“Ich bin multireligiös”: Thesen für ein Salongespräch

Selbstbestimmung auch in meiner Religion.

Zum Salon am 11. 1. 2013

Von Christian Modehn

Wir haben in den beiden vergangenen Salonabenden/Nachmittagen das Thema Selbstbestimmung besprochen, bezogen auf das Buch von Peter Bieri „Wie wollen wir leben?“ (Residenz Verlag). Wir werden im April 2013 mit einer Amsterdamer Gruppe gemeinsam über das 3. Kapitel „Wie entsteht kulturelle Identität“ sprechen, am Freitag 19.4. 2013.

Heute wollen wir das Thema Selbstbestimmung weiter zuspitzen zu der Frage: Wie steht es mit Selbstbestimmung in meiner Religion. Dabei wird Religion sehr weit verstanden, als grundlegende Lebensorientierung, als wichtigste Spiritualität (zu der auch der Atheismus gehören kann). PS: Am 16. 1. 2013 erreicht uns ergänzend eine mail, die wir gern wiedergeben: Wieder und wieder und in zunehmender angstbesetzter Heftigkeit behaupten römischen Kirchenführer, diesmal Herr Schwaderlapp in Köln, nur die Glaubensform, die dem vorgebenen Dogma entspricht, sei katholisch. Herr Schwaderlapp wehrt sich, so wörtlich,  gegen den religiösen “Gemischtwarenladen”. Mit diesen polemischen Äußerungen wird er die vielen multireligiösen Menschen sicher nicht in die römische Kirche (zurück)holen (Quelle zu Schwaderlapp: Zeitung Christ und Welt 17.1.2013).

Unser Gespräch wird dabei immer philosophisch bleiben, also konfessionell neutral, immer aber selbst – kritisch.

Das Thema ist kein exklusives Sonderthema „am Rande“. Es berührt den weltweiten Umbruch der Religionen bzw. der Bindungen von Menschen an Religionen.

 

1. These:
Der früher oft von Soziologen angekündigte Tod der Religionen ist nicht eingetreten. Das ist empirisch erwiesen. Die meisten Menschen bleiben spirituell interessiert. Sie folgen dabei nur nicht mehr automatisch den familiär vermittelten, angelernten religiösen Haltungen. Sie wollen religiös sein, wo wie sie es selbst für richtig und hilfreich halten. Früher waren Konversionen – etwa zu einer anderen christlichen Kirche – noch problematisch. Es herrschte das autoritäre Denken vor: Cuius regio, eius religio: Wo ich gerade geboren wurde, da habe ich die Religion anzunehmen. Das ist ein sehr europäisches, christliches Denken. In Asien ist das ganz anders.

Und in Europa und Amerika ist dieses religiös fixierende Denken überholt.

2. These

In der Übernahme von Weisheit, Praxis, usw. aus anderen Religionen: Damit wird meine eigene „angestammte“ Religiosität relativiert. Relativität wird also als Wert anerkannt: Jede Person lebt die eigene Religion relativ, sie kann dabei aber für sich subjektiv überzeugt sein, das ist meine „absolute“ Wahrheit. Sie wird diese ihre Wahrheit aber anderen nicht „aufdrängen“.

3. These

Es wird die andere Religion, Spiritualität, als nicht mehr befremdliches und Störendes wahrgenommen. Ich will von diesen anderen Religionen usw. lernen.

4. These
Damit wird die Relativität der Religionen (aller) insgesamt eingestanden.

5. These

Der einzelne ist der Maßstab, was er sich auswählt. Es gibt Zen- Christen; es gibt Sufi – Juden, es gibt katholische Shintoisten, es gibt Jesus – begeisterte Atheisten. Diese Vielfalt wächst, sie ist ein Zeichen und eine Herausforderung für ein tolerantes, respektvolles Miteinander der Unterschiedlichen Menschen und Gruppen. Das schließt nicht aus, dass es tatsächlich auch religiös – ästhetische Schleckermäulchen gibt, die mal hier, mal da probieren und im ewigen Probieren und Schleckern ihren religiösen Sinn sehen.

6. These

Der einzelne weiß, dass er auswählt, also im klassischen Sinne „häretisch“ ist.  Dabei weiß er aber auch, dass religiöses Leben individuell gestaltet, immer schon häretisch war. Beispiel: Ein Katholik kann z.B. mehr an Maria und Pater Pio glauben als an die göttliche Trinität. Häresie wird heute nur offenkundiger und sozusagen erlaubter (auch wenn die Kirchlichen Autoritäten dagegen sind und diese expliziten Häretiker verteufeln und ausgrenzen).

7.These

Wir müssen den Begriff Patchwork neu definieren und wohl von einem negativ gefärbten Verständnis befreien. Wer andere als patchworker bezeichnet (Patchwork – Familien etwa), geht aus von einem traditionellen, uniformen Familien begriff).

8. These

Religion à la carte: Man muss nicht immer das vorgeschriebene Menu bestellen.

9. These

Religion soll (mich) erlösen, d.h. mir meinen Lebenssinn zur eigenen Prüfung oder Verwerfung vorschlagen: Menschen mit multireligiösen Bindungen suchen sich diesen Lebenssinn. Das ist ein Zeichen für eine tiefe Nachdenklichkeit über das eigene Dasein. Dabei wird Gott als „göttlich“ erlebt und nicht festgelegt auf einen einzigen Modus.

10. These

Die Frage bleibt, wo und wie die zunehmende Gruppe multireligiöser Menschen ihren Austausch, ihre Zusammenkünfte, feiert. Die alten Strukturen sind noch nicht offen genug für diese neueste religiöse Entwicklung. Finden Sie die gemeinsame Kraft, die wirklich dringenden Aufgaben der Weltgesellschaft aufzugreifen, Hunger, Öko – Katastrophen, Armut….

11. These

Die multireligiöse Bindung kann ein Beitrag sein für den Frieden, für den Respekt der „anderen“, die dann ja nicht mehr die anderen sind, sondern Freunde, die mir wesentliches geben.

…..Der Roman von Yann Martel „Schiffbruch mit Tiger“, jetzt als Kino Film, Life of Pi, ist ein Bekenntnis zur multireligiösen Bindung. Bezeichnenderweise lehnen die religiösen Führer das multireligiöse Interesse von Pi ab.

Zum Thema empfehlen wir als Vertiefung: „Multiple religiöse Identität“. Theologischer Verlag in Zürich, 2008.

copyright: Christian Modehn

 

 

Eine “multireligiöse Kirche”

Größer als der Gott Calvins
Eine holländische Pfarrerin gründet eine interreligiöse Gemeinde für »Patchwork-Religiöse« und Menschen auf der Suche

Von Christian Modehn, ein Beitrag für PUBLIK FORUM am 27. August 2010.

Ich bin Christ, praktiziere Zen-Meditation und schätze die buddhistische Spiritualität. Mein Freund ist liberaler Jude, aber auch eng verbunden mit der muslimischen Sufi-Tradition.« Solche Bekenntnisse hört man jetzt immer öfter. Wenn Menschen nicht mehr einer Religionsgemeinschaft folgen, sondern verschiedene spirituelle Traditionen zu einer neuen Einheit verbinden, spricht man von »Patchwork-Religiosität«. Ob dabei dann wirklich Patchwork, zu Deutsch: Flickwerk, entsteht oder eine harmonische Neuschöpfung, hängt von der religiösen Sensibilität der Person ab.

»Genau diesen Menschen will ich ein Angebot der Vertiefung und Begegnung machen«, sagt die holländische Theologin Joan Elkerbout. »Ich lade sie ein, eine Gemeinde zu bilden.« Die 40-Jährige hat selbst erfahren, dass der protestantische Glaube ihrer Familie nicht genügte, um entscheidende Lebensfragen zu beantworten. »Welche meditative Praxis haben denn zum Beispiel Protestanten?«, fragt die Pfarrerstochter. »Und ist Gott, das Geheimnis des Lebens, nicht größer als der Gott Calvins?«

Zunächst hat Joan Elkerbout Sozialarbeit studiert. Sie gründete ein erfolgreiches Beratungszentrum zur Abwehr aggressiven Verhaltens in Schule und Familie. Aber dann zog es sie doch zurück zu ihrem ursprünglichen Interesse an der Religion: In den USA lernte sie im Rahmen des Interfaith Movement die Mystiker der großen Religionen kennen. Die Bewegung für den interreligiösen Dialog unterhält dort inzwischen eine Reihe von Meditationszentren, Treffpunkten und Ausbildungsstätten. Dort wird auch ein neuer Typ von Pfarrerinnen und Pfarrern ausgebildet: Die Studierenden werden mit den großen Religionen vertraut gemacht und lernen, Gottesdienste mit Elementen aus verschiedenen Traditionen zu feiern. Die künftigen Pfarrer werden unterwiesen, neue Riten zu gestalten mit Menschen unterschiedlicher Spiritualität.

Im vergangenen Jahr wurde auch Joan Elkerbout zur »Interfaith«-Pfarrerin ordiniert. »Das war für mich ein wunderbares Ereignis: Die große neugotische Riverside Church in New York war überfüllt, dort haben auch Martin Luther King und Nelson Mandela schon gepredigt.« Die Feier ihrer Ordination wurde von Vertretern aller großen Weltreligionen begleitet. Auch die afrikanischen Religionen waren dabei, niemand sollte ausgeschlossen sein: »Denn uns geht es darum, das Gemeinsame und Verbindende aller spirituellen Traditionen freizulegen und zu fördern.«

Ihrer holländischen Gemeinschaft hat Joan Elkerbout den Namen Renais-Sense-Movement gegeben – ein anspruchsvoller Titel. Es geht um eine Art Wiedergeburt der Toleranz, um eine religiöse »Renaissance«. »Sense« steht für die Suche nach einem neuen Sinn der vielen Weisheitstraditionen. In ihren Gottesdiensten trägt Elkerbout Texte aus verschiedenen heiligen Schriften vor. »Dann schweigen und meditieren wir gemeinsam. Wir haben Rituale mit Licht und in der Natur, wir bieten sakralen Tanz. Es geht einzig darum, dem gemeinsamen Lebensgrund nahe zu kommen, den viele Gott nennen.«

Als einen ihrer Inspiratoren nennt Elkerbout den katholischen Mönch Wayne Teasdale (1945-2004). Er war nicht nur mit dem Philosophen Ken Wilber gut bekannt, sondern auch mit dem verstorbenen Benediktinerpater Bede Griffith, der viele Jahre in einem Ashram in Indien lebte, ganz dem Dialog mit den Hindus hingegeben. »Teasdale, der auch mit dem Dalai Lama befreundet war und sich für das Parlament der Weltreligionen eingesetzt hat, lehrte uns, dass die Zukunft der Menschheit im Dialog liegt, nicht im Konfessionalismus.«

Das neuartige Angebot einer multireligiösen Gemeinde ist auch eine ganz eigene Antwort auf die gesellschaftliche Entwicklung in Holland. Über die Hälfte der Menschen dort gehört keiner Kirche an, gibt sich aber in Umfragen »als spirituell interessiert« zu erkennen. »Friede beginnt damit, sich auch der Weltanschauung des anderen zu öffnen, von ihm zu lernen«, sagt Elkerbout. »Nur so wird Fremdheit überwunden. Die Basis erleben wir schon jetzt in der Gemeinde: Sie heißt nicht Lehre und Dogma, sondern Mitgefühl und Liebe.«

Die ersten Gottesdienste der neuen interreligiösen Gemeinschaft fanden in den Kirchen der freisinnigen Protestanten, der Remonstranten, statt. Je stärker aber die Bewegung wächst, umso dringender werden wohl eigene »Tempel«. Die interreligiöse Gemeinde könnte ein wichtiges Angebot in einer Gesellschaft werden, die rechtslastigen Politikern und erklärten Muslim-Feinden wie Geert Wilders immer stärkeren Raum gibt. Das Klima von Hass und Vorurteil zu überwinden ist eine dringende Aufgabe, der sich die großen Kirchen Hollands bisher nicht gestellt haben.

Kontakt: www.renaissensemovement.nl

Perry Schmidt -Leukel plädiert für multireligiöse Bindungen

Vorschläge von Prof. Perry Schmidt Leukel, Münster

In einem Interview am 21. 11. 2008:

Unterschiedliche spirituelle Traditionen, gut ausgewählt und mit Bedacht praktiziert, erschließen die unausschöpfliche Tiefe der göttlichen Wirklichkeit. Wie in einem Kunstwerk fügen diese Menschen verschiedene Elemente zur Einheit zusammen. Theologen sprechen darum in einem positiven Sinn von Patchwork – Religiosität. Wer Geschmack an mehreren Religionen findet, sollte sich seine Vorliebe nicht schlecht reden lassen, meint der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt – Leukel. Als katholischer Theologe hat er selbst die Grenzen konfessioneller Kirchlichkeit kennen gelernt, als ihm die Bischöfe in Bayern die Lehrbefugnis verweigerten wegen seiner Interessen am interreligiösen Dialog. An der Universität von Glasgow, Schottland, konnte er hingegen SEIN Thema, die „multireligiöse Bindung“,  weiter bearbeiten. Inzwischen ist er Mitglied der schottischen Episcopal Church.  Seit kurzer Zeit lehrt er in Münster. Dieses Auf und Ab im eigenen Leben ist für Perry Schmidt Leukel aber kein Grund, sich den Geschmack an der Vielfalt der Religionen verderben zu lassen.

„Man hat dafür auch den Begriff geprägt,  dass Menschen heute zunehmend Religion à la carte haben. Andere haben darauf hingewiesen,  auch von soziologischer Seite, dass jemand, der also kein fertiges Menu im Restaurant bestellt, sondern sein Essen à la carte aussucht, ja durchaus in der Regel bereit ist, mehr auszugeben und eventuell auch bewusster wählt. Wenn jemand à la carte isst, heißt das ja nicht,  dass er als Vorspeise, als Hauptgericht, als Nachtisch dreimal nur Süßspeise wählt. Das kann durchaus gelegentlich Mal der Fall sein. Es kann aber durchaus sein, dass jeder von allem, was es gibt, jeweils die gesündesten Dinge aussucht. Und ich denke, das gilt auch für diese Patchwork – Religiositäten“.

Multireligiöse Mystiker halten nichts von Propaganda und Werbekampagnen. Sie treten nicht ständig in die Öffentlichkeit. So ist ihre genaue Anzahl schwer zu ermitteln. Immerhin haben sie in Holland ihren eigenen Internetaufritt, und im englisch – sprachigen Raum gilt „Multireligiös“ bereits als Trend, hat der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel beobachten können:

„Früher war der Gedanke eines Entweder Oder. Entweder die eine Religion ist wahr, oder die andere Religion ist wahr. Wenn ich jetzt Wahrheit in der anderen Religion entdecke, dann muss ich konvertieren, weil dann kann wohl meine eigene nicht mehr wahr sein. Heute, auch theologisch, rechnen wir mehr und mehr damit, dass sich geistliche, spirituelle Wahrheit in verschiedenen religiösen Traditionen findet. Und das ermöglicht dann auch den Gedanken, dass, wenn ich von einer anderen religiösen Tradition angezogen bin im konstruktiven Sinne, wenn ich die Erfahrung mache, das, was ich von anderen Religionen lerne, hilft mir in meinem eigenen privaten Leben, in meinem Glaubensleben, dass ich dann so etwas wie eine multireligiöse Identität entwickle“.

Inzwischen reagieren die Führer der alten, fest umschriebenen religiösen Identität sehr gereizt auf so viel interreligiöse Lernbereitschaft. Papst Benedikt XVI. hat im November 2008 betont, ein „interreligiöser Dialog im Sinne von persönlicher Lernbereitschaft aufseiten der Christen“ sei „nicht möglich“. Entsprechend verwarnte der Vatikan einmal mehr engagierte Theologen, so kürzlich den in Washington lehrenden vietnamesischen Peter Phan: In seinen Büchern zum Dialog mit dem Buddhismus relativiere er die absolute Wahrheit des Christentums, heißt es! Klare konfessionelle Grenzen wünschen sich auch konservative Mullahs in Indonesien: Sie wollen den Muslimen die Yoga Praxis verbieten: Wer Mantren singe, schwäche seinen islamischen Glauben… Die Führer der Religionen wollen Untertanen, die der einen konfessionellen Wahrheit sozusagen hundertprozentig entsprechen. Aber dies ist ein Ansinnen, das Religionswissenschaftler, wie Professor Schmidt Leukel, geradewegs naiv finden:

„Denn welcher Mensch kann denn von sich sagen, dass er oder sie in seinem Leben eine komplette religiöse Tradition verinnerlicht hat? Ist es nicht so, dass jeder von uns sich immer nur die Dinge aus einer Religion aneignet, die er oder sie als besonders hilfreich in seinem Leben auch erlebt hat. Niemand von uns glaube ich, lebt das ganze Christentum. Kein Muslim lebt den ganzen Islam, sondern bestimmte Aspekte, mit denen wir konfrontiert wurden und die wir als hilfreich erfahren haben und die uns prägen. D.h. Religion, Religiosität, scheint mir immer irgendwo Patchwork Religiosität zu sein. Nur mit dem Umstand, dass heute für viele Menschen die Patches zunehmen, aus unterschiedlichen religiösen Traditionen stammen und nicht mehr nur aus einer einzigen“.

Immer mehr Menschen werden sich persönlich auf mehrere Religionen einlassen, darin sind sich die Beobachter einig. Und Perry Schmidt Leukel meint sogar, die Bereitschaft des einzelnen, von anderen Religionen zu lernen, dürfe von nichts und niemandem auch nur eingeschränkt werden:

„Wenn jemand ernsthaft sein Leben als religiöser Mensch zu leben versucht, in einer anderen Religion etwas findet, was man persönlich als gut, als wahr, als heilig betrachtet. Dann hat dieser Mensch ja gar nicht die Freiheit, dieses abzulehnen. Es ist schlicht und ergreifend keine spirituelle Option zu sagen: Ich erkenne dort eine Wahrheit, aber nein: Davon will ich nichts wissen, weil diese Wahrheit steht in einer anderen Religion. Dieses ist nicht möglich. Es ist in gewisser Weise eine spirituelle Verpflichtung, all das in mein Leben zu integrieren, was gut, wahr und heilig ist. Paulus schreibt einmal: Prüfet alles, das Gute behaltet“.

Erkennen die großen religiösen Institutionen diese Chance? Der Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel:

“Die Herausforderung scheint mir wirklich die zu sein: Können die christlichen Kirchen mit diesem zunehmenden Phänomen multireligiöser Spiritualität oder Identität umgehen? Sind sie darauf vorbereitet? Wie reagieren Sie darauf, dass in Ihrer eigenen Mitte Menschen sind, deren persönliche Religiosität bereits von mehreren Religionen geprägt ist? Wie gehen Kirchen damit um, wie gehen sie darauf ein. Das ist noch eine vollkommen offene und bisher weitgehend ignorierte Fragestellung“.

(Diese Stellungnahmen wurden zum großen Teil schon in Radio Beiträgen von mir für den RBB und WDR eingesetzt.)

Mit mehreren Religion verbunden

WDR
Lebenszeichen am 11. 6. 2009

„Ich bin multireligiös“
Menschen, die mit mehreren Spiritualitäten verbunden sind

Von Christian Modehn

Der folgende Beitrag ist der Text der Ra­dio­sen­dung

24 O TÖNE

4 Musikal. Zusp.

“Ich persönlich habe meine geistige Heimat in einer evangelischen Gemeinde gefunden und überlege seit einiger Zeit dort einzutreten, bin aber offiziell auch in einem Sufi – Orden und ich fühle mich auch der Yogatradition ganz verbunden, das ist auch mein Lebensweg”.

Marina Alvisi wollte schon als junge Frau kreativ sein. Einige Jahre hat sie als Architektin gearbeitet und versucht, ihre künstlerische Phantasie mit den technischen Vorgaben harmonisch zu vereinen. Nach dem Umzug von Oberbayern nach Berlin hat sie ihre wahre Begabung entdeckt: Wie eine Komponistin fügt sie jetzt unterschiedliche Motive zusammen, wobei ihre „Melodien“ verschiedenen religiösen Traditionen entstammen. Mit ihrem Mann, dem Inder Anthony Lobo,  hat sie eine Yogaschule gegründet. Im Alltag bezieht sie sich auf mehrere spirituelle Quellen:

“Wir stehen auf, in der Früh begibt sich jeder in einen anderen Raum. Und jeder macht seine Übungen. Anthony macht seine Yoga Übungen, Pranayama. Ich beginne aber mit Sufi Meditationen, mit Sufi Mantren stimme ich mich auf mich ein und auf den Tag ein. Und dann beginne ich mit meinen Yogaübungen. Dann treffen wir uns um 9 Uhr zum gemeinsamen Frühstück und bevor wir frühstücken, beten wir gemeinsam und lesen aus der Bibel, sprechen dann ein bisschen darüber beim Frühstück. Und in den Yogastunden kommt genau dann das durch, was wir für uns auch Tagesthema war in den Schriften, in der eigenen Erfahrung und das lassen wir mit einfließen”.

1. musikal. Zusp., ind. Musik

Wer Marina Alvisi nach ihrer „Konfession“ fragt, muss sich auf  einen neuen Begriff einlassen. Sie nennt sich „multireligiös“, mit mehreren religiösen Traditionen gleichzeitig verbunden. Die mystische Sufimeditation befreit sie von starren Dogmen und allzu „menschlichen“ Gottesbildern; die Yoga – Praxis fördert die Einheit von Körper und Geist; und im Christentum gelangt sie zur göttlichen Quelle von allem, der Liebe. Und diese drei Formen von Spiritualität helfen, richtig zu leben:

“Heute betrachte ich diese drei Traditionen, in denen ich mich bewege, wie gute Mahlzeiten. Und ich muss immer selber prüfen, so, was ist denn heute dran. Ich esse doch auch nicht jeden Tag das gleiche. Manchmal esse ich mehr Salat, manchmal esse ich mehr Kartoffelbrei oder Getreide oder Reis, je nach dem, wie es mir heute geht und wie meine innere Stimmung ist”.

Unterschiedliche spirituelle Traditionen, gut ausgewählt und mit Bedacht praktiziert, erschließen die unausschöpfliche Tiefe der göttlichen Wirklichkeit. Wie in einem Kunstwerk fügen diese Menschen verschiedene Elemente zur Einheit zusammen. Theologen sprechen darum in einem positiven Sinn von Patchwork – Religiosität. Wer Geschmack an mehreren Religionen findet, sollte sich seine Vorliebe nicht schlecht reden lassen, meint der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt – Leukel. Als katholischer Theologe hat er selbst die Grenzen konfessioneller Kirchlichkeit kennen gelernt, als ihm die Bischöfe in Bayern die Lehrbefugnis verweigerten wegen seiner Interessen am interreligiösen Dialog. An der Universität von Glasgow, Schottland, konnte er hingegen SEIN Thema, die „multireligiöse Bindung“,  weiter bearbeiten. Inzwischen ist er Mitglied der schottischen Episcopal Church.  Seit kurzer Zeit lehrt er in Münster, diesmal an der Evangelisch – Theologischen Fakultät. Dieses Auf und Ab im eigenen Leben ist für Perry Schmidt Leukel aber kein Grund, sich den Geschmack an der Vielfalt der Religionen verderben zu lassen.

“Man hat dafür auch den Begriff geprägt,  dass Menschen heute zunehmend Religion à la carte haben. Andere haben darauf hingewiesen,  auch von soziologischer Seite, dass jemand, der also kein fertiges Menu im Restaurant bestellt, sondern sein Essen à la carte aussucht, ja durchaus in der Regel bereit ist, mehr auszugeben und eventuell auch bewusster wählt. Wenn jemand à la carte isst, heißt das ja nicht,  dass er als Vorspeise, als Hauptgericht, als Nachtisch dreimal nur Süßspeise wählt. Das kann durchaus gelegentlich Mal der Fall sein. Es kann aber durchaus sein, dass jeder von allem, was es gibt, jeweils die gesündesten Dinge aussucht. Und ich denke, das gilt auch für diese Patchwork – Religiositäten”.

Was kann für diese Menschen mit einer Patchwork – Religion  gesund und hilfreich sein? Für Marina Alvisi kommen abstrakte Lehrsätze oder dogmatische Prinzipien dabei nicht in Frage. Sie geht durchaus wählerisch mit den Religionen um:

“Der wirkliche Glauben einer jeden Religion, so verstehe ich es und so habe ich es gelernt in diesen Jahren, wird und wurde immer bewahrt im mystischen Weg, in der mystischen Tradition. Also es gibt in jeder Kultur die Religion, das ist die offizielle für alle Menschen. Und es gibt den inneren Weg, den geistigen Weg, und den nennen wir in aller Regel den mystischen Weg. Und der mystische Weg hat immer den echten Glauben bewahrt, das, worum es wirklich geht, die Essenz der Kultur und der Religion”.

1. musikal. Zusp. Noch einmal  freistehend

Wer diese religiöse Offenheit liebt, ist lernbereit, er nennt sich auch gern „spirituell flexibel“. Diese Menschen sind leidenschaftlich interessiert an den unterschiedlichen mystischen Traditionen. Sie meinen: Diese „Tiefenerfahrung“ kann das Leben nicht nur „bereichern“, sie kann sogar das geistige Leben retten, betont Beatrix Jessberger. Sie hat heute ihre innere Mitte gefunden:
“Das hat natürlich biographische Gründe, also ich hab es nicht gesucht, sondern das ist auf mich zugekommen. Und zwar komme ich aus Bayern, aus Franken, und in meiner Familie war es so, dass Katholizismus und Faschismus sich verbunden hatten. Und von daher hatte das Christentum keine moralische Autorität mehr für mich. Und ich musste zu anderen Religionen, um wieder Zugang zu Religion überhaupt zu bekommen. Und in London bin ich aufgewacht. Ich war Psychotherapeutin damals und im Spital hatten wir eine Gruppe, und es war Commonwealth, mit Menschen aus verschiedenen Ländern haben wir zusammengearbeitet und verschiedenen Religionen und haben uns darüber ausgetauscht. Da ist für mich der ganze Himmel aufgegangen, nicht nur eine Welt. Dann habe ich evangelische Theologie studiert und während des Studiums bin ich auch in den jüdisch – christlichen Dialog eingetreten und habe mit Hilfe jüdischer Mystik überhaupt mein Examen geschafft”.

Beatrix Jessberger wurde als Pfarrerin ordiniert. In Berlin hat sie Gemeinden begleitet, die vor allem an herkömmlicher evangelischer Frömmigkeit interessiert waren;  so wollten sie ihre überlieferte protestantische „Identität“ bewahren. Mit ihrem Interesse, auch mit anderen Religionen in ein lernbereites Gespräch einzutreten, stand Beatrix Jessberger ziemlich allein da:

“Ich hab dann einen Mordseinbruch gehabt, weil ich nicht wusste, wohin mit meinen Erfahrungen. Die hatten im evangelischen Bereich keinen Raum. Und da bin ich in die Klöster gegangen und habe mit Zen- Meditation angefangen. Und mir hat das wirklich geholfen, nicht wieder ein fertiges System vorgesetzt zu bekommen, sondern erst mal leer werden zu können, frei werden zu können, damit ich Gottes Stimme hören kann und damit ich eine Hörende werde, da hat Zenbuddhismus irrsinnig geholfen. Und da bin ich immer auch Lernende, in diesem Kontext”.

Heute arbeitet Beatrix Jessberger als Pfarrerin der Reformierten Kirche in der Nähe von Sankt Gallen in der Schweiz: Dort kann sie ihre persönliche gestaltete, keinesweges erstarrte, sondern „flexible Frömmigkeit leben und anderen mitteilen.

“Ich bin einzigartig in meinem Evangelischen, und gleichzeitig habe ich die Weite und Offenheit auch von buddhistischer Seite, die habe ich auch in mir. Wir tragen die verschiedenen Religionen auch in uns, als Potenz, als Möglichkeit, und je nach dem, was sich entfaltet oder was entfaltet wird, leben wir das auch”.

2. musikal. Zusp.
Du wirst nicht sterben,
nicht wie ein Bach in der Wüste versickern.
Du wirst die Grenze durchbrechen,
du wirst ein neues Ufer erreichen.
Du wirst neu denken und fühlen
mit neuem Leib, mit neuer Seele,
im neuen Himmel, auf neuer Erde.
Arm und reich,
stark und schwach,
Tage und Nächte,
Lust und Schmerz
werden verblassen.
Du wirst nichts wollen!
Du wirst nur SEIN.
Du wirst dich wie ein Wassertropfen
mit dem Meer verbinden.

2. musikal. Zusp.

Eine Meditation, die Beatrix Jessberger immer wieder liest, wie ein Gebet ist, das die Grenzen EINER Konfession überschreitet…

Christen, die sich mit mehreren Religionen verbunden wissen, wollen auch die Chancen einer globalisierten Kultur wahrnehmen. Denn die meisten spirituellen Traditionen sind heute an allen Orten präsent. Wer über den eigenen Kirchturm hinaus schaut, entdeckt in der Nachbarschaft Moscheen, Pagoden, Hindu – Tempel, Synagogen, oft sogar Zentren afro-kubanischer oder afro – brasilianischer Kulte. Diese religiösen Traditionen müssen nicht als befremdlich abgewiesen werden, in der Haltung der Offenheit kann es zu einem Dialog kommen. Aber für viele Menschen ist Dialog mehr als Austausch von Informationen, Dialog ist für sie immer auch Lernbereitschaft. Die Zentren buddhistischer Meditation wollte Stefan Matthias nicht nur als staunender Besucher erleben.

“Es gab einfach auch eine Suche in meiner Jugend oder in der frühen Zeit als Erwachsener, wo ich an die Zen Meditation gekommen bin. Und da etwas gefunden habe, was ich woanders nicht gefunden hatte. Und es dieses Sich -Einlassen in die Stille. Und dort erst mal die Begegnung mit sich selbst, die dadurch ermöglicht wird. Und hier öffnen sich schon Welten der Selbstbegegnung und der Selbsterfahrung. Und das halte ich für äußerst wichtig, dass es einen Raum, wo ich wirklich mich selbst zulassen kann, wie ich bin, und viel über mich selbst lerne. Aber natürlich, dieses Lernen im Zen, in der Meditation, geht darüber hinaus, wo man sieht, dass das Ich und die Person, für die ich mich halte, nicht das letzte, der letzte Grund sind, sondern, dass es eben etwas darüber hinaus gibt, und auch für diesen Bereich sich zu öffnen ist ein wesentliches Anliegen gerade der Zen Meditation”.

Stefan Matthias ist bei allem Respekt vor der Zen Meditation nicht buddhistischer Mönch geworden. Er hat evangelische Theologie studiert und arbeitet jetzt als Pfarrer und Meditationslehrer in Berlin.  Wie ein  Zen – Meister warnt er vor religiösen Fixierungen und Festlegungen dogmatischer Art:

“Jedes Gottesbild ist unzureichend, und das ist ja eine ganz selbstverständliche Erkenntnis. Gott ist nicht in ein Bild einfangbar! Und das relativiert natürlich jeweils meine eigene Religion. Also ich bin kein Vertreter, der sagt: Wir brauchen eine feste Identität, dann wissen wir, wer wir sind. Sondern ich möchte lernen, wer ich bin, in der Begegnung mit der Welt, mit dem Leben im Augenblick, mit der Begegnung mit anderen Personen. Und ich möchte mir diese Flüssigkeit erhalten und ich denke diese Flüssigkeit macht unsere Identität aus. Und nicht das Jeweilige, woran wir uns mal gern auch für eine Weile festhalten, aber was uns letztlich dann einengt und blockiert”.

Die „Religionskomponisten“ markieren einen grundlegenden Umbruch in der religiösen Praxis: Diese Menschen wollen nicht nur die Vielfalt religiöser Traditionen respektieren, sondern sie selbst in ihr eigenes Leben integrieren. Dabei wissen sie als Mystiker genau, dass es dabei gerade nicht auf die eigene  Leistung ankommt: Der Yogalehrer Anthony Lobo:

“Aber dann habe ich gelernt durch diese viele Jahre, dass diese Erfahrung von Gott kann man nicht erzwingen, dass Gott zu uns kommen soll. Mystische Zustand kann man nicht erzwingen, denn ist eine Gnade Gottes. Und im Bakhti Yoga sagen sie auch, dass das ein Geschenk ist, das kann man nicht erzwingen durch körperliche oder geistige Übungen, sondern das wird immer ein Geschenk”.

3. musikal. Zuspielung

Multireligiöse Mystiker halten nichts von Propaganda und Werbekampagnen. Sie treten nicht ständig in die Öffentlichkeit. So ist ihre genaue Anzahl schwer zu ermitteln. Immerhin haben sie in Holland ihren eigenen Internetaufritt, und im englisch – sprachigen Raum gilt „Multireligiös“ bereits als Trend, hat der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel beobachten können:

“Früher war der Gedanke eines Entweder Oder. Entweder die eine Religion ist wahr, oder die andere Religion ist wahr. Wenn ich jetzt Wahrheit in der anderen Religion entdecke, dann muss ich konvertieren, weil dann kann wohl meine eigene nicht mehr wahr sein. Heute, auch theologisch, rechnen wir mehr und mehr damit, dass sich geistliche, spirituelle Wahrheit in verschiedenen religiösen Traditionen findet. Und das ermöglicht dann auch den Gedanken, dass, wenn ich von einer anderen religiösen Tradition angezogen bin im konstruktiven Sinne, wenn ich die Erfahrung mache, das, was ich von anderen Religionen lerne, hilft mir in meinem eigenen privaten Leben, in meinem Glaubensleben, dass ich dann so etwas wie eine multireligiöse Identität entwickle”.

Mit der Spiritualität „flexibel“ umzugehen hat in einigen Regionen des Katholizismus durchaus Tradition: In Lateinamerika z.B. hatten spanische Missionare die einheimischen, die „indianischen Völker“ der Qetschuas und Aymaras zum Teil unter massivem Druck getauft. Bis heute gehen diese indianischen Katholiken in Peru und Bolivien sonntags brav zur Kirche, sie halten sich an Christus und die Heiligen. Aber sie verehren weiterhin auch ihre traditionellen Gottheiten, wie die Pachamama, die Fruchtbarkeitsgöttin“, die heilige „Mutter Erde“. Der  niederländische Augustinerpater Hans van den Berg beobachtet als Religionswissenschaftler seit vielen Jahren diese ungewöhnliche Praxis in Bolivien:

“Man opfert z.B. der Erde, der Pachamama, und die Produkte, die man von der Erde bekommt, die bringt man nach Hause. Die Riten finden immer statt im Haus oder in der Nähe des Hauses oder auf dem Felde. Die Leute, die z.B. das ganze Arbeiten auf dem Felde mit Riten begleiten, machen zu gleicher Zeit die religiösen Riten des Christentums bei Geburt und Trauung und Tod. Das ist eine Synthese, die die gemacht haben,  zwischen alt herkömmlicher Religion und christlicher Religion. So muss man eigentlich von einer „Quetschua – Christlichen“ oder „Aymara- Christlichen“  Religion sprechen”.

Ob im Glauben des einzelnen das Christliche oder Indianisch- Traditionelle überwiegt,  lässt sich „exakt“ gar nicht beschreiben. Wer kann schon in die religiöse Seele eines Menschen schauen? Die katholische Hierarchie in der Anden- Region zeigt sich deswegen auffallend tolerant:

“Mitte des 17. Jahrhunderts hat man sich irgendwie damit abgefunden, na ja: So schlimm ist es auch nicht: Lassen wir das einfach so bestehen! Nachher gibt es auch keine klare Aussprache von der Kirche bis Heute, das diese Art von Religion verbietet. Man hat es einfach so akzeptiert und darum kann das bis heute so bestehen, ja”.

Auch katholische Missionare, die in Asien „unwissende Heiden“   bekehren wollten, entwickeln jetzt auf ihre Weise eine „flexible“  Spiritualität: In Japan und Indien oder auf Taiwan lassen sich Ordensleute auf die dortigen religiösen Weisheitslehren ein. Der Jesuitentheologe Luis Gutheinz steht seit vielen Jahren in Taipeh auf Taiwan im Gespräch mit den Freunden des Meisters Lao Tse aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Er plädiert in seinem Buch „Tao Te King“  für einen bescheidenen, rücksichtsvollen und naturverbundenen Lebensstil. Das Tao, der Weg, gilt als Ursprung allen Seins. Alles Feste, Erstarrte und Tote kann es überwinden. Pater Gutheinz:

“Wir sind jetzt dabei als Christen, uns zu öffnen, aus der früheren Dominanz auch im theologischen Denken. Und ganz im Sinne des taoistischen Sich -Zurücknehmens, Hinhörens, des Hohlwerdens, imstande zu sein, etwas näher an die Gegenwart Gottes heranzukommen, die ja bereits im Tao Te King gesprochen hat. Wir sind dabei, uns in Demut der Wirklichkeit radikaler zu stellen, und die Wirklichkeit, von Gott her gesehen, besteht ja darin, dass er immer schon da ist; überall dort, wo Gutes, Schönes, Wahres gesagt wird, ist ER da”.

Pater Gutheinz hat keine Scheu, Weisheitslehren des TAO mit seinem katholischen Glauben zu verbinden. Er praktiziert z.B. seit etlichen Jahren das meditative Schattenboxen, das Tai Chi Chuan:

“Es ist ein Schwingen von Yin und Yang, eine Dynamik mit diesen zwei Aspekten, die das ganze Tao, das unsagbare Geheimnis, in seiner Dynamik, konkret im menschlichen Leben anwesend sein lässt. Und die Übung, die tägliche Übung, in  diesen Bewegungen, die durch Jahrhunderte von Meistern ausgefeilt wurden, ergibt ein Wohlsein in diesem Geheimnis”.

Lao Tse spricht:
Wer seine Sinne aufschließt,
sich hingibt den äußeren Dingen,
hoffnungslos lebt er dahin bis an sein Ende.
Je weiter man hinausgeht.
desto weniger weiß man.
Darum geht der Weise nicht ins Äußere.
Und doch ist er ein Wissender.
Er blickt nicht nach außen in die Welt
und kann doch der Dinge Namen nennen.
Kürzungsmöglichkeit Ende)

Bei seinem Meister Lao Tse hat Pater Gutheinz entscheidende Lebenshilfe gefunden:

“Wenn man Tao Te King liest und sich hinein nehmen lässt in seine Bewegung, dann wird der Tod, das Sterben, je länger, je mehr, so paradox es klingen mag, ein wichtiges Element des Lebens. Sterben ist nicht denkbar ohne Leben, Tod gehört wesentlich zu vollerem Leben. Und glücklich ist jene Person zu preisen, die das heute schon lernt. Der Tod ist im Letzten nicht dieses Negative. Sondern dass das Letzte im Tod immer volleres Leben ist. Dafür danke ich dem Autor von Tao Te King!”

Lao Tse spricht:
Dreißig Speichen umringen die Nabe eines Rades.
Aber wo NICHTS ist, liegt der Nutzen des Rades.
Aus Ton formt der Töpfer den Topf.
Wo er hohl ist,
liegt der Nutzen des Topfes.
Tür und Fenster höhlen die Wände.
Wo es LEER bleibt
liegt der Nutzen des Hauses.

3. musikal. Zusp.

Inzwischen reagieren die Führer der alten, fest umschriebenen religiösen Identität sehr gereizt auf so viel interreligiöse Lernbereitschaft. Papst Benedikt XVI. hat im November 2008 betont, ein „interreligiöser Dialog im Sinne von persönlicher Lernbereitschaft aufseiten der Christen“ sei „nicht möglich“. Entsprechend verwarnte der Vatikan einmal mehr engagierte Theologen, so kürzlich den in Washington lehrenden vietnamesischen Peter Phan: In seinen Büchern zum Dialog mit dem Buddhismus relativiere er die absolute Wahrheit des Christentums, heißt es! Klare konfessionelle Grenzen wünschen sich auch konservative Mullahs in Indonesien: Sie wollen den Muslimen die Yoga Praxis verbieten: Wer Mantren singe, schwäche seinen islamischen Glauben… Die Führer der Religionen wollen Untertanen, die der einen konfessionellen Wahrheit sozusagen hundertprozentig entsprechen. Aber dies ist ein Ansinnen, das Religionswissenschaftler, wie Professor Schmidt Leukel, geradewegs naiv finden:

“Denn welcher Mensch kann denn von sich sagen, dass er oder sie in seinem Leben eine komplette religiöse Tradition verinnerlicht hat? Ist es nicht so, dass jeder von uns sich immer nur die Dinge aus einer Religion aneignet, die er oder sie als besonders hilfreich in seinem Leben auch erlebt hat. Niemand von uns glaube ich, lebt das ganze Christentum. Kein Muslim lebt den ganzen Islam, sondern bestimmte Aspekte, mit denen wir konfrontiert wurden und die wir als hilfreich erfahren haben und die uns prägen. D.h. Religion, Religiosität, scheint mir immer irgendwo Patchwork Religiosität zu sein. Nur mit dem Umstand, dass heute für viele Menschen die Patches zunehmen, aus unterschiedlichen religiösen Traditionen stammen und nicht mehr nur aus einer einzigen”.

Immer mehr Menschen werden sich persönlich auf mehrere Religionen einlassen, darin sind sich die Beobachter einig. Und Perry Schmidt Leukel meint sogar, die Bereitschaft des einzelnen, von anderen Religionen zu lernen, dürfe von nichts und niemandem auch nur eingeschränkt werden:

“Wenn jemand ernsthaft sein Leben als religiöser Mensch zu leben versucht, in einer anderen Religion etwas findet, was man persönlich als gut, als wahr, als heilig betrachtet. Dann hat dieser Mensch ja gar nicht die Freiheit, dieses abzulehnen. Es ist schlicht und ergreifend keine spirituelle Option zu sagen: Ich erkenne dort eine Wahrheit, aber nein: Davon will ich nichts wissen, weil diese Wahrheit steht in einer anderen Religion. Dieses ist nicht möglich. Es ist in gewisser Weise eine spirituelle Verpflichtung, all das in mein Leben zu integrieren, was gut, wahr und heilig ist. Paulus schreibt einmal: Prüfet alles, das Gute behaltet”.

Das Wort des Apostel Paulus hat der katholische Priester Herman Verbeek aus Groningen, Holland, ernst genommen. Er hat unter den verschiedenen Spiritualitäten auch die atheistische Lebenseinstellung geprüft und dabei festgestellt: So „ganz falsch“ seien die religionskritischen Warnungen vor einem naiven, allzu menschlichen Gottesbild nicht, meint Herman Verbeek:

“Ich mag das Wort Gott nicht. Es ist ein germanisches Wort. „Gott“  kann man nicht singen. Sie hören mich nie Gott sagen, auch nicht in der Kirche, auch nicht in der Liturgie. Ich rede auch nicht von Gottesdienst. Wir feiern, wir kommen zusammen, wir besinnen uns, wir haben Meditation, wir singen, wir haben Fest usw. Man soll sich nie ein Gottesbild machen, auch nicht mit Sprache, auch nicht mit Lehre. Bevor man es weiß, hat man ein Eigenbild, ein Abgott gemacht. Der eigentliche Gott ist Geld. Geld, Leistung, Konsum, Wachstum. Das ist so pervers, dass Gott rollen muss, wie Geld. Also, das sind natürlich die wirklichen Götter, die hier herrschen”.

Tatsächlich haben in Holland multireligiös interessierte Menschen die Möglichkeit, sich im Rahmen einer christlicher Kirche zu treffen. Die „Freisinnigen protestantischen Kirchen“ in Holland sind zwar im Rahmen der Reformation Calvins entstanden, sie haben sich aber von klassischen dogmatischen Bindungen gelöst. Eine dieser freisinnigen Kirchen Hollands ist die „Remonstrantische Bruderschaft“, ein Titel, der an den „Widerspruch“ gegen alte Dogmen erinnert. Die Remonstranten haben heute 12.000 Mitglieder. Johan Blauuw ist Pfarrer der Remonstranten:

“Ein personaler Gott: Ich denke, dass wohl die Mehrheit der Remonstranten daran nicht glaubt. Aber das Schöne an der Remonstrantischen Bruderschaft ist auch wieder, dass es Leute gibt, die wohl darin glauben. Und die tolerieren einander nicht nur. Nein, davon sagt man einfach: Ja, Sie glauben an einen persönlichen Gott, ja, für mich nicht, für mich ist es mehr ein Weltengrund, ein Grund der Dinge oder so. Und das ist vielleicht der Spagat, den die Freisinnigen machen, wollen wir doch auch zur gleichen Zeit auch Kirche sein in der christlichen Tradition. Und das gibt in der Ökumene so dann und wann einige Probleme mit unseren Auffassungen”.

Aber die Remonstranten lassen sich nicht einschüchtern,  sie bleiben offen für religiös flexible Menschen, betont der Vorsitzende dieser Kirche, Wibren van der Burg:

“Wir sind davon bereichert worden, dass wir immer Leute von anderen Religionen innerhalb unserer Kirche haben. Und zum Beispiel gibt es auch Leute, die bei uns interessiert sind im Zenbuddhismus und Islam. Und auch Elemente davon mitnehmen. Zum Beispiel gibt es auch Leute bei uns, die jetzt den Ramadan mitfeiern. Sie lassen sich davon inspirieren, und sagen: Ja, das will ich auch mitmachen”.

4. musikal. Zusp.

In einer multireligiös geprägten Kirche kommen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft nahe; dort können aus Fremden tatsächlich Freunde werden. Wer als Christ selbst Anteile des Islams oder des Buddhismus lebt, wird schon aus Dankbarkeit Muslimen oder Buddhisten respektvoller und freundlicher begegnen. Er kann sich eher in die Mentalität der anderen hineindenken, er kann Sympathien entwickeln und im Mitgefühl leben. Der evangelische Pfarrer Stefan Matthias, erklärt diese friedfertige Spiritualität gern mit dem Bild der Zweisprachigkeit:

“Ich bin westlich aufgewachsen, westlich sozialisiert mit all den Werten unserer Kultur und natürlich auch vom Christlichen her. Von daher werde ich nie ein Buddhist sein, wie ein Buddhist, wenn er im buddhistischen Kontext aufgewachsen ist.  Aber ich glaube schon, dass man eine zweite, oder vielleicht auch eine dritte Sprache erlernen kann und diese Sprache nicht etwas Fremdes bleibt. Sondern dass diese Sprache wirklich angeeignet werden kann. Und man dann sich auch in einem anderen Weltdeutungssystem und Wertesystem aufhalten kann. Und dass man dadurch wechseln kann, so wie man auch, wenn man zwei Sprachen gut beherrscht, zwischen Sprachen wechseln kann. Und jede dieser Sprachen hat einen eigenen Charakter, und man kann vielleicht mit der einen Sprache was anderes besser ausdrücken als mit der anderen”.

Religiös zwei- oder dreisprachige Menschen könnten in Deutschland als Übersetzer im Disput der Religionen tätig werden. Sie sind in der Lage, Missverständnisse zu beseitigen, Befremdliches zu erklären, Brücken zu bauen zwischen verfeindeten Gruppen. Sie könnten aufgrund eigener Erfahrungen daran erinnern, dass sich ein wirklich „göttlicher Gott“  niemals mit einer einzigen Konfession identifizieren kann.

Erkennen die großen religiösen Institutionen diese Chance? Der Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel:

“Die Herausforderung scheint mir wirklich die zu sein: Können die christlichen Kirchen mit diesem zunehmenden Phänomen multireligiöser Spiritualität oder Identität umgehen? Sind sie darauf vorbereitet? Wie reagieren Sie darauf, dass in Ihrer eigenen Mitte Menschen sind, deren persönliche Religiosität bereits von mehreren Religionen geprägt ist? Wie gehen Kirchen damit um, wie gehen sie darauf ein. Das ist noch eine vollkommen offene und bisher weitgehend ignorierte Fragestellung”.

4. musikal. Zusp.

Zum Thema empfehlen wir als Vertiefung: „Multiple religiöse Identität“, Mit dem Untertitel „Aus verschiedenen religiösen Traditionen schöpfen“. Das Buch ist im Theologischen Verlag in Zürich 2008 erschienen. Herausgegeben von Reinhold Bernhardt und Perry Schmidt – Leukel. Es hat 340 Seiten und kostet 24 Euro.