Buddhismus und Christentum: Was beide Religionen miteinander verbindet. Ein neues Buch von Perry Schmidt-Leukel.

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Bestimmte populäre Klischeevorstellungen (auch „Generalisierungen“ genannt) über das angebliche „Wesen“ „der“ Religionen haben sich leider durchgesetzt: Zum Beispiel: „Der“ Buddhismus sei eigentliche eine atheistische Weltanschauung, die „Erlösung des Menschen“ werde für Buddhisten in einem „Nichts“ enden. Hingegen sei das Christentum gebunden an den „personalen“ Gott, der als Heil und Erlösung ein Leben im Himmel verspricht.

2.
Gegen diese Klischee-Vorstellungen hat der Religionswissenschaftler Prof. Perry Schmidt-Leukel (Universität Münster) vielfach schon wichtige Publikationen vorgelegt. Sein neues Buch hat den Titel „Das himmlische Geflecht“, ein vielleicht auch leicht ironisch zu verstehender Titel, der andeuten soll: Wenn man den Blick in die himmlische, göttliche und alles gründende Sphäre lenkt, dann sind die verschiedenen Religionen viel stärker miteinander verbunden, als man populär annimmt. Darum der Untertitel: „Buddhismus und Christentum – ein anderer Vergleich“. In dem Buch geht es um überraschende, durchaus der Sache angemessen anspruchsvolle Überlegungen, die vom Leser hohe Konzentration erfordern.

3.
„Anders“ ist dieser Religionsvergleich, weil er die innere Pluralität der jeweiligen Religionen stark herausstellt. Und dabei entdeckt: Zwischen einzelnen Lehren bestimmter buddhistischer Traditionen und einzelnen Lehren bestimmter christlicher Traditionen besteht (trotz der kulturell und sprachlich bedingten Distanz) doch eine Nähe, eine überraschende Verbundenheit, wenn nicht Gleichheit der Überzeugungen! Dabei ist dem Autor klar: Traditionell bestimmte und begrenzte Interpretationen der jeweiligen Religion können auch zur Einsicht „unversöhnlicher Gegensätze“ führen. Aber Schmidt-Leukel ist es wichtiger, Komplementaritäten in den lehrmäßigen Überzeugungen beider Religionen herauszuarbeiten!

4.
Das neue Buch Schmidt-Leukels ist also ein neuer Vergleich zwischen Christentum und Buddhismus, der sich allerdings auf die objektiv greifbare Ebene der Lehren und Schriften begrenzt. Und da präsentiert der Autor eine große Fülle und Vielfalt. Es geht ihm also nicht um den von konkreten Menschen gelebten Glauben, der sich als je eigener Glaube oft als eine sehr persönliche „Synthese“ von Christentum und Buddhismus versteht. Also etwa: „Ich bin katholisch und gleichzeitig Zen-Buddhist“. Diese religiöse bzw. spirituelle „Doppel-Identität“ (ein „persönliches Oszillieren zwischen den Unterschieden“, S. 355) ist eines der seit langem schon diskutierten Themen Schmidt-Leukels.

5.
Das Buch zeigt also ausführlich: „Es steckt immer irgendein Stück Christentum im Buddhismus und irgendein Stück Buddhismus im Christentum“ (S. 350).

6.
Diese Forschungslinie nennt Schmidt-Leukel mit einem eher ungewöhnlichen, schwierigen, aus der Mathematik stammenden Begriff „fraktal“. Aber die mit diesem schwierigen Begriff gemeinte Sache erschließt sich auch, wenn man sich nicht auf den Begriff fixiert und die einführenden, sehr anspruchsvollen methodischen oder „Meta“-Überlegungen (S. 18-89) den Spezialisten erst mal überlässt.

7.
Es bleibt also interessant, wie diese Linie (siehe Nr. 5) an sechs zentralen Lehren beider Religionen konkretisiert wird, also: „Weltflucht oder Weltzuwendung?“, „Impersonales Absolutem oder personaler Gott?“, „Verblendung oder Sünde?“, „Erwachter Lehrer oder inkarnierter Gottessohn?“, Selbsterlösung oder Fremderlösung?, „Glückseliges Entwerden oder glückselige Gemeinschaft?“.

8.
Nur auf eines dieser Kapitel soll hier etwas ausführlicher hingewiesen werden: Gibt es Gemeinsamkeiten in der buddhistischen Lehre von Buddha als dem erwachten Lehrer und der christlichen Überzeugung von Jesus als dem inkarnierten Gottessohn?
Schmidt-Leukel weiß: Bisher wurde zwischen dieser genannten populären Deutung Buddhas und Jesus Christus „ein Gegensatz“ (S. 225) gesehen. Der manchmal noch gelesene katholische Theologe Romano Guardini habe in seinem Werk „Der Herr“ (veröffentlicht in der Nazi-Zeit 1937) ein gewisses Verständnis für Buddha gehabt, erläutert Schmidt-Leukel. Aber, so Guardini, Buddhas „Wert“ stehe doch hinter Christus zurück. Buddha sei bestenfalls wie Johannes der Täufer als ein Vorläufer Christi zu verstehen (S. 227). Schmidt-Leukel zeigt hingegen, dass Gautama (der Buddha) häufig als Lehrer, großer Lehrer bezeichnet wird und dabei eine „autoritative Verkündigung der Wahrheit“ (S. 237) gelebt hat, wie in einem Akt der Offenbarung“ (ebd.). Jesus wird in den vier Evangelien „41 mal Lehrer genannt wird, kein anderer Titel wird ihm häufiger beigelegt, Jesus ist der Lehrer der Wahrheit (S. 235). Wenn beide, der Buddha und Jesus, also Lehrer sind und als Lehrer verehrt werden, ist Jesus Christus dann noch einmalig, wie Christen oft behaupten? Man muss wohl die sehr deutliche Aussage des großen Zen-Meisters Thich Nat Hanh respektieren: Er sagte: „Natürlich ist Christus einmalig, aber wer ist nicht einmalig? Sokrates, Mohammed, der Buddha, Sie und ich, wir alle sind einmalig“ (S. 245)

9.
Das neue Buch Schmidt-Leukels „Das himmlische Geflecht“ bietet ausführlich neue Erkenntnisse für ein neues Verständnis des Miteinanders von Buddhismus und Christentum. Schmidt-Leukel befreit also von dem Eindruck, beide Religionen würden sich fremd oder gar feindlich oder als Konkurrenten gegenüberstehen.
Beide Religionen stehen einander nahe, sie sind viel ähnlicher als oft angenommen, sie haben eine interne Vielfalt, bei der sich gerade die beiden Religionen gemeinsamen Lehren zeigen. Eine solche Religions-Theologie kann auch politische Wirkungen haben und eher das friedliche Miteinander fördern.

10.
Die Verbundenheit von Lehren bestimmter buddhistischer Traditionen und bestimmter christlicher Traditionen ließe sich auch auf andere Religionen ausweiten, etwa auf den Islam oder bestimmte Formen des Hinduismus. Und wie sieht es im Verhältnis der vielen christlichen Kirchen untereinander aus? Da ist es längst erwiesen, dass ein so genannter Reform-Katholik (des „synodalen Weges“) einem progressiven Lutheraner oder Reformierten näher steht als etwa einem Katholiken des Opus Dei oder der Legionäre Christi. Und ein liberal-theologischer Remonstrant kann einem Humanisten oder einem Unitarier (Anti-Trinitarier) näher stehen als einem „rechtgläubigen“ Calvinisten.
Aber da spielen dann doch normative Kategorien eine Rolle: Bisher ist offensichtlich niemand auf den Gedanken kommen, etwa gemeinsame Glaubensinhalte etwa zwischen den Zeugen Jehovas und den Pfingstgemeinden oder dem Katholizismus herauszuarbeiten? Oder gemeinsame Glaubensinhalte von Mormonen und Anglikanern? Offenbar haben im allgemeinen religionswissenschaftlichen und theologischen Bewusstsein etwa die „Zeugen Jehovas“ oder die „Mormonen“ a priori gar nicht den „Wert“, in einen interreligiösen Vergleich gezogen zu werden. Ist dieses Urteil gerecht, spielen da die Definitionen von „Sekte“ eine Rolle? Aber können nicht auch Teile, oft maßgebliche Teile einer Großkirche eine „Sekte“ sein? Ist etwa das Selbstverständnis des Papstes und des vatikanischen Klerus (auch in der totalen Ablehnung des Priestertums für Frauen) nicht auch Ausdruck einer Sekten-Mentalität? Aber dieses Faktum wird im Interreligiöser Disput nicht benannt. Warum? Weil eben die Institution römische Kirche oder auch orthodoxe Kirche so alt ist und als so „ehrwürdig“ propagiert wird. Da kann nichts von einer Sekte sein…

11.
Noch einmal zu den Unterschieden und den Gemeinsamkeiten im Buddhismus und Christentum. Man müsste philosophisch nach dem einen gemeinsamen Geist der Menschen fragen, der über alle verschiedenen Kulturen und Sprachen hinaus sich im Laufe der Geschichte Ausdruck schafft in verschiedenen Religionen und religiösen Lehren. Wenn das so ist: Dann stehen die sich aufgrund des „letztlich“ einen schöpferischen Geistes sehr nahe, trotz aller sprachlichen Differenzen und zeitlichen „Abstände“.

12.
Die vielen Religionen als Ausdruck des EINEN, allen Menschen gemeinsamen Geistes zu verstehen, war die Leistung Hegels. An ihn wäre in dem Zusammenhang zu erinnern. Und Hegels Thema, dass es einen gedanklichen Fortschritt in der Geschichte der (Lehren der) Religionen gibt, wäre neu zu stellen. Fortschritt war ja für Hegel immer ein Fortschritt im Bewusstsein (!), also im Wissen, der Freiheit. Er meinte, es gebe auch in der Religionsgeschichte (des einen Geistes) einen Fortschritt hinsichtlich des Erkennens und Wissens der göttlichen Wirklichkeit.
Kriterium war für ihn: Stiftet und fördert eine Religion die Freiheit und Würde des religiösen Menschen? Ich halte dieses Kriterium der Unterscheidung in der pluralen religiösen Welt für sehr wichtig. Falls nicht, dann möchte man auf jede Religionskritik verzichten. Das aber wäre eine Form einer post-modernen Religionstheorie, einer Theorie, für die alle Religionen gleich gut, gleich hübsch, gleich human sind. Dass dies faktisch nicht der Fall ist, dürfte klar sein. Wer also faktische Religionen kritisiert, verurteilt sie nicht, will sie nicht bekämpfen. Er will nur für ein differenziertes Denken sorgen. Und hoffentlich für die ständige Reform, „Weiter-Entwiocklung“ dieser Religionen.
Dies sind Fragen, die sich mir nach der Lektüre des sehr empfehlenswerten, höchst anspruchsvollen Buches von Perry Schmidt-Leukel ergeben.

Perry Schmidt-Leukel, „Das himmlische Geflecht. Buddhismus und Christentum – ein anderer Vergleich“. Gütersloher Verlagshaus, 2022, 415 Seiten, viele Literaturangaben auch zu vielen lesenswerten Arbeiten des Autors, ein Personenregister, 26 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Kamala Harris – die „multireligiöse“ Vizepräsidentin der USA

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Präsident Jo Biden ist gläubiger und praktizierender Katholik, das hat sich allmählich herumgesprochen. Einige katholische Bischöfe der USA haben aber Jo Biden noch in letzter Zeit sein „Katholischsein“ abgesprochen und davor gewarnt, dass Katholiken ihn wählen. Mit „Erfolg“:62 Prozent der Katholiken haben dann als gehorsame Gläubige tatsächlich TRUMP gewählt. Wollten die Bischöfe also behaupten: Jo Biden sei ein verkappter Atheist? Von wegen. Er hat nur die Ursünde für viele konservative und reaktionäre Katholiken begangen, und eben nicht die „Pro Life Bewegung“ zu seinem obersten Gott erklärt, wie es eben die genannten Kreise, auch evangelikaler Prägung, vor allem tun. Für sie ist sozusagen der Kampf für Pro Life der militante Glaubenskampf seit Jahren. Und die Grundsätze von „Pro Life“ sind das oberste Glaubensbekenntnis.
Jo Biden ist hingegen ein gläubiger Katholik, für den der Kampf um die Demokratie und Menschenrechte und Menschenwürde für alle an oberster Stelle steht. Das sind ja ohnehin die einzig möglichen humanen und demokratischen Positionen! Mit religiösen Prinzipien und Sprüchen aus heiligen Schriften lässt sich bekanntlich kein demokratischer Staat machen.
2.
Und was bedeutet der religiöse Glaube der Vizepräsidentin Kamala Harris? Diese Frage zu stellen ist in den USA normal, obwohl offiziell Kirchen und Staat getrennt sind. Aber im Unterschied zur radikaleren Laizität in Frankreich: Dort ist es eher ungehörig wissen zu wollen, was glaubt dieser oder jene Mensch, Nachbar, Kollege, Politiker, welcher Konfession gehört er an, geht er zur Kirche, zur Synagoge, zur Moschee etc…? So etwas darf man und will man in Frankreich, durch die Verfassung festgelegt, gar nicht wissen, darum gibt es auch keine präzise Religionsstatistik in Frankreich!
3.
Und das ist nun wirklich hoch interessant für alle religionswissenschaftlich oder auch theologisch Interessierten: Eine multireligiös lebende höchstrangige Politikerin in den USA: Diese Situation ist kein Wunschtraum mehr, sondern Realität: Was Prof. Perry Schmidt-Leukel in Deutschland oder die Theologin Manuela Kalsky in den Niederlanden (Amsterdam) seit Jahren fordern und selbst leben: Die multireligiös Religiöse: Das ist Wirklichkeit – bei Kamala Harris, der US Vizepräsidentin. Dieser Aspekt ist natürlich nur einer von vielen Aspekten, die wichtig sind, um Kamala Harris zu verstehen.
4.
Die Mutter von Kamala Harris , Shyamala Gopalan Harris, gestorben 2009, stammt aus Indien (Chennai, Madras), sie war eine gläubige Frau gemäß hinduistischer Spiritualität – auch als sie in den USA
lebte…und für die Menschenrechte kämpfte. Während ihrer Reisen in Indien nahm Kamala Harris an Riten in hinduistischen Tempeln teil.
Der Vater Donald Harris stammt aus Jamaica und war mit der Baptistenkirche verbunden. Kamala Harris Ehemann Dougles Emhoff ist mit jüdischen Gemeinden verbunden, und sie bekennt „mit dem ich die Traditionen und Feiern des Judentums teile“, berichtet die Tageszeitung La Croix, Paris.
In San Francisco ist Kamala Harris eng verbunden mit der Bapistengemeinde von Pastor Amos C. Brown. Er sagte über Kamala Harris in der Zeitschrift „Sojourners“: „In meiner Sicht verkörpert sie einen Satz aus dem Jakobus-Brief des Neuen Testaments, dort heißt es: „Ein Glaube ohne Taten und Werke ist tot“ (Jak. 2,26). Ein erstaunliches, sehr treffendes Wort eines berühmten US-Theologen und Kämpfers für die Menschenrechte, ist doch der Jakobus Brief von Martin Luther aufs heftigste kritisiert und abgewiesen worden, gerade weil im Jakobus Brief das TUN so betont wird als Weg der Erlösung. Dieser irrigen Interpretation Luthers folgen leiden heute immer noch viele Protestanten, aber dies ist ein anderes Thema. Kamala Harris bestätigt die Aussage ihres Pastors: „Ich habe schon in der Jugend in der Baptistenkirche von Oakland damals gelernt: Den Glauben haben bedeutet: Er ist eine Aktion. Wir müssen ihn leben und in Taten verleiblichen“. Im Pressedienst „Protestinte“ sagte sie: „Der Gott, an den ich glaube, ist der Gott der Liebe. Er will, dass wir den anderen dienen und im Namen derer sprechen, die weder reich noch mächtig sind. Dabei ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ganz zentral für mich“. Kamala Harris geht soweit, sich öffentlich auch zum privaten Gebet zu bekennen, „um Kraft und Schutz zu erbitten, gute Entscheidungen zu treffen“…
5.
Kamala Harris lebt außerhalb rigider religiöser Identitäten. Dies kann eine gute Voraussetzung sein, um ein Land, das ideologische Barrieren und religiöse Eindeutigkeiten über alles pflegt, etwas mehr zu versöhnen, d.h. zur Vernunft zu bringen, Vernunft ist bekanntlich etwas den Menschen Gemeinsames und Allgemeines. Nur sie, verbunden mit Empathie, kann eine Demokratie aufbauen. Und es ist keine Frage: Wer sich in diesem durch Mr. Trump verwüsteten Land verändern muss, sind zu allererst die meisten Republikaner. Ihre führenden Politiker und Parteimitglieder haben 4 Jahre zugesehen, offenbar aus eigenem finanziellen Interesse, wie dieser korrupte Mann, Mr.Trump, die demokratischen Werte zerstörte und die Lügen zur allgemeinen Unkultur zu etablieren suchte. Die Versöhnung der Menschen in den USA wird heftig werden. Auch die Kirchen sind innerlich politisch zerrissen. Wo sind die neutralen Vermittler, die Mediatoren?

Copyright: Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de
Dieser Hinweis verdankt einige Information der Tageszeitung La Croix, vom 9.11.2020, dort der Beitrag von Claire Lesegretain.

Perry Schmidt -Leukel plädiert für multireligiöse Bindungen

Vorschläge von Prof. Perry Schmidt Leukel, Münster

In einem Interview am 21. 11. 2008:

Unterschiedliche spirituelle Traditionen, gut ausgewählt und mit Bedacht praktiziert, erschließen die unausschöpfliche Tiefe der göttlichen Wirklichkeit. Wie in einem Kunstwerk fügen diese Menschen verschiedene Elemente zur Einheit zusammen. Theologen sprechen darum in einem positiven Sinn von Patchwork – Religiosität. Wer Geschmack an mehreren Religionen findet, sollte sich seine Vorliebe nicht schlecht reden lassen, meint der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt – Leukel. Als katholischer Theologe hat er selbst die Grenzen konfessioneller Kirchlichkeit kennen gelernt, als ihm die Bischöfe in Bayern die Lehrbefugnis verweigerten wegen seiner Interessen am interreligiösen Dialog. An der Universität von Glasgow, Schottland, konnte er hingegen SEIN Thema, die „multireligiöse Bindung“,  weiter bearbeiten. Inzwischen ist er Mitglied der schottischen Episcopal Church.  Seit kurzer Zeit lehrt er in Münster. Dieses Auf und Ab im eigenen Leben ist für Perry Schmidt Leukel aber kein Grund, sich den Geschmack an der Vielfalt der Religionen verderben zu lassen.

„Man hat dafür auch den Begriff geprägt,  dass Menschen heute zunehmend Religion à la carte haben. Andere haben darauf hingewiesen,  auch von soziologischer Seite, dass jemand, der also kein fertiges Menu im Restaurant bestellt, sondern sein Essen à la carte aussucht, ja durchaus in der Regel bereit ist, mehr auszugeben und eventuell auch bewusster wählt. Wenn jemand à la carte isst, heißt das ja nicht,  dass er als Vorspeise, als Hauptgericht, als Nachtisch dreimal nur Süßspeise wählt. Das kann durchaus gelegentlich Mal der Fall sein. Es kann aber durchaus sein, dass jeder von allem, was es gibt, jeweils die gesündesten Dinge aussucht. Und ich denke, das gilt auch für diese Patchwork – Religiositäten“.

Multireligiöse Mystiker halten nichts von Propaganda und Werbekampagnen. Sie treten nicht ständig in die Öffentlichkeit. So ist ihre genaue Anzahl schwer zu ermitteln. Immerhin haben sie in Holland ihren eigenen Internetaufritt, und im englisch – sprachigen Raum gilt „Multireligiös“ bereits als Trend, hat der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel beobachten können:

„Früher war der Gedanke eines Entweder Oder. Entweder die eine Religion ist wahr, oder die andere Religion ist wahr. Wenn ich jetzt Wahrheit in der anderen Religion entdecke, dann muss ich konvertieren, weil dann kann wohl meine eigene nicht mehr wahr sein. Heute, auch theologisch, rechnen wir mehr und mehr damit, dass sich geistliche, spirituelle Wahrheit in verschiedenen religiösen Traditionen findet. Und das ermöglicht dann auch den Gedanken, dass, wenn ich von einer anderen religiösen Tradition angezogen bin im konstruktiven Sinne, wenn ich die Erfahrung mache, das, was ich von anderen Religionen lerne, hilft mir in meinem eigenen privaten Leben, in meinem Glaubensleben, dass ich dann so etwas wie eine multireligiöse Identität entwickle“.

Inzwischen reagieren die Führer der alten, fest umschriebenen religiösen Identität sehr gereizt auf so viel interreligiöse Lernbereitschaft. Papst Benedikt XVI. hat im November 2008 betont, ein „interreligiöser Dialog im Sinne von persönlicher Lernbereitschaft aufseiten der Christen“ sei „nicht möglich“. Entsprechend verwarnte der Vatikan einmal mehr engagierte Theologen, so kürzlich den in Washington lehrenden vietnamesischen Peter Phan: In seinen Büchern zum Dialog mit dem Buddhismus relativiere er die absolute Wahrheit des Christentums, heißt es! Klare konfessionelle Grenzen wünschen sich auch konservative Mullahs in Indonesien: Sie wollen den Muslimen die Yoga Praxis verbieten: Wer Mantren singe, schwäche seinen islamischen Glauben… Die Führer der Religionen wollen Untertanen, die der einen konfessionellen Wahrheit sozusagen hundertprozentig entsprechen. Aber dies ist ein Ansinnen, das Religionswissenschaftler, wie Professor Schmidt Leukel, geradewegs naiv finden:

„Denn welcher Mensch kann denn von sich sagen, dass er oder sie in seinem Leben eine komplette religiöse Tradition verinnerlicht hat? Ist es nicht so, dass jeder von uns sich immer nur die Dinge aus einer Religion aneignet, die er oder sie als besonders hilfreich in seinem Leben auch erlebt hat. Niemand von uns glaube ich, lebt das ganze Christentum. Kein Muslim lebt den ganzen Islam, sondern bestimmte Aspekte, mit denen wir konfrontiert wurden und die wir als hilfreich erfahren haben und die uns prägen. D.h. Religion, Religiosität, scheint mir immer irgendwo Patchwork Religiosität zu sein. Nur mit dem Umstand, dass heute für viele Menschen die Patches zunehmen, aus unterschiedlichen religiösen Traditionen stammen und nicht mehr nur aus einer einzigen“.

Immer mehr Menschen werden sich persönlich auf mehrere Religionen einlassen, darin sind sich die Beobachter einig. Und Perry Schmidt Leukel meint sogar, die Bereitschaft des einzelnen, von anderen Religionen zu lernen, dürfe von nichts und niemandem auch nur eingeschränkt werden:

„Wenn jemand ernsthaft sein Leben als religiöser Mensch zu leben versucht, in einer anderen Religion etwas findet, was man persönlich als gut, als wahr, als heilig betrachtet. Dann hat dieser Mensch ja gar nicht die Freiheit, dieses abzulehnen. Es ist schlicht und ergreifend keine spirituelle Option zu sagen: Ich erkenne dort eine Wahrheit, aber nein: Davon will ich nichts wissen, weil diese Wahrheit steht in einer anderen Religion. Dieses ist nicht möglich. Es ist in gewisser Weise eine spirituelle Verpflichtung, all das in mein Leben zu integrieren, was gut, wahr und heilig ist. Paulus schreibt einmal: Prüfet alles, das Gute behaltet“.

Erkennen die großen religiösen Institutionen diese Chance? Der Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel:

“Die Herausforderung scheint mir wirklich die zu sein: Können die christlichen Kirchen mit diesem zunehmenden Phänomen multireligiöser Spiritualität oder Identität umgehen? Sind sie darauf vorbereitet? Wie reagieren Sie darauf, dass in Ihrer eigenen Mitte Menschen sind, deren persönliche Religiosität bereits von mehreren Religionen geprägt ist? Wie gehen Kirchen damit um, wie gehen sie darauf ein. Das ist noch eine vollkommen offene und bisher weitgehend ignorierte Fragestellung“.

(Diese Stellungnahmen wurden zum großen Teil schon in Radio Beiträgen von mir für den RBB und WDR eingesetzt.)

Mit mehreren Religion verbunden

WDR
Lebenszeichen am 11. 6. 2009

„Ich bin multireligiös“
Menschen, die mit mehreren Spiritualitäten verbunden sind

Von Christian Modehn

Der folgende Beitrag ist der Text der Ra­dio­sen­dung

24 O TÖNE

4 Musikal. Zusp.

“Ich persönlich habe meine geistige Heimat in einer evangelischen Gemeinde gefunden und überlege seit einiger Zeit dort einzutreten, bin aber offiziell auch in einem Sufi – Orden und ich fühle mich auch der Yogatradition ganz verbunden, das ist auch mein Lebensweg”.

Marina Alvisi wollte schon als junge Frau kreativ sein. Einige Jahre hat sie als Architektin gearbeitet und versucht, ihre künstlerische Phantasie mit den technischen Vorgaben harmonisch zu vereinen. Nach dem Umzug von Oberbayern nach Berlin hat sie ihre wahre Begabung entdeckt: Wie eine Komponistin fügt sie jetzt unterschiedliche Motive zusammen, wobei ihre „Melodien“ verschiedenen religiösen Traditionen entstammen. Mit ihrem Mann, dem Inder Anthony Lobo,  hat sie eine Yogaschule gegründet. Im Alltag bezieht sie sich auf mehrere spirituelle Quellen:

“Wir stehen auf, in der Früh begibt sich jeder in einen anderen Raum. Und jeder macht seine Übungen. Anthony macht seine Yoga Übungen, Pranayama. Ich beginne aber mit Sufi Meditationen, mit Sufi Mantren stimme ich mich auf mich ein und auf den Tag ein. Und dann beginne ich mit meinen Yogaübungen. Dann treffen wir uns um 9 Uhr zum gemeinsamen Frühstück und bevor wir frühstücken, beten wir gemeinsam und lesen aus der Bibel, sprechen dann ein bisschen darüber beim Frühstück. Und in den Yogastunden kommt genau dann das durch, was wir für uns auch Tagesthema war in den Schriften, in der eigenen Erfahrung und das lassen wir mit einfließen”.

1. musikal. Zusp., ind. Musik

Wer Marina Alvisi nach ihrer „Konfession“ fragt, muss sich auf  einen neuen Begriff einlassen. Sie nennt sich „multireligiös“, mit mehreren religiösen Traditionen gleichzeitig verbunden. Die mystische Sufimeditation befreit sie von starren Dogmen und allzu „menschlichen“ Gottesbildern; die Yoga – Praxis fördert die Einheit von Körper und Geist; und im Christentum gelangt sie zur göttlichen Quelle von allem, der Liebe. Und diese drei Formen von Spiritualität helfen, richtig zu leben:

“Heute betrachte ich diese drei Traditionen, in denen ich mich bewege, wie gute Mahlzeiten. Und ich muss immer selber prüfen, so, was ist denn heute dran. Ich esse doch auch nicht jeden Tag das gleiche. Manchmal esse ich mehr Salat, manchmal esse ich mehr Kartoffelbrei oder Getreide oder Reis, je nach dem, wie es mir heute geht und wie meine innere Stimmung ist”.

Unterschiedliche spirituelle Traditionen, gut ausgewählt und mit Bedacht praktiziert, erschließen die unausschöpfliche Tiefe der göttlichen Wirklichkeit. Wie in einem Kunstwerk fügen diese Menschen verschiedene Elemente zur Einheit zusammen. Theologen sprechen darum in einem positiven Sinn von Patchwork – Religiosität. Wer Geschmack an mehreren Religionen findet, sollte sich seine Vorliebe nicht schlecht reden lassen, meint der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt – Leukel. Als katholischer Theologe hat er selbst die Grenzen konfessioneller Kirchlichkeit kennen gelernt, als ihm die Bischöfe in Bayern die Lehrbefugnis verweigerten wegen seiner Interessen am interreligiösen Dialog. An der Universität von Glasgow, Schottland, konnte er hingegen SEIN Thema, die „multireligiöse Bindung“,  weiter bearbeiten. Inzwischen ist er Mitglied der schottischen Episcopal Church.  Seit kurzer Zeit lehrt er in Münster, diesmal an der Evangelisch – Theologischen Fakultät. Dieses Auf und Ab im eigenen Leben ist für Perry Schmidt Leukel aber kein Grund, sich den Geschmack an der Vielfalt der Religionen verderben zu lassen.

“Man hat dafür auch den Begriff geprägt,  dass Menschen heute zunehmend Religion à la carte haben. Andere haben darauf hingewiesen,  auch von soziologischer Seite, dass jemand, der also kein fertiges Menu im Restaurant bestellt, sondern sein Essen à la carte aussucht, ja durchaus in der Regel bereit ist, mehr auszugeben und eventuell auch bewusster wählt. Wenn jemand à la carte isst, heißt das ja nicht,  dass er als Vorspeise, als Hauptgericht, als Nachtisch dreimal nur Süßspeise wählt. Das kann durchaus gelegentlich Mal der Fall sein. Es kann aber durchaus sein, dass jeder von allem, was es gibt, jeweils die gesündesten Dinge aussucht. Und ich denke, das gilt auch für diese Patchwork – Religiositäten”.

Was kann für diese Menschen mit einer Patchwork – Religion  gesund und hilfreich sein? Für Marina Alvisi kommen abstrakte Lehrsätze oder dogmatische Prinzipien dabei nicht in Frage. Sie geht durchaus wählerisch mit den Religionen um:

“Der wirkliche Glauben einer jeden Religion, so verstehe ich es und so habe ich es gelernt in diesen Jahren, wird und wurde immer bewahrt im mystischen Weg, in der mystischen Tradition. Also es gibt in jeder Kultur die Religion, das ist die offizielle für alle Menschen. Und es gibt den inneren Weg, den geistigen Weg, und den nennen wir in aller Regel den mystischen Weg. Und der mystische Weg hat immer den echten Glauben bewahrt, das, worum es wirklich geht, die Essenz der Kultur und der Religion”.

1. musikal. Zusp. Noch einmal  freistehend

Wer diese religiöse Offenheit liebt, ist lernbereit, er nennt sich auch gern „spirituell flexibel“. Diese Menschen sind leidenschaftlich interessiert an den unterschiedlichen mystischen Traditionen. Sie meinen: Diese „Tiefenerfahrung“ kann das Leben nicht nur „bereichern“, sie kann sogar das geistige Leben retten, betont Beatrix Jessberger. Sie hat heute ihre innere Mitte gefunden:
“Das hat natürlich biographische Gründe, also ich hab es nicht gesucht, sondern das ist auf mich zugekommen. Und zwar komme ich aus Bayern, aus Franken, und in meiner Familie war es so, dass Katholizismus und Faschismus sich verbunden hatten. Und von daher hatte das Christentum keine moralische Autorität mehr für mich. Und ich musste zu anderen Religionen, um wieder Zugang zu Religion überhaupt zu bekommen. Und in London bin ich aufgewacht. Ich war Psychotherapeutin damals und im Spital hatten wir eine Gruppe, und es war Commonwealth, mit Menschen aus verschiedenen Ländern haben wir zusammengearbeitet und verschiedenen Religionen und haben uns darüber ausgetauscht. Da ist für mich der ganze Himmel aufgegangen, nicht nur eine Welt. Dann habe ich evangelische Theologie studiert und während des Studiums bin ich auch in den jüdisch – christlichen Dialog eingetreten und habe mit Hilfe jüdischer Mystik überhaupt mein Examen geschafft”.

Beatrix Jessberger wurde als Pfarrerin ordiniert. In Berlin hat sie Gemeinden begleitet, die vor allem an herkömmlicher evangelischer Frömmigkeit interessiert waren;  so wollten sie ihre überlieferte protestantische „Identität“ bewahren. Mit ihrem Interesse, auch mit anderen Religionen in ein lernbereites Gespräch einzutreten, stand Beatrix Jessberger ziemlich allein da:

“Ich hab dann einen Mordseinbruch gehabt, weil ich nicht wusste, wohin mit meinen Erfahrungen. Die hatten im evangelischen Bereich keinen Raum. Und da bin ich in die Klöster gegangen und habe mit Zen- Meditation angefangen. Und mir hat das wirklich geholfen, nicht wieder ein fertiges System vorgesetzt zu bekommen, sondern erst mal leer werden zu können, frei werden zu können, damit ich Gottes Stimme hören kann und damit ich eine Hörende werde, da hat Zenbuddhismus irrsinnig geholfen. Und da bin ich immer auch Lernende, in diesem Kontext”.

Heute arbeitet Beatrix Jessberger als Pfarrerin der Reformierten Kirche in der Nähe von Sankt Gallen in der Schweiz: Dort kann sie ihre persönliche gestaltete, keinesweges erstarrte, sondern „flexible Frömmigkeit leben und anderen mitteilen.

“Ich bin einzigartig in meinem Evangelischen, und gleichzeitig habe ich die Weite und Offenheit auch von buddhistischer Seite, die habe ich auch in mir. Wir tragen die verschiedenen Religionen auch in uns, als Potenz, als Möglichkeit, und je nach dem, was sich entfaltet oder was entfaltet wird, leben wir das auch”.

2. musikal. Zusp.
Du wirst nicht sterben,
nicht wie ein Bach in der Wüste versickern.
Du wirst die Grenze durchbrechen,
du wirst ein neues Ufer erreichen.
Du wirst neu denken und fühlen
mit neuem Leib, mit neuer Seele,
im neuen Himmel, auf neuer Erde.
Arm und reich,
stark und schwach,
Tage und Nächte,
Lust und Schmerz
werden verblassen.
Du wirst nichts wollen!
Du wirst nur SEIN.
Du wirst dich wie ein Wassertropfen
mit dem Meer verbinden.

2. musikal. Zusp.

Eine Meditation, die Beatrix Jessberger immer wieder liest, wie ein Gebet ist, das die Grenzen EINER Konfession überschreitet…

Christen, die sich mit mehreren Religionen verbunden wissen, wollen auch die Chancen einer globalisierten Kultur wahrnehmen. Denn die meisten spirituellen Traditionen sind heute an allen Orten präsent. Wer über den eigenen Kirchturm hinaus schaut, entdeckt in der Nachbarschaft Moscheen, Pagoden, Hindu – Tempel, Synagogen, oft sogar Zentren afro-kubanischer oder afro – brasilianischer Kulte. Diese religiösen Traditionen müssen nicht als befremdlich abgewiesen werden, in der Haltung der Offenheit kann es zu einem Dialog kommen. Aber für viele Menschen ist Dialog mehr als Austausch von Informationen, Dialog ist für sie immer auch Lernbereitschaft. Die Zentren buddhistischer Meditation wollte Stefan Matthias nicht nur als staunender Besucher erleben.

“Es gab einfach auch eine Suche in meiner Jugend oder in der frühen Zeit als Erwachsener, wo ich an die Zen Meditation gekommen bin. Und da etwas gefunden habe, was ich woanders nicht gefunden hatte. Und es dieses Sich -Einlassen in die Stille. Und dort erst mal die Begegnung mit sich selbst, die dadurch ermöglicht wird. Und hier öffnen sich schon Welten der Selbstbegegnung und der Selbsterfahrung. Und das halte ich für äußerst wichtig, dass es einen Raum, wo ich wirklich mich selbst zulassen kann, wie ich bin, und viel über mich selbst lerne. Aber natürlich, dieses Lernen im Zen, in der Meditation, geht darüber hinaus, wo man sieht, dass das Ich und die Person, für die ich mich halte, nicht das letzte, der letzte Grund sind, sondern, dass es eben etwas darüber hinaus gibt, und auch für diesen Bereich sich zu öffnen ist ein wesentliches Anliegen gerade der Zen Meditation”.

Stefan Matthias ist bei allem Respekt vor der Zen Meditation nicht buddhistischer Mönch geworden. Er hat evangelische Theologie studiert und arbeitet jetzt als Pfarrer und Meditationslehrer in Berlin.  Wie ein  Zen – Meister warnt er vor religiösen Fixierungen und Festlegungen dogmatischer Art:

“Jedes Gottesbild ist unzureichend, und das ist ja eine ganz selbstverständliche Erkenntnis. Gott ist nicht in ein Bild einfangbar! Und das relativiert natürlich jeweils meine eigene Religion. Also ich bin kein Vertreter, der sagt: Wir brauchen eine feste Identität, dann wissen wir, wer wir sind. Sondern ich möchte lernen, wer ich bin, in der Begegnung mit der Welt, mit dem Leben im Augenblick, mit der Begegnung mit anderen Personen. Und ich möchte mir diese Flüssigkeit erhalten und ich denke diese Flüssigkeit macht unsere Identität aus. Und nicht das Jeweilige, woran wir uns mal gern auch für eine Weile festhalten, aber was uns letztlich dann einengt und blockiert”.

Die „Religionskomponisten“ markieren einen grundlegenden Umbruch in der religiösen Praxis: Diese Menschen wollen nicht nur die Vielfalt religiöser Traditionen respektieren, sondern sie selbst in ihr eigenes Leben integrieren. Dabei wissen sie als Mystiker genau, dass es dabei gerade nicht auf die eigene  Leistung ankommt: Der Yogalehrer Anthony Lobo:

“Aber dann habe ich gelernt durch diese viele Jahre, dass diese Erfahrung von Gott kann man nicht erzwingen, dass Gott zu uns kommen soll. Mystische Zustand kann man nicht erzwingen, denn ist eine Gnade Gottes. Und im Bakhti Yoga sagen sie auch, dass das ein Geschenk ist, das kann man nicht erzwingen durch körperliche oder geistige Übungen, sondern das wird immer ein Geschenk”.

3. musikal. Zuspielung

Multireligiöse Mystiker halten nichts von Propaganda und Werbekampagnen. Sie treten nicht ständig in die Öffentlichkeit. So ist ihre genaue Anzahl schwer zu ermitteln. Immerhin haben sie in Holland ihren eigenen Internetaufritt, und im englisch – sprachigen Raum gilt „Multireligiös“ bereits als Trend, hat der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel beobachten können:

“Früher war der Gedanke eines Entweder Oder. Entweder die eine Religion ist wahr, oder die andere Religion ist wahr. Wenn ich jetzt Wahrheit in der anderen Religion entdecke, dann muss ich konvertieren, weil dann kann wohl meine eigene nicht mehr wahr sein. Heute, auch theologisch, rechnen wir mehr und mehr damit, dass sich geistliche, spirituelle Wahrheit in verschiedenen religiösen Traditionen findet. Und das ermöglicht dann auch den Gedanken, dass, wenn ich von einer anderen religiösen Tradition angezogen bin im konstruktiven Sinne, wenn ich die Erfahrung mache, das, was ich von anderen Religionen lerne, hilft mir in meinem eigenen privaten Leben, in meinem Glaubensleben, dass ich dann so etwas wie eine multireligiöse Identität entwickle”.

Mit der Spiritualität „flexibel“ umzugehen hat in einigen Regionen des Katholizismus durchaus Tradition: In Lateinamerika z.B. hatten spanische Missionare die einheimischen, die „indianischen Völker“ der Qetschuas und Aymaras zum Teil unter massivem Druck getauft. Bis heute gehen diese indianischen Katholiken in Peru und Bolivien sonntags brav zur Kirche, sie halten sich an Christus und die Heiligen. Aber sie verehren weiterhin auch ihre traditionellen Gottheiten, wie die Pachamama, die Fruchtbarkeitsgöttin“, die heilige „Mutter Erde“. Der  niederländische Augustinerpater Hans van den Berg beobachtet als Religionswissenschaftler seit vielen Jahren diese ungewöhnliche Praxis in Bolivien:

“Man opfert z.B. der Erde, der Pachamama, und die Produkte, die man von der Erde bekommt, die bringt man nach Hause. Die Riten finden immer statt im Haus oder in der Nähe des Hauses oder auf dem Felde. Die Leute, die z.B. das ganze Arbeiten auf dem Felde mit Riten begleiten, machen zu gleicher Zeit die religiösen Riten des Christentums bei Geburt und Trauung und Tod. Das ist eine Synthese, die die gemacht haben,  zwischen alt herkömmlicher Religion und christlicher Religion. So muss man eigentlich von einer „Quetschua – Christlichen“ oder „Aymara- Christlichen“  Religion sprechen”.

Ob im Glauben des einzelnen das Christliche oder Indianisch- Traditionelle überwiegt,  lässt sich „exakt“ gar nicht beschreiben. Wer kann schon in die religiöse Seele eines Menschen schauen? Die katholische Hierarchie in der Anden- Region zeigt sich deswegen auffallend tolerant:

“Mitte des 17. Jahrhunderts hat man sich irgendwie damit abgefunden, na ja: So schlimm ist es auch nicht: Lassen wir das einfach so bestehen! Nachher gibt es auch keine klare Aussprache von der Kirche bis Heute, das diese Art von Religion verbietet. Man hat es einfach so akzeptiert und darum kann das bis heute so bestehen, ja”.

Auch katholische Missionare, die in Asien „unwissende Heiden“   bekehren wollten, entwickeln jetzt auf ihre Weise eine „flexible“  Spiritualität: In Japan und Indien oder auf Taiwan lassen sich Ordensleute auf die dortigen religiösen Weisheitslehren ein. Der Jesuitentheologe Luis Gutheinz steht seit vielen Jahren in Taipeh auf Taiwan im Gespräch mit den Freunden des Meisters Lao Tse aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Er plädiert in seinem Buch „Tao Te King“  für einen bescheidenen, rücksichtsvollen und naturverbundenen Lebensstil. Das Tao, der Weg, gilt als Ursprung allen Seins. Alles Feste, Erstarrte und Tote kann es überwinden. Pater Gutheinz:

“Wir sind jetzt dabei als Christen, uns zu öffnen, aus der früheren Dominanz auch im theologischen Denken. Und ganz im Sinne des taoistischen Sich -Zurücknehmens, Hinhörens, des Hohlwerdens, imstande zu sein, etwas näher an die Gegenwart Gottes heranzukommen, die ja bereits im Tao Te King gesprochen hat. Wir sind dabei, uns in Demut der Wirklichkeit radikaler zu stellen, und die Wirklichkeit, von Gott her gesehen, besteht ja darin, dass er immer schon da ist; überall dort, wo Gutes, Schönes, Wahres gesagt wird, ist ER da”.

Pater Gutheinz hat keine Scheu, Weisheitslehren des TAO mit seinem katholischen Glauben zu verbinden. Er praktiziert z.B. seit etlichen Jahren das meditative Schattenboxen, das Tai Chi Chuan:

“Es ist ein Schwingen von Yin und Yang, eine Dynamik mit diesen zwei Aspekten, die das ganze Tao, das unsagbare Geheimnis, in seiner Dynamik, konkret im menschlichen Leben anwesend sein lässt. Und die Übung, die tägliche Übung, in  diesen Bewegungen, die durch Jahrhunderte von Meistern ausgefeilt wurden, ergibt ein Wohlsein in diesem Geheimnis”.

Lao Tse spricht:
Wer seine Sinne aufschließt,
sich hingibt den äußeren Dingen,
hoffnungslos lebt er dahin bis an sein Ende.
Je weiter man hinausgeht.
desto weniger weiß man.
Darum geht der Weise nicht ins Äußere.
Und doch ist er ein Wissender.
Er blickt nicht nach außen in die Welt
und kann doch der Dinge Namen nennen.
Kürzungsmöglichkeit Ende)

Bei seinem Meister Lao Tse hat Pater Gutheinz entscheidende Lebenshilfe gefunden:

“Wenn man Tao Te King liest und sich hinein nehmen lässt in seine Bewegung, dann wird der Tod, das Sterben, je länger, je mehr, so paradox es klingen mag, ein wichtiges Element des Lebens. Sterben ist nicht denkbar ohne Leben, Tod gehört wesentlich zu vollerem Leben. Und glücklich ist jene Person zu preisen, die das heute schon lernt. Der Tod ist im Letzten nicht dieses Negative. Sondern dass das Letzte im Tod immer volleres Leben ist. Dafür danke ich dem Autor von Tao Te King!”

Lao Tse spricht:
Dreißig Speichen umringen die Nabe eines Rades.
Aber wo NICHTS ist, liegt der Nutzen des Rades.
Aus Ton formt der Töpfer den Topf.
Wo er hohl ist,
liegt der Nutzen des Topfes.
Tür und Fenster höhlen die Wände.
Wo es LEER bleibt
liegt der Nutzen des Hauses.

3. musikal. Zusp.

Inzwischen reagieren die Führer der alten, fest umschriebenen religiösen Identität sehr gereizt auf so viel interreligiöse Lernbereitschaft. Papst Benedikt XVI. hat im November 2008 betont, ein „interreligiöser Dialog im Sinne von persönlicher Lernbereitschaft aufseiten der Christen“ sei „nicht möglich“. Entsprechend verwarnte der Vatikan einmal mehr engagierte Theologen, so kürzlich den in Washington lehrenden vietnamesischen Peter Phan: In seinen Büchern zum Dialog mit dem Buddhismus relativiere er die absolute Wahrheit des Christentums, heißt es! Klare konfessionelle Grenzen wünschen sich auch konservative Mullahs in Indonesien: Sie wollen den Muslimen die Yoga Praxis verbieten: Wer Mantren singe, schwäche seinen islamischen Glauben… Die Führer der Religionen wollen Untertanen, die der einen konfessionellen Wahrheit sozusagen hundertprozentig entsprechen. Aber dies ist ein Ansinnen, das Religionswissenschaftler, wie Professor Schmidt Leukel, geradewegs naiv finden:

“Denn welcher Mensch kann denn von sich sagen, dass er oder sie in seinem Leben eine komplette religiöse Tradition verinnerlicht hat? Ist es nicht so, dass jeder von uns sich immer nur die Dinge aus einer Religion aneignet, die er oder sie als besonders hilfreich in seinem Leben auch erlebt hat. Niemand von uns glaube ich, lebt das ganze Christentum. Kein Muslim lebt den ganzen Islam, sondern bestimmte Aspekte, mit denen wir konfrontiert wurden und die wir als hilfreich erfahren haben und die uns prägen. D.h. Religion, Religiosität, scheint mir immer irgendwo Patchwork Religiosität zu sein. Nur mit dem Umstand, dass heute für viele Menschen die Patches zunehmen, aus unterschiedlichen religiösen Traditionen stammen und nicht mehr nur aus einer einzigen”.

Immer mehr Menschen werden sich persönlich auf mehrere Religionen einlassen, darin sind sich die Beobachter einig. Und Perry Schmidt Leukel meint sogar, die Bereitschaft des einzelnen, von anderen Religionen zu lernen, dürfe von nichts und niemandem auch nur eingeschränkt werden:

“Wenn jemand ernsthaft sein Leben als religiöser Mensch zu leben versucht, in einer anderen Religion etwas findet, was man persönlich als gut, als wahr, als heilig betrachtet. Dann hat dieser Mensch ja gar nicht die Freiheit, dieses abzulehnen. Es ist schlicht und ergreifend keine spirituelle Option zu sagen: Ich erkenne dort eine Wahrheit, aber nein: Davon will ich nichts wissen, weil diese Wahrheit steht in einer anderen Religion. Dieses ist nicht möglich. Es ist in gewisser Weise eine spirituelle Verpflichtung, all das in mein Leben zu integrieren, was gut, wahr und heilig ist. Paulus schreibt einmal: Prüfet alles, das Gute behaltet”.

Das Wort des Apostel Paulus hat der katholische Priester Herman Verbeek aus Groningen, Holland, ernst genommen. Er hat unter den verschiedenen Spiritualitäten auch die atheistische Lebenseinstellung geprüft und dabei festgestellt: So „ganz falsch“ seien die religionskritischen Warnungen vor einem naiven, allzu menschlichen Gottesbild nicht, meint Herman Verbeek:

“Ich mag das Wort Gott nicht. Es ist ein germanisches Wort. „Gott“  kann man nicht singen. Sie hören mich nie Gott sagen, auch nicht in der Kirche, auch nicht in der Liturgie. Ich rede auch nicht von Gottesdienst. Wir feiern, wir kommen zusammen, wir besinnen uns, wir haben Meditation, wir singen, wir haben Fest usw. Man soll sich nie ein Gottesbild machen, auch nicht mit Sprache, auch nicht mit Lehre. Bevor man es weiß, hat man ein Eigenbild, ein Abgott gemacht. Der eigentliche Gott ist Geld. Geld, Leistung, Konsum, Wachstum. Das ist so pervers, dass Gott rollen muss, wie Geld. Also, das sind natürlich die wirklichen Götter, die hier herrschen”.

Tatsächlich haben in Holland multireligiös interessierte Menschen die Möglichkeit, sich im Rahmen einer christlicher Kirche zu treffen. Die „Freisinnigen protestantischen Kirchen“ in Holland sind zwar im Rahmen der Reformation Calvins entstanden, sie haben sich aber von klassischen dogmatischen Bindungen gelöst. Eine dieser freisinnigen Kirchen Hollands ist die „Remonstrantische Bruderschaft“, ein Titel, der an den „Widerspruch“ gegen alte Dogmen erinnert. Die Remonstranten haben heute 12.000 Mitglieder. Johan Blauuw ist Pfarrer der Remonstranten:

“Ein personaler Gott: Ich denke, dass wohl die Mehrheit der Remonstranten daran nicht glaubt. Aber das Schöne an der Remonstrantischen Bruderschaft ist auch wieder, dass es Leute gibt, die wohl darin glauben. Und die tolerieren einander nicht nur. Nein, davon sagt man einfach: Ja, Sie glauben an einen persönlichen Gott, ja, für mich nicht, für mich ist es mehr ein Weltengrund, ein Grund der Dinge oder so. Und das ist vielleicht der Spagat, den die Freisinnigen machen, wollen wir doch auch zur gleichen Zeit auch Kirche sein in der christlichen Tradition. Und das gibt in der Ökumene so dann und wann einige Probleme mit unseren Auffassungen”.

Aber die Remonstranten lassen sich nicht einschüchtern,  sie bleiben offen für religiös flexible Menschen, betont der Vorsitzende dieser Kirche, Wibren van der Burg:

“Wir sind davon bereichert worden, dass wir immer Leute von anderen Religionen innerhalb unserer Kirche haben. Und zum Beispiel gibt es auch Leute, die bei uns interessiert sind im Zenbuddhismus und Islam. Und auch Elemente davon mitnehmen. Zum Beispiel gibt es auch Leute bei uns, die jetzt den Ramadan mitfeiern. Sie lassen sich davon inspirieren, und sagen: Ja, das will ich auch mitmachen”.

4. musikal. Zusp.

In einer multireligiös geprägten Kirche kommen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft nahe; dort können aus Fremden tatsächlich Freunde werden. Wer als Christ selbst Anteile des Islams oder des Buddhismus lebt, wird schon aus Dankbarkeit Muslimen oder Buddhisten respektvoller und freundlicher begegnen. Er kann sich eher in die Mentalität der anderen hineindenken, er kann Sympathien entwickeln und im Mitgefühl leben. Der evangelische Pfarrer Stefan Matthias, erklärt diese friedfertige Spiritualität gern mit dem Bild der Zweisprachigkeit:

“Ich bin westlich aufgewachsen, westlich sozialisiert mit all den Werten unserer Kultur und natürlich auch vom Christlichen her. Von daher werde ich nie ein Buddhist sein, wie ein Buddhist, wenn er im buddhistischen Kontext aufgewachsen ist.  Aber ich glaube schon, dass man eine zweite, oder vielleicht auch eine dritte Sprache erlernen kann und diese Sprache nicht etwas Fremdes bleibt. Sondern dass diese Sprache wirklich angeeignet werden kann. Und man dann sich auch in einem anderen Weltdeutungssystem und Wertesystem aufhalten kann. Und dass man dadurch wechseln kann, so wie man auch, wenn man zwei Sprachen gut beherrscht, zwischen Sprachen wechseln kann. Und jede dieser Sprachen hat einen eigenen Charakter, und man kann vielleicht mit der einen Sprache was anderes besser ausdrücken als mit der anderen”.

Religiös zwei- oder dreisprachige Menschen könnten in Deutschland als Übersetzer im Disput der Religionen tätig werden. Sie sind in der Lage, Missverständnisse zu beseitigen, Befremdliches zu erklären, Brücken zu bauen zwischen verfeindeten Gruppen. Sie könnten aufgrund eigener Erfahrungen daran erinnern, dass sich ein wirklich „göttlicher Gott“  niemals mit einer einzigen Konfession identifizieren kann.

Erkennen die großen religiösen Institutionen diese Chance? Der Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel:

“Die Herausforderung scheint mir wirklich die zu sein: Können die christlichen Kirchen mit diesem zunehmenden Phänomen multireligiöser Spiritualität oder Identität umgehen? Sind sie darauf vorbereitet? Wie reagieren Sie darauf, dass in Ihrer eigenen Mitte Menschen sind, deren persönliche Religiosität bereits von mehreren Religionen geprägt ist? Wie gehen Kirchen damit um, wie gehen sie darauf ein. Das ist noch eine vollkommen offene und bisher weitgehend ignorierte Fragestellung”.

4. musikal. Zusp.

Zum Thema empfehlen wir als Vertiefung: „Multiple religiöse Identität“, Mit dem Untertitel „Aus verschiedenen religiösen Traditionen schöpfen“. Das Buch ist im Theologischen Verlag in Zürich 2008 erschienen. Herausgegeben von Reinhold Bernhardt und Perry Schmidt – Leukel. Es hat 340 Seiten und kostet 24 Euro.