Bittgebete: Sinn und Unsinn!

Ein Hinweis von Christian Modehn in Zeiten von Kriegen und Vernichtung. Am 2.12.2023.

Einen Kommentar zu diesem Text, verfasst von Heinz G. Liberda, lesen Sie bitte am Ende dieses Hinweises.

1.
Angesichts der vielen politischen Katastrophen, der Kriege, der Zerstörungen, von Politikern inszeniert, sind die Menschen meist sehr hilflos. Sie haben es wie so oft versäumt, in Zeiten, als die Waffen schwiegen, Friedenszeiten genannt, für den Erhalt des Friedens zu arbeiten, Friedenspädagogik zu leisten, Politikern auf die gierigen Finger zu schauen bzw. diese zur Vernunft zu rufen. Auch jetzt stehen die Menschen hilflos da. Oder sie protestieren auf der Straße. Immerhin, ein Zeichen des Widerspruchs, aber mehr wohl nicht.

2.
Fromme Leute, etwa Christen, sehen sich in solchen Situationen der politischen, ökonomischen oder klima-bedingten Hilflosigkeit oft spontan gedrängt, einen letzten Helfer zu mobilisieren: Den als Person gedachten Gott (Vater) im Himmel. „Manchmal hilft nur noch Beten“, heißt es dann oft in einem populären, aber nicht klugen Spruch.

3.
So auch in diesen Wochen des Krieges der Hamas gegen Israel und der folgenden Antwort der Regierung Israels als Krieg gegen die Hamas. In dieser Situation fordert der Papst, fordern Bischöfe, Theologen, zum Beten, zum Bitten, auf. DOM – Radio Köln etwa berichtet am 29.Oktober 2023: „Nach dem gemeinsamen Friedensgebet im Kölner Garten der Religionen mit Vertretern von Christen, Juden und Muslimen äußert sich Kardinal Rainer Maria Woelki zum Krieg im Heiligen Land. Gebete, betont er, seien stärker als alle Waffen.“ Er behauptete in seinem frommen Überschwang (oder auch in seiner theologischen Hilflosigkeit!) weiter: „Wir können nur den Himmel bestürmen, dass Gott ein Einsehen hat und unsere Herzen aus Stein erweicht und uns Herzen aus Fleisch gibt, die Herzen aus Liebe werden und die Herzen zum Frieden führen…Wo wir als Menschen darüber hinaus eben nicht mehr weiterkommen, und dies scheint mir zum Beispiel so eine Situation zu sein, da bin ich wirklich davon überzeugt, dass das Gebet im Letzten stärker ist als alle Waffen.“

4.
„Gebet ist stärker als Waffen?“ Das setzt aber voraus: Gott hat stärkere Waffen, wenn wir ihn im Himmel denn bestürmen… Dann greift er als Gott direkt ein und schafft Frieden. Aber die Wahrheit ist: Gott als Gott hat noch nie in diese Welt eingegriffen, geschweige als Gott direkt Kriege beendet.

5.
Es ist also vom vernünftigen Denken her, der Gabe des schöpferischen Gottes an die Menschen, undenkbar und unmöglich, an dieser durchaus klassisch zu nennenden , immer wieder aufgewärmten Gebetstheologie und Bittgebets-Theologie festzuhalten.

6.
Sind Bittgebete also sinnlos und unvernünftig? Nicht unbedingt, wenn wir denn Beten und Bitten als menschliche Aktion verstehen, also als Selbstgespräch, als Poesie, als meinen „Lebenstext“: Ich spreche in stammelnden, suchenden Worten meine Situation aus, spreche meine Verzweiflung aus, meine Hoffnungslosigkeit: Und dies sage ich als Poesie, als „meinen“ Text, möglicherweise auch anderen, Freunden, Verwandten, in der Gruppe einer Gemeinde, in einem philosophischen Salon…

7.
Und was bedeutet dann Bittgebet als meine Poesie, mein Gedicht, mein „Lebenstext?
Ich sehe meine Situation und die Situation der Welt klarer, ich versinke nicht in Sprachlosigkeit, verbleibe als nicht ohne Reflexion. Und wenn ich christlich geprägt bin oder nach dem Glauben suche: Dann weiß ich: Die göttliche Schöpferkraft, der Ewige, der Unendliche, wie auch immer, lässt trotz des Wahns der Menschheit die Menschen nicht fallen, auch mich nicht, auch dich nicht. Diese Spiritualität ist vernünftig. Aber das ist dann alles: Es geht um das sich Einfühlen und Eindenken in eine metaphysische Geborgensein. Die kann einem niemand nehmen.

8.
Dabei wissen diese aufgeklärt, nachdenklichen Frommen: Kriege sind Taten der Menschen, der Politiker, der Nationalisten, der religiös verrückt gewordenen Fundamentalisten. Kriege sind also Ausdruck einer irregeleiteten Freiheit von Menschen, die sich zu Verbrechern entwickelt haben. Diese menschliche Freiheit ist „Gottes“ Gabe an die Menschen. Was wäre denn, wenn Er/Sie die Menschen nicht frei, auch frei zum Tun des Bösen, geschaffen hätte? Dann wären die Menschen eben Tiere. Und die folgen nur ihren Instinkten, sie sind nicht umfassend frei und kreativ.

9.
Können wir also noch Beten und Bittgebete sprechen? Solange fromme Leute mit ihren Gebeten und mit ihrem Glauben nicht andere schädigen, kann jeder und jede glauben was er/sie will. Aber vernünftig ist unserer Meinung nur: Gebete und Bittgebete sind meine Lebenspoesie, die mir mein Leben – auch angesichts des Unendlichen und Ewigen – deutlich macht. Die göttliche Schöpferkraft ist – religionsphilosophisch gesehen – in uns, dort haben wir sie zu pflegen und nicht einen Himmel zu bestürmen. Gott im Himmel zu bestürmen, umstimmen zu wollen, bestimmen zu wollen, ist anmaßend und theologisch dumm und dreist und human letztlich hilflos. Nur Kardinäle, denen nichts hillfreich Politisches einfällt, fordern zum „Bestürmen des Himmels“ auf…Sie fordern damit zum Aberglauben auf. LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

………………

Ein Kommentar zu diesem Beitrag von Heinz G.Liberda:

“Wie jemand zum Bittgebet steht, hängt oft mit seinem Gottesbild zusammen und dieses
wiederum mit dem „Seelenkostüm“ des Betreffenden, seiner psychologischen Entwicklung.

Wenn wir uns Gott unbegrenzt vorstellen, durch nichts eingeschränkt, dann sind auch sehr
viele Gottesbilder möglich – neben dem eines überpersönlichen Gottes ebenso gut das
biblische Bild vom Vater, der Bitten „hört“ (aber nicht zum „Erhören“ gezwungen werden kann).

Wenn ein erwünschtes Ereignis eintrifft, um das gebetet wurde, dann kann das als Gebetserhörung
geglaubt werden. Nur, das gewünschte Ereignis hätte auch, unbeweisbar, ohne Bitte eintreffen können.
Aber wer glaubt, dass seine Bitte erhört worden ist, kann Gott gegenüber dankbare Freude empfinden.

Wenn nach katastrophalen Ereignissen – wie z.B. den Atombombenabwürfen 1945 („Theodizee“) –
gebetet wird/wurde, dass so etwas nicht nochmals geschieht – wie Gott sei Dank bis jetzt(!) – ist das
eine Gebetserhörung? Liegt jemand nachweisbar falsch, der das glaubt?

Zuletzt eine wichtige Bitte: „Lieber Gott, lass´ alle Menschen – ob sie darum gebetet haben oder nicht –
ein Jenseits erleben, in dem sich Bittgebete erübrigen.“

H. G. L. 18.12.2023

 

Unruhen in Frankreich: Was sagt die katholische Kirche?

Beten und Appellieren

Frankreichs Katholiken und Muslims in der Krise Frankreichs Juni-Juli 2023

Ein Hinweis von Christian Modehn am 2. 7.2023

1.
Die katholischen Bischöfe Frankreichs haben am 1.Juli 2023 „die Katholiken in unserem Land“ offiziell zum Gebet aufgerufen. Gemäß der uralten Theologie sind sie überzeugt, dass Gott im Himmel das Gebet seiner Gläubigen hört und erhört und als Gott vom Himmel aus dann auch – möglichst – wunschgemäß handelt… Über diese Theologie gäbe es vieles kritisch zu sagen. Bittgebete in höchster Not sind immer Versuche der leidenden Menschheit, sich höchsten, himmlischen Mächten anzuvertrauen. Sozusagen als „Schreie der leidenden Kreaturen“, wie ein berühmter Soziologe, Karl M,.einst treffend sagte…
2.
ABER: Bittgebete, formuliert von einer Bischofskonferenz in einem Frankreich, das zu zerreißen und zu zerbrechen droht, sind doch ein bißchen sehr wenig, könnte man denken.
Könnten Bischöfe in Frankreich noch Vermittler zwischen den Fronten sein? Eher nicht, dafür ist der gute Ruf der Kirche, zumal der Bischöfe, angesichts sehr vielfacher Missbrauchs-Skandale seit Monaten ruiniert. LINK   Aber die Bischöfe könnten immerhin vorschlagen, dass bestimmte kirchliche Orte, Gemeindehäuser, Kirchen als Orte des Dialogs genutzt werden, falls ein Dialog jetzt möglich ist.
3.
In jedem Fall könnten die Bischöfe bekennen: Was die Kirche selbst alles auch versäumt hat in ihrer Vernachlässigung der Menschen in den Banlieues der großen Städte. Nachweislich ist die Tatsache, dass sich Priester und Jugendmitarbeiter etc. lieber in den behüteten Vierteln des schönen Paris oder Lyon oder Toulouse usw. aufhalten, als in den belasteten und ungemütlichen Regionen der Banlieues.
Banlieue bedeutet ja auch so etwas wie Bannmeile, meint Orte der Verbannten, der Armen, der aus den Stadtzentren Vertrieben , aufgrund der Immobilien-Spekulation, also der Gier der Reichen….Banlieues sind belastete Orte, auch wegen der Herkunft der dortigen Bewohneer vor allem aus arabischen, muslimischen Ländern. Sie erleben Ausgrenzung und Rassismus, das ist ein uraltes französisches Thema, tausend mal beschrieben… Aber selten politisch beachtet.
Diese Vernachlässigung der Kirche gegenüber den Menschen in den Banlieues ist eine Tatsache und auch statistisch nachweisbar. Die schwierige Sozialarbeit in den Banlieues überlässt man lieber wenigen mutigen, jetzt überalterten Ordensleuten (Fils de la Charité, Mission de France …etc.). Mit anderen Worten: Man könnte ein Eingeständnis eigenen Versagens erwarten als nur die Aufforderung „Beten!“.

4.
Das Gebet der Bischöfe vom 1. Juli 2023 hat diesen Inhalt:
„Nous te prions, Seigneur, pour le retour au calme et à la paix dans notre pays.
Nous te confions Nahel et nous prions pour ses proches. Que l’Esprit de lumière et de paix les soutienne.
Nous te confions les blessés de ces nuits de violence, ceux et celles aussi dont les lieux de vie ou de travail ont été détruits ou endommagés.
Nous te prions, Seigneur, pour les personnes engagées dans les forces de l’ordre et les services de l’Etat, soumis à de fortes pressions et parfois attaqués.
Inspire-nous, pour qu’avec les croyants d’autres confessions chrétiennes et d’autres religions ainsi qu’avec l’ensemble de nos concitoyens, nous sachions être des artisans de dialogue et de paix.
Nous te supplions encore : qu’au-delà même des explosions actuelles, notre société sache identifier avec lucidité les sources de la violence et trouver les moyens de la dépasser.“ (Quelle: Offizielle website der Conférence des évêques de France).

Eine Übersetzung:

„Wir bitten dich, Herr, für die Rückkehr zur Ruhe und zum Frieden in unserem Land.
Wir vertrauen dir Nahel (den von einem Polizisten getöteten Jugendlichen, CM) an und wir beten für seine Angehörigen. Und dass der Geist des Lichtes und des Friedens sie unterstütze.

Wir vertrauen dir die Verwundeten der Gewaltnächte an, auch diejenigen, deren Wohnungen und Arbeitsstätten zerstört oder beschädigt wurden.
Wir bitten dich Herr, für die in den Ordnungskräften und in den staatlichen Diensten engagierten Personen, die starkem Druck unterworfen sind und manchmal attackiert werden.

Inspiriere uns, dass wir mit den Gläubigen anderer christlicher Konfessionen und anderer Religionen sowie mit der Gesamtheit unserer Mitbürger es verstehen, Schöpfer des Dialogs und des Friedens zu sein.
Wir bitten dann auch noch: Dass, jenseits der aktuellen Explosionen (sic, CM), es unsere Gesellschaft versteht, mit Klarheit die Quellen der Gewalt zu identifizieren und die Möglichkeiten findet, die Gewalt hinter sich zu lassen“ (Übersetzung: Christian Modehn).

BEMERKENSWERT an dem Gebet ist u.a., dass die Bischöfe nicht das Wort Krawall und schon gar nicht den Begriff “Revolte” verwenden zur Beschriebung der “Krise”. Der Soziologe Sami Zegnani von der Universität Rennes deutet die gegenwaärtige Situation als Revolte. “Es gibt eine Reihe von Problemen, die seit 2005 nicht vorangekommen sind”, betont die führende Soziologin Stéphanie Vermeersch vom Forschungsinstitut CNRS.

Am 30.Juni 2023 haben die Verantwortlichen für „religiöse Kulte in Frankreich“ (CRCF) (also eine inter-rreligiöse Vereinigung aller Religionen) eine Stellungnahme veröffentlicht.
Darin heißt es: „Wir teilen den Schmerz der Familie von Nahel.. wir verstehen (entendons) das Leiden und die Wut, die sich jetzt ausdrücken, wir bedauern die Zerstörungen…Mögen Gläubige heute mehr als jemals zuvor Diener des Friedens sein und des Allgemeinwohls….
(Quelle: https://www.la-croix.com/Religion/Mort-Nahel-Nanterre-responsables-religieux-invitent-lapaisement-2023-06-30-1201273775)

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin