Wer wandern will und wer wandern muss: Philosophie des Unterwegsseins.

Dabei ist das Philosophieren selbst schon Wandern, Aufbrechen, Weitergehen, Neues suchen…

Ein Hinweis von Christian Modehn

Schon in meinem Newsletter des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons in Berlin (29.6.2018) hatte ich den 450 AbonnenTinnen das neue EXTRA Heft des Philosophie Magazins empfohlen: Und manche sagten mir, dass Sie das Heft gekauft haben!

Auf 130 Seiten werden viele unterschiedliche philosophische und literarische Aspekte des WANDERNS, manchmal kurz, manchmal ausführlicher, vorgestellt und ausgebreitet. Dieses Heft ist eine gute Inspiration in diesen Monaten der Ferien, wo doch viele unterwegs sind und etliche sogar wandern.

Und man blättert und liest dann gern in dem Heft, grafisch anregend gestaltet, dass man beim Wandern der Gedanken dann doch oft innehält und sich von Herren Thoreau, Tocqueville oder Rousseau in fernere Welten des Wanderns verführen lässt. WANDERN, das Heft, könnte fast eine Ergänzung sein zu der großen Ausstellung über das WANDERN in der Alten Nationalgalerie in Berlin (bis 16.9.2018).

Das EXTRA Heft wurde wieder von Catherine Newmark schön zusammengestellt. Am wichtigsten sind mir einige Interviews: Etwa mit dem jungen Philosophen Alexis Lavis (Paris) über Gehen im Buddhismus bzw. in der meditativen Praxis: Wenn wir Menschen gehen und wandern, so seine eigentlich ja selbstverständliche, aber oft vergessene Erkenntnis, bewältigen wir immer ein Ungleichgewicht. Wir finden gehend dann Halt sozusagen im Risiko des Schwankens und Schreitens auf unseren zwei Beinen. Halt finden im Risiko – ist ja auch ein tolles Thema.

Vielleicht sollte man die Lektüre des Heftes mit dem Beitrag von Florian Werner beginnen, (Seite 98 ff); sein Text hat den Titel „Gute Gründe zu gehen“: Florian Werner spricht von Pilgerschaft, Gedankengängen, politischen Protestmärschen und dem Kunstwandern. Fast hätte ich gesagt, dass ein Interview mit Thea Dorn, der „medial Allpräsenten“, nicht fehlen durfte, so auch in diesem Heft zum bezeichnenden dornigen Thema „Das deutsche Wandern“. Was wäre das „kenianische Wandern“ der dortigen verarmten Hirten-Völker?

Ich empfehle das Heft WANDERN nach wie vor.

Nur meine ich: Auch PhilosophInnen sollten bei einem Heft über das Wandern die globale politische Situation ausführlich in den Blickpunkt rücken. Über 65 Millionen Menschen wandern ja im Moment nicht freiwillig und aus Lust und Urlaubslaune wie wir, sondern weil sie wandern MÜSSEN: 65 Millionen Flüchtlinge sind heillos suchend und förmlich flehend unterwegs. Sie werden aber als abstrakte Zahlen von den sich immer noch christlich nennenden Regierungen in Europa behandelt, von ihnen werden sie hin – und hergeschoben, eingemauert, eingelagert; sie ertrinken nach ihren Wüstenwanderungen im Mittelmeer, werden hier oft in Deutschland erbärmlich untergebracht, bis sich rechtsradikale Deutsche aufmachen und deren Unterkünfte in Deutschland stark belästigen, um es einmal milde zu sagen. Die Zahl rechtsextremer Straftaten durch Deutsche aus dem sehr rechten Umfeld steigt! Das wird kaum öffentlich erwähnt. Über Verbrechen aber, die dann einzelne von den Medien total identifizierte „muslimische“ „Flüchtlinge“ begehen, wird eine Info – „Flut“ (um das rechtsextreme Wort zu verwenden) hierzulande verbreitet. Da wird nicht der einzelne Übeltäter angesprochen, sondern die ganze Gruppe, eine ganze Religion. So machten es auch die Nazis, als sie von „den jüdischen Dieben“ etwa sprachen.

Mit anderen Worten: Eine schöne romantische Wanderwelt mit entsprechender Mode und Ausrüstung können nur wir begüterte Europäer uns leisten. Wir wandern ja sogar in Gegenden, aus denen die Flüchtlinge stammen, beliebt sind ja die wohl – umsorgten Wüstenwanderungen reicher Europäer durch die Sahara. Vielleicht sollten diese Wüstenwanderungen mal einen Abstecher nach Libyen machen, etwa in die Lager der dort misshandelten miserabel untergebrachten Flüchtlinge aus Eritrea, dem Tschad usw. Reiseleiter sollten dort unbedingt die kundigen Herren Söder (CSU) und Söders intimer Freund) Orban (Ungarn) sein. Vielleicht blieben sie gern dort als Helfer? Wäre zu hoffen!

Mit anderen Worten: Ich würde mir bei aller Schönheit des klassischen Wanderns und Flanierens der reichen Europäer auch die ausführliche Dokumentation der Strapazen der 65 Millionen Flüchtenden wünschen. Dann würde vielleicht auch noch ein Herr Seehofer zur Räson kommen und sich wenigstens für seinen politischen Blödsinn entschuldigen und sich dann nach Oberammergau zurückziehen.

Soweit ich sehe, ist ein einziges Foto mit sehr knappem Text auf Seite 115 im Heft dem Thema Flüchtlinge gewidmet. Das geht nun aber wirklich nicht, zumal das Zitat auf dem Foto zu einer armen Wüstenwanderin in Afrika, es stammt von dem Schriftsteller Saint-Pol-Roux, so in dieser Knappheit völlig missverständlich ist und irgendwie in der „Luft hängt” Was soll das?

Man sieht also: Allein schon das Nachdenken über „das Wandern“ führt aus der Abstraktion oder der hübschen historischen Erinnerung heraus, weckt förmlich die politische Wut, die uns ja Stéphane Hessel sehr zurecht so dringend empfohlen hatte! So wandert man als wütend philosophisch weiter.  Und weiß dabei: Philosophie sollte heute explizit reflektiert politisch, humanistisch, solidarisch sein. Nur das gilt  heute!

Aber wahrscheinlich bereitet das von mir schon so oft besprochene und oft gelobte „Philosophie Magazin“ bereits ein Sonderheft über Flüchtlinge vor, in enger Zusammenarbeit mit den vielen gut ausgebildeten syrischen Journalisten in Berlin und den PhilosophInnen aus den „Flüchtlingskreisen“ hier. das ist ja ein tolles Thema, das da gemacht wird. Das Motto des Heftes wäre: „Wir alle sind auf der Flucht … vor dem Wahnsinn der Unvernunft“. Da wäre mein copyright gültig als Ideenspender…

PS: Ich habe vor zwei Jahren einen kleinen Essay geschrieben zum Thema: Philosophen als Flüchtlinge, vielleicht interessiert auch dieser Text. .

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.