Hat Kant die Metaphysik vernichtet? Also die Frage nach Gott, der Freiheit, der Unsterblichkeit der Seele?

Die 17. der unerhörten Fragen.
Von Christian Modehn

1.
Kaum eine andere philosophische Vorstellung hat sich bis heute so durchgesetzt und verbreitet wie die Frage: Hat Immanuel Kant die Metaphysik vernichtet? Meist wird diese Vorstellung nicht als Frage, sondern als These, als Behauptung, wenn nicht als Erkenntnis propagiert und einfach so … geglaubt und weitererzählt.

2.
Es war der Philosoph Moses Mendelssohn (1729 – 1786), der die These verbreitete: Kant habe die Metaphysik, so wörtlich, „zermalmt“, also zerstört und unmöglich gemacht. Mendelssohn spricht davon in seinem Buch „Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes“ (1785). Auch Heinrich Heine behauptete, Kants Äußerungen zu einem religiösen Glauben seien nicht ehrlich gemeint. Manfred Kühn hat in seiner Kant – Biographie von 2004 behauptet, Kant sei ein Atheist. Marcus Willaschek (Kant, München, 2024, S. 361) hat hingegen gezeigt, „dass Kant tatsächlich an einen personalen Gott geglaubt hat“ (ebd.).

3.
Es gehört sozusagen zu einer „Pflicht – Erkenntnis“ in diesem Jahr des Kant – Jubiläums (300. Geburtstag am 22.4.2024): Jeder und jede muss sich von diesem Vorurteil verabschieden, „Kant als Zermalmer, als Vernichter, der Metaphysik“ zu deuten. Und einzusortieren. Es gilt hingegen: Kant hat weiterhin von einer Metaphysik gesprochen, und diese begründet, er hat sie inhaltlich entwickelt und verteidigt. Aber es geht ihm um eine Metaphysik, die man zuvor gar nicht kannte. Die aber den Namen Metaphysik zurecht verdient, als Ausdruck von Argumenten und Erkenntnissen der Erforschung der inneren Welt der Vernunft.

4.
Metaphysik als Beschäftigung der Philosophierenden untersucht den Alltag der Menschen hinsichtlich der grundlegenden Sinnfragen, der Frage nach einem alles gründenden Göttlichen, nach dem, was Seele meint, was Freiheit bedeutet. Hintergrund ist dabei die entschiedene Abwehr der oberflächlichen Behauptung: Der Mensch sein „nichts als“ ein Naturwesen, eigentlich ein etwas anspruchsvolleres Tier, ein Wesen, das eher nach festgelegten Prägungen und Determinanten handelt und die Frage nach einem göttlichen Gründenden usw., als überholten Unsinn „entlarvt“. Aber der Mensch ist eben kein Wesen, das bloß im banalen Alltag auf-geht und dann aus ihm wieder ab-geht (ins Nichts?)

5.
Dieter Henrich, ein international hoch geschätzter Philosoph, schreibt in seinem Aufsatz „Warum Metaphysik“ (Reclam, „Bewusstes Leben“, 1999, S. 75): „Die metaphysischen Fragen bilden sich spontan zusammen mit jedem Bewusstsein aus, das zur Lebensreife kommt – oft schon in der frühen Kindheit“.

6.
Was versteht Kant unter lebendiger und vernünftiger Metaphysik?
Metaphysik ist als eine Weisheit zu verstehen, „die nicht zur Wissenschaft umgebildet werden kann“ (Henrich, S. 76). Kant hat in einer seiner grundlegenden Schriften, „Kritik der reinen Vernunft“, die bis zu ihm überlieferte Metaphysik tatsächlich „zum Einsturz gebracht“(ebd.) Es gibt für Kant keine wissenschaftlichen Beweise, es keine strengen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die Antwort geben könnten auf unsere metaphysischen Fragen nach dem Göttlichen, nach der Freiheit, der Seele usw. „Aber Kant hat sein eigenes philosophisches Programm wiederum als eine Art von Metaphysik dargestellt“ (ebd.) Und diese Metaphysik Kants argumentiert nicht mehr nach Art eines Leibniz oder Thomas von Aquin, sie konnten noch ihre Einsichten als objektive wissenschaftliche Erkenntnisse ausgeben. Kant hingegen studiert die innere Welt der menschlichen Vernunft, und was er da wahrnimmt, das sind ja durchaus auch „Erkenntnisse“, aber eben keine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, schon gar keine Beweise. Kants metaphysische Einsichten werden ausgesagt als wahre Überzeugungen oder als notwendige Postulate des Denkens, ohne die ein vernünftiges humanes Leben nicht auskommt.

7.
Die metaphysischen Überzeugungen, an denen Kant unbedingt festhält, sind fundiert im sittlichen Bewusstsein, also der vernünftigen Lebenspraxis in Freiheit. Und diese „Entdeckung“ der Metaphysik inmitten der ethischen Lebenspraxis wird von Kant ausführlich herausgearbeitet. Die unbedingte Geltung moralischer Gebote können die Menschen, Kant folgend, durchaus als göttliche Gebote betrachten. Aber es eben nicht Gott, der den Menschen diese Gebote auferlegt.Die moralischen Gebote sind Ausdruck der menschlichen Vernunft. Denn das Bewusstsein des Sittengesetzes, des Kategorischen Imperativs, ist in jedem Menschen aufgrund der Vernunft lebendig, Kant bezeichnet diese Präsenz des Sittengesetzes sogar als „Offenbarung“ (Marcus Willaschek, Kant, 2024, S. 204.
8.
Der Philosoph Otfried Höffe schreibt (In „Philosophie Magazin“, Sonderausgabe, 2024, S. 101): „Kant beendet alle drei Kritiken („Kr. der reinen Vernunft“, „Kr. der praktischen Vernunft“, „Kr. der Urteilskraft“) mit einem moralphilosophisch begründeten Fürwahr-Halten der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele. Allein sie garantieren nämlich, dass die Welt als jene am Ende doch vernünftige Ordnung gedacht werden kann, in der der Rechtschaffene nach Maßgabe seiner Rechtschaffenheit des Glücks teilhaftig wird…“

9.
Im unvollendeten Spätwerk, dem Opus postumum, betont Kant: „Gott ist kein hypothetisches Ding, sondern er ist die reine Vernunft selbst“ (zit. Willaschek, S. 97). Das heißt: „Die Vernunft hat für Kant etwas Göttliches an sich“ (ebd.). Könnte man ins Theologische übergehend, dann die Vernunft im Sinne Kants als den „heiligen, den göttlichen Geist“ nennen? Ich denke: Ja! Aber darüber sollte man diskutieren.

Zum christlichen Glauben in der Sicht Kants: LINK.

Copyright:Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de

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