Gibt es Revolutionen, die von Philosophen ausgelöst werden?
Einige Hinweise zum Thema unseres Salons am 24. 6. 2011 um 19.00
Die Frage „Gibt es Revolutionen, die von Philosophen ausgelöst werden?“ mag weit her geholt erscheinen und im Streit der Historiker unterzugehen.
Dennoch hat diese Frage eine Bedeutung: Nicht nur anlässlich des neuen Buches von Philipp Blom „Böse Philosophen“. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung, erschienen im Hanser Verlag 2011.
Die Frage lässt uns nicht los: Welche praktische Bedeutung, politische Wirkung, hat Philosophie? Hat kritisches Denken die Kraft, so viele geistige Energien zu mobilisieren, dass eine Revolution im Sinne einer grundlegenden Veränderung zugunsten der Menschenrechte möglich wäre?
Ein Hinweis zu dem Salon in Paris, in dem u.a. d Holbach und Diderot „Stammgäste“ waren: Das Buch von Blom bezieht sich tatsächlich auf das regelmäßige Diskutieren, Lesen, Essen und Trinken, im Hause Baron d Holbachs in Paris um 1760. Einer der wichtigsten Gesprächspartner dort war der Philosoph Denis Diderot. Sie diskutierten die Entwürfe einer neuen Gesellschaft: Ohne Hierarchie, ohne die damals unerträgliche Allmacht und Gewalt der Katholischen Kirche; sie dachten an eine Welt der Solidarität, des Respekts, aber auch der Lust, der Befreiung des einzelnen zu seiner auch körperlich gelebten Lust. Bei aller Unterschiedlichkeit der Salon – Teilnehmer war deren Philosophie anti – metaphysisch, anti – kirchlich und stark gebunden an die Auffassung: Das materielle, auch das leibliche Leben ist die Basis für alles Erkennen überhaupt. Über den Streit mit Rousseau wäre eigens zu diskutieren.
Interessant wäre es, die Frage zu erörtern: Kann dies die philosophische Basis für eine Weltveränderung sein? Oder: Ist im menschlichen Bereich alles Materielle immer schon in geistige Strukturen „eingelassen“? Sind wir über den Körper – Geist Dualismus hinaus?
Interessant wäre es, die Frage zu erörtern: Hätte die Kirche damals auch nur einen Funken Offenheit gezeigt und Sinn für Vernunft, hätte dann zumindest die Religionsphilosophie Diderots anders ausgesehe? Freilich, solche Fragen sind eher müßig…
In jedem Fall hat der Salon um Baron Holbach und Diderot in größter persönlicher Bedrohtheit existiert, immer mussten diese Freigeister Angst vor Verhaftungen, letztlich vor der Todesstrafe haben. Trotzdem (oder gerade deswegen?) haben sie mit einer unglaublichen Intensität an dem umfangreichen Werk der ENZYKLOPÄDIE gearbeitet, die dann doch noch vor der Revolution erscheinen konnte, eine Art Lexikon, das deutlich genug kritische Hinweise zu Gesellschaft und Kritik bietet.
Dieser Salon war ein Ort der „radikalen Aufklärung“. Gleichheit ohne Hierarchie – hieß das Ideal.
Die Revolutionäre von 1789 bis 1795 hatten diesen Mut nicht. Robespierre z.B. förderte den Kult des höchsten Wesens, weil er nicht glaubte, dass die radikale Aufklärung auch als Atheismus politisch hilfreich sein kann.
Gilt diese Auffassung noch heute? Wie tief ist das Misstrauen in die ethische Qualität von Atheisten? In den USA haben Atheisten z.B. nicht die geringste Chance, Präsident zu werden…
Was bedeutet das ethische Prinzip der „radikalen Aufklärung“: „Tu, was für dich und die Allgemeinheit gut ist. Vermeide, was dir und anderen schadet“?
Zur Frage der praktischen Wirkung, der revolutionären Bedeutung, der Philosophie: Das ist aktueller denn je: Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die gegenwärtige ökonomische (und damit auch eine erstarrte Form politischer) Ordnung in der gegebenen Verfasstheit keine Zukunft hat und haben darf, angesichts der tiefen Ungleichheit, die da erzeugt wird. Wo sind die Denker des Umbruchs, der Erneuerung von Demokratie? Diese „revolutionären Subjekte“ – gibt es die? Sind es die jungen Leute in Madrid (Occupy) und anderswo, die das gegenwärtige ökonomische System korrigieren wollen? Welche Rolle spielen dabei die Religionen?