Kritische Hinweise zu Papst Franziskus – nach einem Jahr

Den Papst kritisieren: Ein Hinweis:    “Ein Jahr Papst Franziskus”.

Von Christian Modehn

Der folgende Beitrag wurde zuerst in ähnlicher Form in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM (am 28.2.2014) veröffentlicht. Am Ende des Beitrags hier finden Sie einige weitere Aktualisierungen zu der Frage: Ist Papst Franziskus tatsächlich ein Reform-Papst?

Bisher sieht es so aus, als würden alle halbwegs progressiv gestimmten Katholiken zu einem neuen Ultramontanismus neigen, zu einem  jubelnden Bekennen wie einst in Zeiten des Kulturkampfes im 19. Jahrhundert: “Der Papst ist der größte”. Jenseits der Alpen, ultra montes, da gibt es den guten Herrscher…. Und dann kann man das Lied anstimmen, wie damals in Holland: “Römisch das sind wir, römisch das bleiben wir”.  “Treu zu Rom” sangen die deutschen Katholiken, vielleicht sollte man das Lied wieder hervorholen?

Es gibt jedenfalls eine Art heilige Scheu, diesen Papst zu kritisieren. Dabei sollen seine persönlichen Leistungen nicht geleugnet werden: Sein eher bescheiden wirkendes Leben, den Verzicht auf das Wohnen im Renaissance-Palast, das Füßewaschen von Gefangenen (auch Frauen!), der Mut, die katholische “Basis” nach der Einschätzung der katholischen Moral wenigstens zu fragen, selbst wenn der Papst und mit ihm die Kurie gleichzeitig sagt: “Da kann eigentlich nichts geändert werden”. Das heißt: Die Umfragen offenbaren aus vatikanischer Sicht eher ein “falsches Bewußtsein”. Dass in der Abweisung der katholischen Moral der “Heilige Geist” an der Basis sich machtvoll Ausdruck verschafft und auf Änderung drängt, um es theologisch zu sagen, auf diesen Gedanken kommen weder der Hof  (die Curie) noch die Bischöfe. Früher gab es einen gewissen Respekt für den Begriff “sensus fidelium”. Im 2. Vatikanischen Konzil aber behauptete der Klerus explizit: Diesen sensus fidelum, diesen Glaubenssinn (der Basis, der Laien) den interpretieren und deuten selbstverständlich nur wir Kleriker in Rom und anderswo. Solche “Reformbeschlüsse” des 2. Vatikanischen Konzils, des “Reformkonzils”, werden gern vergessen.

In jedem Fall, so scheint es, will sich der eher progressive Teil des Katholizismus jetzt bestimmte Illusionen nicht nehmen lassen angesichts von Papst Franziskus. Merkwürdiger noch sind die konservativen Verteidiger des ancien régime unter Benedikt dem XVI., diesem (angeblichen) “Mozart unter den Theologen”, diesem “feinen Geist” und Augustinus Freund; diese Leute vom ancien régime kritisieren Papst Franziskus auf polemische, manchmal hinterhältige Weise. Man ahnt, in welcher Gesellschaft er sich befindet.

Es muss aber unter Journalisten in  Deutschland und überall in der Welt möglich sein, auch eine angebliche Lichtgestalt wie Papst Franziskus außerhalb von Heiligenlegenden und Huldigungen zu betrachten, selbst wenn man sich als Journalist einer modernen, einer neuen liberalen und  kritischen Theologie verpflichtet weiß, wie der Autor dieser Hinweise.

Zum Text selbst, der in sehr ähnlicher Form in PUBLIK FORUM veröffentlicht wurde:

Die Konservativen haben ihren Papst und die Reformer haben ihren Papst. Denn Franziskus will der Liebling aller sein. Die einen jubeln, wenn er Erzbischof Gerhard Müller, den obersten Glaubenshüter, zum Kardinal ernennt. Die anderen dürfen sich über seine „kollegiale Wende“ freuen, weil er sich von 8 Kardinälen beraten lässt. Die einen begeistern sich für seine dogmatisch „festen“ Predigten, die er in der Kapelle seines Domizils Santa Marta hält. Bei den anderen weckt er politische Leidenschaft, wenn er die Sache der Flüchtlinge zu seiner eigenen macht. Der Apostel Paulus nannte diese Haltung „allen alles werden“. Sie ist auch für Ignatius von Loyola, dessen Orden Jorge Bergoglio angehört, ein Leitprinzip.

Mitten in der Kirchenkrise und nach der eher frustrierenden Herrschaft Benedikt XVI., inszeniert Papst Franziskus seine Offensive des Charmes, des Lächelns, der Nähe. Wenn er schlichte Lebensweisheiten verbreitet, sind ihm die  Sympathien sicher. Am Valentinstag empfahl er den Eheleuten, niemals im Streit abends ins Bett zu gehen… In seiner argentinischen Heimat wird er bereits wie ein Heiliger verehrt: „Bescheiden, intelligent, zärtlich, stark, ehrlich und entschieden“ nennt ihn die dortige Theologin Nancy Raimondo.

Aber seine Menschenfreundlichkeit steht im Dienst einer größeren Sache: „Ich träume von einer missionarischen Entscheidung“, so in seinem Schreiben „Evangelii gaudium“, „die fähig ist, alles zu verwandeln“. Verändert werden sollen Gewohnheiten, Strukturen, Zeitpläne, Sprachgebrauch in der Kirche. Franziskus will durch seinen Eifer die Kirche wieder stark und attraktiv machen.

Seit den ersten Stunden seines Pontifikats wiederholt er unermüdlich: “Wie sehr wünsche ich eine Kirche für die Armen“. Sympathische Worte, wer könnte im Ernst etwas dagegen haben? Genauer betrachtet, wird diese Sehnsucht aber kaum präzisiert. Es wird kein Programm entwickelt, wie Armut in der Kirche realisiert werden kann. Das Hauptproblem liegt bei dem „FÜR“. Denn eine Kirche FÜR die Armen im Sinne des Papstes steht den Armen noch caritativ -helfend gegenüber. Hingegen entspräche das Motto „Eine Kirche DER Armen“ oder „eine Kirche MIT den Armen“ der Forderung der 500 Konzilsväter, die sich im so genannten „Katakombenpakt“  im November 1965 verpflichteten, radikal eine arme Kirche zu gestalten. Eine Kirche FÜR die Armen kann sogar noch Machtansprüche verbergen: Wenn etwa die Kirche als eine Art starke Volks – Bewegung verstanden wird, als Konkurrenz zu den eher linken „Volksbewegungen“ in Venezuela, Ecuador und Bolivien. Darauf hat der argentinische Philosoph und Theologe Rubén Dri hingewiesen.

Unklar bleibt, wie sich denn Franziskus eine gerechte Weltgesellschaft konkret vorstellt. Der entscheidende Ziel-Begriff  könnte heißen „Zivilisation der Armut“: Sie ist nur möglich mit „unvermeidlichen Einschränkungen im Lebensstil der reichen Länder“ (P. Martin Maier SJ). Konkrete Schritte zur Veränderung des Lebensstils der reichen Kirchen des Nordens hat Papst Franziskus bisher nicht beschrieben, geschweige denn durchgesetzt. Die päpstliche Bank will er zwar transparenter gestalten, sie soll nicht länger kriminellen Geldwäschern zur Verfügung stehen. Auch über die vatikanische Güterverwaltung, inklusive des Immobilienbesitzes, will der Papst mehr Klarheit: Aber es findet kein Nachdenken statt, warum denn ein Papst überhaupt eine Bank und ein Millionenvermögen braucht. Die uralten  vatikanischem Strukturen mit ihrem „Filz“ stoppen offenbar den Enthusiasmus des Papstes. Tief greifende Reformen hat er ja  am 4. Juli 2013 gewagt anzudeuten: „Selbst im Leben der Kirche gibt es alte und überholte Strukturen: Wir müssen sie erneuern“. Es fällt auf, dass der Papst vor allem in den ersten Monaten seines Pontifikates zu mutigen, man möchte sagen „radikalen“ Worten fand. Hat er jetzt Angst vor der eigenen Courage oder vor den Nachstellungen der Curie, des päpstlichen Hofes? Wie stark ist der Einfluss des Ultra-Orthodoxen Kardinals Müller? Er betonte am 12. Februar 2014 in diplomatischer Deutlichkeit: „Das Wichtigste ist freilich, dass unsere Kongregation (die Glaubensbehörde) dem Papst in seinem Petrusdienst zur Seite steht und ihm in seinem Lehramt zuarbeitet“.

In den letzten Wochen ist tatsächlich eine Zunahme „behutsamerer Formulierungen“ bei Franziskus zu beobachten: Zu wiederverheiratet Geschiedenen oder zur homosexueller Liebe vertritt er jetzt den uralten Standpunkt. Am 16. Januar 2014 sagte er: „Einen Christen ohne Kirche versteht man nicht. Auf Christus zu hören, nicht aber auf die Kirche, das geht nicht“.  Im Interview mit den Jesuitenzeitschriften vom August 2013 waren noch offenere Worte zu hören: „Gott ist im Leben jeder Person, im Leben jedes Menschen“. Auch der Mystiker Meister Eckart hat dies gelehrt, für ihn wurde dann aber die Kirche nicht mehr so wichtig.

Ist das theologische Profil des Papstes also zwiespältig und diffus? In dem Interview für die Jesuitenzeitschriften vom August 2013 konnte er noch sagen: „Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben“. Diese nicht so selbstverständliche Forderung illustrierte er damals mit einem Hinweis auf einen gewissen Respekt vor Homosexuellen: „Wir treten hier in das Geheimnis der Person ein. Gott begleitet die Menschen durch das Leben und wir müssen sie begleiten und ausgehen von ihrer Situation“.  Zu den Prinzipien katholischer Sexualmoral befragt, sagt er kurz und bündig: „Man muss nicht endlos davon sprechen“.  Da hatten die Leser den Eindruck: Die katholische Morallehre will der Papst zwar nicht nach den Prinzipien der Vernunft und Menschlichkeit neu formulieren und  korrigieren. Er macht es sich in gelegentlichen Äußerungen einfacher und empfiehlt, von den alten Lehren einfach nicht zu viel zu reden. Wird so ein altes  Motto katholischer Alltagsmoral beschworen: „Nach außen hin orthodox, nach innen liberal“?  In dem Buch „El Jesuita“ (Buenos Aires 2010) erzählt Kardinal Bergoglio selbst einen Witz: Zwei Priester diskutieren, ob ein neues Konzil den Pflichtzölibat aufheben wird. Da sagt der eine Priester: “Ich meine ja. Aber in jedem Fall werden wir das nicht mehr erleben. Sondern nur UNSERE Kinder“.

Wichtiger als solche Witzchen wäre es zu erfahren, wie sich der Papst die Zukunft der Kirche in Europa vorstellt angesichts des unbestrittenen Aussterbens des Klerus in vielen Ländern. Wie lange kann da ein Papst noch am Zölibatsgesetz festhalten? Mit einem Wort könnte er es abschaffen.

Die „einfachen, schlichten Gläubigen“, die er ohnehin ganz besonders liebt, werden auf andere Themen verwiesen, etwa auf die Marienverehrung. Sie ist die innere, die „intime“ Mitte seines Lebens. Sein Pontifikat hat er sofort unter den Schutz der Madonna von Fatima (Portugal) gestellt. Der Ort ist wegen seiner mysteriösen, apokalyptischen Visionen Marias bekannt. Auch Papst Johannes Paul II. verehrte diesen Ort. Und nur wenige Stunden im Amt, ist Papst Franziskus zum Gnadenbild von Santa Maria Maggiore geeilt. Der Jesuit Jorge Bergoglio war vom Kult der „Maria als Knotenlöserin“ begeistert. Das Bild entdeckte er in Augsburg und verbreitete es in Argentinien. Es zeigt die himmlische Mutter, wie sie Knoten entwirrt, die einen langen Faden unbrauchbar machen.

Dieser spirituellen Mittelpunkt wird sichtbar in dem Schreiben „Evangelii Gaudium“ : Nachdem der Papst „die Ungleichverteilung der Einkünfte“ und die „absolute Autonomie der Märkte“ gegeißelt hat, preist er Maria unvermittelt in klassischen Formeln als „Mutter der Liebe und „als Braut der ewigen Hochzeit“, dies nicht zur poetischen Erbauung, sondern als Orientierung. Mit Maria will er die Revolution der „Zärtlichkeit und Liebe“ beginnen. Spiritualität und politisches Handel werden verbunden! Von Menschenrechten spricht der Papst in „Evangelii Gaudium“ erst etwas ausführlicher, wenn er den Schutz „der ungeborenen Kinder“ fordert. Ohne differenzierter zu untersuchen, wann denn personales Leben im Mutterleib beginnt, meint der Papst pauschal: Abtreibung muss verboten sein, denn sie „vernichtet menschliches Leben“. Aber um allen gerecht zu werden, fordert er, Frauen angemessen zu begleiten, wenn sie den Schwangerschaftsabbruch wünschen.

Insgesamt, so betont die Befreiungstheologin Yvon Gebara (Brasilien), hat Franziskus keinen Blick für die Leistungen der Frauen in den feministischen Bewegungen. Ähnlich denkt der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto OP., er hält den Jubel seines Kollegen Leonardo Boff über den so wunderbar  progressiven Papst Franziskus für übertrieben. Franziskus schickt zwar im Januar 2014 ein nettes Grußwort zum Kongress der brasilianischen Basisgemeinden. Aber er geht mit keinem Wort auf die Forderung dieser Gemeinden ein, aus ihren eigenen Reihen Frauen und Männer für die Leitung der Eucharistie zu bestimmen. Fast gleichzeitig unterstützt er „fürs Volk“ die Verehrung der angeblichen Knochenreste des heiligen Petrus im Vatikan.

Über die Rolle des Jesuitenprovinzials Jorge Bergoglio  während der argentinische Militärdiktatur (1976 –83) gibt es immer noch keine Klarheit. Der Papst hat kein vorrangiges Interesse an Aufklärung und gesteht nur: „Oft werfe ich mir vor, nicht genug getan zu haben“, so in dem Buch „El Jesuita“. Er gibt zwar zu, eine Messe „vor der Familie des Diktators Videla in privatem Rahmen gehalten zu haben“. Dabei wollte er den Aufenthaltsort gefangener Priester erfahren. Ob ihm dies der Diktator mitteilte, verrät der Papst nicht. Gegenüber seinen Kritikern kann er nur – herablassend – sagen: „Herr, lehre mich, gegenüber dem Spott zu schweigen“. Der Befreiungstheologe Pater Jon Sobrino SJ meint: „Pater Bergoglio hatte jedenfalls nicht den Mut eines Erzbischof Romero“.  Der argentinische Philosoph Professor Enrique Dussel betont: „Bergoglio hat vieles unterlassen in der Zeit der Diktatur“.

Ein Jahr Papst Franziskus: Der Gesamteindruck ist zwiespältig: Er will den alt bekannten Wein in neue, nach außen hin attraktivere Gefäße gießen.

Der uralte Wein darf bestenfalls etwas nachgewürzt werden.

Darum noch mal die Nachfrage: IST PAPST FRANZISKUS TATSÄCHLICH EIN REFORM – PAPST?

Mit dem „alten Wein“ ist die alte Lehre in den uralten Worten, Formeln und Floskeln gemeint. Es herrscht bis heute ungebrochen und immer vom Vatikan verteidigt eine Sprache vor, etwa im offiziellen Glaubensbekenntnis, die dem 4. und 5. Jahrhundert angehört und tief in der neuplatonischen Philosophie verwurzelt ist. Ein Glaubensbekenntnis sollte für die 1, 3 Milliarden Katholiken ad hoc verständlich sein und nicht langatmiger Übersetzungen bedürfen. Zentrale Lehren, wie die etwa die Erbsündenlehre des Augustinus, um nur ein Beispiel zu nennen, sind kaum noch nachvollziehbar für kritische, gebildete (selbst noch religiöse) Menschen. Für andere ohnehin nicht. Diese Erbsündenlehre wurde einst propagiert, um die absolute Notwendigkeit der Taufe (und damit der Kirche und damit des maßgeblichen Klerus) herauszustellen. Dazu gibt es hervorragende Studien, etwa von Prof. Kurt Flasch zum Streit Augustins mit dem großen Theologen Julian von Eclanum. Er hielt die Sache der menschlichen Freiheit hoch. Zu welchen grausigen Vorstellungen die Erbsündenlehre etwa bei Calvin führte, ist bekannt. Ähnliche Korrekturen wären heute in der Trinitätslehre vorzunehmen, wo die Rede von den “drei Personen” kein Mensch korrekt ad hoc versteht, wenn er solches im Glaubensbekenntnis spricht und mindestens eine zweistündige Erläuterung braucht. Der große katholische Theologe Edward Schillebeeckx hatte seine intellektuelle Mühe mit der höchst mißverständlichen offiziellen Trinitätslehre: “Ich bin im Hinblick auf eine Trinitätstheologie fast ein Agnostiker” (in: E. Schillebeeckx im Gespräch, Edition Exodus, Luzern 1994, Seite 107). Solche Worte wurden und werden ignoriert. Die Kirchenführung hat enorme Angst, bestimmte Lehren beiseite zu lassen oder ganz neu zu formulieren, weil sie nicht nur von der angeblichen Ewigkeit dieser auch historisch entstandenen Dogmen überzeugt ist, sondern auch noch die antike Sprachform heilig findet, in der diese Lehen bis heute eingepaukt werden. Korrekturen der Lehre gelten so viel wie Gotteslästerung. Noch einmal: Es ist die Lehre, (es ist das Dogma ältester Prägung), die heute den katholischen Glauben jenseits der kritischen Kultur placiert und so irrelelvant und wirkungslos macht. Es gibt einen Atheismus, der entstanden ist aufgrund der nicht mehr nachvollziehbaren Dogmen. es gibt einen kirchlich verschuldeten Atheismus. Das könnten sich doch eingefleischte Dogmatiker mal vor Augen halten. Die päpstliche Liebe (des Papstes Franziskus) zur Volksreligion, die ja auch heute allerhand offiziell geförderte Blüten treibt (Fatimakult, Padre Pio, Knochenkulte genannt Reliquienverehrung, selbst noch das Festhalten am Ablass usw.) kommt wohl daher, dass der Papst spürt: Die alte Lehre ist kaum noch durchzusetzen, sollen sich die Frommen doch bei Nebenthemen tummeln…

Dieser Bruch zwischen dogmatischem Glauben und kritischem Bewusstsein kann nicht mehr gelöst werden, indem, wie üblich, einseitig der dogmatische Glaube wiederholt und eingepaukt wird. Das kritische Bewusstsein heute ist theologisch gesehen ein Zeichen des heiligen Geistes, das ernst zu nehmen ist. Das kritische Bewußtsein hat theologische Autorität!

Also: Das alte Bekenntnis verstehen nur noch Neuplatoniker. Papst Franziskus wird erst dann als Reformpapst in die Geschichte eingehen, wenn er an diesem Punkt Reformen setzt und für ein kreatives Denken und Sprechen sorgt, und, ja auch das, nicht mehr nachvollziehbare Glaubenslehren eben guten Gewissens beiseite legt. Von der Absolutheit der lateinischen Kirchensprache konnte sich der Vatikan schon im 2. Vatikanischen Konzil verabschieden, ebenso vom Limbus puerorum, der Vorhölle für ungetaufte Kinder, die so viel Angst und Schrecken über Jahrhunderte verbreitete…Der Vatikan konnte vor 50 Jahren die lange Zeit verdammte Urnenbestattung erlauben, er hat sich vom Index getrennt usw. Alles das sind nicht dogmatische, “definierte” Lehren, aber immerhin…

Es ist wohl Zeit, weiter aufzuräumen, auch im Blick auf die angeblich ewigen Glaubensgüter, die je bekanntlich fest in der Hand des Klerus (und nur des Klerus, also nicht des glaubenden Volkes Gottes) wirklich “ruhen”.

Mit diesem Befreiungsschlag für eine einfache und arme Kirchenlehre ist allerdings kaum zu rechnen. Wer tatsächlich einmal des Papstes viel gerühmtes, „modernes“ Schreiben „Evangelii Gaudium“ liest, findet in den 217 Anmerkungen bzw. Quellenangaben des Papstes ausschließlich Verweise auf päpstliche Äußerungen oder Stellungnahmen der Konzilien. Als einziger Laie und Autor wird der französische Schriftsteller Georges Bernanos (Fußnote 64) erwähnt und ein Zitat aus dem Roman von 1937 „Tagebuch eines Landpfarrers“ geboten, ansonsten fast nur Zitate von Bischofskonferenzen, dem mittelalterlichen Thomas von Aquin und Augustinus. Die viel besprochene Forderung von Papst Franziskus, die Kirche möge doch ihre  Selbstbezüglichkeit aufgeben, wird jedenfalls in dem Text „Evangelii gaudium“ nicht erreicht!

Wer wirklich den Bruch, Lessing sprach vom garstigen Graben, zwischen Moderne und Katholizismus beheben will, sollte nicht nur menschlich nett sein, so wunderbar und ungewöhnlich dieses für einen Papst auch sein mag. Er sollte nicht nur politisch radikale Forderungen publizieren (werden sie in den Kirchen Europas überhaupt gehört, geschweige denn umgesetzt, eher wohl nicht), ein Reformpapst muss sich der veralteten Lehre widmen und da vieles entstauben und beiseite stellen. Und dann auch über das Papstamt neu nachdenken.

Das heißt ja nicht, dass alles Moderne gut und besser ist. Aber ein Glaube mit neuplatonischen Bekenntnisformeln bleibt heute etwas für den kleinen Kreis der Esoteriker und Historiker. Und ein Papst, der auch als Papst Franziskus immer noch alles tun und lassen kann, was er will, ohne sich auf gewählte Gremien des Volke Gottes zu beziehen, ist und bleibt – gerade im Gedenken an die Reformation – für viele höchst fragwürdig. Dabei ist klar: Bei der völlig chaotischen Situation der Menschheit weltweit sind diese Themen sozusagen Nebensächlichkeiten. Es wäre wohl passender zu fragen: Wie können die Christen und die Kirchen die ethische Botschaft der gleichen Rechte für alle Menschen, die Lebenschancen für alle usw., Menschenrechte genannt, authentisch leben und durchsetzen. Die Idee des Papstes, eine Kirche FÜR die Armen zu gestalten, ist ja erst nur eine Idee, aber sie ist zu schwach. Es geht um eine gerechte Weltordnung mit Lebensmöglichkeiten für alle.

 

Copyright: Christian Modehn

 

 

 

 

 

Glauben ist einfach. Eine arme Kirche braucht keine mächtige Lehre. Eine Ra­dio­sen­dung am 23. März 2014

Glauben ist einfach. Eine arme Kirche braucht keine mächtige Lehre.

Eine Ra­dio­sen­dung: HR2 am 23.3. 2014 um 11. 30 Uhr

Von Christian Modehn

Papst Franziskus hat gleich zu Beginn seines Pontifikates deutlich gemacht: Die Kirche muss nicht nur die Armen achten und verteidigen. Vielmehr sollte die Kirche selbst arm werden. Franziskus selbst verzichtet bewusst auf viele Symbole päpstlicher Pracht, den barocken Hofstaat lehnt er ab, sein Zuhause ist kein Palast. In seinen Predigten und Rundschreiben fordert der Papst die radikale Hinwendung zu Jesus Christus: Da liegt die Mitte des Glaubens. So ist es nur konsequent weiter zu fragen: Sollte sich der christliche Glaube seinerseits als ein „armer“, d.h. einfacher Lebensvollzug präsentieren? Befreit von uralten Traditionen und Vorschriften, weil diese den Zugang zu Gott heute eher verstellen? So könnte das Wesen des Glaubens wieder in den Mittelpunkt rücken, die Liebe zu Gott und den Menschen. Ein solcher „armer“ Glaube ist einladend für suchende und zweifelnde Menschen von heute.