ein Millionenvermögen braucht. Die uralten  vatikanischem Strukturen mit ihrem „Filz“ stoppen offenbar den Enthusiasmus des Papstes. Tief greifende Reformen hat er ja  am 4. Juli 2013 gewagt anzudeuten: „Selbst im Leben der Kirche gibt es alte und überholte Strukturen: Wir müssen sie erneuern“. Es fällt auf, dass der Papst vor allem in den ersten Monaten seines Pontifikates zu mutigen, man möchte sagen „radikalen“ Worten fand. Hat er jetzt Angst vor der eigenen Courage oder vor den Nachstellungen der Curie, des päpstlichen Hofes? Wie stark ist der Einfluss des Ultra-Orthodoxen Kardinals Müller? Er betonte am 12. Februar 2014 in diplomatischer Deutlichkeit: „Das Wichtigste ist freilich, dass unsere Kongregation (die Glaubensbehörde) dem Papst in seinem Petrusdienst zur Seite steht und ihm in seinem Lehramt zuarbeitet“.

In den letzten Wochen ist tatsächlich eine Zunahme „behutsamerer Formulierungen“ bei Franziskus zu beobachten: Zu wiederverheiratet Geschiedenen oder zur homosexueller Liebe vertritt er jetzt den uralten Standpunkt. Am 16. Januar 2014 sagte er: „Einen Christen ohne Kirche versteht man nicht. Auf Christus zu hören, nicht aber auf die Kirche, das geht nicht“.  Im Interview mit den Jesuitenzeitschriften vom August 2013 waren noch offenere Worte zu hören: „Gott ist im Leben jeder Person, im Leben jedes Menschen“. Auch der Mystiker Meister Eckart hat dies gelehrt, für ihn wurde dann aber die Kirche nicht mehr so wichtig.

Ist das theologische Profil des Papstes also zwiespältig und diffus? In dem Interview für die Jesuitenzeitschriften vom August 2013 konnte er noch sagen: „Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben“. Diese nicht so selbstverständliche Forderung illustrierte er damals mit einem Hinweis auf einen gewissen Respekt vor Homosexuellen: „Wir treten hier in das Geheimnis der Person ein. Gott begleitet die Menschen durch das Leben und wir müssen sie begleiten und ausgehen von ihrer Situation“.  Zu den Prinzipien katholischer Sexualmoral befragt, sagt er kurz und bündig: „Man muss nicht endlos davon sprechen“.  Da hatten die Leser den Eindruck: Die katholische Morallehre will der Papst zwar nicht nach den Prinzipien der Vernunft und Menschlichkeit neu formulieren und  korrigieren. Er macht es sich in gelegentlichen Äußerungen einfacher und empfiehlt, von den alten Lehren einfach nicht zu viel zu reden. Wird so ein altes  Motto katholischer Alltagsmoral beschworen: „Nach außen hin orthodox, nach innen liberal“?  In dem Buch „El Jesuita“ (Buenos Aires 2010) erzählt Kardinal Bergoglio selbst einen Witz: Zwei Priester diskutieren, ob ein neues Konzil den Pflichtzölibat aufheben wird. Da sagt der eine Priester: “Ich meine ja. Aber in jedem Fall werden wir das nicht mehr erleben. Sondern nur UNSERE Kinder“.

Wichtiger als solche Witzchen wäre es zu erfahren, wie sich der Papst die Zukunft der Kirche in Europa vorstellt angesichts des unbestrittenen Aussterbens des Klerus in vielen Ländern. Wie lange kann da ein Papst noch am Zölibatsgesetz festhalten? Mit einem Wort könnte er es abschaffen.

Die „einfachen, schlichten Gläubigen“, die er ohnehin ganz besonders liebt, werden auf andere Themen verwiesen, etwa auf die Marienverehrung. Sie ist die innere, die „intime“ Mitte seines Lebens. Sein Pontifikat hat er sofort unter den Schutz der Madonna von Fatima (Portugal) gestellt. Der Ort ist wegen seiner mysteriösen, apokalyptischen Visionen Marias bekannt. Auch Papst Johannes Paul II. verehrte diesen Ort. Und nur wenige Stunden im Amt, ist Papst Franziskus zum Gnadenbild von Santa Maria Maggiore geeilt. Der Jesuit Jorge Bergoglio war vom Kult der „Maria als Knotenlöserin“ begeistert. Das Bild entdeckte er in Augsburg und verbreitete es in Argentinien. Es zeigt die himmlische Mutter, wie sie Knoten entwirrt, die einen langen Faden unbrauchbar machen.

Dieser spirituellen Mittelpunkt wird sichtbar in dem Schreiben „Evangelii Gaudium“ : Nachdem der Papst „die Ungleichverteilung der Einkünfte“ und die „absolute Autonomie der Märkte“ gegeißelt hat, preist er Maria unvermittelt in klassischen Formeln als „Mutter der Liebe und „als Braut der ewigen Hochzeit“, dies nicht zur poetischen Erbauung, sondern als Orientierung. Mit Maria will er die Revolution der „Zärtlichkeit und Liebe“ beginnen. Spiritualität und politisches Handel werden verbunden! Von Menschenrechten spricht der Papst in „Evangelii Gaudium“ erst etwas ausführlicher, wenn er den Schutz „der ungeborenen Kinder“ fordert. Ohne differenzierter zu untersuchen, wann denn personales Leben im Mutterleib beginnt, meint der Papst pauschal: Abtreibung muss verboten sein, denn sie „vernichtet menschliches Leben“. Aber um allen gerecht zu werden, fordert er, Frauen angemessen zu begleiten, wenn sie den Schwangerschaftsabbruch wünschen.

Insgesamt, so betont die Befreiungstheologin Yvon Gebara (Brasilien), hat Franziskus keinen Blick für die Leistungen der Frauen in den feministischen Bewegungen. Ähnlich denkt der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto OP., er hält den Jubel seines Kollegen Leonardo Boff über den so wunderbar  progressiven Papst Franziskus für übertrieben. Franziskus schickt zwar im Januar 2014 ein nettes Grußwort zum Kongress der brasilianischen Basisgemeinden. Aber er geht mit keinem Wort auf die Forderung dieser Gemeinden ein, aus ihren eigenen Reihen Frauen und Männer für die Leitung der Eucharistie zu bestimmen. Fast gleichzeitig unterstützt er „fürs Volk“ die Verehrung der angeblichen Knochenreste des heiligen Petrus im Vatikan.

Über die Rolle des Jesuitenprovinzials Jorge Bergoglio  während der argentinische Militärdiktatur (1976 –83) gibt es immer noch keine Klarheit. Der Papst hat kein vorrangiges Interesse an Aufklärung und gesteht nur: „Oft werfe ich mir vor, nicht genug getan zu haben“, so in dem Buch „El Jesuita“. Er gibt zwar zu, eine Messe „vor der Familie des Diktators Videla in privatem Rahmen gehalten zu haben“. Dabei wollte er den Aufenthaltsort gefangener Priester erfahren. Ob ihm dies der Diktator mitteilte, verrät der Papst nicht. Gegenüber seinen Kritikern kann er nur – herablassend – sagen: „Herr, lehre mich, gegenüber dem Spott zu schweigen“. Der Befreiungstheologe Pater Jon Sobrino SJ meint: „Pater Bergoglio hatte jedenfalls nicht den Mut eines Erzbischof Romero“.  Der argentinische Philosoph Professor Enrique Dussel betont: „Bergoglio hat vieles unterlassen in der Zeit der Diktatur“.

Ein Jahr Papst Franziskus: Der Gesamteindruck ist zwiespältig: Er will den alt bekannten Wein in neue, nach außen hin attraktivere Gefäße gießen.

Der uralte Wein darf bestenfalls etwas nachgewürzt werden.

Darum noch mal die Nachfrage: IST PAPST FRANZISKUS TATSÄCHLICH EIN REFORM – PAPST?

Mit dem „alten Wein“ ist die alte Lehre in den uralten Worten, Formeln und Floskeln gemeint. Es herrscht bis heute ungebrochen und immer vom Vatikan verteidigt eine Sprache vor, etwa im offiziellen Glaubensbekenntnis, die dem 4. und 5. Jahrhundert angehört und tief in der neuplatonischen Philosophie verwurzelt ist. Ein Glaubensbekenntnis sollte für die 1, 3 Milliarden Katholiken ad hoc verständlich sein und nicht langatmiger Übersetzungen bedürfen. Zentrale Lehren, wie die etwa die Erbsündenlehre des Augustinus, um nur ein Beispiel zu nennen, sind kaum noch nachvollziehbar für kritische, gebildete (selbst noch religiöse) Menschen. Für andere ohnehin nicht. Diese Erbsündenlehre wurde einst propagiert, um die absolute Notwendigkeit der Taufe (und damit der Kirche und damit des maßgeblichen Klerus) herauszustellen. Dazu gibt es hervorragende Studien, etwa von Prof. Kurt Flasch zum Streit Augustins mit dem großen Theologen Julian von Eclanum. Er hielt die Sache der menschlichen Freiheit hoch. Zu welchen grausigen Vorstellungen die Erbsündenlehre etwa bei Calvin führte, ist bekannt. Ähnliche Korrekturen wären heute in der Trinitätslehre vorzunehmen, wo die Rede von den “drei Personen” kein Mensch korrekt ad hoc versteht, wenn er solches im Glaubensbekenntnis spricht und mindestens eine zweistündige Erläuterung braucht. Der große katholische Theologe Edward Schillebeeckx hatte seine intellektuelle Mühe mit der höchst mißverständlichen offiziellen Trinitätslehre: “Ich bin im Hinblick auf eine Trinitätstheologie fast ein Agnostiker” (in: E. Schillebeeckx im Gespräch, Edition Exodus, Luzern 1994, Seite 107). Solche Worte wurden und werden ignoriert. Die Kirchenführung hat enorme Angst, bestimmte Lehren beiseite zu lassen oder ganz neu zu formulieren, weil sie nicht nur von der angeblichen Ewigkeit dieser auch historisch entstandenen Dogmen überzeugt ist, sondern auch noch die antike Sprachform heilig findet, in der diese Lehen bis heute eingepaukt werden. Korrekturen der Lehre gelten so viel wie Gotteslästerung. Noch einmal: Es ist die Lehre, (es ist das Dogma ältester Prägung), die heute den katholischen Glauben jenseits der kritischen Kultur placiert und so irrelelvant und wirkungslos macht. Es gibt einen Atheismus, der entstanden ist aufgrund der nicht mehr nachvollziehbaren Dogmen. es gibt einen kirchlich verschuldeten Atheismus. Das könnten sich doch eingefleischte Dogmatiker mal vor Augen halten. Die päpstliche Liebe (des Papstes Franziskus) zur Volksreligion, die ja auch heute allerhand offiziell geförderte Blüten treibt (Fatimakult, Padre Pio, Knochenkulte genannt Reliquienverehrung, selbst noch das Festhalten am Ablass usw.) kommt wohl daher, dass der Papst spürt: Die alte Lehre ist kaum noch durchzusetzen, sollen sich die Frommen doch bei Nebenthemen tummeln…

Dieser Bruch zwischen dogmatischem Glauben und kritischem Bewusstsein kann nicht mehr gelöst werden, indem, wie üblich, einseitig der dogmatische Glaube wiederholt und eingepaukt wird. Das kritische Bewusstsein heute ist theologisch gesehen ein Zeichen des heiligen Geistes, das ernst zu nehmen ist. Das kritische Bewußtsein hat theologische Autorität!

Also: Das alte Bekenntnis verstehen nur noch Neuplatoniker. Papst Franziskus wird erst dann als Reformpapst in die Geschichte eingehen, wenn er an diesem Punkt Reformen setzt und für ein kreatives Denken und Sprechen sorgt, und, ja auch das, nicht mehr nachvollziehbare Glaubenslehren eben guten Gewissens beiseite legt. Von der Absolutheit der lateinischen Kirchensprache konnte sich der Vatikan schon im 2. Vatikanischen Konzil verabschieden, ebenso vom Limbus puerorum, der Vorhölle für ungetaufte Kinder, die so viel Angst und Schrecken über Jahrhunderte verbreitete…Der Vatikan konnte vor 50 Jahren die lange Zeit verdammte Urnenbestattung erlauben, er hat sich vom Index getrennt usw. Alles das sind nicht dogmatische, “definierte” Lehren, aber immerhin…

Es ist wohl Zeit, weiter aufzuräumen, auch im Blick auf die angeblich ewigen Glaubensgüter, die je bekanntlich fest in der Hand des Klerus (und nur des Klerus, also nicht des glaubenden Volkes Gottes) wirklich “ruhen”.

Mit diesem Befreiungsschlag für eine einfache und arme Kirchenlehre ist allerdings kaum zu rechnen. Wer tatsächlich einmal des Papstes viel gerühmtes, „modernes“ Schreiben „Evangelii Gaudium“ liest, findet in den 217 Anmerkungen bzw. Quellenangaben des Papstes ausschließlich Verweise auf päpstliche Äußerungen oder Stellungnahmen der Konzilien. Als einziger Laie und Autor wird der französische Schriftsteller Georges Bernanos (Fußnote 64) erwähnt und ein Zitat aus dem Roman von 1937 „Tagebuch eines Landpfarrers“ geboten, ansonsten fast nur Zitate von Bischofskonferenzen, dem mittelalterlichen Thomas von Aquin und Augustinus. Die viel besprochene Forderung von Papst Franziskus, die Kirche möge doch ihre  Selbstbezüglichkeit aufgeben, wird jedenfalls in dem Text „Evangelii gaudium“ nicht erreicht!

Wer wirklich den Bruch, Lessing sprach vom garstigen Graben, zwischen Moderne und Katholizismus beheben will, sollte nicht nur menschlich nett sein, so wunderbar und ungewöhnlich dieses für einen Papst auch sein mag. Er sollte nicht nur politisch radikale Forderungen publizieren (werden sie in den Kirchen Europas überhaupt gehört, geschweige denn umgesetzt, eher wohl nicht), ein Reformpapst muss sich der veralteten Lehre widmen und da vieles entstauben und beiseite stellen. Und dann auch über das Papstamt neu nachdenken.

Das heißt ja nicht, dass alles Moderne gut und besser ist. Aber ein Glaube mit neuplatonischen Bekenntnisformeln bleibt heute etwas für den kleinen Kreis der Esoteriker und Historiker. Und ein Papst, der auch als Papst Franziskus immer noch alles tun und lassen kann, was er will, ohne sich auf gewählte Gremien des Volke Gottes zu beziehen, ist und bleibt – gerade im Gedenken an die Reformation – für viele höchst fragwürdig. Dabei ist klar: Bei der völlig chaotischen Situation der Menschheit weltweit sind diese Themen sozusagen Nebensächlichkeiten. Es wäre wohl passender zu fragen: Wie können die Christen und die Kirchen die ethische Botschaft der gleichen Rechte für alle Menschen, die Lebenschancen für alle usw., Menschenrechte genannt, authentisch leben und durchsetzen. Die Idee des Papstes, eine Kirche FÜR die Armen zu gestalten, ist ja erst nur eine Idee, aber sie ist zu schwach. Es geht um eine gerechte Weltordnung mit Lebensmöglichkeiten für alle.

 

Copyright: Christian Modehn

 

 

 

 

 

Ein Jahr Papst Franziskus: Der Superpapst?

Zur Lektüre des ausführlichen und aktualisierten Textes klicken Sie hier.

Am 13. 3. 2013  wurde der argentinische Jesuit und Kardinal von Buenos Aires Jorge Mario Bergoglio zum Papst gewählt. Schon die Entscheidung für den Namen Franziskus finden viele bemerkenswert, eine Entscheidung, aus Respekt vor Franz von Assisi, dem Armen, dem Ordensgründer und radikalen Kirchenreformer im Mittelalter (bei seinen Reformvorschlägen wurde er dann von den Päpsten gebremst und amtlich sozusagen “vereinnahmt”).

Ein Jahr also Papst Franziskus: Wir weisen bei der Gelegenheit erneut empfehlend auf die Zeitschrift PUBLIK FORUM hin, dort erscheint in der Ausgabe vom 28.Februar 2014 aus diesem Anlaß eine Titel-Geschichte “Papst Franziskus-der Superpapst” von Christian Modehn. Zur Lektüre der Kurzfassung dieses Beitrags klicken Sie bitte hier. …Und vergessen Sie nicht, ein kostenloses Probeabonnenment zu bestellen. Publik-Forum ist eine von jeglicher Kirchenleitung unabhängige ökumenische Zeitschrift in Deutschland.

Gelassenheit. Ein Hinweis auf Epikur und Meister Eckart

Die Kriterien EPIKURS für ein Leben in der Gelassenheit, ataraxia. Und ein Hinweis zu Meister Eckart.

Zum Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am Freitag, den 14. Februar 2014, in der Galerie Fantom.

Einige TeilnehmerInnen baten darum, noch einmal einige Thesen zum Salon nachlesen zu können….

 

Epikur war kein „Epikuräer“ im Sinne von  „Genießer“ und „Lüstling“.

Er wollte als Philosoph die Heilung der Seele bewirken. Das entspricht ganz der allgemeinen Zielsetzung des Philosophierens in der Antike.

Die Heilung als Ruhe der Seele gelingt nur, wenn sich der Mensch seiner Lust stellt und unterscheiden lernt im Umgang mit seiner Lust.

Entscheidend für ein lustvolles Leben ist, die Vielfalt der Bedürfnisse zu unterscheiden:

– Es gibt Bedürfnisse, auf die niemand verzichten kann, weil sie natürlich und notwendig sind, wie zum Beispiel das einfache Essen und die elementaren Getränke, etwa das Wasser. Auch die Erotik gehört – zumindest in unserem Verständnis – dazu.

– Mit Vorsicht sollte man sich hingegen Bedürfnissen hingeben, die zwar natürlich, aber nicht notwendig sind, wie etwa der Genuss von Wein oder der Vielzahl von Leckerbissen.

– Und meiden sollte man Lust – Bedürfnisse, die weder natürlich noch notwendig sind, also etwa Ruhm zu erwerben und mit großem Reichtum ausgestattet zu werden. Um würdig als Mensch zu leben, muss man nicht von überflüssigem Luxus umgeben sein.

„An alle Begierden muss man folgende Fragen richten: Was wird mir widerfahren, wenn das Ziel der Begierde erreicht ist? Und was, wenn das Ziel der Begierde nicht erreicht ist“ (aus der so gen. Vatikanischen Spruchsammmlung des Epikur, Nr. 71).

„Es kommt darauf an so zu leben, dass man weder am Körper Schmerzen noch an der Seele Unruhe spürt“ (Brief an Menoikeus)

Epikur plädiert für das einfache  Leben. „Wenn man sich an die einfachen und nicht aufwendigen Lebensweisen gewöhnt, dann macht das einen vollständig gesund, und es macht den Menschen unbesorgt“. (Brief an Menoikeus).

Am wichtigsten ist die Freundschaft, auch als Ort, Gelassenheit einzuüben.

Die Gemeinschaft: „Man hat darauf zu achten, mit wem man esse und trinke, als was man esse und trinke. Denn ohne Freunde beim Essen ist das Leben nichts als eine Abfütterung, wie bei einem Löwen oder Wolf“.

– Gelassenheit heißt: Keine Angst vor dem Tod zu haben:

„Wir sollten erkennen: Der Tod betrifft uns letztlich überhaupt nicht. Denn solange wir leben, ist der Tod nicht da. Wenn der Tod aber einmal da ist, sind wir als Menschen auch nicht mehr da. Der Tod betrifft also weder die Lebenden noch die Verstorbenen“.

Die „unphilosophische Seele“ krankt an falschen Vorstellungen.

Die philosophische Seele kann selbst den Weg zur Gelassenheit verstanden als Atarxia finden.

Copyright: Christian Modehn

 

Thesen zur Lehre von der Gelassenheit, Meister Eckart.

Über diese Thesen und weitere Erkenntnisse des Philosophen Meister Eckart werden wir später in einem Salon ausführlich sprechen.

Die Gelassenheit ist der Zustand, in dem der Mensch nach mühevoller Arbeit an sich selbst alles gelassen hat und vertrieben hat, was ihn von dem wahren Gott trennt. Der gelassene Mensch ist dann der Neugeborene, der Gerechte.

Der Eckart Spezialist, Prof. Kurt Flasch, empfiehlt als Leitlinie des Verstehens:

„Es ist die Vernunft, die Mensch und Gott vereint, nicht ein Gefühl, der Glaube oder eine Vision“ (Kurt Flasch, „Meister Eckart“ , Beck Verlag 2009, Seite 50).

Der Seelenfunken liegt verdeckt unter den Schichten der Selbstsucht und dem Ich.

Es gilt, die den Seelengrund verdeckenden Schichten abzutragen. (Quint, Meister Eckart, 1969, S. 28.)  „Klebe nicht an selbst gefälligen Werken“.

„Steig auf dem Weg der Abgeschiedenheit und der Gelassenheit hinab in die Tiefen deines eigenen Seinsgrundes, indem du die sterilen Hüllen und Schalen deines kleinen Ich durchbrichst“, so S. 48.

„In der Einigung mit der Gotteskraft erfährst du die mächtigen Antriebe zu einem wesentlichen Wirken“, ebd.

Es geht um die Überwindung des „Scheinseins“  (des alltäglichen, unreflektierten Lebens) hin zum wesentlichen Sein.

 

Das Innewerden des göttlichen Funkens in mir ist jedem Menschen möglich. Es ist der Zustand der Wiedergeburt, des neuen Menschen nach dem Tod des alten Menschen. Es ist das Innewerden der Erlösung.

Das Leben des gelassenen Menschen führt zu einem Leben, das aus dem Ewigen, dem Göttlichen, dem Einen, heraus handelt. Es ist eine neue Gesinnung, die den Gelassenen auszeichnet. „Dass man Ruhe habe IM mühevollen Leben, das ist das Allerbeste“, so Meister Eckart, (zit. in Quint, s 41.) Werde, der du bist. Auch dies ein Grundsatz Eckarts. Mensch werde wesentlich, so Quint, S. 48.

Das gelingt nur in dem Wissen: Alles Sein dieser Welt ist getragen vom göttlichen Urgrund und ist aufgehoben im unendlichen göttlichen Urgrund.  (Quint S. 50).

Copyright: Christian Modehn