Eine Radiosendung im RBB 2003,von Chrhistian Modehn
(Die Darstellung des Textes entspricht den Formen der Hörfunk-Produktion. )
1. SPR.: Berichterstatter
2. SPR.: Übersetzer und Zitator
20 O TON Zuspielungen,.
10 musikal. Zuspielungen.
1.SPR.: Sonntag morgen im Amsterdamer Grachtenviertel. Aus den Kabinen ihrer Hausboote treten junge Leute ins Freie und reiben sich die Augen. Die Stadt ruht noch. Ein paar japanische Touristen stehen staunend vor 400 Jahre alten Giebelhäusern, schmal und schief, aber immer standfest. Kein Autolärm stört die Stille. Einige Menschen eilen über die kleinen Brücken an der Brouwersgracht…
Pünktlich um 11 wollen sie im Kulturzentrum “De rode hoed” (de rode hut) sein, ein schönes Haus aus Backstein an der Keizergracht. Im großen Saal haben 200 Menschen, junge und alte, haben Platz genommen. In der Mitte steht ein Altar. Rechts daneben erheben sich gerade die 40 Sängerinnen und Sänger des Kirchenchors. Der Gottesdienst beginnt.
musikal. Zusp.,
2. SPR.:
Streck deine Hände nach mir.
Streck dein Wort nach uns aus.
Ein Mensch hat von dir gesagt:
Du bist kein Gott der Toten.
Alle leben doch durch dich.
1. musikal. Zusp., noch einmal 0 10″ freistehen lassen.
1. SPR.:
Mitten unter den Gläubigen sitzt Huub Oosterhuis. Er ist der Leiter der Gemeinde, die seit 15 Jahren einen Konzertsaal für den Gottesdienst mietet. “De Rode Hoed”, auf Deutsch: ” Der rote Hut”, ist ein angesehenes Kulturzentrum; das Prädikat “rot” sagt alles über die politische Orientierung des Hauses. Während der Woche finden Lesungen und Podiumsdiskussionen statt, Radiosendungen werden life übertragen. Aber sonntags von 11 bis 1 kommt eine multi-konfessionelle Gemeinde zusammen: Protestanten und Katholiken, Gläubige, Skeptiker und Humanisten feiern zusammen Gottesdienst. Sie gehören zur “Studentenecclesia”, zur Studentengemeinde, ein traditionsreicher Name, der bis heute beibehalten wird, auch wenn die meisten Mitglieder längst ihre Studien abgeschlossen haben. Sie kommen vor allem wegen der Poesie und der Lieder, die ihr Gemeindeleiter Huub Oosterhuis geschrieben hat:
1. musikal. Zusp.noch mal ca.0 10″ freistehen lassen.
1. SPR.:
Huub Oosterhuis, 69 Jahre alt, ist einer der bekanntesten holländischen Dichter. Sein literarisches Werk umfasst mehr als 30 Bücher. Seine Gedichte, Psalmen und Meditationen sind auf 25 CDs versammelt. Kürzlich wurde er von der theologischen Fakultät der Freien Universität in Amsterdam mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Geehrt wurde ein Theologe, der nicht abstrakt, schon gar nicht historisch oder systematisch von Gott und der Bibel spricht, sondern poetisch: Huub Oosterhuis:
1. O TON ZUSP.: Ca. 0 28″.
2. SPR.:
Die Poesie ist die älteste liturgische Sprache. Und Poesie ist von selbst rituell gestaltet und musikalisch. In allen alten Liturgien lebt die Poesie, man denke nur an die Litaneien, die Bittgesänge. Die Bibel selbst besteht zu 90 Prozent aus Poesie.
2. musikal. Zusp.
2. SPR.:
Hör mich,
sei nicht Totenstille,
gib Antwort,
Gott: Sieh uns.
Welt voller Gewalt,
Fronten, Gettos.
Sieh uns.
2. musikal. Zusp.
1. SPR.:
Poesie im Gottesdienst. Abgenutzte Begriffe und religiöse Floskeln können die frommen Leute im Roten Hut nicht ertragen. Sie lieben die zum Fragment verkürzte Sprache; sie schätzen die Worte des Dichters, der das tastende Suchen nach dem Unendlichen mehr liebt als die überlieferten Bekenntnisformeln. Huub Oosterhuis spricht in Bildern, die zu Denken geben. Für unkritische Frömmelei gibt es hier keinen Platz.
2. musikal. Zusp., noch einmal 0 10″ freistehen lassen.
1.SPR.:
Die Komponisten Antoine Oomen)und Tom Löwenthal haben den Texten von Huub Oosterhuis ihre musikalische Form gegeben, auf hohem Niveau! Sie orientieren sich an Vorbildern des 20. Jahrhunderts, wie Kurt Weill, und an Traditionen der Romantik. Das Trallala des Sakro-Pop hat hier keine Chance. Es ist ernste, vielleicht schwermütige spirituelle Musik. In jedem Fall: Es sind Melodien, die bewegen und berühren. “Der Gott in uns verborgen” wird angesprochen und voller Sehnsucht erwartet:
3. musikal. Zuspielung.
SPR.:Mindestens 7 Lieder werden während eines Sonntags-Gottesdienstes im Roten Hut gesungen, die Bibel wird vorgetragen, Brot und Wein werden gereicht in einer schlichten Abendmahlsfeier, zu der selbstverständlich Christen aller Konfessionen eingeladen sind. Die Predigt steht im Mittelpunkt, immer geht es Huub Oosterhuis um eine zeitgemäße Deutung des Alten und des Neuen Testaments:
2. O TON ZUSP.:
2. SPR.:
Unser Ausgangspunkt ist die Bibel. Das war doch die grosse Entdeckung des 20. Jahrhunderts, dass die Bibel der wichtigste Quelle ist noch vor allen kirchlichen Sonder-Traditionen. Früher haben die Kirchen diese Quelle eher verstopft und blockiert; jetzt bringen wir sie wieder zur Geltung. Aber es ist selbstverständlich, dass wir die Bibel nur als Ausgangspunkt für unsere Poesie nehmen. Wir deuten die Bibel doch nicht fundamentalistisch! Denn die Menschen von heute bringen ihre eigenen Gedanken mit, ihre Philosophie, ihre Lebenserfahrung. Das zählt doch auch. Der moderne Mensch soll sich in den Liedern wiederfinden. Darum sage ich: Die Bibel bleibt ein Eckpunkt, aber sie nicht das Ein und Alles. Es kann doch nicht sein, dass wir nur noch Worte verwenden, die in der Bibel vorkommen.
1. SPR.: Eine Position, die auch in den traditionsreichen christlichen Kirchen der Niederlande Zustimmung findet, etwa bei den Lutheranern. Ilona Fritz ist deren Synoden-Vorsitzende:
3. O TON Zusp., Ilona Fritz.
“Was mich bei Huub Oosterhuis anspricht ist, dass er eine Sprache gefunden hat, die an der einen Seite Jesus näher bringt. Auf der anderen Seite findet er durch die poetische Sprache auch einen Rahmen, in dem das Geheimnis des Glaubens noch gewahrt bleibt. Und das finde ich das Starke an Huub Oosterhuis.
3.musikal. Zusp.:
1. SPR.:
Nicht nur in Amsterdam, in vielen Kirchen-Gemeinden der Niederlande werden seit 30 Jahren an jedem Sonntag Gedichte und biblische Texte von Huub Oosterhuis gelesen oder gesungen. Wenn der Begriff nicht so altertümlich wäre, könnte man ihn einen holländischen “Kirchen-Vater” nennen, so groß ist sein Einfluss. Der Katholische Pastor Ricus Dullaert (sprich Ricüs Düllart) aus Amsterdam erzählt gern eine kleine Anekdote:
4. O TON Zusp. Ricus Dullaert. 0 29″.
Es gibt einen Ausdruck in Holland: Warom hebt uw uit mijn huis een Oosterhuis gemaakt? Das heißt: Warum hast du aus meinem Haus ein Oosterhaus gemacht? Das heißt, dass in fast alle Kirchen in Holland, katholische Kirche, holländisch-reformierte Kirche, reformierte Kirche, was auch für eine Kirche, werden die Lieder von Oosterhuis gesungen. Das sagt so, dass man aus Haus Gottes ein Oosterhaus gemacht hat.
1. SPR.:
Das “Oosterhaus” ist ein besonders feines und anspruchsvolles: Hier wird das persönliche Gebet als literarische Form gepflegt. Es ist schon bemerkenswert, dass ausgerechnet in Amsterdam Beten als kultureller Wert wieder-entdeckt wird: Die niederländische Hauptstadt gilt als gottlos, nur 10 Prozent der Einwohner sind noch Mitglied einer Kirche. Aber Beten, als persönliche Poesie, wollen viele: Beten ist die innere Sammlung des Menschen vor Gott, das “Sich zu Wort melden” vor dem Unendlichen. In einem der wenigen Interviews, die er jemals in deutscher Sprache gab, beschreibt Oosterhuis seine grundlegende Überzeugung:
5. O TON Zusp., Oosterhuis, 0 32″.
“Worte sind Lebensrettung. Ich würde mich selber verlieren, ich würde verwelken und chaotisch werden, verschüttet unter der schweigenden Mehrheit und der wortlosen Gewalt, wenn ich nicht mehr aussagen kann, wer ich bin. Wer darauf verzichtet, sich selbst und andere auszusagen, kommt niemals mehr zu Wort, ist verloren, ist namenlos.
1. SPR.:
Wer betet, entwickelt seine persönliche Mystik. Der lebendige Mensch steht im Mittelpunkt, nicht der Sieger, nicht der Held oder der Erfolgreiche. Zu Wort kommt der Kleine, der Unbedeutende, der Leidende. Ihm soll Gerechtigkeit widerfahren! Eine Perspektive, die Pierre Valkering hilfreich findet. Er ist Pastor in Amsterdam:
6. O TON Zusp., Valkering 0 36”.
Ich erkenne wieder in den Texten von Huub Oosterhuis: der Mensch in der Wüste, also der ungeborgene Mensch auf der Suche nach Geborgenheit, nach Gott. Aber verunsichert. Wir sind nicht erlöst, viele Gefahren von allen Seiten auf sich zukommen sieht und von dort aus Gott sucht. Also, es ist keine Selbstverständlichkeit, dass es Gott gibt. Also in die Lieder von Huub Oosterhuis erkenne ich wieder Zweifel.
1. SPR.:
Den Zweifelnden und Skeptikern innerhalb der christlichen Gemeinde Raum geben: Eine Aufgabe, die angesichts der vielen “unkirchlichen Menschen” in Holland besonders wichtig ist. Auch Prinz Claus aus der königlichen Familie der Niederlande fühlte sich als “Suchender am Rande der Kirche”. Er hatte noch Wochen vor seinem Tod mehrmals längere Gespräche mit Huub Oosterhuis führen können. Schließlich bat er ihn noch darum, bei seinem Totengedenken, dem Abschiedsgottesdienst, das Wort zu ergreifen. Am 15. Oktober 2002 hielt Huub Oosterhuis in der Amsterdamer Nieuwe Kerk eine viel beachtete Predigt.
7. O TON. 0 46″ .
2. SPR. :
Claus war kein regelmäßiger Kirchgänger. Das Wort Gott kam nie über seine Lippen. Jede dogmatische Festlegung war ihm fremd. Er hatte mehr Fragen als Antworten, so, wie viele außerhalb der Kirche lebende Christen auch. Über schwierige religiöse Erfahrungen sprach er nicht. In seinen späteren Jahren hatte er aber doch Kontakt gesucht mit dem Buch der Bibel, er hat Verbindung zu ihm gefunden und er erkannte die große Geschichte der Bibel.
1. SPR.: Ein theologischer Poet, der Brücken baut; der den richtigen Ton findet für Menschen, die sich von dogmatischen Bindungen befreit haben, aber an der Botschaft der Bibel festhalten wollen. Zornig sein und wütend werden über Gott- auch das hat bei Oosterhuis einen Platz: Tom Löwenthal setzt diese Erfahrung musikalisch um:
4. musikal. Zusp., Die zegt God te zijn.
2.SPR.:
Der da sagt, Gott zu sein.
So lass er doch zum Vorschein kommen
was wir denn an seinem Namen haben.
Soll er doch auftreten, damit wir ihn sehn.
Die Stimme aus der Feuerwolke in der Ferne
reicht nicht aus
für diese Erde aus Scherben und Rauch
wo uns kein Leben gegönnt wurde.
4. musikal. Zusp.
1.SPR.:
Seit mehr als 20 Jahren werden die Gebete von Huub Oosterhuis auch in deutscher Sprache gesungen; im “Gotteslob”, dem katholischen Gesangbuch für den deutschsprachigen Raum und auch im Evangelischen Gesangbuch sind drei seiner frühen Lieder vertreten. Und die Schola der “Kleinen Kirche” von Osnabrück sorgt heute dafür, daß immer mehr neue, auch provozierende Lieder des theologischen Poeten hierzulande im Chor einstudiert und in den Gottesdiensten gesungen werden.
5. musikal. Zusp., 0 15″ freistehen lassen, und wirklich AUSBLENDEN, um Kürzungsmögl. zu schaffen:
1.SPR.:
Unmittelbar neben dem Dom von Osnabrück befindet sich die “Kleine Kirche”. Seit 30 Jahren treffen sich hier Katholiken und auch einige Protestanten, die sich in ihren Ortsgemeinden nicht mehr zu Hause fühlen; sie finden in den Gottesdiensten der “Kleinen Kirche” eine zeitgemässe Verkündigung sowie eine verbindliche Gemeinschaft der Gottesdienstbesucher untereinander. Günter Doetsch ist dort einer der Kirchenmusiker:
8. O TON Zusp., 0 30″.
“Die Kleine Kirche bedeutet für mich ein Ort, wo ich getrost zur Kirche gehen kann und mich nicht immer ärgern muß über vieles, was in anderen Kirchen passiert. Da stört mich, dass die Musik, der ich ja besonders verbunden bin, in den meisten Kirchen nur schmückendes Beiwerk ist. Die Musik überbrückt irgendwelche Leerläufe in der Kirche. Während die Musik in unserer Kirche mit Liturgie ist, sie gehört dazu, sie ist Bestandteil des Gottesdienstes.
1.SPR.: Zur Schola gehören 30 Frauen und Männer. Sie stehen hinter dem Altar im Halbkreis: Chor und Gemeinde können sich in die Augen sehen, sie sind miteinander verbunden. Klassische kirchenmusikalische Traditionen werden zwar auch gepflegt, aber die Lieder von Huub Oosterhuis werden an jedem Sonntag in der “Kleinen Kirche” gesungen. Vor allem jüngere Chormitglieder sind darüber froh. Birgit Eilers:
9. O TON Zusp., 0 30″.
“Bis Mitte Zwanzig Jahre habe ich gern auch Sacro-Pop gesungen, ich denke, das passt auch zu seinem eigenen Alter dann. Ich singe auch gern jetzt mit den Kindern Kinderlieder, geistliche Kinderlieder. Aber irgendwann mit 25, 30, überlegt man sich: Passt das noch zu einem. Und da bin ich eben in die Schola der Kleinen Kirche gekommen und mit Oosterhuis Gesängen auf das gestoßen, was jetzt als Nächstes kommen kann, was mich auch den Rest meines Lebens begleiten kann. Ich kann viele Lieder jetzt nach 10 Jahren natürlich auswendig singen.
6. musikal. Zusp., auf Deutsch, “Siebenmal”.
2.SPR.:
Siebenmal neugeboren
kleingekriegt und ausgeworfen
wird ein Mensch, um Mensch zu werden.
Siebzigmal sieben Bäume
werden blühen, wo wir wohnen…
Licht wird auf dem Wasser strömen….
6. musikal. Zusp. noch einmal ca. 0 15″ freistehen lassen.
1. SPR. Ein Lied der Hoffnung: Die tödlichen Mächte werden nicht das letzte Wort haben. Die musikalische Gestalt entspricht dem Inhalt; von der typisch beschaulichen Sanftheit eines traditionellen Chorals ist keine Spur. Günter Doetsch:
10. O TON Zusp., 0 26″.
“Am letzten Samstag war eine Taufe, da haben wir das Lied gesungen: Halt mich am Leben. Da habe ich also Tagelang nachgedacht, was heißt eigentlich Leben, ist es das körperliche Leben, ist es das geistige Leben? ist es Lebendigkeit. Und wenn so ein kleines Kind getauft wird und die Gemeinde singt Halt mich am Leben, was steckt dahinter, wie steht die Gemeinde zu diesem Kind. Also, das hat mich in der letzten Woche durchaus maßlos beschäftigt.
1.SPR.: Huub Oosterhuis und sein Komponisten-Team haben die Liturgie maßgeblich geprägt. Verglichen damit sieht die zeitgenössische Szene der deutschsprachigen Kirchenmusik eher bescheiden aus, meint der Leiter der Schola Ansgar Schönecker:
11. O TON Zusp., 0 40”.
“Es gibt meiner Ansicht nach schon zwei Leute, die man nennen könnte, das sind Lothar Zenetti und sicher Kurt Marti. Aber Texte und die dazugehörigen Kompositionen klaffen meiner Ansicht nach unglaublich auseinander. Weil die Liedkompositionen nicht das wiedergeben, was eigentlich diese Texte nun wirklich an Aussage bedeuten. Da gibt es ganz ganz wenige Leute, die das adäquat machen können. Aber dieses Gesamtkonzept, was es in Amsterdam gibt, die Dichtung und dazugehörig Komponisten, die was von ihrem Fach verstehen und das dann umsetzen und zwar für die Gemeinde umsetzen. Das ist etwas Einmaliges. (Stimme oben)
1.SPR.:
Bemerkenswert ist auch die theologische Wirkungsgeschichte der Lieder von Huub Oosterhuis: Die Gemeinschaft der getrennten Christen wird betont; konfessionelle Eigenheiten bleiben außen vor, etwa die Heiligenverehrung, der Lobpreis der Kirche oder gar des Papstes. Thielo Zwartscholten ist Lutheraner und eifriges Mitglied der katholischen Kleinen Kirche zu Osnabrück:
12. O TON Zusp., 0 17”.
“Ich finde mich in den Oosterhuis Gesängen wieder, hab damit überhaupt keine Probleme. und bin auch in dieser Gemeinde herzlich willkommen. Und sehe in jeder Hinsicht ökumenische Tendenzen. Ich denke über Ökumene dann gar nicht nach, über unterschiedliche Konfessionen, das macht mir Oosterhuis so sympathisch.
7. musikal. Zusp., bleibt ca 0 15″ freistehen,
1. SPR.: Größer als das Herz der Menschen ist Gott: Ein Lied wie dieses weitet das Denken, es führt zum Wesentlichen, zur Gottesfrage. Einige andere Gemeinden in Deutschland folgen diesem Impuls. Karin Gastell ist Kantorin der katholischen Hedwigs-Gemeinde in Bremen:
13. O TON Zusp., 0 50”.
“Es ist so, dass das Repertoire ja so groß ist, dass man wirklich für jeden Sonntag etwas finden kann. Die Resonanz ist sehr gut. Ich glaube, dass es ein Bedürfnis gibt, das im Augenblick durch keine andere Musik in Deutschland auch aufgegriffen wird. Ich glaube, daß die Gemeinde an die Musik auch höhere Ansprüche stellt. Sie will nicht nur in eine bestimmte Stimmung gebracht, sondern auch für den Kopf zum Nachdenken mit nach Hause nehmen. Viele Texte erschließen sich ja auch nicht beim ersten Lesen oder beim ersten Singen, sondern oft auch erst nach einigen Jahren, wenn man an bestimmte große Gesänge von Karfreitag oder Ostern denkt. Diese Musik verbraucht sich nicht. Man kann sie auch nach Jahren mit neuen eigenem Erleben und Inhalten auch füllen.
1.SPR.:
Huub Oosterhuis übermalt alte Glaubens-Bilder, ahnungsweise werden neue Bedeutungen sichtbar. Er schafft Fragmente, wo früher ein perfekt durchdachtes Glaubenssystem stand. Er liebt den Essay, den Versuch, mehr als das fertige Werk. Der katholische Pfarrer Hans Kessler hat Oosterhuis in Deutschland bekannt gemacht:
14. O TON ZUSP., 1 01”.
“Was er versucht, ist, feste Klischees, wie allmächtig, allwissend, allgütig, allbarmherzig, allgerecht, das in Frage zu stellen. Und wenn er das in Frage stellt, wie kann man das, was damit gemeint sein könnte, wie kann man das heute noch ausdrücken. Und mit allmächtig: Ja, angesichts der Welt, kann man das Wort so nicht gebrauchen. Wenn ich die Welt begucke, wie sie ist. Da fällt das Wort allmächtig einem heutigen Zeitgenossen schwer, das über die Lippen zu bringen. Mit fällt das schwer, anderen fällt da auch schwer. Ist damit aber das, was damit gemeint war, ist das erledigt? Das glaube ich nicht. Aber wie drückt man das Nichterledigte aus? Und da meine ich, da kommen wir in den Texten zu Wendungen und Ausdrucksmöglichkeiten, die vieles von dem retten und auch wieder neu sagen.
1. SPR.:
Auch in Berlin werden einige Oosterhuis-Lieder im Gottesdienst gesungen, zum Beispiel in der evangelischen Kirche zum Heiligen Kreuz im Stadtteil Kreuzberg: Reinhard Hoffmann ist der Kantor:
16. O TON, auf Deutsch.
Das ist eine Musik, die wir hier nie zustande bringen, sie hat eine andere Tiefe. Er hat eine ganz eigene musikalische Sprache. man spürt die Weltläufigkeit. Das ist verblüffend. Das ist so anspruchsvoll, das kann man nicht ohne weiteres vom Blatt spielen, muss man schon genauer hingucken”. (Stimme oben)
1. SPR.: Beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin hat der Chor aus Osnabrück Lieder von Oosterhuis präsentiert. Kees Kok, ein enger Mitarbeiter der Studentenecclesia in Amsterdam, war dabei:
17. O TON Kees Kok.
“Die Leute, die da waren in der Kirche, das waren zweimal 250 Leute, die waren alle Fans. Vielleicht hundert, die sowie schon Oosterhuis kennen, die anderen waren von Kirchentag, aus ganz Deutschland natürlich. Mein Eindruck war, dass sie ehr beeindruckt waren. Die haben auch ziemlich applaudiert, die hörten nicht auf. Ich denke nicht, dass es etwas typisch Holländisches ist. Ich denke, das ist etwas ganz Universales. Das habe ich in Berlin so erfahren.
8. musikal. Zuspielung. !!, als “Rückkehr” nach Holland. bleibt ca. 0 20″ freistehen.
1. SPR.:
Huub Oosterhuis ist sozusagen ohne Konkurrenz. Längst werden seine Lieder auch in Skandinavien und den USA gesungen. Und in seiner niederländischen Heimat kann keine Kirchen-Gemeinde mehr auf ihn verzichten. Dabei wissen Holländer aller christlichen Konfessionen, dass der Amsterdamer Dichter-Theologe alles andere ist als ein Mann der offiziellen katholischen Kirche:
Huub Oosterhuis, 1933 in Amsterdam geboren, trat nach dem Abitur in den Jesuitenorden ein. Er studierte Theologie, als junger Priester gehörte er seit 1965 zum Team der Amsterdamer Studentenseelsorger. 1970 entschied sich der Jesuit Huub Oosterhuis zu heiraten. Die Studentengemeinde und die übrigen Pastoren waren überzeugt, dass er auch als verheirateter Priester weiterhin der Leiter der Eucharistiefeier sein könne. Aber Rom untersagte das Experiment des verheirateten katholischen Studentenpfarrers. Doch der beugte sich nicht römischen Befehlen! Die Wege trennten sich: Oosterhuis und die “Studentenecclesia” sind seit 1970 nicht mehr Teil der offiziellen römisch-katholischen Kirche. Oosterhuis ist nun ein freier Theologe und Dichter. Ohne jegliches Reglement von offizieller Seite kann er seine theologische Poesie entwickeln und seine Liturgie gestalten. Einige katholische Gemeinden der Niederlande sind seinem Weg gefolgt, sie haben sich zu unabhängigen ökumenischen Gemeinden entwickelt und von Rom gelöst.
In einem seiner biografischen Bücher, dem niederländischen Werk “Twee of drie”, auf Deutsch “Zwei oder drei”, schreibt er:
2.SPR.: Ich mache mir keine Illusion, dass man die offizielle Kirche von innen heraus erneuern könnte. Wir gehören als Studentenecclesia zum Netzwerk der Basisgemeinden und Kritischen Gemeinden, die am Rande, wenn nicht außerhalb der Institution stehen. Durch diese Selbständigkeit haben wir viel Energie frei bekommen.
1. SPR.:
Die Entwicklung der römischen Kirche betrachtet Oosterhuis mit kritischer Gelassenheit. Er kann sich zentralistisch geleitete Kirchen, die Gesetze und Normen für die ganze Welt festlegen, schlechterdings nicht mehr vorstellen. Dabei weiß er sich mit der urchristlicher Tradition verbunden:
18. O TON: Oosterhuis
2. SPR.:
Die Gemeinde ist immer eine bestimmte Ortsgemeinde. An einem bestimmten Platz kommen Menschen zusammen, mit einem ganz bestimmten gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Hintergrund. Unsere Situation ist doch ganz anders als die einer Gemeinde in Rom oder Nordafrika. Wir haben die Rechte der Ortsgemeinde wiederbelebt, dabei haben wir unsere eigenen Weise, dem Glauben eine Form zu geben. Das ist einer der ältesten theologischen Gedanken.
1.SPR.:
Die Amsterdamer Studentenecclesia lebt von Spenden. Und es ist wohl typisch für Holland, dass ausgerechnet katholischen Ordensgemeinschaften dieses Projekt einer “freien ökumenischen Gemeine” finanziell unterstützen. Oosterhuis` Gemeinde ist seit Anbeginn für die Friedensbewegung engagiert, soziale Projekte in Nicaragua werden unterstützt, ein breites Netzwerk aus der Öko- und Solidaritäts-Arbeit wurde geschaffen. Mit diesen Menschen fühlt sich die Studentenecclesia verbunden: Schon 1969 schrieb Oosterhuis im Blick auf die vielen engagierten Menschen innerhalb und außerhalb der Kirchen:
2.SPR.: Es gibt in dieser Welt auch eine verborgene Gemeinde. Eine Gemeinschaft Geist-verwandter Menschen, die wachsam ist und betet und die Gerechtigkeit liebt. Diese Gemeine ist überall und nirgends. Aber die Menschen erkennen einander als Geist-Verwandte, sie haben dieselben Visionen.
1.SPR.:
Dieser Geist des Miteinanders und der Solidarität wird sichtbar im Ritus des Teilens von Brot und Wein, so nennt Oosterhuis die Eucharistie bzw. das Abendmahl; Das Brot brechen und den Wein reichen: Ein Zeichen für eine gerechte Welt, eine Gesellschaft aus Gleich-Berechtigten.
Es sind nicht die amtlich anerkannten und offiziell ordinierten katholischen Priester, die in der Studentenecclesia den Gottesdienst leiten, sondern aus dem römischen System entlassene Pfarrer, wie Huub Oosterhuis, oder Laien-Theologen, wie Kees Kok. Wo andernorts “Geistliche” und ordinierte Pfarrer die sogenannten Einsetzungsworte sprechen, singen sie mit der Gemeinde zusammen den Kanon, also die Gesänge, die unmittelbar auf die Eucharistie bzw. das Abendmahl bezogen sind.
9. musikal. Zusp. ca. 015″ freistehen lassen.
1.SPR.: Diesen Gesang nennt Oosterhuis “Tafelgebet”: In zahlreichen Kirchen der Niederlande wird es während des Ritus von Brot und Wein gesungen. Theologischer Kernpunkt ist: Der Chor “verwandelt” mit der Gemeinde das Brot in den Leib Christi. Als 1985 der Papst die Niederlande besuchte, hatten Katholiken es gewagt, bei einem landesweiten Treffen ein Tafel- bzw. Tisch-Gebet von Oosterhuis zu verwenden: Pastor Ricus Dullaert erinnert daran:
19. O TON Zusp., 0 25″.
“Er hat ein sehr schönes Tischgebet geschrieben, das ist wunderbar. Natürlich, die Bischöfe lieben das nicht, denn das ist nicht der offizielle römische Kanon. Aber in diesem Tischgebet wird wunderbar gesungen und auch gebetet für Flüchtlinge, für Fremde, für all diese Leute, die zu leiden haben und die werden verbunden mit dem Opfer, das Christus gebracht hat. Aber das ist viel Krach drüber gewesen.
1.SPR.: Doch die Aufregung hat sich wieder gelegt. Oosterhuis` Tafelgebete werden auch in katholischen Gemeinden gesungen, mögen jetzt auch einige Bischöfe noch so sehr darauf dringen, dass seine Lieder in der römischen Messe keinen Platz mehr haben dürfen! Aber viele holländische katholische Gemeinden scheren sich nicht um diese Verbote: “Typisch niederländisch” könnte man denken…
XII.. musikal. Zusp. noch einmal 0 10″ frei stehen lassen.
1. SPR.:
Das religiöse Interesse in Holland hat sich in den letzten Jahren gewandelt: Die alten Traditionen der Gregorianik werden wieder beliebt, und bei etlichen jungen Leuten kommt auch Sacro-Pop wieder gut an.
Aber: Zu Huub Oosterhuis gibt es heute keine ernsthafte Alternative. Pastor Ricus Dullaert:
20. O TON Zusp., 0 18″. Deutsch
Poesie ist stärker als Ideologie oder Dogma. Er weiss, das Herz der Leute anzurühren. Seine Poesie natürlich, in Art ist er einer der Größten, oder der Größte, den die holländische Kirche hervorgebracht hat.
10. musikal. Zusp., ca. 0 10″ freistehen lassen.
Der Streit der Kirchen um die rechte Auslegung dogmatischer Traditionen interessiert Oosterhuis nicht mehr. Er glaubt, den EINEN Mittelpunkt der biblischen Botschaft erkannt zu haben, den einen Kern einer menschenfreundlichen Glaubenslehre:
21. O TON, Oosterhuis,
2. SPR.:
Am Anfang war das Wort, das ist keine philosophische Aussage, sondern eine prophetische Stimme, die uns sagt, dass wir einander respektieren sollen und uns menschenwürdig begegnen. Hab lieb den Menschen, der neben dir ist; Liebe, nicht gemeint nicht als warmes Gefühl, sondern als praktische Solidarität. Dass man einen anderen Menschen nicht im Stich läßt, nicht zerbrechen, läßt, dass man alles tut gegen das Verhungern, Martern, Verschwinden. Hab lieb den Fremden, der dir gleichwertig ist; er ist ein Mensch wie du.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.