Ein Weg in die Heiterkeit? Beim Lesen des “Feldweg” von Martin Heidegger

Ein Weg in die Heiterkeit?
Beim Lesen von „Der Feldweg“ von Martin Heidegger

Am 26. Juli 2011 haben wir in unserem „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon“ den wohl kürzesten Text Martin Heideggers „Der Feldweg“ gelesen und interpretiert, unterstützt und beraten von dem Heidegger Spezialisten Michael Braun, Berlin.

Ein Teilnehmer schickt uns einige persönlichen Beobachtungen und Reflexionen.

„Der Feldweg“ (1948 geschrieben) weckt den Eindruck, als würde er sich in einer leichten, schnell zugänglichen Lektüre erschließen.
Tatsächlich nimmt Heidegger in einfachen Worten den Leser mit auf seinen seit Jugendzeiten vertrauten Spaziergang gleich hinter dem Schloss von Messkirch.

Einzelne Worte erscheinen merk – würdig: „der Feldweg half“, eine „hohe Eiche grüßt“: Die Natur wird nicht als fremdes Gegenüber erlebt, sie steht im Gespräch mit dem nachdenklichen Menschen. Natur und Mensch können noch „kommunizieren“.

Es ist ein „karges Land“, durch den der Feldweg führt. Ist diese Kargheit bereits Metapher für das karge Leben insgesamt? Heidegger spricht später, in den Holzwegen“, von der „dürftigen Zeit“ der Seins – Vergessenheit.

Welche Worte in dem Text gelten unmittelbar als solche in einem noch vordergründigen Verständnis, welche müssen „tiefer“ verstanden werden?

Kann man einer ersten, „schlichen“ Lektüre vertrauen? Dann erzeugt die meditierende Lektüre des Feldweges eine gewisse Geborgenheit, eine Sehnsucht nach Verwurzelung, einen Wunsch, wesentlich zu leben, achtsam zu sein auf die Natur, den Wechsel der Jahreszeiten, die Erinnerung zu pflegen, den göttlichen Gott zu suchen (von ihm spricht Heidegger im Verweis auf Meister Eckart).

Darüber hinaus wird der Leser in tiefere, zum Teil schockierende Fragen „geschleudert“: Heidegger spricht von Wanderungen, auf denen „alle Ufer zurückbleiben“. Oder: „Wachsen heißt, der Weite des Himmels sich öffnen und zugleich in das Dunkel der Erde wurzeln“. In einer Heimat verwurzelt sein, d.h. die konkrete Endlichkeit in einem zugewiesenen Lebensraum annehmen, UND: in die Weite des Himmels sich öffnen, also eine eigene Form des Transzendierens über alles Begrenzte leben.

In dieser Verbundenheit mit Immanenz und Transzendenz wird das „Einfache“ erlebt. Da stellt sich besinnliches Denken ein, wird die Herrschaft des Rechnens und Verfügens und Machens unterbrochen. In der technischen Welt, so Heidegger, denken die Menschen, der Lärm der Apparate sei die „Stimme Gottes“. Die Technik, absolut genommen, kann das Göttliche ersetzen und verdrängen.

Auf den Feldweg wird der Denkende befreit von den Üblichkeiten der herrschenden Kultur. Das Gehen auf diesem eher unspektakulären Weg kann eine letzte Heiterkeit fördern. „Die wissende Heiterkeit ist ein Tor zum Ewigen“. Das heißt: Dieser philosophische Text ist keine „abstrakte Abhandlung“, viele Menschen halten ja Philosophie irrtümlich für „abstrakte Abhandlungen“. Nein: „Der Feldweg“ erschließt Lebensmöglichkeiten, er IST Philosophie für ein „besseres“, eigentliches Leben. Und dieses Leben ist voller Fraglichkeit, die ausgehalten werden soll: „Spricht die Seele? Spricht die Welt? Spricht Gott?“. Danach zu fragen und zu suchen ALS Dasein ist, wenn man so will, der Auftrag des Feldweges als des Daseins – Weges. Philosophieren kann also eine Lebenshaltung sein, daran lag ja den antiken und spätantiken Philosophen sehr viel.

Wir empfehlen anschließend an den „Feldweg“ den Vortrag „Gelassenheit“ ( 1955) zu lesen, auch dieser Text ist als Einzelausgabe preiswert im Neske Verlag erschienen.
copyright: christian modehn, berlin.

Heidegger und die Gelassenheit

Eine RADIO SENDUNG IM KULTURRADIO DES RBB am 7. Juni 2009

„Gelassenheit führt uns ins Offene“
Gespräche am Feldweg des Philosophen Martin Heidegger
Von Christian Modehn

1.SPR.: Berichterstatter
2.SPR.: Zitator Heidegger

1. musikal. Zusp. freistehend 0 04“.

2. O TON, 0 11“.
Also für mich ist die Gelassenheit der mystische Weg, indem man alles lässt, loslässt, was Abhängigkeit hervorbringt.

3. O TON,
Die Gelassenheit zu den Dingen und die Offenheit für das Geheimnis fallen uns niemals von selber zu. Beide gedeihen nur aus einem unablässigen herzhaften Denken.

4. O TON,
Heidegger hat versucht, sich vorzustellen, wie das Göttliche oder ein Gott jenseits religiöser Dogmen erfahren werden kann.

1. musikal. Zusp. 0 04“ wieder freistehend, dann wieder herunterziehen:

TITEL
„Gelassenheit führt uns ins Offene“
Gespräche am Feldweg des Philosophen Martin Heidegger
Von Christian Modehn

5. O TON, bleibt 006“ freistehend.

Glockenspiel der St. Martinskirche in Meßkirch. dann langsam ausblenden.

1. SPR.:
Pünktlich zum Glockenspiel der Sankt Martins Kirche in Meßkirch haben sie sich versammelt: Zwei Philosophen, ein Theologe und ein Mönch. Martin Heidegger, der weltweit bekannte „Meister Denker“, hat sie in seine badische Heimat eingeladen und diesen Treffpunkt ausgewählt: Hier, am „Kirchplatz“, im Mesnerhaus, wurde er 1889 geboren. Als Jugendlicher hat er die Glocken geläutet und in der Messe als Ministrant gedient. An der Kirche vorbei und über den weiten Platz des benachbarten Renaissanceschlosses hinweg ist er immer wieder zu Spaziergängen aufgebrochen. Seiner Heimat blieb Martin Heidegger bis zu seinem Tod im Jahr 1976 eng verbunden.

5. O TON, noch einmal 0 05“ freistehend..

1.SPR.:
Bevor sie zum philosophischen Spaziergang auf dem „Feldweg“ aufbrechen, empfiehlt der Gastgeber, zuerst einen grünen Tee zu genießen. Zur Inspiration. Schließlich habe er als europäischer Philosoph großen Respekt vor der meditativen Praxis asiatischer Kulturen: Die Japaner und auch Chinesen pflegen zum Beispiel beim Teetrinken die Achtsamkeit und Gelassenheit, erzählt Heidegger, als die Gruppe im „Schlosscafé“, der Kirche gegenüber, Platz nimmt.

25. O TON, ATMO, Café.

1.SPR.:
Bei diesem „himmlischen Getränk“ sammelt sich das Denken, lehren die Meister der klassischen Tee- Zeremonie: Der Geist wird wach, die Vernunft öffnet sich, weitet sich in die Transzendenz,  wichtige Voraussetzungen, um Heideggers anspruchsvolles Denken zu verstehen. Er hat immer versucht, Sympathien  für grundlegend – allgemeines Denken zu wecken. Abstrakte philosophische Begriffe sind für ihn  keine intellektuelle Spielerei. Sie tragen vielmehr zur Orientierung im Leben bei. Wer sollte denn die Frage nach dem Sinn des Lebens oder nach der Wirklichkeit des Göttlichen beantworten können, wenn nicht die Philosophie? Heidegger nennt alle Wirklichkeiten der Welt, Menschen wie Dinge,  „Seiendes“. Alles „Seiende“ wird vom „Sein“, also wie von einer unsichtbaren Energie, am Leben erhalten. „Sein“  ist die geistige Ursprungskraft. Ihr gilt das gesamte Denken Heideggers.  So verwundert es die Teerunde im Meßkircher Schlosscafé nicht, dass er das Gespräch mit seinem bevorzugten Thema  eröffnet:

6.O TON, ca. 0 43“.  ATMO vom Café leise runterlegen.
Das Auszeichnende des Menschen beruht darin, dass er als das denkende Wesen auf das Sein bezogen bleibt und ihm so entspricht. Der Mensch ist eigentlich dieser Bezug der Entsprechung. Im Menschen waltet ein Gehören zum Sein.
Mensch und Sein sind einander übereignet, sie gehören einander.

1. SPR.:
Der Mensch ist mit dem Sein, dem Unsichtbar – Wirkenden, verbunden. Er gehört zum Sein, vermag dessen „Stimme“ zu vernehmen. Das Sein ist so umgreifend und alles begründend, dass es über die Macht des Menschen hinausreicht, es hat geradezu einen unbedingten Charakter. Vom Sein her will Heidegger auf Transzendenz und Göttliches hin denken. Darauf weist der Philosoph Holger Zaborowski hin:

7. O TON, 0 43“.

Heidegger selbst ist ja geprägt von einer bestimmten Form von Religiosität, die versucht hat, Gott in ein System des Denkens einzuholen. Und das schreibt Heidegger auch 1919 schon in einem Brief an einen Freund, dass er mit dem System des Katholizismus brechen würde, dass er mit dem System des Katholizismus nichts mehr zu tun habe. Was er da zum Ausdruck bringt ist, dass ein geschlossenes System des Denkens, in dem man gemeint hat, man könne mit dem menschlichen Denken Gott in den Griff bekommen, ihm nichts mehr sagt. Was er dann gemacht hat? Er sagt in demselben Brief auch, dass für ihn das Christentum weiter wichtig ist, aber in einem neuen Sinne. Er hat versucht zu verstehen, wie denn dann eigentlich von Gott gesprochen werden kann.

1.SPR.:
„Eigentlich“ von Gott reden: Heidegger kann nur dankbar lächeln, dass man ihn in dieser Runde so gut versteht: Wie oft  hat er protestiert, wenn „uneigentlich“, nämlich unangemessen, vom Göttlichen gesprochen wurde. Beinahe naiv stellten selbst die berühmtesten Künstler den Ewigen und Unnennbaren als alten Mann mit Bart auf hohem Himmelsthron sitzend dar. Und der Heilige Geist, jene unanschauliche, gar nicht materielle Wirklichkeit, wurde im Symbol der Taube wie eine greifbare Realität vorgeführt. Auf diese Weise wird Göttliches zu etwas Bildhaftem, Weltlichem und somit für den Menschen verfügbar. Wer in diesen Kategorien denkt, verfällt der Herrschaft des heute üblichen „technischen Denkens“, meint Heidegger. Und so will er gleich in seiner eindringlichen, manchmal schroff und hart erscheinenden Sprechweise seine philosophische Kritik verdeutlichen:

8. O TON, 0 27“.
Jetzt erscheint die Welt wie ein Gegenstand, auf den das rechnende Denken seine Angriffe ansetzt, denen nichts mehr soll widerstehen können. Die Natur wird zu einer einzigen riesenhaften Tankstelle, zur Energiequelle für die moderne Technik und Industrie. Welche große Gefahr zöge dann herauf? Dann ginge mit dem höchsten und erfolgreichsten Scharfsinn des rechnenden Planens und Erfindens die Gleichgültigkeit gegen das Nachdenken zusammen.
Dann hätte der Mensch sein Eigenstes, dass er nämlich ein nachdenkendes Wesen ist, verleugnet und weggeworfen.

1. SPR.:
Beim Spaziergang will Heidegger seine Gäste einladen, darüber nachzudenken, wie denn ein „anderes“ Denken möglich ist, also ein friedliches, sanftes Denken, das nicht egozentrisch herrschen will und den „göttlichen Gott“ erfahren lässt.

10. O TON, Glockenschlag, 0 08“ freistehend

1. SPR.:
Heidegger führt seine Gäste durch das Hofgartentor auf seinen liebsten Weg, den Feldweg. Im Gehen, im Unterwegssein, stellen sich die besten Gedanken ein.

26. O TON,  Feldweg. 0 04“ freistehend, runterlegen.

1.SPR.:
Gleich hinter dem Tor  gibt Heidegger, wie immer ernst und gesammelt,  seinen Gästen eine „Weisung“, wie er so gern sagt:

9. O TON, 0 30“
Wird aber das besinnliche Denken wach, dann muss das Nachdenken unablässig am Werk sein und bei der unscheinbarsten Gelegenheit. Das besinnliche Denken verlangt von uns, dass wir nicht einseitig an einer Vorstellung hängen bleiben, dass wir nicht eingleisig in einer Vorstellungsrichtung weiter rennen.

26. O TON, Feldweg
0 04“ freistehend, runterlegen

1. SPR.:
Der Feldweg führt mit sanften Steigungen an Wiesen vorbei zum „Ehnried“. Im Schatten der Linden stehen schlichte Holzbänke. Sie laden zum Verweilen ein;  so wird das Leben langsamer, ruhiger. In der Stille hier hat Heidegger seine kleine philosophische Meditation mit dem Titel „Der Feldweg“ geschrieben,  darin heißt es:

2. SPR.:
Wachsen heißt, der Weite des Himmels sich öffnen und zugleich in das Dunkel der Erde wurzeln…Der Zuspruch des Feldweges erweckt einen Sinn, der das Freie liebt und auch die Trübsal noch überspringt in eine letzte Heiterkeit. So wird dem Unfug des Nur – Arbeitens gewehrt, der allein das Nichtige fördert.

26.O TON,  ist ausgeblendet!

1.SPR.:
Die Natur ist für Heidegger eine bergende Kraft. Wer ihr immer wiederkehrendes Blühen und Welken und Absterben erlebt, wer sich selbst in das Werden und Vergehen einbezieht, gelangt zur Gelassenheit, zur heiteren Annahme des Lebens. Aufgeregtheit und Stress verschwinden, ein seelisches Gleichgewicht stellt sich ein, wenn deutlich wird:  Natur und Welt werden von dem gründenden, aber  unsichtbaren Sein belebt. Diese philosophische Erfahrung ist für Heidegger entscheidend. Es ist die Verbindung mit der alles ermöglichenden Urkraft; in Formeln oder Definitionen kann man sie nicht griffig zur Hand haben. Deswegen ist für Heidegger das „Sein“ nicht ein irgendwann einmal zu lösendes „Rätsel“, sondern ein bleibendes „Geheimnis“:

11. O TON , 0 26“.

Die Gelassenheit zu den Dingen und die Offenheit für das Geheimnis gehören zusammen. Sie gewähren uns die Möglichkeit, uns auf eine ganz andere Weise in der Welt aufzuhalten. Sie versprechen uns einen neuen Grund und Boden, auf dem wir stehen und bestehen können.

12.O TON, musikal. Intermezzo, bleibt ca. 0 07“ freistehen.

1. SPR.:
Martin Heideggers Plädoyer für die Gelassenheit findet unter seinen Freunden einhellige Zustimmung. Die Gruppe hat auf  den Bänken Platz genommen. Ein Mönch will das Thema vertiefen. Bruder Johannes Kirschner leitet in Berlin – Schöneberg das Kloster „Meister Eckhart“:

13. O TON 0 35“.
Es geht um das Loslassen von Anhaftungen und Gewohnheiten letzten Endes, also einmal an diese ganz praktischen Dinge des Lebensalltags. Dass ich glaube, ich muss jetzt unbedingt das haben oder jetzt brauche ich ein Glas Wasser oder jetzt brauche ich die Zigarette oder das neue Auto. In dem Moment, wo ich mich abhängig mache von diesen Dingen, dann wird es negativ, weil ich dann nicht mehr innerlich frei bin für alle Inspirationen oder Gaben oder Erfahrungen, die ich machen kann.

1. SPR.:
Gelassenheit ist nicht eine beliebige Tugend neben anderen. Sie ist viel mehr als der kühle Kopf, den man gelegentlich in hektischen Situation bewahren muss. Gelassenheit sollte den Menschen ständig auszeichnen, meint der Bruder Johannes:

14. O TON, 0 54“
Es ist ein Übungsweg. Und es gibt verschiedene Formen der Übung, sei es die Meditation, sei es die Tätigkeit oder auch die geistige Auseinandersetzung mit diesem Thema, dass wir es einüben, tagtäglich, jeder in seiner Art, wie er veranlagt ist. Für mich ist der Karma Yoga Weg ganz wichtig, der Weg der Tätigkeit, indem man sich ganz der Tätigkeit hingibt. Und das ist eine Übung. Die meisten hören nebenbei Radio, wenn sie Küchenarbeiten machen oder sie unterhalten sich mit anderen. Oder wenn wir Tätigkeiten machen und allein sind, haben wir ständig Gedanken im Kopf. Und die Übung besteht darin, diese Gedanken loszulassen und sich ganz der Tätigkeit hinzugeben und mich mit dieser Tätigkeit zu vereinen und dann komme ich in die innere Leerheit, die mich dann freimacht.

15. O TON, 0 06“ Musikal. Intermezzo.

1.SPR.:
Martin Heidegger schaut in die Runde: Er ist dankbar, dass ein Mönch Gelassenheit als praktischen Übungsweg beschreibt. Er selbst als Philosoph kann im Nachdenken vor allem in die Richtung eines gelassenen, freien Daseins weisen. Und immer wieder hat er dabei auch an chinesische und japanische Denker erinnert, die aus der Kultur der Stille für die praktizierte Gelassenheit eintreten. Unter seinen Gästen ist auch ein Spezialist für asiatische Philosophien. Luis Gutheinz lebt als Jesuit in Taiwan. Er befasst sich seit vielen Jahren mit  Lao Tse und dessen Weisheitslehre im Buch „Tao Te King“: Diese Weisheitssprüche aus dem 5. Jahrhundert vor Christus inspirieren auf dem Weg zur Gelassenheit, meint er:

16. O TON, 1 27“
“Es sind eher Fingerzeige zu einem Lebensgeheimnis. Hinweise, wie wir ganzheitlicher, ehrlicher, wesentlicher werden könnten. Dadurch, dass wir das Allzugeschäftigsein, das Krampfen, all dieses übertriebene Bemühen, dass wir all das noch einmal fallen lassen und den Mut haben, näher an dem Rhythmus des Geschehenlassens herankommen, der Leere, des Hohlraumwerdens”.
Wenn man Tao Te King liest und sich hinein nehmen lässt in seine Bewegung,
dann wird der Tod, das Sterben, je länger, je mehr, so paradox es klingen mag, ein wichtiges Element des Lebens. Sterben ist nicht denkbar ohne Leben, Tod gehört wesentlich zu vollerem Leben. Und glücklich ist jene Person zu preisen, die das heute schon lernt. Tod hat seine negative Seite, die schmerzt. Und dennoch: Der Tod ist im Letzten nicht dieses Negative. Sondern daß das Letzte im Tod immer noch einmal volleres Leben ist.

17. O TON, Musikal. Intermezzo, ca. 0 07“ freistehend.

1.SPR.:
Martin Heidegger kann der Weisheitslehre  des „Tao te King“  nur zustimmen: Ohne die Annahme des Todes mitten im Leben kann es keine Gelassenheit geben. Wird der Tod verdrängt, ist das Leben von ständigen Ängsten bestimmt. Es ist ohne Ruhe, ohne inneres Gleichgewicht.
Die philosophierenden Spaziergänger erleben auf dem Feldweg, wie fern-östliche Philosophie und europäisches Denken ähnliche Einsichten aussprechen. Aber für Heidegger öffnet die Gelassenheit als praktische Lebenshaltung auch einen religiösen Horizont. Sie ermöglicht eine neue Gotteserfahrung. Daran hat Heidegger schon in seiner philosophischen Meditation „Der Feldweg“  erinnert:

2. SPR.:
Das Einfache der Natur verwahrt das Rätsel des Bleibenden und des Großen. Im Unscheinbaren des immer Selben verbirgt es seinen Segen. Die Weite aller gewachsenen Dinge, die um den Feldweg verweilen, spendet Welt. Im Unausgesprochenen ihrer Sprache ist, wie der alte Lese- und Lebemeister Eckhart sagt, Gott erst Gott.

1. SPR.:
Martin Heidegger bezieht sich auf einen seiner Vorläufer, den  Philosophen Meister Eckart. Er lebte als Dominikanermönch in Erfurt und Köln im Übergang vom 13. zum 14. Jahrhundert. Auch er philosophierte über das Wort Gelassenheit und interessierte sich für die darin enthaltenen Begriffe wie „Lassen“ und „Loslassen“, „Sich befreien“ und „Aufgeben“. Bruder Johannes Kirschner aus Berlin meldet sich zu Wort und beschreibt, wie der Patron seines Klosters sogar noch die Gelassenheit gegenüber Gott pflegte:

18.O TON, 0 47“.
Meister Eckart sagt ja, wenn du glaubst, du hast Gott erkannt, dann hast du irgendjemanden erkannt, aber nicht Gott. Also Gott gefunden, kann ja nur heißen, ich habe Vorstellungen und Bilder von Gott gefunden, die Bilder von Gott  sind ja sehr vielfältig und schön, sie sind wunderbar. Aber es sind eben die Bilder. Und dann gibt es dahinter eine Wirklichkeit, die sich ausdrückt in diesen Bildern.
Jede Religion darf ihre Bilder und Bräuche und Rituale haben. Wir müssen nur wissen, dass wir die Bilder nicht absolut setzen. Dass die Bilder Ausdruck sind dieser einen Wirklichkeit, die wir auch Leerheit nennen, weil das an Wirklichkeit hinter den Bildern steht, ist letzten Endes ein Geheimnis, wir können darüber nicht sprechen, wir können darüber nichts aussagen.

1.SPR.:
Die Gruppe hat im Spaziergang das „Ehnried“ erreicht, in der Ferne sind die Türme der Martins Kirche schon wieder sichtbar. Heidegger hat lange geschwiegen, seine Begleiter wissen, dass er schon als junger Mann von den Gedanken Meister Eckarts tief berührt war. Nach dem Abitur hatte der Philosoph zuerst katholische Theologie studiert, aber die selbstverständlich vorausgesetzten Definitionen Gottes befriedigten ihn nicht. Er wollte nicht Altbekanntes wiederholen, sondern im beständigen Fragen, in einer „philosophischen Unruhe“ bislang Ungesagtes entdecken.  Darum ist ihm der mittelalterliche Mönch Meister Eckart so wichtig, weil er hilft, die unangemessene Redeweise vom Göttlichen abzuwehren. Heidegger schreibt in seinem Buch  „Der Satz vom Grund“:

2. SPR.:
Wird Gott als die letzte Ursache der Schöpfung gedacht, ist er immer noch Bestandteil unserer Welt. Mit diesem Gott kann man rechnen, von ihm kann man Wesensbeschreibungen liefern. Aber zu diesem so welthaften Gott kann der Mensch weder beten noch ihm opfern, vor diesem so irdischen Gott kann der Mensch weder musizieren noch tanzen. Wir sollten den göttlichen Gott, das absolute Geheimnis, suchen.

1. SPR.:
Ein  aktuelles Thema, darin sind sich die Freunde Heideggers einig. Denn an die traditionellen Gottesbilder können immer weniger aufgeklärte Menschen heute glauben, das bestätigen alle Umfragen. Viele sehen in dem „vermenschlichten2  Gott eher einen Abgott oder einen Götzen, betont Bruder Johannes:

19. O TON, 0 12“
Diese Neigung zum Dogmatismus, zur Ideologie, zur Anhaftung an bestimmte Systeme und Strukturen, das sind alles Abhängigkeiten, die mich sozusagen unfrei machen.

1. SPR.:
Während des Spaziergangs hat ein Philosoph bisher nur zugehört. Aber wenn es um eine grundlegend neue philosophische Gotteserfahrung geht, will Professor Günter Figal doch etwas beisteuern:

20. O TON 1 27“
Heidegger hat versucht, den Erfahrungsgehalt von Religion in eine philosophische Sprache zu bringen, nämlich hinter die dogmatischen Theologien zurückzugehen, also hinter die Theologien, die eine bestimmte Lehre verkünden zurückzugehen. Und das Geschehnis von Gottespräsenz als eine für sich bestehende Möglichkeit zu denken. Also er hat nicht weniger versucht, als sich vorzustellen, wie das Göttliche oder ein Gott jenseits religiöser Dogmen als geschehend erfahren werden kann. Es ist das Wesen des Göttlichen, befreit von religiösen Erscheinungsformen. Und sein Gewährsmann in dem Zusammenhang ist Hölderlin.  Heidegger hat Hölderlin als den Dichter der Moderne par excellence verstanden, deswegen, weil er Hölderlin als den Dichter der Götterferne verstanden hat. Hölderlins Dichtung ist eine Dichtung eines entgötterten Zeitalters. Und  Heideggers  Überlegung im Anschluss an Hölderlin ist nun die, dass nun gerade in der Erfahrung der Abwesenheit eines bestimmten Gottes sich die Erfahrung des Göttlichen einstellen kann.

1.SPR.:
Der Dichter Hölderlin hat schon vor 200 Jahren erfahren, wie die traditionellen Gottesbilder zerbrechen. Aber er hat in der Abwesenheit der alten Vorstellungen die ersten Anzeichen für die Ankunft eines „göttlichen Gottes“ gesehen. Das verbindet ihn mit Heidegger, der in dem Buch „Über den Humanismus“  schreibt:

2. SPR.:
Wenn wir die Gelassenheit üben, gelangen wir denkend in die Nähe zum Sein, also dem alles Umgreifend – Unsichtbaren. In dieser Seinserfahrung erleben wir, ob das Heilige erscheint und Gott sich wieder zeigt. Wir können als Menschen in der gelassenen Lebenshaltung und im besinnlichen Denken einen Bezug Gottes zu den Menschen erleben.

22. O TON, Glocke,

1.SPR.:
Der philosophische Spaziergang führt wieder durch das schmale Hofgartentor hin zum Kirchplatz. Bruder Johannes will schon hier seinen Gesamteindruck mitteilen:

21. O TON , 0 19“
Es entsteht im Gespräch, im Zusammensein, eine Fülle, eine Zufriedenheit, eine Glückseligkeit, dass Sie gemeinsam genau spüren, was der andere jetzt spürt, was der andere jetzt denkt, da ist sofort eine ganz tiefe Übereinstimmung.

25. O TON Cafe Atmo,
1.SPR.:
Heidegger will das philosophische „Feldweg Gespräch“ ausklingen lassen, wie es begonnen hat: bei einem Glas Tee. Für eine Weile sammelt sich die Gruppe in Schweigen.

15. Musikal. Zusp. Noch einmal ca. 0 05“ freistehend, dann leise als Hintergrund:

1.SPR.:
Die Teilnehmer haben erlebt, wie sich im besinnlichen Nachdenken, inmitten der Natur, Spuren der Transzendenz zeigen. Dafür ist der Philosoph (! Ja,) Holger Zaborowski dem Gastgeber Martin Heidegger besonders dankbar:  (hier ist 15. Musik weg)

23.  O TON, 0 28“
Er hat zum einen versucht, eine neue Sprache zu finden, d.h eine Sprache, von der er sagt, dass sie nicht mehr theoretisch etwas begreift und über etwas redet, so wie z.B. die theologische Sprache auch über Gott redet oder wie wir auch im Alltag über Gott reden, als sei  Gott ein Gegenstand neben anderen. Sondern er versucht eine Sprache zu finden, die fast wie eine poetische Sprache eher hinweist auf etwas, sozusagen in eine Richtung weist, in der man dann selbst auch eine Erfahrung machen muss.

1.SPR.:
Zum Schluss ergreift der Gastgeber noch einmal das Wort: Es ist eine Ermahnung, die philosophische Gelassenheit im besinnlichen Denken regelmäßig zu üben, und zwar um ihrer selbst willen! Erst wenn die Menschen sich vom dauernden Rechnen und Herrschen, Verwerten und Verwenden gelöst haben, leben sie frei, betont Martin Heidegger. Seine eigene Erfahrung hat ihn gelehrt: Gelassenheit ist der Weg, über alle   Zwänge der Welt hinauszukommen:

24. O TON, 0 40“.
Dann wächst die eigentliche Leidenschaft des Denkens, nämlich die Leidenschaft zum „Nutzlosen“. Dann wächst die Einsicht, dass ein Gedanke erst echter Gedanke ist, wenn er keinen Nutzen braucht und keinen Vergleich mit der Nutzbarkeit. Dann kann es einem vielleicht zeitweise glücken, das zu werden, was man einen Vorgänger nennt, den,  der vorausgeht, ohne dass man es merkt.

15. Musikal. Zusp. Noch einmal ca. 0 08“ freistehend