Kamala Harris – die „multireligiöse“ Vizepräsidentin der USA

Ein Hinweis von Christian Modehn im November 2020.

1.
Präsident Jo Biden ist gläubiger und praktizierender Katholik, das hat sich allmählich herumgesprochen. Einige katholische Bischöfe der USA haben aber Jo Biden noch in letzter Zeit sein „Katholischsein“ abgesprochen und davor gewarnt, dass Katholiken ihn wählen. Mit „Erfolg“:62 Prozent der Katholiken haben dann als gehorsame Gläubige tatsächlich TRUMP gewählt. Wollten die Bischöfe also behaupten: Jo Biden sei ein verkappter Atheist? Von wegen. Er hat nur die Ursünde für viele konservative und reaktionäre Katholiken begangen, und eben nicht die „Pro Life Bewegung“ zu seinem obersten Gott erklärt, wie es eben die genannten Kreise, auch evangelikaler Prägung, vor allem tun. Für sie ist sozusagen der Kampf für Pro Life der militante Glaubenskampf seit Jahren. Und die Grundsätze von „Pro Life“ sind das oberste Glaubensbekenntnis.
Jo Biden ist hingegen ein gläubiger Katholik, für den der Kampf um die Demokratie und Menschenrechte und Menschenwürde für alle an oberster Stelle steht. Das sind ja ohnehin die einzig möglichen humanen und demokratischen Positionen! Mit religiösen Prinzipien und Sprüchen aus heiligen Schriften lässt sich bekanntlich kein demokratischer Staat machen.
2.
Und was bedeutet der religiöse Glaube der Vizepräsidentin Kamala Harris? Diese Frage zu stellen ist in den USA normal, obwohl offiziell Kirchen und Staat getrennt sind. Aber im Unterschied zur radikaleren Laizität in Frankreich: Dort ist es eher ungehörig wissen zu wollen, was glaubt dieser oder jene Mensch, Nachbar, Kollege, Politiker, welcher Konfession gehört er an, geht er zur Kirche, zur Synagoge, zur Moschee etc…? So etwas darf man und will man in Frankreich, durch die Verfassung festgelegt, gar nicht wissen, darum gibt es auch keine präzise Religionsstatistik in Frankreich!
3.
Und das ist nun wirklich hoch interessant für alle religionswissenschaftlich oder auch theologisch Interessierten: Eine multireligiös lebende höchstrangige Politikerin in den USA: Diese Situation ist kein Wunschtraum mehr, sondern Realität: Was Prof. Perry Schmidt-Leukel in Deutschland oder die Theologin Manuela Kalsky in den Niederlanden (Amsterdam) seit Jahren fordern und selbst leben: Die multireligiös Religiöse: Das ist Wirklichkeit – bei Kamala Harris, der US Vizepräsidentin. Dieser Aspekt ist natürlich nur einer von vielen Aspekten, die wichtig sind, um Kamala Harris zu verstehen.
4.
Die Mutter von Kamala Harris , Shyamala Gopalan Harris, gestorben 2009, stammt aus Indien (Chennai, Madras), sie war eine gläubige Frau gemäß hinduistischer Spiritualität – auch als sie in den USA
lebte…und für die Menschenrechte kämpfte. Während ihrer Reisen in Indien nahm Kamala Harris an Riten in hinduistischen Tempeln teil.
Der Vater Donald Harris stammt aus Jamaica und war mit der Baptistenkirche verbunden. Kamala Harris Ehemann Dougles Emhoff ist mit jüdischen Gemeinden verbunden, und sie bekennt „mit dem ich die Traditionen und Feiern des Judentums teile“, berichtet die Tageszeitung La Croix, Paris.

In San Francisco ist Kamala Harris eng verbunden mit der Bapistengemeinde von Pastor Amos C. Brown. Er sagte über Kamala Harris in der Zeitschrift „Sojourners“: „In meiner Sicht verkörpert sie einen Satz aus dem Jakobus-Brief des Neuen Testaments, dort heißt es: „Ein Glaube ohne Taten und Werke ist tot“ (Jak. 2,26). Ein erstaunliches, sehr treffendes Wort eines berühmten US-Theologen und Kämpfers für die Menschenrechte, ist doch der Jakobus Brief von Martin Luther aufs heftigste kritisiert und abgewiesen worden, gerade weil im Jakobus Brief das TUN so betont wird als Weg der Erlösung. Dieser irrigen Interpretation Luthers folgen leiden heute immer noch viele Protestanten, aber dies ist ein anderes Thema. Kamala Harris bestätigt die Aussage ihres Pastors: „Ich habe schon in der Jugend in der Baptistenkirche von Oakland damals gelernt: Den Glauben haben bedeutet: Er ist eine Aktion. Wir müssen ihn leben und in Taten verleiblichen“. Im Pressedienst „Protestinter“ sagte sie: „Der Gott, an den ich glaube, ist der Gott der Liebe. Er will, dass wir den anderen dienen und im Namen derer sprechen, die weder reich noch mächtig sind. Dabei ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ganz zentral für mich“. Kamala Harris geht soweit, sich öffentlich auch zum privaten Gebet zu bekennen, „um Kraft und Schutz zu erbitten, gute Entscheidungen zu treffen“…

5.
Kamala Harris lebt außerhalb rigider religiöser Identitäten. Dies kann eine gute Voraussetzung sein, um ein Land, das ideologische Barrieren und religiöse Eindeutigkeiten über alles pflegt, etwas mehr zu versöhnen, d.h. zur Vernunft zu bringen, Vernunft ist bekanntlich etwas den Menschen Gemeinsames und Allgemeines. Nur sie, verbunden mit Empathie, kann eine Demokratie aufbauen. Und es ist keine Frage: Wer sich in diesem durch Mr. Trump verwüsteten Land verändern muss, sind zu allererst die meisten Republikaner. Ihre führenden Politiker und Parteimitglieder haben 4 Jahre zugesehen, offenbar aus eigenem finanziellen Interesse, wie dieser korrupte Mann, Mr.Trump, die demokratischen Werte zerstörte und die Lügen zur allgemeinen Unkultur zu etablieren suchte. Die Versöhnung der Menschen in den USA wird heftig werden. Auch die Kirchen sind innerlich politisch zerrissen. Wo sind die neutralen Vermittler, die Mediatoren?

Copyright: Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de

Dieser Hinweis verdankt einige Information der Tageszeitung La Croix, vom 9.11.2020, dort der Beitrag von Claire Lesegretain.

Manuela Kalsky, eine multireligiöse Theologin

»Ich bin vieles zugleich – und das ist bereichernd«
Manuela Kalsky – ldie utherische Theologin Manuela Kalsky leitet ein katholisches Institut und lebt eine vielfältige religiöse Identität

Von Christian Modehn

»Ich lebe seit vierundzwanzig Jahren als Deutsche in Amsterdam, spreche also eine andere Sprache. Außerdem bin ich als lutherische Theologin Leiterin des Studienzentrums des katholischen Dominikanerordens in Nijmegen. Ich habe keine eindeutige Identität, ich bin vieles zugleich.« Und dann fügt Manuela Kalsky hinzu: »Ich finde es bereichernd, Unterschiedliches zu verbinden und ein ausgrenzendes Denken – ein Denken im Entweder-oder-Schema – zu überwinden.«

Die vielfältig geprägte, »multiple« religiöse Identität – so der Fachausdruck – ist ein neues Thema in Europa. Die Theologin Manuela Kalsky stellt es in den Mittelpunkt ihrer Arbeit: »Ich habe nicht gedacht: So, jetzt erweitere ich mal meine religiöse und kulturelle Identität! Nein, das geschieht ganz einfach im alltäglichen Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen. Es ist eine allgemeine Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist.«

Christlich geprägte Europäer und Amerikaner waren bislang überzeugt, dass nur einige wenige mystisch begabte Mönche unterschiedliche religiöse Traditionen in einer Person vereinigen könnten, so wie beispielsweise Bede Griffith oder Henri Le Saux. Oder der katalanische Priester Raimon Panikkar, der einmal erklärte: »Ich bin als Christ nach Indien gegangen, habe mich als Hindu gefunden und kehre als Buddhist zurück, ohne doch aufgehört zu haben, ein Christ zu sein.«

Für Manuela Kalsky wird die heute vielfach gelebte multiple religiöse Bindung in Westeuropa schlicht unterschätzt. Im Jahr 1961 in Salzgitter geboren, studierte sie evangelische Theologie in Marburg und Amsterdam, promovierte und beschäftigt sich seitdem vor allem auch mit der theologischen Frauenforschung. Ihre Kontakte zum Studienzentrum der Dominikaner für Theologie und Gesellschaft in Nijmegen wurden intensiver, und da der Orden ökumenisch arbeiten will, war ihre Berufung als lutherische Theologin zur Leiterin des Zentrums vor zehn Jahren nur folgerichtig. Dort hat Kalsky inzwischen eine multimediale Website eingerichtet, auf der sich Menschen über ihre neuen religiösen Erfahrungen austauschen können. 96 000 Besucher zählte die Seite www.reliflex.nl im vergangenen Jahr.

»Ich sage ja nicht, dass eine ursprüngliche, zum Beispiel jüdische oder christliche Identität fürs Leben nicht ausreicht; das muss letztlich jeder selbst beurteilen«, sagt die 47-jährige Theologin. »Ich plädiere lediglich dafür, dass Menschen, die aus unterschiedlichen religiösen Quellen leben, nicht gleich als oberflächliche Shopper im religiösen Supermarkt oder als Synkretisten diffamiert werden dürfen.« Die Globalisierung vollziehe sich eben auch im religiösen Bereich. Globalisierung meint hier positiv die weltweite interreligiöse Kommunikation.

Warum können Christen zum Beispiel nicht eingestehen, dass sie in ihrer eigenen Tradition nur ansatzweise Unterweisungen zum Gebet in der Stille und zur Meditation finden und deswegen viel von Zen-Buddhisten lernen und annehmen können? Warum können Buddhisten nicht von christlichen Befreiungstheologen den Einsatz für die Armen und Notleidenden als wesentlichen Ausdruck einer religiösen Weltanschauung übernehmen?

Christen können in der Auseinandersetzung mit anderen Religionen auch ihre Verbindung mit Jesus von Nazareth neu sehen: »Nicht mehr der Glaube an Jesus steht dann im Mittelpunkt, sondern der Glaube mit ihm an ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit«, sagt Manuela Kalsky. Eine multiple Spiritualität sei prinzipiell tolerant. Aber selbstverständlich bringe jeder Mensch prägende Erfahrungen aus seiner ursprünglichen religiösen Tradition mit: »Vielschichtigkeit will nicht sagen, dass es keine Kontinuität gibt. Ich persönlich glaube noch immer an einen mich tragenden Gott, an eine unterstützende Kraft in meinem Leben, wenn’s schwierig wird, aber auch wenn es Erfolge zu feiern gibt. ›The wind beneath my wings‹, um es mit Bette Midler zu sagen.« Mit diesem Gottesbild sei sie aufgewachsen, es begleite sie noch heute, erzählt die evangelische Theologin. »Aber eine Haltung der Offenheit ist entscheidend: Wir sollten erst Fragen stellen und zuhören, bevor wir mit dem Erstellen von Kriterien religiöser Rechtmäßigkeit beginnen. Wie erfahren Menschen ihre Zugehörigkeit zu mehreren Religionen? Warum fügen sie Elemente aus unterschiedlichen Religionen zusammen?«

Diese ganze moderne Thematik will Manuela Kalsky zusammen mit dem Dominikanischen Studienzentrum weiter vertiefen: »Uns geht es um die Suche nach einer neuen Gemeinschaft, die auch die Nichtglaubenden, die Atheisten, mit einbezieht. Die Trennlinie verläuft nämlich nicht zwischen Atheisten, Agnostikern und religiösen Menschen, sondern zwischen Menschen, die sich für das gute Leben für alle einsetzen, und den anderen, die ausschließlich ihr eigenes Wohlbefinden im Blick haben.«