Kapitalismus bestimmt unsere Sprache, also unser Leben.

Ein neues Buch über die Macht des Kapitalismus im Denken und Sprechen der Menschen
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Mit unserer Sprache sagen wir aus, wie wir leben, was wir fühlen und denken. Unsere Worte und Begriffe sind Ausdruck unseres menschlichen, d.h. geistigen Lebens in der konkreten Welt und Gesellschaft. Unsere Worte und Begriffe, gesprochen in immer subjektiv bestimmter Rede, sind aber nie nur unsere eigenen Worte und Begriffe. Sie werden vermittelt, gelehrt, „eingeübt“ durch die Kultur der Welt, die uns umgibt und bestimmt. Und diese unsere Welt zu unserer Lebenszeit ist ökonomisch geprägt. Konkret: Sie ist vom Kapitalismus beherrscht.

2.
Simon Sahner und Daniel Stähr lenken unser Interesse mit allem Nachdruck auf die Frage, die wir immer schon spürten und ahnten, selten aber explizit entwickelten und untersuchten: Es geht dem Kulturwissenschaftler und dem Ökonomen um eine Analyse und Bewertung, wie die Sprache der Menschen in Deutschland, aber selbstverständlich auch anderswo in anderen Sprachen, von der Ideologie des Kapitalismus bestimmt, wenn nicht beherrscht ist. Der Titel ihrer Studie im S.Fischer Verlag: „Die Sprache des Kapitalismus“, erschienen im Frühjahr 2024.

3.
Das Buch hat durchaus einen sprachphilosophischen Hintergrund. Es zeigt aber auch in anschaulichen Beispielen, mit welcher Selbstverständlichkeit und Unreflektiertheit viele Menschen die ideologisch gefärbte Begriffswelt des Kapitalismus übernehmen. Kapitalismus verstanden als ökonomische Herrschaftsform, die sich als „alternativlos“ in unserer Welt darstellt und auch die eigene Alternativlosigkeit propagiert (man denke an die „Urmutter” dieses Begriffes, Madame Thatcher).

4.
Wir sprechen also meist in Begriffen, Formeln, Floskeln, indem wir den (versteckten) ideologischen Vorgaben des Kapitalismus folgen. Die Autoren bieten Beispiele. Dabei wollen sie nur zu einem bewussteren Sprechen und damit (selbst-) kritischen Leben anregen.

5.
Wir sagen oft, hören oft: „Die Preise steigen“.
ABER: Die Preise sind keine selbständigen Subjekte, die von selbst steigen oder auch fallen könnten. Die Preise werden von bestimmten menschlichen Subjekten und Organisationen nach oben getrieben. Aber über diese Subjekte und Gruppen (Kapitalisten) gibt die übliche Floskel „Die Preise steigen“ keine nähere Auskunft.
Wer von „steigenden Preisen“ spricht, sieht sich hilflos einer Art Naturgewalt ausgesetzt, wie etwa: „Es herrscht starker Schneesturm“. Korrektes, reflektiertes Sprechen wäre: „Bestimmte Leute haben die Preise erhöht“.

6.
Ein weiteres Beispiel:
„Ich verdiene mein Gehalt. Dahinter steht die Auffassung: Ich erhalte tatsächlich das Geld als „Verdienst“, das meiner Arbeitsleistung entspricht. Mehr verdiene ich nicht, steht mir nicht zu, könnte man als „Arbeitnehmer“ denken. Der sogenannte Sozial – Staat erhöht ja gelegentlich den „Mindest-Verdienst“ um einige Cents…
Aber „verdient“ eine Krankenschwester oder eine Pflegekraft wirklich das (wenige) Gehalt, das sie erhält? Und: Verdient ein Fußballstar seine Millionen für seinen sportlichen Einsatz? Verdient ein Top – Manager die Millionen Dollar, wenn er aus einem Betrieb ausscheidet?
Man darf also nicht länger so tun, als sei diese Redeweise, dieses übliche Sprechen, den objektiven Tatsachen entsprechend.

7.
Und wer ist denn schon de facto Arbeitnehmer und wer ist de facto Arbeitgeber? Diese Redeweise ist irritierend und falsch, betonen die Autoren: „Denn man kann mit Fug und Recht behaupten, dass doch die Person, die arbeitet, etwas GIBT, nämlich ihre Arbeitskraft! Und diejenige Person oder Institution, für die als so gen. Arbeitgeber gearbeitet wird , tatsächlich doch etwas NIMMT, nämlich die Arbeitskraft der anderen, der so genannten ArbeitnehmerInnen also. Es würde also auf einer sprachlichen Ebene viel mehr Sinn ergeben, wenn ArbeitgeberInnen für Arbeitnehmerinnen arbeiten und nicht umgekehrt“ (Seite 75).

8.
Ein weiteres Beispiel: Die kapitalistische Wirtschaftswelt sieht den einzelnen Menschen nicht als Person, sondern als VERBRAUCHER und Konsumenten der von den Konzernen vorgesetzten Produkte. „Ich bin ein Verbraucher“: das bedeutet doch: Darin besteht die Definition meines Menschseins: Ich verzehre, benutze, genieße die Dinge des Marktes. Und wenn sie verbraucht sind, verzehrt sind, ausgenutzt sind, dann werfe ich sie weg. Und der Konsum – Kreislauf geht weiter. Reparieren der alten Produkte ist eine Vorstellung, die sich erst langsam durchsetzt. Gott sei Dank laden wir zu Geburtstagspartys (noch) nicht unsere lieben Mit – Verbraucher und Mit – Konsumenten ein, sondern eben doch noch Freunde und Verwandte. Eine Party als Verbraucher – Party ist eher bei Festen großer Betriebe Realität.

9.
„Was wir also brauchen, ist eine postkapitalistische Sprache und Erzählung von einem guten Leben nach dem Kapitalismus“, schreiben die Autoren auf S. 265. „Es gibt Alternativen zu einer kapitalistischen Lebensweise“ (S. 267). „Wir plädieren deshalb für eine sprachliche Genauigkeit“ (ebd.).

Man darf die Bedeutung dieses offenbar „nur“ aufs Sprachliche bezogenen Buches nicht unterschätzen: In unserer unbewussten Abhängigkeit von der vorgegeben ökonomischen Sprache des Kapitalismus zeigt sich eine ungewollte und manchmal gewollte Unterwerfung unter eine Ideologie. Diese hat als Dogma: Der Kapitalismus ist wie ein Naturgesetz ohne Alternative. Selbst grundlegende Reformen des Kapitalismus werden selbst von sozialdemokratischen Parteien nicht mehr für möglich gehalten. Die „Reform-Partei“ SPD scheitert bekanntlich so oft an der Macht der FDP Politiker oder anderer konservativer Gegner.

10.
Das Buch ist anregend und wichtig und vor allem leicht zugänglich. Die Lektüre, das Mit – Denken mit den Autoren, ist sehr zu empfehlen. Wir müssen wieder lernen, selbst kritisch unsere eigene Sprache zu beobachten. Wir müssen lernen, kritisch zu denken und zu urteilen: Darin sah die Philosophin Hanna Arendt die wichtigste Leistung einer humanen Menschheit. Für die amerikanische Autorin und Philosophin Ayn Rand war das, was wir „gemeinhin das Böse nennen, eine potentiell ebenso weit verbreitete wie weithin unbemerkt bleibende Unfähigkeit, selbst zu denken“, berichtet der Philosoph Wolfram Eilenberger (in „Philosophie-Magazin“, „Das Böse“, S. 33). Das Böse hat mit der „Auslöschung der eigenen Urteilskraft“ zu tun, so der Titel des Aufsatzes von Wolfram Eilenberger.

11.
Mit besonderem Interesse sollte man Kapitel 3 lesen (Seite 62 ff.), dort geht es um die Frage. Wer ist reich? „Wo fängt Reichtum an, wenn ein Millionär, der wie Friedrich Merz zwei Privatflugzeuge besitzt, noch nicht (nach eigener Einschätzung!) Zur Oberschicht zählt?“ (S. 62). Die Autoren sprechen auch von den Superreichen, den Milliardären, und betonen: “Man muss sich die Frage stellen, ob es einen solchen Reichtum geben sollte“ (S. 67). Sie erinnern an Douglas Rushkoffs Buch „The Survival of the Richest“. LINK: Rushkoff hat mit Multimillionären gesprochen und deren Sprechen analysiert: Es dreht sich bei denen alles darum , wie sie sich selbst abgrenzen und sich schützen vor allen Katastrophen dieser Welt. „Kein Gedanke, kein Sprechen, wird darauf verwendet, wie der Reichtum genutzt werden könnte, um möglichst vielen Menschen Schutz und Sicherheit zu bieten“(S. 68). Diese Millionäre denken nur an das Überleben der Stärksten, zu denen sie sich rechnen. Simon Sahner und Daniel Stähr erinnern in ihrem Buch an den populären Spruch. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, dieser Spruch unterstellt, jeder könnte mit viel Arbeit viel Glück und viel Geld erzielen.

12.
Natürlich wird durch die Kritik der Sprache und des Sprechens inmitten des Kapitalismus dieser Kapitalismus, als der Neo-Liberalismus, nicht überwunden. Auch in dieser Hinsicht ist Geist, also kritisches Sprechen, fast ohnmächtig gegenüber der „Alternativlosigkeit“ des universalen Herrschaftssystems. Aber warum sollte Kapitalismus-Kritik sich nicht an der Sprachkritik abarbeiten, also mit dem Innewerden der Abhängigkeiten, der Entfremdung, der Ent – Personalisierung, der Gehorsamshaltung gegenüber dem üblichen „Main-Stream“ Sprechen und Denken? Es ist unwahrscheinlich, dass die Allmacht des Kapitalismus, Neo-Liberalismus, noch überwunden werden kann, vielleicht lässt er sich einschränken: Immerhin können wir dann sagen: Wir haben wenigstens versucht, ethisch gut zu leben … und sei es in einer Nische zu überleben.

13.
Der Titel des Buches führt uns zu weiteren, in der heutigen Wahrnehmung vielleicht schon längst entlegenen Themen: Wir denken etwa an die Sprache der christlichen Kirchen heute, ihre nebelhaften Formeln und Floskeln etwa, die nur dem Machterhalt des männlichen Klerus in der katholischen Kirche dienen. Etwa: „Der Herr selbst hat doch Frauen vom Priestertum ausgeschlossen“. Dieser „Herr“ ist aber der klerikale Christus als Herrscher, nicht der Prophet Jesus von Nazareth… Aber das ist ein anderes Thema, zu dem dieses wichtige Buch von Simon Sahner und Daniel Stähr anregt.

Zum Thema „Christentum im Kapitalismus“, ein Buchhinweis, das Buch versucht, sich des wichtigen Themas anzunähern: LINK

Simon Sahner, Daniel Stähr: 
Die Sprache des Kapitalismus. S. Fischer, Frankfurt/M. 2024;
304 Seiten, 24,00 €

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

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