Kant – ein Lehrer der Weisheit: Ein Beitrag zu Kants 300. Geburtstag am 22.4.2024

Ein Hinweis von Christian Modehn am 29.10.2023.

– Siehe auch den Hinweis auf einen Beitrag von Christian Modehn: “Der christliche Glaube sollte – so Kant – vernünftig sein”. LINK

– Der Kant Forscher, Prof. Marcus Willaschek, weist in seinem neuen, großartigen Kant- Buch (C.H.Beck Verlag, 2023) ausdrücklich darauf hin (und er unterstützt damit die hier vorgestellte Erkenntnis vor allem von Pierre Hadot): Für Kant war Philosophie eine Weisheitslehre (S. 376): Sie kann “aus der philosophierenden Person im Erfolgsfall einen besseren Menschen machen” (zit. ebd.).

1.
Die schwierigen Werke Immanuel Kants, können wir sie auch in einem anderen Licht lesen? Sozusagen unter einer neuen Einstellung, die dann die Kant Lektüre erleichtert und sie aus der abstrakten Begriffswelt herausführt?
Es ist das Licht der antiken Weisheit, das uns zeigen könnte: Kant war ein bislang eher wenig bekannter Freund von Sokrates.
Darauf macht Pierre Hadot aufmerksam, der französische Philosoph (1922 – 2010), der große Kenner der antiken Philosophie und der Entdecker der „Philosophie als Lebensform“.

2.
Diese neue Perspektive auf Kant könnte ein Thema sein auch anläßlich des Kant – Jubiläums im Jahr 2024: Kants 300. Geburtstag (geb. in Königsberg) am 22. April 2024 steht bevor, gestorben ist er in Königsberg am 12. Februar 1804.

3.
Der 300. Geburtstag könnte also eine gute Gelegenheit sein, Kant nicht länger (nur) als hoch komplizierten System-Philosophen der berühmten „Kritiken“ vorzustellen, sondern auch als Lehrer von Weisheit, der das Philosophieren als Lebensform wichtiger findet als den Bau von Philosophie als Lehre an der Universität.

4.
Der französische Philosoph Pierre Hadot also hat in seinem Buch „Qu`est-ce que la philosophie antique“ (Paris 1995, Seite 399 ff.), einen „anderen” Kant vorgestellt. Und zwar eher als Skizze, auf nur 10 Seiten, die dem Überdauern und Weiterleben der antiken Konzeption der Philosophie als Lebensweise gewidmet sind.
Hadot betont die Verbundenheit von Kants Denken mit antiken Philosophien als Weisheitslehren: „Die Philosophie ist (im Sinne Kant) für den Menschen eine Anstrengung zur Weisheit zu gelangen, die aber immer unvollendet bleibt. Das ganze Gebäude der kritischen Philosophie Kants hat nur Sinn unter der Perspektive der Weisheit oder eher des Weisen. Denn Kant hat stets die Tendenz, sich die Weisheit unter der Gestalt des Weisen vorzustellen. Die Weisheit ist für Kant die ideale Norm, die sich allerdings niemals in einem Menschen inkarniert, also ganz Wirklichkeit wird. Aber der Philosoph versucht der Weisheit gemäß zu leben“ (S. 399). So ist Philosophieren nur der immer neue, aber nie vollendete Versuch, der Weisheit zu entsprechen.
Hadot schreibt: „Für Kant ist die antike Definition der Philosophie als „philo-sophia“ (griechisch geschrieben), als Begehren, als Liebe, als Übung der Weisheit immer gültig“ ebd.)

5.
Pierre Hadot meint, Kant stelle sich in die Tradition des Sokrates als eines Suchenden, Fragenden nach der wahren Lebensform: Das Streben nach Weisheit bleibt, so Hadot, im Sinne Kants immer unerfüllt. „Die Philosophie im eigentlichen Sinne des Begriffs existiert also (für Kant) noch gar nicht und wird vielleicht niemals existieren, möglich ist einzig das Philosophieren, das heißt eine Übung der Vernunft“, so interpretiert Hadot die Position Kants (S. 401).

6.
Kant unterscheidet zwei Arten von Philosophie: die eine arbeitet rein begrifflich, sie nennt er Schulphilosophie oder scholastische Philosophie, (S. 402). Sie zielt auf die logische Perfektion des Wissens. Der Philosoph ist dann eine Art Künstler der Vernunft, wie Hadot im Anschluß an die Griechen schreibt. Der Philosoph ist also ein Theoretiker eigener Art, der sich z.B. für die Vielfalt der schönen Dinge interessiert, ohne sich dabei für die Schönheit an sich zu interessieren.
Von dieser nur theoretischen philosophischen Haltung unterscheidet Kant eine „Welt-Philosophie“, eine „kosmische Philosophie“, wie Kant sagt (S. 403) Und diese ist eine ganz andere Art des Philosophierens, sie ist eng mit der Lebenswelt verbunden und den Lebens-Fragen des einzelnen.

7.
Darum ist die Basis der Philosophie Kants die praktische Vernunft, unterstreicht Hadot (S. 405). Kant schreibt in seiner „Kritik der praktischen Vernunft“: “Alles Interesse ist letztendlich praktisch. Und selbst das Interesse der spekulativen Vernunft ist entscheidend beeinflusst und vollständig nur im praktischen Gebrauch“ (zit. in Hadot, S. 405). Und in dieser Priorität der praktischen Vernunft, der Moral und Ethik, wendet sich Kant an die Menschen, die sich für das moralisch Gute interessieren , die für ein oberstes Ziel optieren, für ein souveränes Gutes.

8.
Hadot skizziert also die innere Verbundenheit Kants mit den Grundanliegen der antiken Philosophie, die Liebe zur Weisheit, das praktische Streben nach einem guten Leben, das Philosophieren als Lebensform. „Am Ende seiner `Metaphysik der Sitten`, schreibt Hadot, schlage Kant sogar eine asketische Ethik vor, in Form eines Exposées  von Regeln zur Übung der Tugend“ (S. 406).

9.
Pierre Hadot beendet seine Skizzen zu Kant als „Philosoph der Lebensform“ : „Ich möchte sagen, dass es einen Primat der praktischen Vernunft über die theoretische Vernunft gibt: Die philosophische Reflexion ist also motiviert und geleitet durch das `was die Vernunft interessiert“, wie Kant sagt, “das heißt durch die Wahl einer Lebensweise“ (S. 410).

10.
Kant als Philosoph, der eine Lebensform vorschlägt und lehrt: Vielleicht ein neuer Gedanke für die Kant-Diskussionen. Manfred Kühn erwähnt Hadot in seiner umfangreichen Studie „Kant. Eine Biographie“ (München 2004) immerhin in einer (!) Fußnote auf Seite 542 (Fn. 18). Bei einer marginalen Notiz zu „Hadot und Kant“ sollte es nicht bleiben. Schon gar nicht, wenn es sich um die Entdeckung von “Kant als Lehrer der Weisheit und Lebensweise” geht…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.