Das “philosophische Wort zur Woche” bezieht sich aus aktuellem Anlaß (Papstreise nach Deutschland, Ratzingers Anspruch, erneut dokumentiert in seinem Interviewbuch, als Papst die Wahrheit zu besitzen usw. usw.) auf einen Impuls Friedrich Nietzsches.
Wird die Kirchen zum Grab Gottes?
Der Hinweis bezieht sich auf die Erkenntnis Friedrich Nietzsches, in seinem Buch: Die fröhliche Wissenschaft, 1887, III. Buch, Nr 125.
Der tolle Mensch fragt:
„Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet, – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? […] Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“[1
Das Entscheidende ist:
Am Ende dieses Kapitels schreibt Nietzsche die berühmten Worte von den Kirchen als den Grabmälern Gottes:
„Man erzählt noch, dass der tolle Mensch des selbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: “Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?”
Kirche als Grab Gottes – dieser Erkenntnis Nietzsches hat sich bislang fast kein Theologe gestellt, geschweige denn ein Bischof oder gar ein Papst.
Der niederländische Augustiner und Theologe Robert Adolfs hat allerdings 1966 ein Buch verfasst, das den Titel trägt: „Wird die Kirche zum Grab Gottes?“, auf Deutsch erschien es 1967 im Styria Verlag.
Darin sah Pater Adolfs sehr deutlich, dass die Kirchenreformen des unmittelbar beendeten 2. Vatikanischen Konzils viel zu kurz greifen und viel zu oberflächlich sind. Robert Adolfs plädierte darum als wahre Lebensrettung der Kirche für eine „kenotische“ Kirche, also für eine Kirche, die den Abstieg von allen Machtgelüsten, auch theologischer Art, aufgegeben hat. „Das ärgste Hindernis des Dialogs mit den anderen christlichen Kirchen war die kirchliche (katholische) Machtgestalt. … Die kenotische Kirche erhebt ja keinen Exklusivanspruch auf Offenbarung und Gnade“ (S. 191)
Es ist interessant zu sehen, dass dieser Begriff der „Kenotischen Kirche“ heute im Mittelpunkt des Denkens des berühmten italienischen Philosophen Gianni Vattimo steht, vor allem in seinem Buch „Glauben – Philosophieren“, Reclam Verlag, 1997. Vattimo schreibt dort auf Seite 64: „Was ich wiederentdecke ist eine Lehre, die ihren Grundpfeiler in der Kenosis Gottes hat, und damit im Heil, das als Auflösung des natürlich gewaltsamen Sakralen verstanden wird.“.
Noch wichtiger ist:
Pater Adolfs hat seinem Buch „Wird die Kirche zum Grab Gottes?“ ein Zitat des Jesuiten Alfred Delp vorangestellt, der als Widerstandskämpfer gegen die Nazis am 2. 2. 1945 in Plötzensee hingerichtet wurde.
A
lfred Delp schrieb kurz vor seiner Hinrichtung durch die Nazis „Die Kirche steht durch die Art ihrer historisch gewordenen Daseinsweise sich selbst im Wege. Ich glaube, über all da, wo wir uns nicht freiwillig um des Lebens willen von dieser Daseinsweise trennen, wird die geschehende Geschichte uns als richtender und zerstörender Blitz treffen“.
Copyright: Christian Modehn, religionsphilosophischer Salon Berlin