Der Geist ist heilig: Eine kleine Philosophie des Pfingsfestes

Ein Hinweis von Christian Modehn am 30.4.2024. Überarbeiteter Beitrag von 2015, der viel Aufmerksamkeit fand.

Siehe auch: “Eine philosophische “Predigt” zum Pfingstfest”: LINK:

Siehe auch: “Pfingsten – Fest der Philosophen. Ein Vorschlag von G.W.F. Hegel”   LINK

1.
Mit dem Pfingstfest tun sich die meisten Menschen heute schwer. Auch religiöse Menschen. Und daran sind die Kirchen mit-schuld: Die bis heute in kirchlichen Kreisen übliche theologisch-spitzfindige Trennung von (bloß auf den Menschen bezogenem) „Geist“ und dem offenbar göttlichen „Heiligen Geist“ ist nicht nur problematisch. Sie ist falsch. Sie ist ein Relikt aus Zeiten, als die Kirche und ihre amtliche, herrschende Theologie die Wirklichkeit aufspaltete, in “Natürlich” und “Über-Natürlich” trennte. Dabei konnte kein Theologe erklären, was denn nun die “Übernatur” ist. Aber es wurden zwei Welten geschaffen, die eine (natürliche, angeblich heidnische) als fern von Gott befindliche Wirklichkeit; die andere, die übernatürliche Wirklichkeit, als Gnaden-Wirklichkeit: Und diese wird von der Kirchenführung verwaltet und bestimmt. Der weltweit geachtete katholische Theologe Karl Rahner SJ hat in seinen zahlreichen Hinweisen zur Gotteserfahrung immer gezeigt, dass im Wahrnehmen menschlichen Geistes (in der Einsamkeit, in der Liebe, in der Angst usw.) das Göttliche erfahren werden kann. Im menschlichen Geist, wohlgemerkt, an dem alle Menschen Anteil haben. Theologisch formulierte das Karl Rahner so: “Wir leben immer schon in einer von Gott, dem göttlichen Geist, bestimmten Wirklichkeit”. Mit anderen Worten: Der göttliche Geist ist in jedem Menschen, als menschlicher Geist, immer schon wirksam. Universell, selbstverständlich auch in allen Religionen.

2.
Die im Neuen Testament beschriebene Geschichte vom Pfingstereignis will darauf hinweisen: Auch die Gemeinde ist (nach dem Weggang Jesu von Nazareth) geisterfüllt, lebendig, kreativ. Und sie erlebt ihren neuen Optimismus als Geschenk. Sie erlebt vor allem ihre eigene Vielfalt als Gabe. Jede einzelne Sprache, d.h. jede einzelne Kultur, ist wertvoll, keine Sprache, keine Kultur darf dominieren. Alle Sprachen, alle Kulturen, haben das gleiche Lebensrecht. Der in Berlin zu Pfingsten stattfindende “Karneval der Kulturen” als Fest der Vielfalt und der Gleichberechtigung aller Kulturen, ist/war ein (fernes) Echo auf die religiösen Geschichten vom Pfingstfest. Nur wird aus diesem Fest der Viefalt eben ein “Karneval”. Und ein Karneval als Ereignis eines Tages hat keine politischen Konsequenzen für eine gelebte Politik der Vielfalt.  Hat keine Konsequenzen etwa auf die Flüchtlingspolitik, auf die Abwehr des Fremden, auf die alltäglichen (geschürten) Ängste vor dem Anderem. Der “Karneval der Kulturen” ist/war insofern bloß ein “ästhetisches”, aber kein politisches Ereignis.

3.
Schon früher lehrten Philosophen und Theologen, wie Meister Eckart, darin durchaus Thomas von Aquin folgend: Es gibt nur den einen als den einzigen Geist im Menschen. Eigentlich eine Einsicht, die in der geistvollen Erfahrung eines jeden Menschen bestätigt wird: Hat jemand schon einmal seinen “natürlichen” Geist als solchen, später aber seinen “übernatürlichen”, so genannten heiligen Geist als solchen erfahren? Der Geist als Geist ist heilig, weil er das Belebende, das Kreative, ist.
Der Geist ist das über alles Gegebene stets hinaus Weisende im menschlichen Leben; weil Geist auch Sprache ist und Poesie in ihrer unendlichen Fähigkeit des Ausdrucks und Suchens; weil Geist auch Musik ist und neue Welten erschließt; weil Geist Philosophie ist in der Suche nach jenen Zeichen, die über das Weltliche hinausweisen; weil Geist Religion (bzw. Religionen im Plural) ist in der Suchbewegung, sich von selbst gemachten Göttern zu befreien und des Namenlosen, des alles gründenden Geheimnisses inne zu werden. Weil Geist refelktierte gestaltete Freiheit ist, und Freiheit etwas Unantastbares, Heiliges, Sakrales, vom Menschen nicht Totzuschlagendes, nicht Abzuschaffendes ist. Weil mit dem Symbol Geist letztlich das Menschliche des Menschen gemeint ist, selbst wenn einzelne Philosophen, wie Nietzsche meinen, der Geist des Menschen sei dann doch noch von Trieben anhängig: Aber allein diese Erkenntnis kann kein Trieb als Trieb formulieren, dazu braucht man dann doch wieder den Geist. Er ist dann also doch größer als der Trieb… Also: Der Geist wird als der letztlich Unzerstörbare, wenn nicht Absolute erfahren, und das ermutigt zu der Hoffnung: Der allgemeine Geist, an dem jeder und jede teilhat, wird den inidviduellen Tod überdauern.

4.
Pfingsten ist also das Fest des einen, universalen Geistes. In einer aufs Materielle fixierten Welt, in der der universale Gott das Geld ist und die Banker an der Wall Street und anderswo die Hohenpriester sind, hat ein “Fest des Geistes” einen schweren Stand. Trotzdem bleibt die Erkenntnis, die tröstlicher ist als die Börsennotiz der Wall Street: Wo immer und wann immer noch geistvoll gelebt wird, in der Weise der Reflexion, des Sich-Beziehens auf den Geist, im geistvollen Miteinander, im Gestalten und “Machen” gemäß den Impulsen des Geistes… da wird das umfassend menschliche (eben geistvolle) Leben gefeiert und dem Gott des Bloß-Materiellen widerstanden. Dabei ist “geist-voll” überhaupt nicht gemeint als Eröffnung eines dualistischen Denkens, sozusagen als Absage alles Leiblichen, Erotischen usw. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt sicher nichts Geistvolleres als gelebte Erotik, als geistvoll gestaltete Leiblichkeit.

5.
Pfingsten will also eine geistvolle Gesellschaft. Man kann sie eine offene Gesellschaft nennen, eine solche, die ohne Überwachung und Kontrolle auskommt, eben eine Gesellschaft, die Freiheit für das höchste Gut hält und jeglichem autoritärem Verhalten Widerstand leistet. Demokraten kennen die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen ihrer Demokratie: Sie wissen, eine bessere Staatsform gibt es nicht, sie lässt sich stets entwickeln und korrigieren und sie muss vor allen Liebhabern der so einfach erscheinenden autoritären Staatsform (Diktatur) heftig und deutlich verteidigt werden.
Insofern ist Pfingsten ein Fest der Freiheit des Geistes. Da müssen sich die Kirchentüren weit öffnen, um vor allem die dogmatisch erstarrten Kirchen erst einmal selbst zu verwandeln: Weil eben alle zum Fest eingeladen sind, alle, die die Freiheit des Geistes verteidigen, Skeptiker, Agnostiker, weltliche Humanisten…Wo finden solche ökumenischen Feiern statt?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon Berlin.

Pfingsten 2016: Wie der Geist, der heilige, zu politischer Kritik ermuntert. Eine philosophische Predigt.

Wie der heilige Geist heute zu politischer Kritik ermuntert

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht zu Pfingsten 2016! Zugleich die Skizze einer philosophischen Predigt.

1.

Muss man daran erinnern, dass Pfingsten das Fest des Geistes ist? Muss man daran erinnern, dass der Geist (nennen wir ihn philosophisch auch kritische Vernunft) als etwas Heiliges zu gelten hat, als eine Kraft, die absolut und unbedingt hoch zu schätzen, zu pflegen und zu entwickeln ist? Die Kraft, die den Menschen als Menschen auszeichnet bzw. auszeichnen sollte?

2.

Wenn die Menschen sich am Pfingstfest auf den Geist besinnen, auf ihren Geist und den, den sie mit allen Menschen  gemeinsam haben und teilen, dann liegt darin immer auch eine politische Dynamik. Christen, denen der Geist ja traditionell heilig, sogar göttlich ist, bleiben unter ihrem theologischen und religionsphilosophischen Niveau, wenn sie Pfingsten nur innerreligiös, nur als seelische Bereicherung ihrer hoffentlich schönen Seele begreifen.

3.

Der Geist der Kritik verweist heute selbst auf Themen, an denen wir uns geistvoll abarbeiten sollten, er zeigt die drängenden Aufgaben nämlich in den aktuellen Kontrast-Erfahrungen: Das heißt: In den Erlebnissen und Erkenntnissen so vieler, die ihr Wissen aussprechen oder noch schamhaft für sich behalten: Unsere Welt im ganzen, auch unsere Gesellschaft hier, wird nicht nur eine grundlegend andere; sie sollte auch als eine gerechtere, bessere, gestaltet werden. Den Kontrast zum Bestehenden gilt es im kritischen Denken zunächst auszuhalten und dann zu überwinden. Wir stehen an einer Wende. Sie ist in ihrer globalen Dimension nur mit dem Fall der Mauer 1989 vergleichbar. Diese Wende wird als Abschied von einer alten, selbstverständlichen Ordnung bzw. wohl eher Unordnung erfahren, in der wir hier in Europa und Nordamerika meinten, mit unseren Konzepten, auch ökonomischen Konzepten, die Welt beherrschen zu können. Kontrasterfahrungen also heißen: Nein sagen zur bestehenden ungerechten Gestalt dieser Welt; dieses Nein ist keine theoretische Konstruktion, es wird immer schon von uns erlebt, oft ausgesprochen, selten aber in den berühmten kleinen oder größeren Schritten von Reform und Revolte praktisch gestaltet. Dieses Nein ist eine Leistung unseres Geistes, der uns als Grenzen überwindende Dynamik immer schon über das jeweils Bestehende hinausführt. Diese im Neinsagen  in Umrissen sichtbare neue Welt ist eine Leistung des Geistes. Und sie sollte in Gruppen und Gemeinden besprochen werden.

4.

Darum ist in christlicher Tradition Geisterfahrung und Ernstnehmen des Geistes immer an Gruppen und Gemeinden gebunden. In der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie Hegels ist der Geist, der heilige, ohne Gemeinde gar nicht denkbar. Der Verlust von Gemeinde-Erfahrungen als menschlicher, geistvoller Gemeinschaften, natürlich in Freiheit, ist eine Katastrophe für eine lebendige Geist-Erfahrung. Wenn Kirchenleitungen aufgrund rigider Gesetze diese Gemeinden heute in Deutschland und anderswo reduzieren (etwa wegen des Fehlens von zölibatären Priestern im römischen Katholizismus), dann verhindern diese Kirchenleitungen selbst geistvolle Erfahrungen, sie verhindern den Aufbau einer gerechteren Welt.

5.

Jetzt wird wohl alles grundlegend anders: Die Armen im Süden dulden nicht noch länger in ihren eigenen Grenzen das Elend. Dies wurde und wird dadurch bewirkt, dass die westliche Ökonomie und Politik ständig so genannte Politiker, meist Diktatoren in Afrika und Lateinamerika und im Mittleren Osten, hätschelte und pflegte. Und den dort lebenden Menschen keine Demokratie gönnte. Nur die armen Bootsflüchtlinge aus Afrika können – überlebend angekommen – ökonomisch im Westen ausgeplündert werden, man braucht sie hier, in Kneipen und anderswo als Putzhilfen, auch wenn man nach außen so tut, als wolle man sie eher abweisen. Wenn jetzt Flüchtlinge nach Europa kommen, und es werden viele kommen, wenn man nicht mit europäischen Waffen auf diese Flüchtlinge schießt, was Frau von Storch unsäglicherweise für denkbar hält, dann wird diese unsere Welt eine andere: “Das Elend der Welt”, selbst, wenn eher die Wohlhabenden aus Afrika und Nahost hier stranden, kommt zu uns. Und damit kommt uns “die Welt des Elends”, die Europa seit der Kolonialzeit und in modernen ausbeuterischen Verhältnissen geschaffen hat, vor die Haustür.

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Und damit die kritische Frage: Was haben wir aus dieser Welt gemacht, in der 1 Prozent der Bevölkerung etwa 60 Prozent aller so genannter „Vermögens-Werte“ besitzen? Wie viel Ungerechtigkeit haben wir über all die Jahrzehnte zugelassen, bloß weil sie uns „im Westen“ nützte und den heiligen Profit brachte? Wie sehr haben wir uns aus der Affäre gezogen, indem wir von Barmherzigkeit und milder Güte sprachen, die ja nicht mehr sind als: nette Opfergroschen für die Elenden. Opfergroschen verändern nicht ungerechte Strukturen. Aber das wurde und wird uns hier eingeredet. Darum ist, nebenbei gesagt, die Propaganda-Rede von Papst Franziskus zugunsten der Barmherzigkeit recht nett, strukturell aber wirkungslos…Soll der barmherzige Papst doch die Milliarden, die in den Vatikan-Banken ruhen und die Milliarden aus dem römischen Immobilienbesitz einmal den Armen zugute kommen lassen, ehe er von Barmherzigkeit so nett schwadroniert.

7.

Was sagt der kritische Geist in dieser Situation: Nimm diese neue Lage der Präsenz der Flüchtlinge an. Und heiße sie willkommen, das verlangt die Menschlichkeit. Diese Situation ist endlich einmal anzuerkennen, und: Sie ist friedlich und endlich einmal human zu gestalten, wenn es denn noch geht.

Was sagt der kritische Geist zu Pfingsten 2016 noch? Es gibt keine (linke oder sozialdemokratische) Partei, die dieser Situation gewachsen ist, keine Partei, die diesen grundstürzenden Wandel tatsächlich den Bürgern erklären kann oder auch erklären will. Die Politiker, sofern sie etwas verstehen, haben Angst, „dem Volk“ die Wahrheit zu sagen,nämlich: Wir müssen eine andere Gesellschaft hier aufbauen oder wir gehen im Wachstumswahn unter.

Die meisten Einwohner im alten Westen wollen, im verkalkten und bekanntlich tödlichen nationalstaatlichen Denken immer mehr befangen, weiter machen, wie bisher;  sie wollen die nationalen Grenzen verriegeln und Schlimmeres tun. Und die Mehrheit der dumm gehaltenen Bürger spendet Beifall. Angesichts der globalen Veränderung herrscht Angst oder „Weitermachen wie bisher“. Werden wir Populisten und äußerst Rechtslastige noch mit Argumenten von ihrem Irrtum befreit werden können? Leben wir überhaupt noch in einer Gesprächskultur, die für mentale Korrekturen Raum lässt?

Was hilft vielleicht? Natürlich der kritische und der selbstkritische Geist, der auch zum Austausch unter den Menschen führt, die diese globale Analyse teilen und nach neuer Orientierung suchen.

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Christliche Gemeinden und philosophische Clubs, Salons, sollten zu „Schools of life“ werden: Dieser wunderbare Titel ist zwar schon vergeben. Aber die Sache kann doch auch grenzenübergreifend gelebt werden: In diesen „schools of life“ wird eben zuerst vom Leben gesprochen, auch dem politischen, auch dem sozialen, da werden gemeinsam Auswege gesucht, da wird Neues erprobt. Das heißt etwa bezogen auf die Kirchen: Die ewige Form des immer gleichen Gottesdienstes, mit der ewig gleichen Form des Ritus, der uralten Formeln und Floskeln, diese Einfallslosigkeit im Umgang mit dem göttlichen Geist, zeigt ihre Wirkung: Fast niemanden interessiert das. Aber die Kirchen machen unbeirrt und wie erstarrt weiter wie bisher… Gibt es noch Hoffnung für die dogmatisch fixierten Kirchen in Europa? Können sie lebendig werden, und in der Mitte ihrer Veranstaltungen, d.h. im Gottesdienst, politisch werden, d.h. lebendig auf die Gegenwart antworten? Können Sie Gottesdienst als Menschendienst verstehen und leben? Ich glaube manchmal: eher nicht, es ist zu spät. Da bleibt nur die religiöse Poesie, die da ureinst in dem schönen poetisch-religiösen Text “Veni creator spiritus” formulierte: “Komm heiliger Geist…” Ob Philosophen auch die religiöse Poesie wiederentdecken? Das wäre auch ein (selbstverständlich überkonfessionell-vernüftiges) Ereignis des Geistes.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon