Die Gabe der Götter: Für eine Philosophie des Weines

Die Gabe der Götter: Hinweise zu einer Philosophie des Weines

Von Christian Modehn

Alles kann Thema des Philosophierens und damit der Philosophie werden. Auch der Wein. Er ist ein eher wenig beachtetes Thema der Philosophie. Sich darauf einzulassen, ist alles andere als ein “Luxus”.Es geht dabei um die Frage, wie wir leben wollen. Wie wir essen und trinken und miteinander feiern wollen. Wie wir mit den Gaben der Natur umgehen: Nehmen wir das, was uns leben lässt, was uns aus den Grenzen des Daseins etwas befreit und manchmal erhebt, noch als “Gabe”, als “Geschenk” (der Natur, des Göttlichen?) wahr? Oder ist für uns, die wir uns auf die Rolle der “Konsumenten” und “Schnäppchen-Jäger” begrenzen lassen von der Herrschaft des Marktes, alles nur noch “Industrie-Produkt” anonymer Herkunft: Bestimmt zum schnellen Verzehr, möglicherweise dann auch zum Wegwerfen, damit wir den hastigen Rhythmen der Arbeitswelt willig entsprechen? Wer sich auf die Philosophie des Weins einlässt, merkt vielleicht, wie eingeschränkt sein Leben (bis jetzt) ist. Die Besinnung auf den Wein als Gabe, als Geschenk der Götter/des Gottes, kann befreien…

Wir nennen einige Aspekte, die gleichsam „Bausteine“ sein können zum Thema: „Wein – Eine Gabe der Götter“.

Diese Gedanken wurden im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 29. Mai 2015 in der Weinhandlung SINNESFREUDE (Leitung Wolfgang Baumeister) in Neukölln, Jonasstr. 32, vorgestellt.

1.

Zur Einstimmung, bei einem Glas Wein: Wenn man sich philosophisch auf ein Thema einlässt, wird im Nach-Denken das alltägliche, das gewöhnliche und übliche Verständnis verwandelt. Was man vorher fixiert und fest zu verstehen, wenn nicht zu wissen meinte, erscheint nun „anders“; vielleicht verfremdet, in neuen Zusammenhängen, in überraschend-tieferer Bedeutung. Dieses neue Verständnis ist dann allerdings kein Endpunkt, sondern nur ein weiterer Ausgangspunkt für erneutes Nachdenken. Das gilt auch beim Thema Wein. Viele Menschen, besonders Weinfreunde wissen allmählich: Wein ist mehr als ein Getränk. Wein ist alles andere als ein Durstlöscher, ist mehr als ein Produkt von ausgeklügelten industriellen „Wein-Fabriken“. Wein ist viel mehr als ein Spekulationsobjekt für Kenner, die als connaisseurs beste Lagen und die richtigen Jahrgänge bevorzugen und nach guter Lagerung erfolgreich verkaufen. Wein als Objekt des Marktes? Entspricht das der “Würde” des Weines?

Es gibt in der Literatur, der Poesie, der Philosophie, der Religion, noch Erinnerungen daran, dass Wein und Weintrinken doch etwas ganz anderes, Bedeutungsvolles, ist: Wir stoßen immer noch mit Wein an: „Prosit“, sagen wir in Deutschland. In Frankreich heißt es bloß „salut“ oder „à votre santé“. Die Vermutung gilt: Wein hat etwas mit salut, das heißt ja Heil, Gesundheit, vielleicht auch mit Glück zu tun. Wir wissen das, zumindestens “unbewusst”, sonst würden wir ja sinnlose Sprüche sprechen.

Wein fördert die Gesundheit. Maßvoll getrunken, versteht sich, so wie alles im Leben dem individuellen Maß entsprechen sollte. Das wusste schon der Autor des 1. Timotheusbriefes im Neuen Testament, als er seinen Gemeindeleiter ermahnte: „Trinke ein bisschen Wein um des Magens willen“ (1 Tim. 5,23). Wichtig dabei insgesamt: Für die ersten Christen war Wein selbstverständliches Getränk. Wein wurde als Heilmittel angesehen. Aber bitte: Nur ein bisschen trinken. Also: Maß halten.

Es gibt noch den alten Spruch aus Griechenland: “Im Wein ist Wahrheit”. Weil der Wein die Zunge lockert, Mut macht, in Gesellschaft und vor sich selbst, ehrlich und wahrhaftig zu sprechen. Da werden wir vielleicht, mit Wein, so wie wir sind…

Jedenfalls gilt es das Besondere des Weins festzuhalten: „A votre santé“ sagt man meines Wissens nicht, wenn man gemeinsam Coca Cola oder eine Limonade trinkt.

Mir geht bei der jetzt vorgestellten kleinen Philosophie des Weins um einige Hinweise zum Weiterdenken, die durchaus eine neue Wein-Kultur befördern können. Das mag angesichts der heutigen Situation der Welt, des fundamentalistisch bedingten Mordens und religiös motivierten Abschlachtens und des sozialen Elends wie ein Luxus erscheinen. Aber es geht jetzt um eine Frage der inneren Einstellung, durchaus der Lebensfreude, vermittelt durch „Sinnesfreude“, und diese Lebens/Sinnesfreude hat dann sicher auch vernünftige politische Wirkungen in Richtung lebendiger Solidarität. Menschen ohne eigene Lebensbejahung und Lebensfreude können nicht solidarisch sein.

Auf diese Gedanken kommt man, wenn man Wein nicht nur allein genießt, sondern mit anderen, idealerweise beim (kleinen) Fest. Weintrinken, langsam, dem Aroma des Weins gegenüber senibel, überwindet die allzu oft erlebten Öde und Banalität des Daseins.

2.

Das ist ein erster Impuls einer Philosophie des Weins: Wein ist ein Geschenk, auch wenn viele Leute daran gearbeitet haben, er ist eine Gabe? Aber wer gibt? Religiöse und metaphysisch noch ansprechbare Philosophen sagen: Wein ist eine Gabe der Götter, also etwas Wunderbares, auch wenn man tausend mal die Wein-Chemie und die Poduktion analysieren und erklären kann.  Auf diese Spur bringt uns der Dichter Friedrich Hölderlin: Und dabei muss man dann auch etwas ausholen: Hölderlin spricht vom Wein in einem für uns Heutige zunächst ungewöhnlichen Zusammenhang. Er hat als Theologiestudent in Tübingen von 1788 bis 1793 seine Gegenwart, die Gesellschaft, den Staat und vor allem auch die dort vorherrschende protestantische Kirche als Erstarrung erlebt. Hölderlin spricht von einer „götterlosen, einer bleiernden Zeit“ . Und dies vor allem im Vergleich mit dem freiheitlichen, bewegten Aufbruch in Frankreich: Die dortige Revolution erlebte er mit seinen Tübinger Freunden, Schelling und Hegel, als Aufbruch der Freiheit, als Niederringung der starren und despotischen Systeme, als Beginn einer neuen, einer brüderlichen Gesellschaft.

Eine nicht erstarrte Welt, ein freies Miteinander, schien möglich. Das beförderte seinen Enthusiasmus für ein ganzheitliches Leben des Menschen in der ihn umgebenden Natur.

Es geht Hölderlin also um diese Wiedergewinnung eines intensiven Lebens. Um ein neues Lebensgefühl, das der geistigen Verfassung des Menschen entspricht. Wenn Hölderlin in seinen Gedichten ein Tal „lieblich“ nennt oder einen Berg „majestätisch“, sind das keine extravanganten oder bloß “gesuchten” Aussagen, um etwa nur eine hübsche Poesie zu schreiben. Sondern diese Formulierungen entspringen dem eigenen Lebensgefühl. Der Philosoph Ernst Cassirer hat sich mit dieser Erfahrung auseinander gesetzt und die Allgemeingültigkeit dieser Erfahrung Hölderlins beschworen. Cassirer schreibt: „Hölderlin bedarf für seine Naturansicht keiner anderen Bestätigung als das Gefühl, das jeder helle und heitere Frühlingstag dem Menschen gibt“.

Die Naturerfahrung Hölderlins kann sich also bei jedem geistig-bewegten Menschen einstellen. Es ist die Erfahrung des Erhabenen, die da vom Dichter angesprochen wird: Mensch und Natur sind verbunden, in einem gemeinsamen Grund verbunden, den man das Geheimnis allen Lebens bezeichnen könnte. Kurt Hübner schreibt: „Hierin hat alles Lebendige seinen Ursprung, seinen Sinnbezug, und sein Verlust ist dem Tode vergleichbar“.

3.

Entscheidend für unseren Zusammenhang ist: Die Tübinger Theologie erlebte Hölderlin als erstarrte Form der Religion. Hölderlin suchte die lebendige, tief im Gefühl verankerte Religion, also den unmittelbaren Bezug zum Göttlichen. Ohne diesen neuen Bezug zum Göttlichen kann es kein neues, intensives Leben geben. Schon 1788 sagt er: „Es glimmt in uns ein Funke der Göttlichen“. Das heißt: Mensch und Gott sind immer schon verbunden, sie stehen einander nicht gegenüber, sie sind eins. Und den tieferen Bezug zum Göttlichen entdeckte Hölderlin in den griechischen Mythen. Hölderlin hatte ja eine ausgezeichnete Kenntnis der klassischen Sprachen „Er verknüpfte das Altertum, also auch die Mythen und die dort lebendigen Götter oder Halbgötter, bei jeder Gelegenheit mit der Gegenwart“, so der frühe Biograph C.T. Schwab.

Hölderlin wendet sich vom dogmatischen Christentum ab … und auch vom angestrebten Pfarrerberuf. Mit den Göttern Griechenlands will er nun die Einheit der Wirklichkeit erfahren, er will das abstrakte Gegenüber und Gegeneinander von Mensch und Natur überwinden, er möchte die Verbundenheit von Mensch und Natur erleben.

4.

Erst nach diesem langen „Anlauf“ kann man verstehen, welche Bedeutung Hölderlin dem Wein einräumt: In seinen Gedichten, aus der mittleren Phase seines Schaffens (Hölderlin, 1770 geboren, fiel 1805 bis zu einem Lebensende 1843 in eine schlimme Form einer – damals- unheilbaren Geisteskrankheit) sind die wesentlichen Hinweise zum Wein enthalten, oft in versteckten Andeutungen aber doch klaren Anspielungen, immer dann, wenn Hölderlin von Dionysos spricht oder von Christus, etwa im Zusammenhang des Abendmahls. Er will eine „sinnliche Religion“ lebendig werden lassen, deswegen spricht er von einer neuen Mythologie, aber, und das ist entscheidend, „diese Mythologie muss im Dienst der Ideen stehen, sie muss eine Mythologie der Vernunft werden“, betont Hans Küng. Mythologie und neue Mythen werden ja heute oft zurecht als eigenständige, der Vernunft eher feindliche, also bloß gemachte Ideologien angesehen, man denke an Texte wie „Mythos des 20. Jahrhunderts“ usw., das sind oft nur mysteriös verpackte Herrschaftsideologien. Mit solch einer ideologischen Mythenauffassung hat Hölderlin nichts im Sinn. Wenn er sich auf Gestalten des griechischen Mythos bezieht, dann nur, um in ihrem Licht das eigene Leben, die überlieferten religiösen und philosophischen Traditionen, tiefer zu verstehen. Im Mythos wird eine Manifestation des Göttlichen spürbar, eines Göttlichen, das alles durchwaltet. Diese Erfahrung kann nur gelten, wenn man sich aus dem Christentum heraus begibt und eben in der griechischen Mythologie seine religiöse Welt erweitert. Noch einmal: Die Beschäftigung mit den Mythen der Griechen ist für Hölderlin keine Flucht „rückwärts“, sondern die Suche nach einer tieferen, dann aber auch reflektierten Erfahrung von Wirklichkeit.

5.

Dionysos ist für Hölderlin in der Tradition der Griechen der Gott des Weines und der Vegetation. Ich kann jetzt hier die vielen Mythen, die über Dionysos verbreitet wurden, nicht ausführlich berichten: Er ist in einem Mythos ein Sohn des obersten Gottes Zeus und einer Frau, Semele mit Namen, Tochter des Königs von Theben. Über das Zusammensein mit Zeus neugierig gestimmt, will sie wissen, wer denn Zeus ist: Der oberste Gott aber schleudert einen Blitz auf sie herab… und Semele stirbt. Das werdende Kind in ihrem Leib überträgt sich Zeus in seinen Schenkel, so der Mythos, von dort aus wird Dionysos geboren: Er ist also ein Gott-Mensch. Der Dionysos Kult war in Griechenland sehr weit verbreitet. Dionysos lässt Wein entstehen, er besänftigt aber auch wilde Raubtiere und, das ist entscheidend, er wird der „Lysios“ genannt, der Löser, der die Menschen von Sorgen und von Fesseln befreit. Dionysos als Gott des Weins macht das Leben erträglicher, er löst förmlich von Zwängen, Wein inspiriert. Hier gibt es bereits erste Verbindungen zur Christus Gestalt, wie sie die Hölderlin sieht: Wie Dionysos ist auch Christus geboren aus einer menschlichen Mutter und einem Gott; im Wein, so der Dionysos Kult, ist ein lösendes, erlösendes Symbol für die begrenzten Menschen zu sehen; Dionysos ist als Wein-Gott der Gott der Ekstase.

Im Wein sieht auch Jesus Christus die Gegenwart seiner Person in der Abendmahlsfeier der Gemeinde. Diese Erfahrung will Hölderlin beschwören, als gefeierte Realität, Christus ist zwar „der Liebendste des Vaters“ , aber auch Christus gehört für Hölderlin in die griechische Welt der Götter. Durch die Einbeziehung des Christlichen in eine andere, die griechische Welt, gewinnt das Christentum selbst, wie Walter Jens sagt, „eine neue und frische Signifikanz“. Christus tröstet, weil er die Botschaft von der Wiederkehr der Götter bringt, weil er in seinem eigenen Leben zeigt: Gott ist auf Erden. Zur Welt der Menschen gehört das Göttliche. Es gibt keine gottlose Welt! Christus wird für Hölderlin der letzte der griechischen Götter. Und Hölderlin hat eine gewisse Scham, dies so offen zu sagen. Aber er weiß, dass Christus mit den Göttern den denselben Vater hat, für Hölderlin ist er der geistigere unter diesen Göttern. Aber für beide, für Dionysos wie für Christus, gilt: Beide erlebten die Auferstehung, für beide ist der WEIN das sakrale Getränk.

6.

Man sollte sich für eine Philosophie des Weins mit Hölderlins Elegie „Brod und Wein“ befassen, sicher eines der bekanntesten Gedichte von ihm. Nur so viel: Die heile Welt, in der die Götter Orientierung boten, ist nicht mehr. Die Götter sind abwesend, siehe 6. Strophe. Der Dichter findet Trost in der 8. Strophe, denn die Götter haben als ihre Symbole Brot und Wein zurückgelassen. Da klingen die Verbindungen mit dem christlichen Abendmahl an……

Aus der 8. Strophe weise ich nur auf die entscheidenden Verse hin:

….Brod ist der Erde Frucht, doch ist’s vom Lichte gesegnet,

Und vom donnernden Gott kommet die Freude des Weins.

Darum denken wir auch dabei der Himmlischen, die sonst

Da gewesen und die kehren in richtiger Zeit,

Darum singen sie auch mit Ernst, die Sänger, den Weingott,

Und nicht eitel erdacht tönet dem Alten das Lob.

…..Vorher aber hießt es:

Aber Freund! wir kommen zu spät. Zwar leben die Götter,

Aber über dem Haupt droben in anderer Welt.

Endlos wirken sie da und scheinen’s wenig zu achten,

Ob wir leben, so sehr schonen die Himmlischen uns.

Denn nicht immer vermag ein schwaches Gefäß sie zu fassen,

Nur zuzeiten erträgt die göttliche Fülle der Mensch.

Traum von ihnen ist drauf das Leben. Aber das Irrsal

Hilft, wie Schlummer, und stark machet die Not und die Nacht,

Bis dass Helden genug in der ehernen Wiege gewachsen,

Herzen an Kraft, wie sonst, ähnlich den Himmlischen sind.

Donnernd kommen sie drauf. Indessen dünket mir öfters

Besser zu schlafen, wie so ohne Genossen zu sein,

So zu harren, und was zu tun indes und zu sagen,

Weiß ich nicht, und wozu Dichter in dürftiger Zeit.

Aber sie sind, sagst du, wie des Weingotts heilige Priester,

Welche von Lande zu Land zogen in heiliger Nacht.

Es sind die DICHTER, „wie des Weingotts (Dioynsos) heilige Priester”, die das Bleibende stiften. In diesem Text drückt sich die Klage über das Verlorene aus. Die intensive Natur/Wein Erfahrung ist offenbar in der jetzigen Weltnacht (die Götter sind fern) nicht mehr möglich. Scheitert deswegen eine Philosophie des Weins, die sich an Hölderlin orientiert?

Es bleibt die Perspektive: „Brod ist der Erde Frucht, doch ist’s vom Lichte gesegnet,

Und vom donnernden Gott (Dionysos) kommet die Freude des Weins“.

7.

In diesem Licht verwandelt sich die Wahrnehmung der Welt, dies wird etwa deutlich im Gedicht „Stutgard“, dort heißt es: :

„Herrlich steht sie und hält den Rebenstab und die Tanne

Hoch in die seeligen purpurnen Wolken empor.

Sei uns hold! Dem Gast und dem Sohn, o Fürstin der Heimat!….

Auch auf die Bedeutung des Weins in dem Gedicht „Das Ahnenbild“ , von 1800, muss hingewiesen werden:

Da wird der verstorbene Ahn als gegenwärtig erfahren. „Er lebt im Gedächtnis, das man ihm bewahrt, indem die Familie beim gemeinsamen Mahle von ihm spricht und sein Glas auf ihn erhebt, auch er lebte und liebte wie er. So wohnt er als Unsterblicher bei den Kindern“, so Kurt Hübner.

Nur ein Auszug aus dem Gedicht:

Und am Hügel hinab, wo du den sonnigen

   Boden ihnen gebaut, neigen und schwingen sich

       Deine freudigen Reben,

           Trunken, purpurner Trauben voll.

Aber unten im Haus ruhet, besorgt von dir,

Der gekelterte Wein. Teuer ist der dem Sohn,

       Und er sparet zum Fest das

Alte, lautere Feuer sich.

Dann beim nächtlichen Mahl, wenn er, in Lust und Ernst,

   Von Vergangenem viel, vieles von Künftigem

       Mit den Freunden gesprochen

           Und der letzte Gesang noch hallt,

 Hält er höher den Kelch, siehet dein Bild und spricht:

   Deiner denken wir nun, dein, und so werd’ und bleib’

Ihre Ehre des Hauses

           Guten Genien, hier und sonst!

Und es tönen zum Dank hell die Kristalle dir;

   Und die Mutter, sie reicht, heute zum erstenmal,

       Daß es wisse vom Feste,

Auch dem Kinde von deinem Trank.

Wein wird wie ein sakramentales Zeichen der Erinnerung verwendet. Der Verstorbene lebt als Unsterblicher bei den Kindern.  Interessant ist auch: In Hölderlins Elegie Der Wanderer (dies ist die erste Elegie Hölderlins, 1797 erschienen) wird das Rheintal geschildert: Tal, Mauern, Gärten, Weinberge: Alles verdankt sich dem Fluss. Aber was ist der Fluss ohne Sonne, ohne die gesamte Natur? Ohne die ganze Schöpfung? Und der Fluss verbindet doch auch die Menschen.

In der Elegie „Der Wanderer“ heißt es:

Seliges Land! kein Hügel in dir wächst ohne den Weinstock,

Nieder ins schwellende Gras regnet im Herbste das Obst….

Heimatliche Natur! wie bist du treu mir geblieben!

Zärtlichpflegend, wie einst, nimmst du den Flüchtling noch auf.

Feuer trink ich und Geist aus deinem freudigen Kelche,

Schläfrig lässest du nicht werden mein alterndes Haupt.

Die du einst mir die Brust erwecktest vom Schlafe der Kindheit

Und mit sanfter Gewalt höher und weiter mich triebst,

Mildere Sonne! zu dir kehr ich getreuer und weiser,

Friedlich zu werden und froh unter den Blumen zu ruhn.

8.

Der Wein spielt in der christlichen Tradition, durchaus schon in der jesuanischen Tradition, eine große Rolle. Und ich muss sagen, man ist erstaunt, wie wenig die Kirchen ihren eigenen Wein-Kult schätzen und feiern. Man denke nur daran, dass in der katholischen Eucharistie der Wein nur ganz selten allen Gläubigen gereicht wird; es sind die Priester allein, die ihn trinken. Reformatorische Bewegungen, wie Jan Hus, haben den Kelch für alle zu ihrem Programm gemacht.

In der Umwelt Jesu von Nazareth war der Wein durchaus ein übliches Getränk, im Alten Testament wird der Wein als Gabe Jahwes (Hos 2, 10.17) beschrieben. Er wird sogar als eines der wichtigsten Nahrungsmittel empfohlen. (Sir 39,26).

Wein wurde als Heilmittel im Neuen Testament angesehen, etwa in der Samaritergeschichte (LK 10,34) Und im Brief an Timotheus schreibt ein Paulus sich nennender Autor, der Gemeindevorsteher solle ein wenig Wein trinken, „um des Magens willens, weil du oft krank bist“, 1 Tim 5,23).

Auch in der auf Jesus bezogenen Ikonographie kommt Wein immer wieder vor: Etwa auch in Emmaus, beim gemeinsamen Abendessen mit den zwei Jüngern mit dem unerkannt anwesenden Jesus, dem Auferstanden,. Im Text des Lukas wird zwar nur das Brotbrechen erwähnt. Aber die Künstler wollten auf den Wein nicht verzichte: Etwa bei Caravaggio: Abendmahl in Emmaus (um 1601) Oder: Gemälde „Cena in Emmaus“ von Jacopo Bassano (1537/38) in der Kirche von Cittadella. Oder man denke an das Kirchenfenster von Arnaud de Moles in der Kathedrale Sainte-Marie in Auch, Frankreich.

9.

Wenn von Dionysos als dem Weingott die Rede ist, muss auch Friedrich Nietzsche erwähnt werden. Für ihn ist Dionysos eine Art Symbol für ein ganz anderes Leben, das nicht der Entfremdung verpflichtet ist: Das Dionysische als Lebenshaltung ist der Einstieg in eine Selbstvergessenheit, der lustvollen Selbstübersteigung, der Entgrenzung. Es wird in diesem Zusammenhang immer an die Dialektik des Apollinischen und des Dionysischen erinnert. Nietzsche benutzte dieses dialektische Gegenüber zuerst in seinem Buch von 1873: „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“. Gemeint ist dieser Text als eine Huldigung Richard Wagners. Für Nietzsche ist die Tragödie die wahre Dimension des Menschseins. In der Tragödie erschließt sich das wahre Wesen der Welt. Tragödie heißt: Jemand wird schuldlos schuldig, fällt dabei, und stirbt. Nietzsche meint: Die Tragödie ist aus dem rituellen Chortanz des Dionysoskultes entstanden.

Nietzsche spricht dann vom tragischen Lebensgefühl als einem Ja-Sagen zum Leben, als Zustimmung, auch zum Furchtbaren, zu Tod und Untergang. Dieser Untergang ist die Heimkehr zum Lebensgrund. Leben und Tod sind tief verschwistert und alles steht in einem geheimnisvollen KREISLAUF. Das Apollinische Klare und Verständige wird dabei von Nietzsche als Teil des Dionysischen, des Rauschhaften, verstanden. Es gibt das auferbauende und das zerstörerische Spiel des Lebens: Es trägt den Namen Dionysos.. Entscheidend ist für Nietzsche die Bejahung des Vergehens und Vernichtens.

Dionysos wird so zum Inbegriff des allseits lebendigen und lebhaften Seins, er ist die Heiligkeit des Seins selbst.

Nietzsche stellt Dionysos neben Christus, den Gekreuzigten.

Es gibt meines Wissens wenige Äußerungen Nietzsches direkt zum Wein: Er hält Wein für wichtig, aber der Mensch soll auch die Fähigkeit haben, aus Wasser selbst Wein zu machen. Er sagt in „Menschliches Allzu Menschliches“: „Noch besser ist es, wenn man beide (Kunst und Wein) nicht nötig hat, sich an Wasser hält und das Wasser aus innerem Feuer, innerer Süße der Seele immer wieder von selber in Wein verwandelt“.

10.

Wie kann Rausch in eine Philosophie des Weins passen? Rausch sollte nicht als Betäubung verstanden werden, sondern als Form eines Lebens, das den Lebensimpulsen, den vitalen Impulsen, folgt. Dionysos ist also eine Gottheit dieses anderen Lebens. Als solche repräsentiert Dionysos Leben in seiner höchsten Form, weil er zeigt: Tod und Vernichtung gehören auch zum Leben und sollten nicht als Gegensatz gesehen werden, sondern als Teil des Lebens. Dieses „ganze“ Leben im Auf und Ab, im Sterben und Werden. Dazu bekennt sich Nietzsche bis zuletzt: Die „Dionysos-Dithyramben“ sind das letzte Manuskript, das er druckfertig machte…

11.

Der Rausch des Weins ist etwas anderes als der Rausch, den andere alkoholische Getränke verursachen: Darauf hat der englische Philosoph Roger Scruton in seinem Buch „Ich trinke also bin ich“ hingewiesen. Nicht nur, dass Wein als Geschmacksempfindung und Sinnlichkeit auch eine ähnliche berauschende Wirkung haben kann wie Musik und Kunst und Poesie. Beim Wein spielt das Aroma die entscheidende Rolle. Jeder Wein hat sein eigenes Aroma, also sein eigenes Gesicht. Wein hat Individualität. Anders als Bier oder Wodka. Diese Getränke werden oft nur schnell in Gier und aus Durst heruntergekippt, da soll schnell die berauschende Wirkung entstehen. Anders beim Wein: Da wird die Substanz genossen, die Farbe, das Gesicht des Weins. Da entstehen Gespräche, ein Miteinander, Wein wird nicht heruntergekippt.

12.

Eine Philosophie des Weins lebt von kritisch reflektierten Mythen: Das gilt bis heute: Beim Weintrinken beginnen Menschen, ihre Geschichten zu erzählen, der Wein lockert die Zunge und deswegen liegt „im Wein ja auch die Wahrheit“, wie das Sprichwort des Alkaios aus Lesbos sagt. Odo Marqurd, der kürzlich verstorbene Philosoph, hat ja nachdrücklich darauf hingewiesen: „Ohne Mythen können Menschen nicht leben“ .

13.

Im „Symposion“ erzählt Platon den Mythos von einer „Wein Feier“ u.a. mit Sokrates. Nur ein Aspekt dieses anregenden Textes kann hier erwähnt werden: Der Wein befördert hier indirekt auch die individuelle Wahrheit. Etwa, wenn man auf den Politiker Alkibidades am Ende der Erzählung achtet, der in Platons Geschichte im Weinrausch zu diesem Wein –Symposion gelangt und dort, in aller Ehrlichkeit (!), auch von seinem erotischen Gefühlen für Sokrates spricht. Dabei wird übrigens Sokrates auch als sehr trinkfähig beschrieben. Er kennt aber das richtige Maß, auch wenn er die ganze Nacht getrunken hat, ist er am nächsten Morgen fit.

14.

Immer mehr setzt sich dann in der Philosophie die Überzeugung durch: Im Rausch kann die Wahrheit nicht mehr entdeckt werden. Das ist Platons Grundüberzeugung, die sich dann bei Aristoteles noch weiter radikalisiert. Wahrheitsfindung wurde zur rein intellektuellen Anstrengung. Wer in der heftigen Ekstase förmlich aus sich heraustritt, seine Vernunft nicht mehr klar benutzt, kann die Wahrheit nicht finden.

Nebenbei: Auch Kant lehnte den Rausch ab. Er war bekanntermaßen ein Wein – Kenner und Wein – Liebhaber: Aber für ihn stand aller Wein Genuss unter dem Gebot des Maßes, des Maßhaltens.

15.

Die Vorschläge Hölderlins, den Wein als Gabe der Götter zu verstehen, bleiben inspirierend, wenn man denn sein Motto (eher als Begriff, der eine Sehnsucht ausdrückt) übersetzt: Weintrinken könnte eine neue rituelle, hoch geschätzte und deswegen „heilige“ Bedeutung erhalten, wenn er in Ruhe und langsam erfahren und getrunken wird. Und so Gemeinschaft stiftet, auch von Menschen, die einander bisher nicht kannt. Es gibt ja slow food, warum nicht auch slow drinks oder slowly drinking?

Gemeinsames Weintrinken als Kultur der Kommunikation: Vielleicht brauchen wir dafür wieder die „alten“ Weinstuben, die es als solche in vielen Großstädten Deutschlands nicht mehr gibt. Hingegen werden in Frankreich die bar à vin immer häufiger eröffnet, oft sogar als Buchhandlungen, die bis weit über Mitternacht geöffnet haben: Zum kommunikativen Weintrinken oder zurückgezogenem Lesen und Schmökern in den Büchern und Literaturzeitschriften, die dort amgeboten werden.

16.

Die einzelnen Gaben der Natur wieder schätzen lernen Das führt uns – nebenbei – zur Teekultur in Japan. Die Tee-Zeremonien sind in Japan und darüber hinaus als besinnliches gemeinsames Tee-Trinken unter der gastfreundlichen Leitung eines Meisters durchaus rituell strukturiert. Der Tee-Meister Soshitsu Sen schreibt: „Die grüne Farbe des Tees ist ein Spiegel der uns umgebenden Natur. Ich schließe meine Augen und tief in mir finde ich die grünen Berge und das klare Wasser der Quellen. Ich sitze, werde still und fühle, wie all dies ein Teil von mir wird“.

17.

Weitere Elemente einer Philosophie des Weins wären zu bedenken: zum Beispiel die immer heftig debattierte „Geschmacksfrage“. Dabei handelt es sich um erkenntnistheoretische Probleme: Zum Beispiel: Sind Geschmacksurteile auch objektiv, oder sind sie völlig der subjektiven Willkür überlassen? Ist mein Urteil zu einem bestimmten Wein mehr als meine Einschätzung, wenn ich sage: Ich finde den Wein etwas gradlinig und leicht nach Stachelbeere schmeckend, allerdings mit Schärfe im Abgang usw.“ Ist dieses mein Urteil mit anderen Urteilen zu vergleichen?

Kant hat daran erinnert, dass ein Urteil aussprechen, heißt: Einem bestimmten Gegenstand eine bestimmte Eigenschaft zuzuschreiben. Etwa: Ein Ball ist rund. Das werden alle bestätigen.

Aber wie es bei dem individuellen Schmecken von Wein? Gibt es da nur und ausschließlich einander widersprechende subjektive Geschmackserlebnisse?

Natürlich ist es leicht, sich dabei auf Ludwig Wittgenstein zu beziehen, der die grundlegende Frage stellte, ob sich überhaupt alles in Begriffe bringen lässt.

Aber im Anschluss an David Hume (1711-1776) „Of the standard of Taste“ kann man doch sagen:

Es gibt keinen totalen Subjektivismus, keine totale Beliebigkeit und damit totale Widersprüchlichkeit in der Beurteilung eines Weins. Nicht alle Urteile haben recht im Bereich des Geschmacks. Stinkende Gerüche werden in einem bestimmten Kulturkreis wohl von allen als stinkend beurteilt.  Und stark verkorkste Weine wird wohl kaum jemand mit Genuss trinken. Und über die scharfe Säure eines missratenenen Weines werden sich wohl die meisten verständigen: An diesen extremen Beispielen wird schon deutlich, dass es elementare Grundüberzeugungen gibt, auch in der Einschätzung von Wein. Und ein Geschmacksurteil setzt immer auch eine gewisse Vorbildung, Ausbildung, voraus. Das gilt in anderen Urteilen zu „Geschmacksfragen“ ganz deutlich, etwa im literarischen Bereich: Da ist es evident, dass ein „Lore-Groschen-Roman“ nicht die gleiche künstlerische und sprachliche Qualität hat wie etwa ein Goethe-Gedicht…

18.

Wenn man sich das Studienprogramm der Universität in Geisenheim im Rheingau, anschaut, sie ist spezialisiert auf Weine und Weinanbau etc., wird man leider feststellen: Dort gibt es (bis jetzt) kein Studienfach „Philosophie des Weins“. Kann man aber künftige Weinspezialisten ausbilden, ob das Grundlegende, das Kulturelle, das Philosophische? Ist Wein nur noch eine Frage der Technik und des Kommerz?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

“Glücklich leben” contra “sinnvoll leben”? Modelle der Lebensgestaltung. Ein Salonabend am Fr., 26.Juni um 19 Uhr

“Glücklich leben” contra “sinnvoll leben”? Modelle der Lebensgestaltung

Der Religionsphilosophische Salon im JUNI 2015 findet am Freitag, den 26. Juni, wieder um 19 Uhr in der schönen Galerie FANTOM in der Hektorstr. 9 statt. Der Beitrag wegen der Raummiete beträgt 5 Euro. Für StudentInnen gratis. Dazu herzliche Einladung. Mit der Bitte um Anmeldung: christian.modehn@berlin.de

Wir wollen uns dem offenbar so alltäglichen, tatsächlich aber anspruchsvollen philosophischen Thema Glück nähern. Und fragen: Kann mein individuelles Glück mein Lebensziel sein? Oder hat die Idee des sinnvollen Lebens eine viel tiefere Bedeutung? Texte zum Thema Glück, auch in populärer “Propaganda” gibt es in großer Fülle. Philosophisch relevant sind hingegen im Rahmen seiner “Philosophie der Lebenskunst” die leicht zugänglichen Überlegungen von Wilhelm Schmid im Insel Verlag “Glück”. Alles was Sie darüber wissen müssen…”

Sehr tiefschürfend ist der Versuch einer  “rationalen Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie” durch Prof. Volker Gerhardt in seinem Buch “Der Sinn des Sinns” (2015, C.H.Beck Verlag, 358 Seiten).  Anregend ist auch das Buch des  Philosophen Michael Hampe, Zürich: “Das vollkommene Leben. Vier Meditationen über das Glück”. Auch die Lektüre dieses Buches ist inspirierend, es ist bei DTV erschienen, (3. Auflage 2004), es kostet nur 9, 90 Euro: “Virtuos komponiert. Glasklar geschrieben”, schreibt die Neue Züricher Zeitung. “Das Glück wird in der Vielstimmigkeit gefunden”, schreibt die Frankfurter Rundschau.

Ist das Streben nach “meinem Glück” zu individualistisch, gar egoistisch? Ist die Suche nach dem Lebenssinn von größerer ethischer Relevanz, weil im Lebensinn das Göttliche sichtbar werden kann (so Volker Gerhardt). Das ist nur eine Frage, die wir gesprächsweise etwas erhellen wollen. “Glück oder/und/contra Lebenssinn ?” wird so zur Frage nach meinem eigenen Lebensentwurf.

Einige weitere philosophische Hinweise von Christian Modehn wurden am 27.6.2015 publiziert, klicken Sie bitte hier.

Den anonymen Gott verehren – Für eine weltliche Spiritualität: Gonsalv Mainberger

Den anonymen Gott verehren – Interview mit Gonsalv K. Mainberger

Von Christian Modehn

Am 22. Mai 2015 ist der Theologe und Philosoph Gonsalv Mainberger (Zürich) verstorben. Er wurde von etlichen nachdenklichen Menschen auch in Deutschland sehr geschätzt, als Autor, der Neues sagt und zum Selberdenken inspiriert, gerade im Umgang mit den Religionen.

Wir wollen an ihn erinnern und bieten zur Lektüre noch einmal ein Interview an, das in der Zeitschrift PUBLIK FORUM im Jahr 2009 erschienen war.

Herr Mainberger, Sie haben sich früher, als junger Philosoph, mit der mittelalterlichen Philosophie befasst, später haben Sie sich für die moderne französische Philosophie eingesetzt. Woran halten Sie sich heute? Weiterlesen ⇘

Oscar Romero und das Opus Dei

Oscar Romero der Märytrer der Befreiung. Ein Freund des Opus Dei?

Von Christian Modehn (Der Beitrag wurde Ende März 2015 veröffentlicht)

Ein Vorwort:

Wer philosophisch die universale Gültigkeit der Menschenrechte verteidigt, muss auch auf Menschen aufmerksam machen, die diese Menschenrechte verteidigt haben und deswegen ihr Leben lassen mussten. Deswegen ist auch für philosophisch Interessierte eine Auseinandersetzung mit Erzbischof Oscar Romero aus El Salvador von dringender Aktualität. Weil seine Person zeigt, wie er, einst diffamiert und dann 1980 ermordet von rechten und rechtsextremen Kreisen, heute in die konservative Welt des Opus Dei integriert werden soll. Oscar Romero vom Opus Dei? Man könnte sagen: Mit dieser Behauptung stirbt Erzbischof Oscar Romero sozusagen ein zweites Mal. Lesen Sie den ausführlich dokumentierten Beitrag zu einem Skandal angesichts der Seligsprechung des Märytrers der Befreiung. CM.

Ein Interview mit der Botschafterin von El Salvador jetzt in Stockholm, vorher in Berlin, Frau Anita Escher-Echeverria, von April 2015, verdient auch Ihre besondere Aufmerksamkeit. Klicken Sie hier.

Siehe auch den Beitrag vom 17.5.2015: “Wer tötete Oscar Romero?” Zur Lektüre klicken Sie bitte hier.

…… Erzbischof Oscar Romero (1917-1980) aus El Salvador wird selig gesprochen. Der Verteidiger der Armen und Freund der Befreiungstheologen ist offiziell als Martyrer anerkannt, „ermordet aus Hass gegen den Glauben“, wie es im Vatikan heißt. Die ihn auslöschten, waren nicht nur rechtsextreme Politiker, sondern zugleich auch praktizierende Katholiken. Nun will eine nicht gerade linke und schon gar nicht befreiungs-theologisch engagierte Organisation Oscar Romero auf ihre Seite ziehen. Die oberste Leitung des OPUS DEI in Rom verbreitet diese Botschaft: Romero gehört zu uns! Will eine internationale katholische Organisation, die viele Beobachter einen „elitären Geheimbund der Reichen“ nennen, die weltweite Zustimmung zum Bischof der Armen in eine ungeahnte Richtung lenken?

Kaum war die Seligsprechung Romeros bekannt gegeben, sprach schon der Chef des Opus Dei, Bischof Javier Echevarría, von einer tiefen und lange dauernden Zuneigung Oscar Romeros für seine Organisation und deren Gründer José Maria Escriva de Balaguer. Oberflächlich betrachtet stimmt das auch: Oscar Romero war bis zu seiner Ernennung zum Erzbischof von San Salvador 1977 ein konservativer Theologe der alten „römischen Schule“. Deswegen hatten sich auch Vertreter der rechtsextremen Oligarchie 1977 für ihn als Erzbischof der Hauptstadt stark gemacht. Und er war zweifellos mit dem grundlegenden Buch des Opus Dei-Gründers vertraut: „Der Weg“ (verfasst 1937) plädiert u.a. für die Berufung der Laien zur Mitarbeit in der Kirche: Eine Idee, die Romero, den Seelsorger, begeisterte. Es ist auch wahr, dass Romero 1970 den Opus-Gründer in Rom besuchte und sich sogar nach dessen Tod (1975) für die Seligsprechung einsetzte.

Und sogar zu einer Zeit, als er Erzbischof von San Salvador war, von 1977 bis 1980, hielt er Kontakte mit dem dortigen Opus-Dei. Er wollte bewusst der Erzbischof aller Katholiken sein. Also durfte er auch zum Opus, diplomatisch – klug, nicht die Kontakte abbrechen. Auch in Europa sind selbst progressive Bischöfe förmlich verpflichtet, an Gedenktagen des Opus Dei eigens feierliche Messen zu halten. Wer sich weigert, würde zweifellos direkt oder indirekt die Macht des Opus zu spüren bekommen.

Es ist bezeichnend, dass in der offiziellen Stellungnahme des Opus jetzt, auch nicht ansatzweise der „ganze Romero“ gewürdigt wird. Seit der Ermordung seines Freundes, des Befreiungstheologen Pater Rutilio Grande am 12. März 1977 durch die rechtsextremen Todesschwadronen, wurde Erzbischof Romero ein anderer: Die Sympathien fürs Opus Dei schwanden, selbst wenn er, diplomatisch klug, Kontakte mit dieser Organisation aufrechterhielt.

Entscheidend ist die Verfügung Erzbischof Romeros: Am Sonntag nach dem Mord an Pater Grande sollte nur ein einziger großer Gedenk-Gottesdienst in der Kathedrale stattfinden. Alle anderen Messen hatte er verboten. So setzte er ein bislang ungeahntes Zeichen des Widerstands gegen die tötende Willkür der Herrschenden. „Jedoch die Mitglieder vom Opus Dei hielten sich nicht an den erzbischöflichen Erlass“, schreibt der Schweizer Theologe Professor Giancarlo Collet, „sondern sie feierten tatsächlich ihre eigenen Messen. Dies war für Romero ein klares Zeichen für einen offenen Ungehorsam dem Erzbischof gegenüber“.

Die innere Distanz zum Opus setzte schon früher ein: Von 1970-74 arbeitete Oscar Romero bereits als Weihbischof in der Hauptstadt San Salvador, und da hatte er unerfreuliche Erlebnisse, dem Jesuiten P. César Jerez wollte er nur so viel anvertrauen: „Als ich Weihbischof von San Salvador wurde, fiel ich dem Opus Dei in die Hände! Und da war ich nun…“ Romero bricht den Satz ab, aus Wut oder Resignation?

1979 hatte er Gelegenheit, die Machenschaften von Bischöfen zu erleben, die dem Opus Dei nahe standen, vor allem dem kolumbianischen Erzbischof Lopez Trujillo von Medellin. Der setzte zudem als Generalsekretär des lateinamerikanischen Bischofsrates alles daran, Befreiungstheologen in ihrer auch politischen Option für die Armen zu diffamieren. Schon damals war vielen Beobachtern klar, dass Lopez Trujillo eng mit dem Opus Dei verbunden ist, nicht zuletzt auch gefördert von dem deutschen Opus –Freund und damaligen Chef des Lateinamerika-Hilfswerkes „Adveniat“ Bischof Franz Hengsbach, (2A) Essen. Bekanntlich muss man sich nicht ausdrücklich als Opus-Dei-Mitglied outen: An den Taten sollt ihr das Opus-Mitglied erkennen, sagen kritische Beobachter. Erzbischof Vinzenco Paglia musste Anfang Februar 2015 zugeben: „Erzbischof Romero litt unter einer brutalen Kampagne, die ihm das Ansehen rauben sollte. Diese Kampagne ging aus von der politischen Rechten, der salvadorianischen Botschaft beim heiligen Stuhl und von einigen Kardinälen, die Romero anklagten, Kommunist zu sein und sogar geistig gestört zu sein“. Mit „einige Kardinäle“ meint Bischof Paglia zweifellos auch den späteren Kardinal Lopez Trujillo: Als er in Rom arbeitete, war er einer der schärfsten Gegner der Heiligsprechung Romeros. Das hat jetzt der im Vatikan geschätzte Historiker Andrea Riccardi offengelegt. Eine Bestätigung dafür lieferte auch der Sekretär Romeros, Pater Jesus Delgado, als er sagte: „Die Seligsprechung hat der kolumbianische Kardinal Lopez Trujillo bis zu seinem Tod 2008 blockiert“.

Wie hat sich die Opus Zentrale in Rom zu ihrem angeblichen Freund Romero verhalten? Der Erzbischof hatte sich zwischen 1977 und 1980 mehrfach in Rom aufgehalten, um bei dem polnischen Papst Johannes Paul II. mehr Verständnis für sein Engagement wecken. Aber er wurde nicht zum Papst vorgelassen, einmal gelang es ihm: „Im Rahmen dieser Privataudienz übergab Romero dem Papst eine Dokumentation über den Terror gegen die Kirche in El Salvador und legte ihm Fotos von gefolterten und ermordeten Priestern vor. Doch der Papst interessierte sich kaum dafür. Er ermahnt ihn lediglich, eine “bessere Beziehung zur Regierung seines Landes anzustreben”. Ergänzung am 5. 4. 2015: Ein wichtiges Dokument belegt, wie Erzbischof Romero 1979 im Vatikan von der dortigen Klerikerbürokratie zurückgewiesen wurde und wie desinteressiert – abweisend sich Papst Johannes Paul II. gegenüber Oscar Romero zeigte, als er mit Mühe nun doch die Gnade erlebte, als Erzbischof mit diesem Papst sprechen zu dürfen. Von einem Beistand des Opus Dei für Oscar Romero 1979 in diesen Tagen in Rom ist bisher nichts bekannt geworden. Lesen Sie bitte das erschütterende Dokument der päpstlichen Ignoranz hier. Und denken Sie dabei daran, wie dieser Papst zusammen mit Kardinal Joseph Ratzinger alles unternahm, um die Befeiungstheologen und ihre Basisgemeinden zu unterdrücken. Johannes Paul II. hatte mehr Interesse, den Opus Dei Gründer selig und heilig zu sprechen….

Aber das Opus Dei verliert kein Wort darüber, dass es seinem nun so beschworenen alten Freund im Vatikan beistand. Und nun soll der Erzbischof zu einer Art Ehrenmitglied des Opus werden? Die wahren Freunde Romeros waren hingegen die Jesuiten, vor allem die Patres Ignacio Ellacuria und Jon Sobrino. Sie haben unbeirrt ihren Erzbischof theologisch informiert und bei seinen Vorträgen, etwa anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Löwen, Belgien, beraten. 1989 wurde fast die ganze Jesuitengemeinschaft in San Salvador von Rechtsextremen Katholiken ermordet. Pater Ellacuria ging denselben Weg wie sein Freund Romero. Von der tiefen Verbundenheit Romeros mit den Jesuiten ist in der Opus-Dei-Stellungnahme keine Rede.

Am Tag seiner Ermordung, dem 24. März 1980, musste Romero ausgerechnet an einer Versammlung mit Opus-Dei-Leuten teilnehmen. Am Nachmittag dieses Tages wurde er von dem Opus Dei Priester Fernando Saenz Lacalle zu der Kirche „Zur Vorsehnung“ gefahren: Dort wollte Romero eine Abendmesse feiern. Und dort wurde er während des Gottesdienstes im Auftrag rechtsextremer Katholiken erschossen. Ein merkwürdiges Zusammentreffen!

Dieser „Chauffeur“ Romeros, der Opus Dei Priester Saenz Lacalle, wurde 1995 Erzbischof von San Salvador; er wurde sogar zum General der (damals allseits mordenden) Armee ernannt. Aber er, der sich zu Lebzeiten Romeros als sein Freund bezeichnete, hatte nichts Dringenderes zu tun, als das ganze Werk Romeros im Erzbistum zu zerstören: Er setzte neue, konservative Leute in die Kirchenzeitung und in das viel gehörte Kirchenradio; er begrenzte die kirchliche Menschenrechtskommission. Dabei folgte er der Devise, die durchaus dem Opus Dei entspricht: „Es kommt nur auf die Seelsorge an, politische Aktivitäten, gemeint sind linke kritische Aktivitäten, sind für Priester verboten“.

Dank des Einflusses des Opus Dei Bischofs und seiner Organisation hat heute El Salvador das rigideste Abtreibungsgesetz der westlichen Welt. Dabei wird die ultra-konservative Kirche rund um das Opus Dei von der ARENA Partei unterstützt: Diese rechtsextreme Partei wurde von dem Initiator der Ermordnung Romeros, General d Aubuisson, gegründet.

Wer noch Interesse an Wahrheit hat, kann es nicht hinnehmen, dass das Opus Dei heute Oscar Romero in den eigenen konservative Club eingliedert. Es gibt bereits gönnerhaft die Prognose aus: “Oscar Romero wird ein sehr beliebter Heiliger sein“. Und es wird im Opus verschwiegen, dass die Seligsprechung Romeros immerhin 35 Jahre dauerte, die Selig – und Heiligsprechung des Opus Gründers verlief hingegen im Eilverfahren: Alle Welt sollte möglichst schnell den heiligen Jose Maria, den Gründer, verehren: 1975 gestorben, 1992 schon selig und 2002 heilig!

Das Opus Dei ein Freund Romeros? Unvorstellbar, dass diese elitären Katholiken im Ernst diese Worte Erzbischof Romeros richtig finden kann: „Es ist besser, ihr Reichen streift eure Ringe vom Finger, bevor man euch die Hand abhackt“, so in einer Predigt am 17.2. 1980. Werden die Worte Romeros das ökonomische Interesse des Opus verändern? Er sagte: „Der Kapitalismus ist das Unchristlichste an der Gesellschaft, die wir haben. Es gibt einen Götzenkult des Privateigentums“.

Dem Opus Dei Chef hingegen fallen jetzt in seiner Würdigung des seligen Oscar Romero nur diese Worte ein: „Er war ein frommer Mann, lebte völlig selbstlos und diente seinem Volk. Man konnte spüren, dass er um die Heiligkeit kämpfte“.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

Dieser Beitrag erschien zuerst im März 2015 in leicht gekürzter Form in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM.

 

 

 

 

 

 

 

Eine kleine Philosophie des Pfingstfestes: Der Geist ist heilig.

Der menschliche Geist ist heilig. Hinweise für eine kleine Philosophie des Pfingstfestes

Von Christian Modehn         (Eine Neufassung eines Beitrags von 2014)

Mit dem Pfingstfest tun sich die meisten Menschen heute schwer. Auch religiöse Menschen. Und daran sind die Kirchen mit-schuld: Die bis heute in kirchlichen Kreisen übliche theologisch-spitzfindige Trennung von (bloß auf den Menschen bezogenem) „Geist“ und dem offenbar göttlichen „Heiligen Geist“ ist nicht nur problematisch. Sie ist falsch. Sie ist ein Relikt aus Zeiten, als die Kirche und ihre amtliche, herrschende Theologie die Wirklichkeit aufspaltete, in “Natürlich” und “Über-Natürlich” trennte. Dabei konnte kein Theologe erklären, was denn nun die “Übernatur” ist. Aber es wurden zwei Welten geschaffen, die eine (natürliche, angeblich heidnische) als fern von Gott befindliche Wirklichkeit; die andere, die übernatürliche Wirklichkeit, als Gnaden-Wirklichkeit: Und diese wird von der Kirchenführung verwaltet und bestimmt. Der weltweit geachtete katholische Theologe Karl Rahner SJ hat in seinen zahlreichen Hinweisen zur Gotteserfahrung immer gezeigt, dass im Wahrnehmen menschlichen Geistes (in der Einsamkeit, in der Liebe, in der Angst usw.) das Göttliche erfahren werden kann. Im menschlichen Geist, wohlgemerkt, an dem alle Menschen Anteil haben. Theologisch formulierte das Karl Rahner so: “Wir leben immer schon in einer von Gott, dem göttlichen Geist, bestimmten Wirklichkeit”. Mit anderen Worten: Der göttliche Geist ist in jedem Menschen immer schon wirksam. Universal. Selbstverständlich in allen Religionen.

Die im Neuen Testament beschriebene Geschichte vom Pfingstereignis will darauf hinweisen: Auch die Gemeinde ist (nach dem Weggang Jesu von Nazareth) geisterfüllt, lebendig, kreativ. Und sie erlebt ihren neuen Optimismus als Geschenk. Sie erlebt vor allem ihre eigene Vielfalt als Geschenk. Jede einzelne Sprache, d.h. jede einzelne Kultur, ist wertvoll, keine Sprache, keine Kultur darf dominieren. Alle Sprachen, alle Kulturen, haben das gleiche Lebensrecht. Der in Berlin immer zu Pfingsten stattfindende “Karneval der Kulturen” als Fest der Vielfalt und der Gleichberechtigung aller Kulturen, ist ein (fernes) Echo auf die religiösen Geschichten vom Pfingstfest. Nur wird aus diesem Fest der Viefalt eben ein “Karneval”. Und ein Karneval als Ereignis eines Tages hat keine politischen Konsequenzen für eine gelebte Politik der Vielfalt.  Hat keine Konsequenzen etwa auf die Flüchtlingspolitik, auf die Abwehr des Fremden, auf die alltäglichen (geschürten) Ängste vor dem Anderem. Der “Karneval der Kulturen” ist insofern bloß ein “ästhetisches”, aber kein politisches Ereignis.

Schon früher lehrten Philosophen und Theologen, wie Meister Eckart, darin durchaus Thomas von Aquin folgend: Es gibt nur einen einen und einzigen Geist im Menschen. Eigentlich eine Einsicht, die in der geistvollen Erfahrung eines jeden Menschen bestätigt wird: Hat jemand schon einmal seinen “natürlichen” Geist als solchen, später aber seinen “übernatürlichen”, so genannten heiligen Geist als solchen erfahren? Der Geist als Geist ist heilig, weil er das Belebende, das Kreative, ist. Er ist das über alles Gegebene stets hinaus Weisende im menschlichen Leben;  weil Geist Sprache ist und Poesie in ihrer unendlichen Fähigkeit des Ausdrucks und Suchens; weil Geist auch Musik ist und neue Welten erschließt; weil Geist Philosophie ist in der Suche nach jenen Zeichen, die über das Weltliche hinausweisen; weil Geist Religion (bzw. Religionen im Plural) ist in der Suchbewegung, sich von selbst gemachten Göttern zu befreien und des Namenlosen, des alles gründenden Geheimnisses inne zu werden. Weil Geist Freiheit ist, und Freiheit etwas Unantastbares, Heiliges, Sakrales, vom Menschen nicht Totzuschlagendes, nicht Abzuschaffendes ist. Weil mit dem Symbol Geist letztlich das Menschliche des Menschen gemeint ist, selbst wenn einzelne Philosophen, wie Nietzsche meinen, der Geist des Menschen sei dann doch noch von Trieben anhängig: Aber allein diese Erkenntnis kann kein Trieb als Trieb formulieren, dazu braucht man dann doch wieder den Geist. Er ist dann also doch größer als der Trieb… Also: Der Geist wird als letztlich Unzerstörbare, wenn nicht Absolute erfahren, und das ermutigt zu der Hoffnung: Der allgemeine Geist, an dem jeder und jede teilhat, wird den inidviduellen Tod überdauern. Das hat der Berlienr Philosoph Wilhelm Schmid in seinem Buch “Gelassenheit” schön beschrieben.

Pfingsten ist also das Fest des einen, universalen Geistes. In einer aufs Materielle fixierten Welt, in der der universale Gott das Geld ist und die Banker an der Wall street und anderswo die Hohenpriester sind, hat ein “Fest des Geistes” einen schweren Stand. Trotzdem bleibt die Erkenntnis, die tröstlicher ist als die Börsennotiz der Wall street: Wo immer und wann immer noch geistvoll gelebt wird, auch in der Weise der Reflexion, des Sich-Beziehens auf den Geist, im geistvollen Miteinander, da wird das umfassend menschliche (eben geistvolle) Leben gefeiert und dem Gott des Bloß-Materiellen widerstanden. Dabei ist “geist-voll” überhaupt nicht gemeint als Eröffnung eines dualistischen Denkens, sozusagen als Absage alles Leiblichen, Erotischen usw. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt sicher nichts Geistvolleres als gelebte Erotik, als geistvoll gestaltete Leiblichkeit.

Pfingsten will also eine geistvolle Gesellschaft. Man kann sie eine offene Gesellschaft nennen, eine solche, die ohne Überwachung und Kontrolle auskommt, eben eine Gesellschaft, die Freiheit für das höchste Gut hält und jeglichem autoritärem Verhalten Widerstand leistet.

Insofern ist Pfingsten ein Fest der Freiheit des Geistes. Da müssen sich die Kirchentüren weit öffnen, um vor allem die dogmatisch erstarrten Kirchen erst einmal selbst zu verwandeln: Weil eben alle zum Fest eingeladen sind, alle, die die Freiheit des Geistes verteidigen, Skeptiker, Agnostiker, weltliche Humanisten…Wo finden solche ökumenischen Feiern statt?

Pfingsten ist also nicht bloß das Fest der Ökumene der Kirchen. Es ist das Fest der Ökumene der Menschen, aller Menschen, die sich an den Geist, also an die Vernunft, halten wollen. D.h. die  in den Austausch treten, was denn für uns und die Gesellschaft das Gute und das dringend Gebotene, das menschlich heute Erforderliche, ist.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon Berlin.

Das Göttliche ist auch weiblich. Drei Fragen an Prof. Wilhelm Gräb

Drei Fragen an Prof. Wilhelm Gräb: Maria, das Göttliche ist auch weiblich

Die Fragen stellte Christian Modehn   Der Beitrag wurde am 17. 5. 2015 publiziert.

1. Die Verehrung Marias, der Mutter Jesu, ist fast ausschließlich in der katholischen (und orthodoxen) Spiritualität zuhause. In einer breiteren Öffentlichkeit wird über Maria, wie sie im Neuen Testament erwähnt wird, manchmal bloß geschmunzelt, etwa in einem (oberflächlichen) Verständnis der Jungfrauen-Geburt. Kann denn in einer neuen liberal-theologischen Perspektive die Auseinandersetzung mit der Gestalt Marias wichtig und sinnvoll sein?

Ich muss gestehen, dass ich persönlich mit der Gestalt Marias immer noch recht wenig anfangen kann. Die protestantische Prägung sitzt auch bei mir tief. Jesus Christus allein ist der Weg zu Gott, so hatte ich es von früh auf gelernt. Später dann, im Studium der Theologie, wurde es mir sogar zur tiefen Überzeugung, dass all diese Heiligen, allen voran die Gottesmutter Maria, die die katholische Kirche ins Christentum eingeführt hat, lediglich dazu angetan sind, die Macht der Kirche zu steigern. Die Heiligen – und allen voran eine die Kirche symbolisierende Maria – werden, so hatte ich gelernt, im Katholizismus zwischen Christus und die Gläubigen gestellt. Sie sind religiöse Mittlergestalten, die dafür aber auch gewisse Dienstleistungen von den Gläubigen verlangen. Im evangelischen Christentum hingegen, so hatte ich gelernt, ist der einzelne Gläubige, dann, wenn er allein auf Christus, den mit Gott eins seienden Menschen blickt, selbst unmittelbar verbunden mit Gott und in ihm des unbedingten Sinns seines Daseins gewiss.

Der Einspruch gegen die Heiligenverehrung, ja, gegen die die Kirche selbst in ihrer Mittlerstellung symbolisierende Maria, war der Grundimpuls der Reformation. Er beschreibt immer noch die grundlegende Bedeutung der reformatorischen Rechtfertigungslehre und damit, nach protestantischem Selbstverständnis, des wahren Grundes christlicher Freiheit, Freiheit auch und gerade vom zwanghaften religiösen Regulierungswahn der Kirche.

Inzwischen bin ich gegenüber solchen theologischen Argumentationen sehr viel vorsichtiger geworden. Ich halte sie zwar auf der theologisch-argumentativen Ebene immer noch für richtig. Auch denke ich, dass sie religionskulturelle Differenzen zwischen Katholizismus und Protestantismus, insbesondere was die unterschiedliche theologische Bedeutung, die der Kirche und vor allem dem Priesteramt zugeschrieben wird, immer noch ganz gut erklären. Dennoch, so denke ich heute, ist diese die kirchlichen Dogmen und Lehren erklärende Theologie unendlich weit weg von der gelebten Religion und den spirituellen Interessen der Menschen. Eine heutige liberale Theologie denkt aber nicht mehr von den Dogmen und kirchlichen Lehren her, sondern versucht die gelebte Religion der Menschen tiefer über sich zu verständigen und die spirituellen Bedürfnisse der Menschen aufzunehmen.

Der religiöse Sinn der reformatorischen Rechtfertigungslehre war es, dass wir, allein auf Jesus Christus blickend, dessen gewiss sein können, mit Gott auf dem Grunde der je eigenen Seele innerlich eins zu sein. In der alten liberalen Theologie, wie sie von dem Berliner Theologen Friedrich Schleiermacher um 1800 auf den Weg gebracht und um 1900 von dem Berliner Kirchenhistoriker Adolf von Harnack mit dem historischen Denken vermittelt wurde, begegnet in dem irdischen Jesus die beeindruckende und zu eigenen Gottvertrauen ermutigende Gestalt des mit Gott innerlich verbundenen Menschen. Der mit Gott einige Mensch ist in der alten liberalen Theologie der irdische Jesus, fraglos der Mann Jesus.

Unter den gewandelten, in Genderfragen ungleich sensibleren religionskulturellen Bedingungen der Gegenwart, könnte sich eine neue liberale Theologie durchaus offen zeigen für die Maria, die in die Vorstellungswelt des Christentums eingelassene, weibliche Symbolgestalt eines mit Gott innerlich verbundenen Lebens. Auch der biblische Bezug wäre dafür gegeben. Von Maria wird in einem der bekanntesten Texte der Bibel, der Weihnachtserzählung des Lukasevangeliums (Lk 2), das Wichtigste gesagt, was von einem Menschen überhaupt gesagt werden kann: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ (Lk 2, 19), die Worte von der Geburt des Erlösers.

So ist es eben nicht der Mann Jesus allein, in dem wir dem zur Welt gekommenen Gott begegnen. Wir blicken ebenso auf Maria, die Frau, die Mutter, die uns zeigt, wie es zugeht, wenn in einem Menschen Gott zur Welt kommt. Das geht so zu, dass Menschen die Geschichte, die von ihrer Erlösung erzählt, in ihrem Herzen bewegen, sie sich das Wort von der liebevollen Nähe Gottes innerlich aneignen. Das zeigt Maria, die Gottesmutter. Sie zeigt, wie Gott im Menschen zur Welt kommt.

Gott wohnt nicht droben im Himmel, er herrscht auch nicht über die Menschen. Er wirkt die Geburt des wahren Menschen. Dabei erschließt sich, wozu des Menschen Dasein in dieser Welt bestimmt ist. Davon haben die Engel über dem Stall von Bethlehem, in dem Maria, die Gottesmutter, den Gottessohn zur Welt gebracht hat, gesungen: Vom Frieden auf Erden und dem Wohlgefallen, das allen Menschen, die guten Willens sind, werden soll.

2. Wer die religiöse Praxis an katholischen Marien-Wallfahrtsorten kritisch betrachtet, kommt oft zu der Überzeugung: Für viele religiöse Menschen dort ist Maria die weibliche Seite Gottes. Und die „brauchen“ sie förmlich. Ist diese Erfahrung etwas Erstaunliches, sollte sie vertieft werden in das Bekenntnis: Gott ist (auch) weiblich. Gott ist mütterlich? Oder sollten solche Gott-Vater- und Gott-Mutter Vorstellungen vom einzelnen eher abgewehrt werden?

Wenn wir Gott in seinem Verhältnis zur Welt denken, erscheint es wenig plausibel, Gott als weiblich oder männlich, oder auch als beides, aufzufassen. Gott ist der Sinn des Ganzen. Gott ist es, der in uns Menschen die Kraft freisetzt, für das Gelingen aller guten Dinge einzustehen. Dennoch kann ich der Vorstellung von der Gottesmutter einen tiefen religiösen Sinn abgewinnen. Die Vorstellung von Gott als dem Vater bleibt ja immer mit patriarchalen Herrschaftsverhältnissen verbunden. Auch wenn wir das Beschützende und Bewahrende im göttlichen Handeln an uns betonen und im Bild des Vaters, der den aus der Fremde zurückkehrenden, verlorenen Sohn liebevoll in seine Arme schließt, alle strengen und Angst machenden Züge getilgt haben, die männliche Seite Gottes bleibt doch diejenige, die die Distanz zwischen Gott und uns aufrechterhält.

Maria hingegen, sie ist die Frau. Maria ist die Mutter. Aus der Frau wird das neue Leben geboren. In Maria, der Gottesmutter, erscheint uns das Bild des vollkommen sich zu Gott verhaltenden menschlichen Lebens. Oder besser noch, in Maria erscheint uns das Bild des wahren Menschen, des Menschen, in dem Gott zur Welt kommt, des Menschen, zu dem zu werden wir alle bestimmt sind.

Eine neue liberale Theologie hat allen Anlass, deutlich zu machen: Gott ist in unseren Vorstellungen von ihm bzw. von ihr nicht nur männlich, sondern auch weiblich. Die weibliche Seite Gottes ist die, die uns die Einheit mit ihm fühlbar macht. Der mütterliche Gott ist die, die uns die Gewissheit schenkt, dass wir im Grunde unseres Daseins anerkannt, ja geliebt werden, aus einer Liebe leben, die nichts auf dieser Welt je uns nehmen kann. Alle leben in und aus dieser Liebe, alle, die aus Gott geboren sind.

3. Die Marien-Frömmigkeit im allgemeinen führt zur Frage an Protestanten, zumal eher kopflastige, vernunft-betonte liberale Protestanten: Brauchen sie nicht mehr Emotionen, mehr Bilder und Mythen, auch im Gottesdienst? Das ist ja keine taktische Frage angesichts der Erfolge der emotionalen Pfingstkirchen. Und die emotionalen Taizé-Lieder können ja auch nicht „die“ Lösung sein.

Dass wir aus Gott geboren sind und es die Kraft des göttlichen Geistes ist, aus der in Wahrheit wir unser Leben als ein sinnbewusstes und zielorientiertes führen, das können wir nicht gegenständlich vor uns bringen. Das können wir nicht wissen, nicht rational zum Gegenstand unserer Erkenntnis machen. Gott, der die Quelle unseres sinnbewussten Lebens ist, dessen mütterliche Nähe vor allem, können wir nur fühlen. Aber, was heißt hier „nur“? Das Gefühl ist es, das uns in einen unmittelbaren Kontakt zu uns selbst bringt. Fühlend sind wir uns selbst gegenwärtig, allerdings, ohne dass wir diese Selbsterschlossenheit in ihrem göttlichen Grunde zu bestimmen in der Lage wären. Genau dazu brauchen wir die religiösen Symbole und mythischen Bilder, die rituellen Inszenierungen und ästhetischen Performanzen, alles das, was der religiöse Kult zu ermöglichen versucht. Die Bilder der Religion sind es, die die Objekte der religiösen Anschauung schaffen. Die Musik und die Bewegung des Körpers sind es, die jene innere Erregung schaffen, die es macht, dass wir uns zu dem göttlichen Grunde unseres sinnbewussten Daseins auch bewusst verhalten.

Die bildende Kunst hat wunderbare Marienbilder geschaffen. Wenn wir es lernen, der emotionalen Seite der religiösen Erfahrung wieder größere Aufmerksamkeit zu schenken, dann dürfte Maria als die Mutter des Gottes, der im eigenen Herzen zur Welt kommt, auch in den protestantischen Spielarten der christlichen Religionskultur größere Aufmerksamkeit finden.

Copyright: Prof. Wilhelm Gräb und Religionsphilosophischer Salon Berlin

“Pflichtlektüre” zu Oscar Romero: „Die Linken kämpfen, um die soziale Ungerechtigkeit zu beseitigen“

“Pflichtlektüre” zu Oscar Romero:  „Die Linken kämpfen, um die soziale Ungerechtigkeit zu beseitigen“

Eine Buchempfehlung von Christian Modehn

Der katholische Erzbischof Oscar Romero (San Salvador) wird nun endlich auch von der römischen Kirche öffentlich geehrt und öffentlich als Vorbild empfohlen. Er wurde von reaktionären Katholiken (Todesschwadronen) ermordet. Im Vatikan heißt es seit Februar 2015 eindeutig, Romero wurde „aus Hass auf den (also auf seinen) Glauben“ ermordet, den Glauben eben an die Universalität der Menschenrechte und der befreienden Botschaft des Evangeliums. Das war der Glaube Romeros! (Zum Thema “Oscar Romero und das Opus Dei” klicken Sie bitte hier)

Am Samstag, den 23. Mai 2015, findet in der Hauptstadt des zentralamerikanischen Staates El Salvador die offizielle „Seligsprechung“ des von so vielen Lateinamerikanern (und vielen anderen auch außerhalb der römischen Kirche) verehrten Befreiungstheologen statt.

Der Religionsphilosophische Salon Berlin verteidigt die universalen Menschenrechte und auch auf die bleibende Aktualität der Befreiungstheologie. Denn sie ist ein qualitativ neue, andere Art, von Gott zu sprechen, deswegen ist sie auch philosophisch hoch interessant!

Nun ist dieser Tage die große Biographie zu Oscar Romero neu erneut publiziert worden, verfasst von dem us-amerikanischen Jesuiten James R. Brockman. Er hat dieses Buch mit dem Titel „Oscar Romero“ schon 1989 in den USA, in dem berühmten, dem hervorragenden Verlag Orbis Books, Maryknoll, veröffentlicht.

Die Neuausgabe der deutschen Übersetzung erschiennun – unser Dank ! – im Verlag TOPOS Premium, es hat 448 Seiten und kostet 26,95 EURO.

Dieses Buch ist für alle, die Oscar Romero und sein Werk verstehen wollen, eine Art Pflichtlektüre, auch wenn die Darstellung eben schon 1989 endet, also etwa die Phase der vom Vatikan betriebenen Zerstörung einiger Werke von Erzbischof Romero durch seinen späteren Nachfolger, den spanischen Opus Dei Bischof Saenz Lacalle, nicht mehr erwähnt werden kann. „Die Kirche ist in El Salvador unpolitisch“ war Saenz Lacalles Motto…

Der Vorteil der neuen Ausgabe des großen Buches von James R. Brockman ist, dass einer der entscheidenden Berater Oscar Romeros, der Jesuit und weltbekannte Theologe Jon Sobrino, ein kurzes Geleitwort geschrieben hat, vielleicht zu knapp nach unserer Meinung. Pater Sobrino erwähnt auch die Gegner Romeros im Vatikan, etwa, so wörtlich die „Grobheit“ des reaktionären Kardinals Lopez Trujillo, der die Seligsprechung Romeros Jahre lang unterbinden konnte, wie jetzt im Vatikan – ohne Schuldbekenntnis – zugegeben werden muss. Dass die Clique um einen einzelnen Herrn, Kardinal, so viel Macht hat, wäre mal eine eigene kirchenkritische Erörterung wert…

Wichtig bleibt als Leitlinie ein kurzes Zitat aus einer Predigt Oscar Romeros am 9. März 1980, also wenige Tage vor seiner Ermordung durch die rechtsextremen, von den USA mit ausgebildeten und finanzierten Todesschwadronen:
Romero sagte, so zitiert Brockman auf Seite 379:
„Wir übersehen auch nicht die Sünden der Linken (also den massiven, gewaltsamen Widerstand, CM). Aber sie stehen in keinem Verhältnis zur Gesamtmenge der repressiven Gewalt. Die Taten der politisch-militärischen Gruppen der Linken erklären die Unterdrückung nicht!… Die Morde der paramilitärischen Truppen sind Teil eines umfassenden Programms zur Vernichtung der Linken, die von sich aus keine Gewalt ausüben und fördern würden, wäre es nicht der sozialen Ungerechtigkeit wegen, die sie beseitigen möchten“.

Diese grundlegende Überzeugung Erzbischof Romeros hat im Vatikan und in führenden Kirchenkreisen damals kaum jemand verstanden, im Gegenteil…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin