»Ich bin vieles zugleich – und das ist bereichernd«
Manuela Kalsky – ldie utherische Theologin Manuela Kalsky leitet ein katholisches Institut und lebt eine vielfältige religiöse Identität
Von Christian Modehn
»Ich lebe seit vierundzwanzig Jahren als Deutsche in Amsterdam, spreche also eine andere Sprache. Außerdem bin ich als lutherische Theologin Leiterin des Studienzentrums des katholischen Dominikanerordens in Nijmegen. Ich habe keine eindeutige Identität, ich bin vieles zugleich.« Und dann fügt Manuela Kalsky hinzu: »Ich finde es bereichernd, Unterschiedliches zu verbinden und ein ausgrenzendes Denken – ein Denken im Entweder-oder-Schema – zu überwinden.«
Die vielfältig geprägte, »multiple« religiöse Identität – so der Fachausdruck – ist ein neues Thema in Europa. Die Theologin Manuela Kalsky stellt es in den Mittelpunkt ihrer Arbeit: »Ich habe nicht gedacht: So, jetzt erweitere ich mal meine religiöse und kulturelle Identität! Nein, das geschieht ganz einfach im alltäglichen Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen. Es ist eine allgemeine Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist.«
Christlich geprägte Europäer und Amerikaner waren bislang überzeugt, dass nur einige wenige mystisch begabte Mönche unterschiedliche religiöse Traditionen in einer Person vereinigen könnten, so wie beispielsweise Bede Griffith oder Henri Le Saux. Oder der katalanische Priester Raimon Panikkar, der einmal erklärte: »Ich bin als Christ nach Indien gegangen, habe mich als Hindu gefunden und kehre als Buddhist zurück, ohne doch aufgehört zu haben, ein Christ zu sein.«
Für Manuela Kalsky wird die heute vielfach gelebte multiple religiöse Bindung in Westeuropa schlicht unterschätzt. Im Jahr 1961 in Salzgitter geboren, studierte sie evangelische Theologie in Marburg und Amsterdam, promovierte und beschäftigt sich seitdem vor allem auch mit der theologischen Frauenforschung. Ihre Kontakte zum Studienzentrum der Dominikaner für Theologie und Gesellschaft in Nijmegen wurden intensiver, und da der Orden ökumenisch arbeiten will, war ihre Berufung als lutherische Theologin zur Leiterin des Zentrums vor zehn Jahren nur folgerichtig. Dort hat Kalsky inzwischen eine multimediale Website eingerichtet, auf der sich Menschen über ihre neuen religiösen Erfahrungen austauschen können. 96 000 Besucher zählte die Seite www.reliflex.nl im vergangenen Jahr.
»Ich sage ja nicht, dass eine ursprüngliche, zum Beispiel jüdische oder christliche Identität fürs Leben nicht ausreicht; das muss letztlich jeder selbst beurteilen«, sagt die 47-jährige Theologin. »Ich plädiere lediglich dafür, dass Menschen, die aus unterschiedlichen religiösen Quellen leben, nicht gleich als oberflächliche Shopper im religiösen Supermarkt oder als Synkretisten diffamiert werden dürfen.« Die Globalisierung vollziehe sich eben auch im religiösen Bereich. Globalisierung meint hier positiv die weltweite interreligiöse Kommunikation.
Warum können Christen zum Beispiel nicht eingestehen, dass sie in ihrer eigenen Tradition nur ansatzweise Unterweisungen zum Gebet in der Stille und zur Meditation finden und deswegen viel von Zen-Buddhisten lernen und annehmen können? Warum können Buddhisten nicht von christlichen Befreiungstheologen den Einsatz für die Armen und Notleidenden als wesentlichen Ausdruck einer religiösen Weltanschauung übernehmen?
Christen können in der Auseinandersetzung mit anderen Religionen auch ihre Verbindung mit Jesus von Nazareth neu sehen: »Nicht mehr der Glaube an Jesus steht dann im Mittelpunkt, sondern der Glaube mit ihm an ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit«, sagt Manuela Kalsky. Eine multiple Spiritualität sei prinzipiell tolerant. Aber selbstverständlich bringe jeder Mensch prägende Erfahrungen aus seiner ursprünglichen religiösen Tradition mit: »Vielschichtigkeit will nicht sagen, dass es keine Kontinuität gibt. Ich persönlich glaube noch immer an einen mich tragenden Gott, an eine unterstützende Kraft in meinem Leben, wenn’s schwierig wird, aber auch wenn es Erfolge zu feiern gibt. ›The wind beneath my wings‹, um es mit Bette Midler zu sagen.« Mit diesem Gottesbild sei sie aufgewachsen, es begleite sie noch heute, erzählt die evangelische Theologin. »Aber eine Haltung der Offenheit ist entscheidend: Wir sollten erst Fragen stellen und zuhören, bevor wir mit dem Erstellen von Kriterien religiöser Rechtmäßigkeit beginnen. Wie erfahren Menschen ihre Zugehörigkeit zu mehreren Religionen? Warum fügen sie Elemente aus unterschiedlichen Religionen zusammen?«
Diese ganze moderne Thematik will Manuela Kalsky zusammen mit dem Dominikanischen Studienzentrum weiter vertiefen: »Uns geht es um die Suche nach einer neuen Gemeinschaft, die auch die Nichtglaubenden, die Atheisten, mit einbezieht. Die Trennlinie verläuft nämlich nicht zwischen Atheisten, Agnostikern und religiösen Menschen, sondern zwischen Menschen, die sich für das gute Leben für alle einsetzen, und den anderen, die ausschließlich ihr eigenes Wohlbefinden im Blick haben.«