Eine aktuelle Neu – Interpretation der Emmaus –Erzählung (Lukas, 24, 13- 34)
Am zweiten Osterfeiertag wird in vielen, zumal katholischen Kirchen ein Text über ungewöhnliche Ereignisse in EMMAUS vorgelesen. Hier ein Beispiel für eine Neuinterpretation, die selbstverständlich aus dem Rahmen des Üblichen fällt….
Von Christian Modehn
Die Texte, die Erzählungen und Mythen des Neuen Testaments sind keine tote Masse, die man immer wieder nur unverändert bewegt. Sie sind keine leblosen Steine, die man, wie in der klassischen Theologie und Predigt immer nur hin und her dreht, ohne dass dabei neue Einsichten sich ereignen und neue hilfreiche Lebensmöglichkeiten erschlossen werden.
Erst mit dem Mut, ganz neu und selbstverständlich in „anderer Besetzung der Personen“ die Geschichte zu erzählen, ergibt sich ein inspirierender Text für heute. Und um das Heute, also mein Leben, unser Leben in dieser zerrissenen Welt, geht es ja immer. Alles andere wäre dumme Repetition, die bekanntlich langweilt.
Das habe ich von Meister Eckart gelernt mit seiner ungewöhnlichen, aber treffenden „anderen“ Interpretation der Geschichte von Maria und Martha. Aber das ist ein anderes Thema.
Im Blick auf die Emmaus – Geschichte hat der Maler Caravaggio auch Neues ins Bild genommen: Das Ehepaar, das die drei Gäste bewirtet. Sie lassen sich den einen, den ungewöhnlichen Gast „nicht entgehen“.
Ich will hier die alte Geschichte des Emmaus – Ereignisses nicht wiederholen.
Nur die Struktur der Neu – Erzählung kann ich hier andeuten:
Zwei Männer, Jünger Jesu, sind nach dem Tode Jesu unterwegs, fragend, suchend. Und sie sind in der Lage, als sich ihnen ein Fremder anschließt, von Jesus ungewöhnlich offen zu sprechen! Wenn man bedenkt, dass der Lukas – Text etwa um 80 geschrieben wurde. Also zu einer Zeit, als die theologische (christologische) Reflexion über Jesus schon weit gediehen war.
Beachtlich also ist: Die beiden Jünger nennen Jesus einen “Propheten”. Das ist ungewöhnlich! Es ist nicht die Rede von „Jesus, dem Christus“. Sondern „nur“ von dem Propheten Jesus von Nazareth. Das ist großartig. Dieser Brauch, hier vom Propheten Jesus v. N. zu sprechen, ist festzuhalten auch heute; auch im Blick auf den Dialog mit Muslims. Sie verehren bekanntlich auch Jesus den Propheten. Aber das ist ein anderes Thema.
Entscheidend ist in der Neuinterpretation:
Der Fremde geht mit den beiden (Glaubenden, Christen) zum Mahl in die Gastwirtschaft. Man setzt sich und beginnt zu speisen. Dem Fremden wird eine herausragende Rolle überlassen: Er bricht vor den Augen der Jünger (und der Wirtsleute, Caravaggio) das Brot. Der Fremde kennt als Mensch diesen zentralen menschlichen Ritus: Wo das Brot gebrochen und geteilt wird, wo man Gott dankt für das Mahl, in eine Art poetischen Lobpreis einstimmt, da wird (!) Göttliches anwesend. Der Fremde kann das Göttliche im Teilen des Brotes sich ereignen lassen, er als Fremder beschenkt die Jünger mit neuem Erleben und neuen Einsichten.
Die Jünger hatten wohl das letzte Abendmahl mit Jesus kurz vor seinem Tod erlebt; aber vom Fremden müssen sie sich zeigen lassen, dass im Brotbrechen die Gegenwart des Göttlichen auf immer da ist.
Jesus hat im letzten Abendmahl nur den in allen Menschen eigentlich vorhandenen Sinn für das „heilige Brotbrechen“ geweckt. Der Fremde als Fremder, als Mensch, kannte diesen Ritus.
Ein weltlicher Ort, eine Kneipe, wird Ort der göttlichen Präsenz, die nichts anderes ist als die Gegenwart des Teilens.
Was bedeutet das für uns? Das ist ja eine übliche Frage biblischer Meditationen: Die Frommen, die Christen, die Europäer (die beiden Jünger in der Geschichte) sollen sich öffnen für den, die Fremden. Sie sollten gemeinsam unterwegs sein. Sie sollten gemeinsam einkehren und in einem Wirtshaus, einer Herberge, verweilen. Kirchen und Tempel sind ja oft auch „Herbergen“ genannt worden. Das gemeinsame Essen ist entscheidend, nicht das kultische „Opfermahl“, die offizielle Liturgie der Priester.
Und in der Herberge können die Frommen erleben, dass der Fremde als erster zum Brot greift und es teilt und einen Lobpreis auf die Gemeinschaft spricht und so ein neues Miteinander stiftet.
Wir sollten die Fremden (Flüchtlinge) mit uns gehen lassen, Gemeinschaft schenken, sie einladen, ihnen die Chance geben, das Brot für uns zu brechen und für uns und alle Anwesenden zu segnen. Dann passieren Wunder. Dann ereignet sich die Einsicht: Die Auferstehung ist Realität. Das heißt in dem Falle: Die alte Welt der Trennungen und Mauern ist durchbrochen. Wir können aufstehen und den Aufstand wagen gegen die Unmenschlichkeit.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin