Zur religiösen Praxis der Muslime in Frankreich

Fast jeder zweite Muslim in Frankreich ist „gläubig und praktizierend“

Anlässlich des Ramadan in diesem Jahr, der vom 1. bis zum 30. August dauert, hat die Tageszeitung LA CROIX, Paris, in ihrer Ausgabe vom 1. August, in einem ausführlichen Dossier die Ergebnisse einer Studie über die religiöse Praxis der Muslime in Frankreich veröffentlicht. Weil wir in unserem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon seit vielen Jahren regen Anteil nehmen an der religiösen Situation und der Geschichte der Religionen und Philosophien in Frankreich (nicht zuletzt dokumentiert durch die ca. 60 Halb – Stunden -Sendungen „Gott in Frankreich“ von Christian Modehn im Saarländischen Rundfunk von 1989 bis 2006), wollen wir einige zentrale Aspekte festhalten:
Weil es in Frankreich aufgrund der Trennung von Staat und Religionen keine exakten Religionsstatistiken gibt, nennen die wissenschaftlich glaubwürdigen Schätzungen 2,1 Millionen Muslime im Alter zwischen 18 und 50 Jahren. Das Forschungsinstitut IFOP nennt 3,5 Millionen Muslime insgesamt (d.h. ca. 5,8 % der Gesamtbevölkerung). In einigen Départements wie Val – de- Marne oder Val – de – Oise liegt deren Anteil bei ca. 10 %.
Das Institut IFOP hat für LA CROIX festgestellt, dass 71 % der Muslime während des ganzen Monats die Fastengebote einhalten wollen. Im Jahr 1989 hatte man die letzte entsprechende Umfrage vorgenommen, so wird jetzt deutlich: Die religiöse Praxis unter den Muslims hat heute zugenommen. 41 % der Befragten nennen sich heute „praktizierende und gläubige Muslims“, 1989 waren es 34 %. Während 1989 nur 16 % die Moschee am Freitag besuchten, sind es heute 25 %. Heute gibt es etwa 2000 Moscheen und „Kult – Orte“ (oft eher sehr bescheidene ehemalige Garagen z.B.). Allerdings, so schreibt der Soziologe Franck Frégosi in seinem Buch „L Islam dans la laicité“, Ed. Pluriel. „Heute ist man dabei, mit dem Islam in den Kellergewölben aufzuhören“. So wird etwa in Strasbourg jetzt eine neue große und würdige Moschee eingeweiht. La Croix berichtet: „Die Zunahme im Besuch der Moschee ist besonders bemerkenswert bei den jungen Leuten. Es sind fast ausschließlich Männer, die freitags an den Gottesdiensten dort teilnehmen“.
Auch die berufliche Qualifizierung der Muslime wurde untersucht. 33 % der Befragten sind Arbeiter. Leitende Angestellte und Freiberufler nur 6,7 %.
Interessant ist auch das parteipolitische Interesse: Nur bei 21 % der Muslime ist Nicolas Sarkozy der politische Favorit, während es unter den praktizierenden Katholiken immerhin 55 % sind, bei den nicht praktizierenden Katholiken dann noch einmal 44 Prozent. Daran sieht man, wie beliebt Sarkozy noch immer bei Katholiken ist. 23 % der Nichtglaubenden und Atheisten stimmen für Sarkozy.
Wir möchten noch darauf hinweisen, dass die eigentlich eher finanziell arme katholische Kirche Frankreichs sich ein eigenes für das ganze Land bestimmte „Sekretariat für die Beziehungen zum Islam“ leistet. Von dort aus werden z. B. Gespräche und Tagungen organisiert über “Islam und Christentum”. So etwas gibt es in Deutschland bei einer Kirche mit einem Etat von vielen tausend Millionen Euro nicht. In Frankreich ist im Augenblick der Buchautor Pater Christophe Roucou der Leiter dieser Arbeitsstelle; er gehört zur theologisch progressiven Gemeinschaft „Mission de France“, einer Gemeinschaft von „Arbeiterpriestern“. Er hat als Leiter seines Sekretariates erklärt: „ En France, comme citoyens et comme catholiques, nous avons la responsabilité de permettre que les musulmans puissent vivre leur foi dans le contexte républicain et laïque. Et comme chrétiens, il nous faut toujours faire le premier pas.“ “In Frankreich haben wir als Bürger und als Katholiken die Verantwortung, den Muslims zu erlauben, ihren Glauben im republikanischen und im „laique“ (schwer zu übersetzen: also auf Trennung von Kirche und Staat bedachten Status) Kontext zu leben. Und als Christen müssen wir immer den ersten Schritt tun“.
copyright: christian modehn berlin.

Bat Ye Or, Islamkritikerin und “Quelle” Breiviks, sprach auf katholischem Kongreß

Bat Ye´0r, heftige Islamkritikerin und eine Quelle für das Pamphlet des Massenmörders Breivik, verteidigte ihre Thesen auf katholischem Kongress von „Kirche in Not“ 2010

Bat Ye Or, alias Gisèle Littman, ist heftige Kritikerin des Islam, 1955 in Ägypten geborene Jüdin, Autorin zahlreicher eher polemischer Bücher und Aufsätze über den Dschihad, zudem voller wohlwollenden Verständnisses für den holländischen Rechtspopulisten Geert Wilders. Ihr Denken ist eine der inspirierenden Quellen, auf die sich der norwegische Massenmörder Anders Breivik in seinem mehr als 1.500 Seiten umfassenden Pamphlet beruft.

Interessanterweise hielt Bat Ye Or im Jahr 2010 auf dem Kongress „Treffpunkt Weltkirche“ (Augsburg), veranstaltet von dem römisch – katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“ (gegründet als „Ostpriesterhilfe“ von Pater Werenfried van Straaten, einem engen Freund Papst Johannes Paul II. ) einen Vortrag. Dort wurde sie von Volker Niggewöhner, Mitarbeiter von „Kirche in Not“, als bedeutende Analytikerin der Gesellschaft und Kultur vorgestellt, als eine Wissenschaftlerin, die sich um die Wurzeln Europas Sorge mache und die davor warne, dass Europa angesichts der „Islamisierung“, so wörtlich,“ geistigen Selbstmord begehe…“. Niggewöhners einführenden Worte waren eine Art Lobeshymne auf Bat Ye Or und auf die von ihr beschworene drohende Gefahr durch islamische Überfremdung in Europa. Diese ungeheuerlichen Aussagen kann man noch heute erleben (gehört am Donnerstag 4.8. 2011 um 11.15. http://www.youtube.com/watch?v=SBnvsLd9ngA).
Wir bieten nur einige zentrale Aussagen aus dem eher wirren Vortrag Bat Ye Ors in Augsburg vor dem Kongress „Kirche in Not“ ,2010; dieser Vortrag ist eine Art Melange aus historischen Erinnerungen, religiösen Analysen, leidenschaftlicher Verteidigung Israels und apokalyptischen Visionen:

– „Wir leben heute in einer Zeit des weltweiten Dschihad, das ist das religiöse Streben, die Dominanz des Islam auf die ganze Welt auszubreiten“.

– „Die gesamte Eurasia Politik konzentriert sich darauf, Europa mit der muslimisch – arabischen Welt zu vereinen.“

„Wir leben in einer Zeit des globalen Dschihad, woraus sich morgen ein nuklearer Dschihad entwickeln kann. Und wir wissen es nicht“.

Auch der Topos wird von Bat Ye Or formuliert:
– „Die europäischen Politiker haben Angst vor den Muslims, sie leugnen den Dschihad“….

– „Die Zukunft Europas liegt in ihren Händen.
Sie müssen agieren, um das zu retten, was das Christentum aufgebaut hat.
Wenn sie aber tatenlos bleiben, dann werden sie erfolglos sein.
Die Zeit ist schon mehr als reif“.

Bezeichnenderweise nennt Bat Ye or auch die von Breivik und anderen gern benutzte Idee, heute herrsche in Europa gegenüber “den” Muslims die „appeasement“ Politik. C.M.

In einem Interview mit dem ZDF, gesendet am 3. 8. um 22.45 Uhr („Der eiskalte Mörder…“) , sagte Bat Ye Or exklusiv für das ZDF, sie möchte mit der Tat in Norwegen nicht in Verbindung gebracht werden. Ihrer Meinung nach sei Breivik ein Psychopath.
Wir wollen hier nicht die Debatte eröffnen, ob Autoren ihrerseits mit ihren Äußerungen auf Verbrecher und deren Pamphlete Einfluss haben können.
Wir finden es nur erstaunlich, um nicht zu sagen, eine Schande, dass ein großes internationales katholisches Hilfswerk, das seit 60 Jahren viele Millionen Spenden sammelt zugunsten der katholischen Kirche weltweit, dass solch ein Hilfswerk Autoren wie Frau Bat Ye Or einlädt und eine Dreiviertelstunde sprechen lässt. Wir haben auf der website von „Kirche in Not“ keine Form der kritischen Stellungnahme zu diesen Äußerungen gefunden, und auch keine Entschuldigung, eine Art „geistige Brandtsifterin“ eingeladen zu haben. Im September 2011 soll ein Buch mit den Vorträgen des Kongresses von 2010 erscheinen, man darf abwarten, in welcher Weise der Vortrag von Bat Ye Or abgedruckt wird und mit welchem Kommentar dazu. Wir vermuten, der Vortrag wird darin nicht mehr erscheinen, das schreiben wir am 4. August 2011.
Noch interessanter ist: Der so häufig geäußerte Wille der katholischen Kirche zum interreligiösen Dialog wird durch solche Einladungen eines hoch offiziellen katholischen Hilfswerks eher unglaubwürdig. Pauschalisierende polemische Äußerungen über „den militanten Islam“ sind unhaltbar und liefern verrückten Massenmördern wie Breivik ideologische Verstärkung für ihr „Kreuzrittertum“ .
copyright: religionsphilosophischer-salon berlin am 4. August 2011 um 13. 30

Literaturhinweise zu Büchern von Bat Ye Or:
Europe, Globalization, and the Coming of the Universal Caliphate, to be published September 16, 2011, Fairleigh Dickinson University Press, ISBN 1611474450
Eurabia: The Euro-Arab Axis, 2005, Fairleigh Dickinson University Press, ISBN 0-8386-4077-X
# Islam and Dhimmitude: Where Civilizations Collide, 2001, Fairleigh Dickinson University Press, ISBN 0-8386-3942-9; ISBN 0-8386-3943-7 (with David Littman, translated by Miriam Kochan)
The Decline of Eastern Christianity: From Jihad to Dhimmitude;seventh-twentieth century, 1996, Fairleigh Dickinson University Press, ISBN 0-8386-3678-0; ISBN 0-8386-3688-8 (paperback).

Kritische Stimmen:
– Craig R. Smith in a New York Times article referred to her as one of the “most extreme voices on the new Jewish right.”[36] -Johann Hari, a British journalist, argues that “There are intellectuals on the British right who are propagating a conspiracy theory about Muslims that teeters very close to being a 21st century Protocols of the Elders of Mecca” and that Bat Ye’or is a “scholar” who argues that Europe is on the brink of being transformed into a conquered continent called “Eurabia”.[37]

– Israeli peace activist Adam Keller—a founder of Gush Shalom— in a letter of protest sent on June 2, 2008 to the Israeli publisher of Eurabia: The Euro-Arab Axis, wrote:

In 1886 the French antisemite Edouard Drumont published ‘La France Juive’ (Jewish France), creating the false nightmarish image of a France dominated by Jews, and sowing the poisonous seeds which came to fruit when Vichy French officials collaborated in the mass murder of French Jewry. […] ‘Bat Ye’or’ follows in notorious footsteps indeed by creating the false nightmarish image of a Europe dominated by Arabs and Muslims.[38]

– According to David Aaronovitch:

[Eurabia] is a concept created by a writer called Bat Ye’or who, according to the publicity for her most recent book, “chronicles Arab determination to subdue Europe as a cultural appendage to the Muslim world — and Europe’s willingness to be so subjugated”. This, as students of conspiracy theories will recognise, is the addition of the Sad Dupes thesis to the Enemy Within idea.[39] Diese Zitate stammen aus der englischen Wikipedia Information zu Bat Ye Or. C.M.

Die Abkehr von allen Kreuzzugs – Ideen

Anläßlich der Untaten eines Massenmörders in Norwegen hat der Religionsphilosophische-Salon unmittelbar einen Diskussionsbeitrag publiziert. Heute bieten wir einige weitere kritische Gedanken zu dem Thema:

“Die Kirchen müssen sich offiziell von allen Kreuzzugs – Ideologien lösen und sich öffentlich von ihnen abkehren”

Der Mittelalter Historiker, Prof. Gerd Althoff, Münster, hat sich in einem Beitrag für die „Berliner Zeitung“ (1.August 2011, S. 27) mit dem Weltbild des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik auseinandergesetzt. Prof. Althoff weist darauf hin, dass Breivik durchaus mit dem Gedankengut der Templer vertraut gewesen sein kann, „dass er irgendwelche Vorstellungen von der Ideologie der Kreuzfahrer hatte“, schreibt Althoff. Wenn das so ist, dann gab es nach wie vor christlich inspirierte militante Impulse, die zum Massenmord geführt haben. Mit anderen Worten: Dann gibt es noch – auf welche diffuse Weise auch immer – Inspirationen zur tötenden Gewalt, die aus dem Christentum selbst stammen.
Die heute übliche Unterstellung, einzig „der Islam“ sei gewalttätig, ist also falsch. Prof. Althoff fragt: „Haben wir im Westen genügend Sorgfalt aufgewendet, das Kapitel unserer Vergangenheit, das von religiös legitimierter Gewalt handelt, als das zu bezeichnen, was es war: ein Irrweg, der die wesentlichen Gebote des Christentums missachtete? Es ist aus heutiger Sicht ein Skandal, wenn man liest, dass die Päpste den Kreuzfahrern die Erlaubnis gaben, Ungläubige zu töten. Papst Urban II. (1088 – 1099) hatte in seinen Predigten den Rachepsalm 79 in den Mittelpunkt gestellt“.
„Die Verantwortung der Päpste für die legitimierenden Grundlagen der Gewaltanwendung ist nie herausgearbeitet worden…Für das Töten im Dienste und im Auftrag der Kirche stellten die Päpste Belohnung in Aussicht, die die Aufnahme in den Himmel ermöglichten“. Nebenbei: Ähnelt diese Ideologie nicht stark einer bestimmten fundamentalistischen Ideologie heute in sogen. muslimischen Kreisen?

Prof. Althoff bemerkt, es habe in der Forschung wie auch in der Lehre der Kirche daran gefehlt, die erschreckenden Seiten kirchlich legitimierter Gewaltanwendung kritisch zu bearbeiten. „Hat sich die römisch – katholische Kirche wie die westliche Traditionskritik im allgemeinen intensiv darum gekümmert, dieses problematische Erbe zu analysieren und dann abzulehnen? Oder hat man nicht vielmehr durch Untätigkeit Raum gelassen für eine Legitimierung und Heiligung von Gewalt, in der Gott angeblich auf einer Seite stand?“

Selbst wenn heute das konkrete Wissen über Kreuzfahrer und die Segnung der Gewalt durch die Kirche nicht ausgeprägt ist: Die Ahnung, dass es religiös/ christlich legitimierte tötende Gewalt geben kann, ist schlimm genug. Die gewalttätige Subkultur in Europa zehrt offenbar von diesen Legitimierungen der Gewalt, wenn sie etwa zum „Kampf der Kulturen“ aufruft.
Im Blick auf künftige interreligiöse Begegnungen in München oder in Assisi im Herbst 2011 wäre es angebracht, nicht bloß fromme Worte aus diplomatischer Höflichkeit auszutauschen oder gar bloß versunken gemeinsam zu schweigen, wie es der Papst für Assisi vorschlägt. Dringend geboten wäre das päpstliche Bekenntnis: „Wir lehnen alle irgendwie christlich motivierte Gewalt ab! Wir betonen: Auch der Katholizismus ist ab sofort einzig der Gewaltfreiheit verpflichtet. Wir bedauern zutiefst die Verirrungen, die im Mittelalter Päpste begangen, als sie Gewalttäter segneten“.
Damit würde sich der Katholizismus entschieden auf die Seite der Menschenrechte stellen und damit ausdrücken: Menschenrechte, also Demokratie und Respekt, gelten immer und überall; sie sind grundlegend wichtiger als religiöse Gebote aus einzelnen kirchlichen Traditionen.

Ein Weg in die Heiterkeit? Beim Lesen des “Feldweg” von Martin Heidegger

Ein Weg in die Heiterkeit?
Beim Lesen von „Der Feldweg“ von Martin Heidegger

Am 26. Juli 2011 haben wir in unserem „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon“ den wohl kürzesten Text Martin Heideggers „Der Feldweg“ gelesen und interpretiert, unterstützt und beraten von dem Heidegger Spezialisten Michael Braun, Berlin.

Ein Teilnehmer schickt uns einige persönlichen Beobachtungen und Reflexionen.

„Der Feldweg“ (1948 geschrieben) weckt den Eindruck, als würde er sich in einer leichten, schnell zugänglichen Lektüre erschließen.
Tatsächlich nimmt Heidegger in einfachen Worten den Leser mit auf seinen seit Jugendzeiten vertrauten Spaziergang gleich hinter dem Schloss von Messkirch.

Einzelne Worte erscheinen merk – würdig: „der Feldweg half“, eine „hohe Eiche grüßt“: Die Natur wird nicht als fremdes Gegenüber erlebt, sie steht im Gespräch mit dem nachdenklichen Menschen. Natur und Mensch können noch „kommunizieren“.

Es ist ein „karges Land“, durch den der Feldweg führt. Ist diese Kargheit bereits Metapher für das karge Leben insgesamt? Heidegger spricht später, in den Holzwegen“, von der „dürftigen Zeit“ der Seins – Vergessenheit.

Welche Worte in dem Text gelten unmittelbar als solche in einem noch vordergründigen Verständnis, welche müssen „tiefer“ verstanden werden?

Kann man einer ersten, „schlichen“ Lektüre vertrauen? Dann erzeugt die meditierende Lektüre des Feldweges eine gewisse Geborgenheit, eine Sehnsucht nach Verwurzelung, einen Wunsch, wesentlich zu leben, achtsam zu sein auf die Natur, den Wechsel der Jahreszeiten, die Erinnerung zu pflegen, den göttlichen Gott zu suchen (von ihm spricht Heidegger im Verweis auf Meister Eckart).

Darüber hinaus wird der Leser in tiefere, zum Teil schockierende Fragen „geschleudert“: Heidegger spricht von Wanderungen, auf denen „alle Ufer zurückbleiben“. Oder: „Wachsen heißt, der Weite des Himmels sich öffnen und zugleich in das Dunkel der Erde wurzeln“. In einer Heimat verwurzelt sein, d.h. die konkrete Endlichkeit in einem zugewiesenen Lebensraum annehmen, UND: in die Weite des Himmels sich öffnen, also eine eigene Form des Transzendierens über alles Begrenzte leben.

In dieser Verbundenheit mit Immanenz und Transzendenz wird das „Einfache“ erlebt. Da stellt sich besinnliches Denken ein, wird die Herrschaft des Rechnens und Verfügens und Machens unterbrochen. In der technischen Welt, so Heidegger, denken die Menschen, der Lärm der Apparate sei die „Stimme Gottes“. Die Technik, absolut genommen, kann das Göttliche ersetzen und verdrängen.

Auf den Feldweg wird der Denkende befreit von den Üblichkeiten der herrschenden Kultur. Das Gehen auf diesem eher unspektakulären Weg kann eine letzte Heiterkeit fördern. „Die wissende Heiterkeit ist ein Tor zum Ewigen“. Das heißt: Dieser philosophische Text ist keine „abstrakte Abhandlung“, viele Menschen halten ja Philosophie irrtümlich für „abstrakte Abhandlungen“. Nein: „Der Feldweg“ erschließt Lebensmöglichkeiten, er IST Philosophie für ein „besseres“, eigentliches Leben. Und dieses Leben ist voller Fraglichkeit, die ausgehalten werden soll: „Spricht die Seele? Spricht die Welt? Spricht Gott?“. Danach zu fragen und zu suchen ALS Dasein ist, wenn man so will, der Auftrag des Feldweges als des Daseins – Weges. Philosophieren kann also eine Lebenshaltung sein, daran lag ja den antiken und spätantiken Philosophen sehr viel.

Wir empfehlen anschließend an den „Feldweg“ den Vortrag „Gelassenheit“ ( 1955) zu lesen, auch dieser Text ist als Einzelausgabe preiswert im Neske Verlag erschienen.
copyright: christian modehn, berlin.

10 Jahre “Homoehe” in Deutschland: Über Freunde Gottes, Feinde des Respekts und den Aufruf zur Ausgrenzung

10 Jahre so genannte Homoehe in Deutschland:
Über die Freunde Gottes, die Feinde des Respekts und den Aufruf zur Ausgrenzung.

Seit 10 Jahren, seit dem 1. August 2001, gibt es in Deutschland die so genannte Homoehe. Wir haben im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon schon mehrfach auf das Thema „Homosexualität und Religion/Katholizismus“ hingewiesen. Religionskritik ist nun einmal ein Schwerpunkt religionsphilosophischer Arbeit.
Wir haben in einem eigenen Beitrag etwa daran erinnert, dass die katholische Kirche gern und offenbar ohne theologische Probleme weltweit Autos segnet und Tiere segnet, selbstverständlich auch Wohnungen und Objekte, wie eine Orgel, von Waffensegnungen (einst?) ganz zu schweigen, nicht aber homosexuell lebende/liebende Menschen. Einmal abgesehen von der Frage, ob es überhaupt noch einige Katholiken geben sollte, die ihre Liebe in einem katholischen Rahmen segnen lassen wollen: Dieser Zustand: Autosegnung JA, Segnung von homosexuellen Paaren NEIN, ist eine Diskriminierung, damit werden de facto und ohne große Worte Homosexuelle zu Menschen zweiter Klasse gemacht, d.h. sie sind „nicht des Segens Gottes würdig“. Ein paar Hunde sind es durchaus in Tiersegnungen…
Wir haben schon früher aus der großen Fülle amtlicher Äußerungen der römischen Kirche gegen homosexuell Liebende/Lebende Menschen nur einige besonders merkwürdige (!) Äußerungen dokumentiert, etwa in unserem Beitrag im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon: „Homosexuelle kommen nicht in den Himmel“.

Nun also 10 Jahre so genannte Homoehe in Deutschland.
Nur ein paar Hinweise: Auf das Wort „so genannte“ Homoehe kommt alles an, denn tatsächlich haben heterosexuelle Eheleute immer noch mehr Rechte.

Tatsächlich hat das Gesetz zur „Lebenspartnerschaft registrierter Homosexueller“ einige Schritte in Richtung vollständiger Gleichberechtigung gebracht, etwa im Bereich von Finanzen und Erbrecht.

Es ist jedoch eindeutig, dass eine wirkliche Homo – Ehe, wie sie etwa in den Niederlanden oder in Spanien besteht, durch konservative Kräfte, der CDU und der katholischen Kirchenführung, verhindert wurde und verhindert wird. Indem man homosexuellen Menschen die Möglichkeit nimmt, Kinder in ihrer Homo Familie großzuziehen, werden sie, ohne dass man es noch ausdrücklich sagt, zu Menschen zweiter Klasse gemacht.
Dabei zeigen Studien eindeutig, dass Kinder in so genannten Homoehen nicht mehr “beeinträchtigt” aufwachsen als Kinder in Heteroehen. Aber diese Tatsachen wollen konservative Kreise nicht sehen.

10 Jahre so genannte Homoehe in Deutschland hat also den Respekt vor den „anderen“ nicht gerade gefördert. Bestenfalls kann von einer müden Toleranz, fast im Sinne von Gleichgültigkeit, die Rede sein. Die großen CSD Termine sind ja oft ins Karnevaleske abgedriftet, da werden Kostümierte beguckt und begafft wie wundersame Tierchen im Zoo…Schwieriger ist es, wenn sich Homosexuelle in ihrer Arbeitsstelle outen.
Interessant ist weiterhin, dass bisher nur ca. 20.000 homosexuelle Frauen und Männer die Registrierung ihrer Lebenspartnerschaft vollzogen haben. Offenbar sind viele Homosexuelle der Meinung, dass sie einem klassischen, nun einmal heterosexuell geprägten Ehe- Ideal nach außen hin nicht entsprechen wollen.

Mit der rechtlichen Verbesserung vor 10 Jahren wurden die Mentalitäten der heterosexuellen Mehrheit nicht besser. Vorurteile, Ablehnung und Hass gibt es immer noch. Die Gewalt gegen schwule Männer hat zugenommen, selbst in liberalen Städten wie in Berlin…

Was uns im religionsphilosophischen Salon besonders interessiert: Es gibt immer gesellschaftlich relevante und durchaus öffentlich noch respektierte Kräfte, die mit ihren Äußerungen dafür sorgen, dass Respekt gar nicht erst aufkommen kann. Wir denken an die immer wiederholten Sätze katholischer Bischöfe auch in jüngster Zeit, Homosexualitität sei abartig und der einzelne homosexuell lebende und deswegen auch selbstverständlich homosexuell liebende Mensch sei ein Sünder. Leitlinie auch der deutschen Bischöfe ist (darin sind sie treue Repetitoren vatikanischer Lehre) der Satz: „Homosexuelle Handlungen sind auf keinen Fall zu billigen“, so heißt es im immer noch gültigen Katechismus der Katholischen Kirche, veröffentlicht im Jahr 1993. Das Zitat steht im § 2357 dieses Katechismus. Was heißt „homosexuelle Handlungen sind in keinem Fall (!) zu billigen“? Sollen diese Handlungen und also diese so Handelnden verfolgt, bestraft, ausgegrenzt, attackiert werden? Werden vielleicht Menschen aufgerufen, ihre Nichtbilligung auch gewaltsam auszudrücken? Bestimmte katholische Kreise, etwa in Polen oder orthodoxe Kreise in Russland, tun das ja. Und in einigen lateinamerikanischen Ländern, wie der Dominikanischen Republik, haben Kirchenfürsten, wie der Kardinal Lopez Rodriguez, so viel Einfluss, etwa für die Schließung von gay bars in Santo Domingo zu sorgen oder kritische schwule Journalisten abzusetzen…(siehe etwa: Clave Digital, Lunes, 19 de junio 2006) „Für Kardinal Lopez Rodriguez ist Homosexualität eine Epidemie, die die moralische Basis der Gesellschaft zerstört“. Diese Beispiele könnten endlos verlängert werden, man müsste Afrika oder die Philippinen heranziehen usw. In 80 Ländern werden Homosexuelle heute noch beeinträchtigt, verfolgt, getötet (wie im Iran).

Wenn katholische Bischöfe im aufgeklärten (?) Deutschland sagen, wie Bischof Franz – Josef Overbeck, Essen, (in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 30. 7. 2011, Seite 8): “Praktizierte Homosexualität ist nach Überzeugung der katholischen Kirche objektiv sündhaft“, dann steckt in dieser Aussage doch die Aufforderung, diese objektiv Sündigen wieder auf den angeblich richtigen Weg zu bringen, etwa durch „Umpolung“ oder durch physische und psychische Einschüchterung. Solche Äußerungen eines Bischofs bergen ein Gewaltpotential in sich, selbst wenn Bischof Overbeck in einem Nebensatz sagt: „auch wenn homosexuellen Menschen mit Achtung zu begegnen ist“.
Mit Achtung begegnen – solche pastoralen Formulierungen finden sich übrigens in katholisch – theologischen Büchern, die vom Umgang mit Schwerverbrechern handeln…
Tatsächlich muss man das ganze Umfeld dieser zumindest indirekt gewalttätigen Ideologie weiter ausleuchten, etwa wenn Sodomie (ein anderes Wort für Homosexualität im Katechismus) als „himmelschreiende Sünde“ (im § 1867) tituliert und im gleichen Paragraphen auf eine Stufe mit dem Mord Kains an Abel gestellt wird!
Man muss nur im Katechismus einmal hin und her, sozusagen quer lesen, um sehr befremdlich erscheinende Verbindungen zu sehen. Zum Beispiel: Inkonsequent ist es auch für gebildete Theologen, wenn im Katechismus in § 2358 gesagt wird: „Homosexuelle Menschen haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt“. Wie kann aber etwas nicht selbst Gewähltes, also „Zugewiesenes, Verfügtes”, also eine nicht der Freiheit des einzelnen überlassene “Struktur“, wie kann es da noch Sünde geben? Wie kann jemand, der nicht anders leben und lieben kann (!), dann noch ein Sünder sein? Im klassischen katholischen Sündenbegriff gehört wesentlich FREIHEIT zur sündigen Tat. So ist der Katechismus selbst also inkonsequent und unsicher in der eigenen Einschätzung. Ist das etwa ein Lichtblick?
Man könnte natürlich fragen: Gibt es denn keine dringenderen Themen? Das Hungersterben jetzt am Horn von Afrika ist sicher aktuell dringender; von der „Bevölkerungsexplosion“ und der Geburtenregelung ganz abgesehen oder dem Waffenhandel oder der Gier der Finanzmärkte…
ABER: Beim Thema „Respekt und völlige Gleichberechtigung von Homosexuellen weltweit“ geht es um die menschliche Kultur, um die vollständige Achtung von Menschen, die nicht der herrschenden Mehrheit entsprechen, aber Anspruch auf volle Gleichberechtigung haben. Am Thema „Respekt für Homosexuelle“ zeigt sich auch das ethische Niveau einer Gesellschaft, zeigt sich auch das ethische Niveau einer Kirche.

copyright:christian modehn, berlin.