Dialog der Religion in Barcelona
In Katalonien sorgt die Regierung dafür, dass sich alle Religionen frei entfalten können – wenn sie die Staatsgewalt anerkennen
Von Christian Modehn
– angesichts des Besuches des Papstes in Barcelona am 8. 11.2010 dürfte dieser Beitrag von Interesse sein-
Katalonien mit der Hauptstadt Barcelona ist eine besonders ehrgeizige Region in Spanien: Ökonomisch in guter Verfassung, fördert die Landesregierung nicht nur kulturelle Innovationen im Bereich von Literatur und Theater. Sie will auch die Religionen fördern und dafür sorgen, dass sich alle Konfessionen frei und gleichberechtigt entfalten können. Aus diesem Grund hat die sozialistische Regierung vor acht Jahren – einmalig in Europa – das staatliche Büro für religiöse Angelegenheiten geschaffen. Es wird von der Philosophin Montserrat Coll geleitet, die der linken Partei ERC nahesteht. Die ERC setzt sich für einen eigenständigen katalonischen Staat ein.
In Katalonien sind 13 verschiedene Religionen vertreten, darunter Buddhisten und Hindus, Juden und Sikhs, Baha’i und Taoisten sowie einige evangelische und orthodoxe Kirchen. Der Anteil der einst dominierenden Katholiken nimmt kontinuierlich ab. Jeder zehnte Einwohner Barcelonas nennt sich »Atheist«. Bei den lateinamerikanischen Immigranten werden die evangelischen, zum Teil pfingstlerischen Freikirchen immer beliebter.
Alle diese Gemeinschaften will das Amt für religiöse Angelegenheiten beraten und unterstützen, etwa wenn sie Bauland für ihre Kirchen und Tempel benötigen oder Hilfe bei sozialen Projekten erforderlich ist. Doch diese Unterstützung erfolgt nur unter klaren Bedingungen: »In Katalonien haben alle Religionen die Trennung von Politik und Glaube anzuerkennen. Religiöse Vorschriften dürfen niemals staatliches Gesetz werden«, sagt Montserrat Coll.
Diese Forderung ist vor allem auf die muslimischen Gemeinden gemünzt: Die Scharia darf keine Gültigkeit haben. »Allerdings kann sich jeder und jede so kleiden, wie es der eigenen religiösen Tradition entspricht, unter der Bedingung, dass dabei nicht die Freiheit anderer beeinträchtigt wird.« Radikale Tendenzen sollen dadurch unterlaufen werden, dass der Staat sich um die Ausbildung Katalanisch sprechender Imame kümmert. »Die Religionen sollen ihre eigenen Werte einbringen, sie müssen aber das bürgerliche Zusammenleben respektieren und für die Integration ihrer Gläubigen in unserem Land sorgen. Das bedeutet für uns Laizität des Staates«, sagt die 56-jährige Politikerin, die sich selbst als progressive Katholikin bezeichnet.
Erst kürzlich organisierte das Amt für religiöse Angelegenheiten »Tage der offenen Tür« in etwa 100 muslimischen Gebetshäusern. Im Mai 2005 wurde das Katolanische Parlament der Religionen einberufen: 800 Vertreter aller Konfessionen kamen zusammen. Einmal mehr musste die katalonische Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen, dass oft noch verfeindete Religionen durchaus auch partnerschaftlich miteinander umgehen können. Ohne staatlichen Einsatz wäre das nicht möglich gewesen. »Die Tatsache, dass es dieses staatliche Amt für Religionsfragen gibt, ist ein klares Zeichen dafür, dass die sozialistische katalonische Regierung die Notwendigkeit und Bedeutung von Religion in der sogenannten postsäkularen Gesellschaft anerkennt«, meint der deutsch-katalonische Philosoph Alexander Fidora aus Barcelona. »Ich sehe darin eine Chance: Es wird Druck auf die religiösen Gemeinschaften ausgeübt, im politischen Diskurs die eigenen Positionen und religiösen Überzeugungen für alle verständlich darzustellen.«
Da die meisten Religionen ökonomisch und personell zu schwach sind, um auf breiter Ebene den interreligiösen Dialog organisieren zu können, müssen auch konfessionell neutrale Gruppen aktiv werden: So bemüht sich zum Beispiel Unesco CAT (CAT steht für Katalonien) seit 1999 um eine Überwindung des Konfessionalismus und Fundamentalismus an der Basis. »Unsere Vereinigung will durch den interreligiösen Dialog für den sozialen Frieden sorgen. Dabei werden wir von der Landesregierung finanziell unterstützt. Unsere Mitglieder gehören verschiedenen Religionen an«, berichtet der Geschäftsführer des Vereins, der Religionswissenschaftler Francesc Torradeflot. »Evangelische Pfarrer sind dabei und Rabbiner, katholische Priester und Laien sowie buddhistische Mönche. Selbst die Muslime machen mit. Und auch Organisationen der Atheisten nehmen am Dialog teil, es haben sich schon Freundschaften zwischen Atheisten und Christen in unserem Verein gebildet.«
Über diese Erfahrungen wird in der Zeitschrift Dialogal berichtet. Sie wird von Unesco CAT herausgegeben und vom Amt für religiöse Angelegenheit finanziert. Dialogal vertieft aus religionswissenschaftlicher Perspektive die Kenntnisse über die Weltreligionen, berichtet über religiös bedingte Konflikte weltweit, aber auch über interreligiöse Gesprächskreise in den Haftanstalten Kataloniens oder über wissenschaftliche Diskussionen im Kloster Montserrat bei Barcelona.
Am wichtigsten ist die Vereinsarbeit in den Neubauvierteln am Rande der großen Städte. Dort kümmern sich Teams von Pädagogen, Religionswissenschaftlern und Psychologen um den sozialen Frieden. Sie schalten sich ein, wenn es Konflikte gibt, wenn sich arabisch geprägte Jugendliche mit Spaniern prügeln. »Unsere Mediatoren gehen in die sogenannten schwierigen Wohnviertel und besuchen alle religiösen Gruppen des Stadtteils«, berichtet Francesc Torradeflot. Sie arbeiten mit der Stadtverwaltung und den verschiedenen religiösen Gemeinden zusammen.
Inzwischen gibt es ein weltweites Netzwerk »religionswissenschaftlicher Mediatoren in Krisengebieten«. Die Teams der Friedensstifter in Barcelona plädieren dafür, in allen Schulen den Religionskunde-Unterricht einzuführen, der über alle Religionen objektiv informiert. Wer nur den konfessionellen Unterricht erlebe, sei dem religiösen Pluralismus nicht gewachsen, heißt es. Die katalonische Regierung steht dem Projekt sehr positiv gegenüber. Doch die katholischen Bischöfe sind strikt dagegen. Sie berufen sich auf das Konkordat mit dem Vatikan, in dem der konfessionelle Religionsunterricht in Verantwortung der Kirche festgeschrieben ist.
Doch der interreligiöse Dialog kommt auch in der katholischen Kirche voran: Der Kardinal von Barcelona, Luis Martinez Sistach, empfing kürzlich eine Gruppe von Muslimen. Wenige Tage später nahm er sich Zeit, mit dem Dalai Lama zu sprechen. Beide betonten: »Der Dialog kann den Geist eines jeden Gesprächspartners reinigen sowie zum Mitleid mit den Ausgegrenzten führen.«