Glaubenssachen
Der philosophische Glaube
Ein Vorschlag von Karl Jaspers
Von Christian Modehn
Sprecher
Zitator
4 O Töne, zus. 4 30“
Sprecher:
Wer den Philosophen Karl Jaspers in seiner Wohnung in Basel besuchte, traf einen heiteren, jedoch in sich gekehrten Menschen. Die etwas steife, aber freundliche Begrüßung ließ keinen Zweifel daran, dass der Gastgeber lieber allein seinen Gedanken nachging. Und wenn er sich auf ein längeres Gespräch einließ, dann sollte die Philosophie im Mittelpunkt stehen. Sie war für ihn nicht weltfremdes Spekulieren, sondern leidenschaftliche Suche nach einem sinnvollen Leben. In seiner direkten Art bekannte Jaspers:
Zitator:
Ich habe von früh an den Drang gehabt, dem geistigen Feinde zu begegnen, wenn er sich nur rückhaltlos äußert.
Sprecher:
Die „geistigen Feinde“ waren für ihn überall da zu finden, wo totalitäre Weltanschauungen verbreitet, Rassismus propagiert oder religiöser Fundamentalismus gepredigt wird. Karl Jaspers, vor 125 Jahren in Oldenburg geboren, wollte unter allen Umständen die individuelle Freiheit verteidigen. Darauf war seine ganze Philosophie ausgerichtet. Nur deswegen liebte er die Einsamkeit des Denkens, um dann mit Argumenten in die Öffentlichkeit zu treten.
Zitator:;
Ich bin als Philosoph kein Prediger, kein Prophet. Ich will nur Vorschläge machen, damit das menschliche Leben heller, vernünftiger wird.
Sprecher:
Karl Jaspers hat deswegen das blinde Vertrauen in die friedensstiftende Kraft der Atombombe bekämpft. Noch wichtiger war für ihn, die christliche Religion mit der Vernunft zu konfrontieren. „Geistige Feinde“ waren für ihn vor allem jene Menschen, die sich im Besitz der absoluten Wahrheit fühlen und dadurch meinen, über Gott verfügen zu können. Welcher Wahn, den Unendlichen z.B. in Wallfahrtsorten sinnlich berühren zu wollen oder in heiligen Personen greifbar vor sich zu sehen. Und wenn Fußballvereine Gott um den Sieg der eigenen Mannschaft bitten: Folgen sie dann nicht der Verblendung, der Unendliche könne wohlwollendes Mitglied des eigenen Clubs sein? Naive Gottesbilder waren für Karl Jaspers nichts als willkürliche Behauptungen. Sie verwirren den Geist, stürzen ihn in Widersprüche: Liebt denn Gott nur die eigenen Nation, nur die eigene Kirche? Jaspers hat die volkstümliche, sehr irdische Frömmigkeit zurückgewiesen. Und er hat dabei sogar Zustimmung von kirchlicher Seite erfahren. Der katholische Theologe Bernhard Welte schreibt:
Zitator:
Der Fehler des christlichen Selbstverständnisses liegt in der Neigung, das Geheimnis Gottes zu einem verfügbaren Gegenstand zu machen und zu einem System des Wissens. So tritt an die Stelle der Freiheit und der Liebe zu allen Menschen eine exklusive Rechthaberei.
Sprecher:
Das System der Rechthaberei, des Dogmatismus, wollte Karl Jaspers überwinden. Von einer reifen, vernunftgeprägten Gottesbeziehung hatte er seine eigene Meinung:
Zitator:
Im vernünftigen Nachdenken kann sich der Mensch aus der Enge des Alltags befreien. Er kann denkend die Begrenztheit der Welt überwinden und nach der letzten Ursache fragen. Diese Bewegung des Geistes nennen wir Transzendieren. Auf diese Weise öffnen wir uns dem Göttlichen, es ist unanschaulich und nicht weltlich. Dabei gilt es, Widerstände zu überwinden: Denn wir sträuben uns gegen die Zumutung, sozusagen auf dem Kopf zu stehen. Aber dabei geht es um das Entscheidende: Um die Wiedergeburt unseres Wesens durch das Transzendieren.
Sprecher:
Karl Jaspers hat ein anspruchsvolles Programm entworfen, er will durch das Philosophieren die Menschen „neu“ machen, zur „Wiedergeburt“ anregen. Unmittelbar nach den Verwüstungen des 2. Weltkrieges und den Nazi –Verbrechen am jüdischen Volk legt Jaspers diese Gedanken vor. An der Universität Heidelberg hatte ihm das Hitler-Regime Lehrverbot erteilt, in Basel wagte er 1946 einen Neubeginn: Ideologische Verirrung sollte ein Ende haben, nihilistische Verzweiflung sollte geheilt werden. Dabei leitete ihn die Überzeugung:
Zitator:
Nicht nur die Religionen und Kirchen, die Theologen und die Gemeinden sind für Gottesfrage verantwortlich, sondern auch der Philosoph.
Sprecher:
Ein ungewöhnlicher Anspruch. Im Denken will Jaspers eine Verbindung zum Unendlichen stiften, ein Vorhaben, mit dem er dem viel beschworenen „Ende der Metaphysik“ widerspricht:
Zitator:
Philosophie ist für mich weder Teil der exakten Wissenschaften noch ist sie irrationales, bloß gefühlvolles Plaudern. Sie ist kritische Vernunft im Angesicht der Transzendenz. Diese Überlegungen können alle Menschen mit vollziehen, auch ohne Glauben und Kirchenbindung.
Sprecher:
An dieser Überzeugung hat Jaspers bis zu seinem Tod im Jahr 1969 festgehalten. In zahlreichen Radiovorträgen hat er den Philosophischen Glauben weiten Kreisen erläutert: Dabei zeigte er, wie er sich zwar den Traditionen des Denkens verpflichtet fühlt, aber doch eigenständig Neues entwickelt:
1. OTON, 1 20“
Längst vor und außerhalb der Welt biblischer Offenbarung gab es Gewissheit von der Wirklichkeit der Gottheit. Und innerhalb der christlich-abendländischen Welt haben viele Menschen eine Gottesgewissheit ohne die Garantie der Offenbarung vollzogen. Wir versuchen philosophierend von Gott zu reden. Die Gottesbeweise seit dem Altertum sind in ihrer Gesamtheit ein großartiges Dokument. Aber wenn die Gottesbeweise aufgefasst werden als wissenschaftlich zwingende Beweise, wie in der Mathematik, so sind sie falsch. Gott ist kein Gegenstand des Wissens, Gott ist kein Gegenstand sinnlicher Erfahrung, er ist unsichtbar. Was Gott wirklich ist, muss unmittelbar, ohne Umweg, fühlbar sein für den Menschen als einzelnen. Die so genannten Gottesbeweise sind Wege denkenden Sich Vergewisserns in der Erfahrung des Aufschwungs des Menschen zu Gott.
—–HIER RAUSGEHEN.
Sprecher:
Das Streben nach der Höhe der Vernunft und der Weite des Geistes sind für den Menschen unerlässlich. Wer immer auf dem Boden der greifbaren Tatsachen feststehen, wenn nicht festkleben bleibt, wer wie ein Banause nur das Sichtbare wahrnimmt, der versäumt eine entscheidende Erfahrung: das Gespür für Transzendenz. Jaspers ist überzeugt:
Zitator:
Jeder Mensch kann sich zu Gott „aufschwingen“.
Sprecher:
Aber der geistige Aufschwung hat wenig mit frommen Gefühlen oder ekstatischem Rausch zu tun. Entscheidend sind philosophische Überlegungen, die einem in der Stille „ein – fallen“, im Spaziergang in der Natur, beim achtsamen Hören der Musik, beim schweigenden Verweilen in leeren Kirchen und Kathedralen, in der Abgeschiedenheit der eigenen vier Wände oder im ernsthaften Dialog. Dann brechen Fragen auf, die das Leben erschüttern, sie reißen aus dem Alltag heraus:
Zitator:
Warum sind wir überhaupt da? Warum besteht die Welt? Warum können wir in Freiheit unser Leben gestalten, wo wir doch nicht gar nicht die Schöpfer unserer Freiheit sind? Denn wir verdanken unser Dasein einem Grund, den wir nicht selbst geschaffen haben. Und denken wir nicht immer schon in den Maßstäben eines Unendlichen? Denn nur so können wir Begrenztes als etwas Begrenztes und Endliches wahrnehmen. So berühren wir also in der Vernunft das Unendliche. Dies ist der Kern des Philosophischen Glaubens:
Sprecher:
Karl Jaspers stammt aus einem protestantischen Elternhaus, aber religiöse Praxis spielte dort keine Rolle. Der Vater legte allen Wert auf eine vernünftige Bildung, kirchliche Weisungen lehnte er ab. Karl Jaspers wurde zwar konfirmiert, schon in der Jugend hatte er wenige Kontakte mit der Gemeinde. Die Kirche erlebte er ideologische Stütze des Kaiserreiches, als ein ideologisches Instrument der Mächtigen. Über seine Teilnahme an einem Gottesdienst auf der Insel Sylt notierte er als Zwanzigjähriger:
Zitator:
Genau wie sonst gab es dort das Choralgröhlen wie in einem schlechten Traum. Genauso gab es eine schematische Predigt mit dem abgeschmackten Unsinn wie sonst. Mir schauderte ordentlich, dass die Kirche als Institution so unglaubliche Herrschaft besitzt und in unser Leben hineinspielt.
Sprecher:
Bei aller Kirchenkritik kam für Jaspers eine Leugnung Gottes oder gar ein Bekenntnis zur atheistischen Weltanschauung nicht in Frage. Es wäre für ihn Verrat an der geistigen Prägung des Menschen, ohne Gottesbezug das Leben zu gestalten.
Zitator:
Der Mensch ist fähig, Gott, dem absoluten Geheimnis, zu begegnen. Und das hat Wirkungen: Wenn der Mensch sich innerlich behauptet im Schicksal, wenn er unbeirrt standhält noch im Sterben, so kann er das nicht durch sich allein. Was ihm dann hilft, ist von anderer Art als alle Hilfe in der Welt. Dass der Mensch selbständig ist und frei, verdankt er einer ungreifbaren Hand aus der Transzendenz.
Sprecher:
Der philosophische Glaube ist kein blutleeres, abstraktes Begriffssystem, sondern eine praktische Lebenshaltung:
Zitator:
Es gibt eine philosophische Kontemplation, eine Art philosophische Meditation. Sie ist auf das Geheimnis allen Lebens bezogen. Angesichts des Unendlichen stellen sich Ergebung und Dank ein. Ergebung, weil wir uns annehmen müssen, wie wir geschaffen sind. Und Dank dafür, dass die göttliche Wirklichkeit uns als freie Wesen will.
Sprecher:
Solche Äußerungen haben die Kollegen an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Basel als Provokation empfunden. Vor allem Karl Barth war empört, hat er doch als Theologe die Notwendigkeit der Gnade für jegliche Gottesbeziehung voller Leidenschaft verteidigt. Seiner Meinung nach könne der Mensch nur durch die Offenbarung, nur durch die Bibel, zu Gott finden. Alles andere sei Sünde. Manchmal geschah es, dass der Philosoph Jaspers und der Theologe Barth zeitgleich Vorlesungen im selben Gebäude der Baseler Universität zu halten hatten. Dann war die Begeisterung der Studenten für Karl Jaspers auch bei der theologischen Konkurrenz nebenan laut vernehmbar. Karl Barth konnte sich oft einer polemischen Äußerung nicht enthalten:
Zitator:
Was ist denn da oben bloß los in diesem Jasperle- Theater?
Sprecher:
Von wegen „Theater“: Jaspers verteidigte in seiner ruhigen Art, aber nicht ohne Bestimmtheit, die Möglichkeit philosophischer Gotteserkenntnis für jedermann. So war es nicht verwunderlich, wenn den Theologiestudenten abgeraten wurde, an den philosophischen Vorlesungen teilzunehmen. Die zukünftigen Pfarrer wandten sich aber heimlich an Jaspers und flüsterten ihm zu:
Zitator:
Wenn der Theologe Karl Barth nicht wäre, würden wir gern Ihnen folgen.
Sprecher:
Darauf sagte der Philosoph ruhig und bestimmt:
Zitator:
Wie gut, dass der Karl Barth da ist. Denn mir kann niemand nachfolgen.
Sprecher:
Karl Jaspers fühlte sich nicht wie ein Begründer einer philosophischen Kirche. Er wollte nur eine Alternative zum kirchlich gebundenen Glauben aufzeigen. Institutionen konnte sich Jaspers nur als Organisationen der Macht vorstellen, die den einzelnen in seiner Freiheit einschränken. Das gilt auch für die Kirchen: Kreuzzüge und Ketzerverfolgungen gehörten für ihn zum Wesen eines rechthaberischen Glaubens. Und den galt es zu überwinden:
Zitator:
Der philosophische Glaube kennt keine Dogmen. Heilige Bücher sind für ihn keine heilige Autorität. Der philosophische Glaube ist ungesichert, immer Sache des einzelnen Menschen. Er ist ein Angebot, als reifer Mensch dem göttlichen Geheimnis vernünftig zu begegnen.
Sprecher:
Auf die Bibel als Buch menschlicher Weisheit hat sich Jaspers immer wieder bezogen. Einige Aussagen des Alten und Neuen Tetstaments hat er in seinen philosophischen Glauben übernommen, weil sie ein vernünftiges Leben unverzichtbar sind:
Zitator:
Es gibt nur einen Gott. Vielgötterei ist ein Widerspruch zum Wesen Gottes als des Absoluten. Der Ewige und Unendliche ist Geheimnis. Er hat unsere Freiheit geschaffen, er will uns frei, deswegen kann er nur als Liebe gedacht werden.
Sprecher:
Für Jaspers ist die Darstellung des „philosophischen Glaubens“ alles andere als eine persönliche Liebhaberei: Schon in den sechziger Jahren war er überzeugt, dass die traditionellen Kirchenlehren in Westeuropa nicht mehr akzeptiert werden. Vor allem junge Menschen haben keinen inneren Bezug mehr zu den Dogmen. Ein spirituelles Vakuum entsteht, Sekten und esoterische Gruppen suchen die Leere zu eigenem Nutzen zu füllen. Sie machen ihre Mitglieder abhängig von den Weisungen ihrer Führer und Gurus, sie lassen kein vernünftiges Gespräch zu. Mit dem „philosophischen Glauben“ wollte Jaspers einen Ausweg bieten: Auf Traditionen, die vor der Vernunft keinen Bestand haben, sollten nachdenkliche Menschen verzichten. Wer glaubt, muss doch nicht die Vorstellung übernehmen, die Welt sei in 6 Tagen geschaffen worden, wer glaubt, muss nicht das Weltbild der Antike akzeptieren. Darum lehnte er auch die Vorstellung ab, Jesus sei ein „göttlicher Mensch“.
—–KÜRZUNGSMÖGL. Anfang——
In einem Radiobeitrag betonte Jaspers:
2. O TON, 0 49“
Ich verstehe nicht, was es heißen soll, dass Christus, Gottes Sohn, Mensch gewordener Gott, sei. Ich verstehe es nicht, wenn ich auch ohne Glauben es verstehen möchte, so gelingt es mir nicht.
Müssen wir nicht anerkennen, dass es sich hier um etwas handelt, was in Sätzen überhaupt nicht angemessen gesagt werden kann?
Sind Feststellungen überhaupt möglich, wo es doch auf das Innerste des Glaubens ankommt? Es ist etwas grundsätzlich anderes in dem Satze, dass sich Gott in solchen Menschen wie Sokrates, Buddha und anderen gezeigt habe.
—Kürzungsmögl. Ende—
Sprecher:
Jaspers sieht die Anwesenheit Gottes in vielen Menschen unterschiedlichen Kulturen. Sokrates, Konfuzius und Buddha waren für ihn genauso wichtig wie Jesus:
Zitator:
Er zeigt uns das Freiwerden von der Lebensangst, wenn Jesus freiwillig das Kreuz auf sich nimmt. Und wer die Verkündigung Jesu hört, etwa seine ethischen Weisungen der Feindesliebe, kann den Blick offen halten für neue Lebensmöglichkeiten.
Sprecher:
Die Vorschläge von Karl Jaspers für eine individuelle, von der Vernunft geleitete Beziehung zum Unendlichen sind in Europa und Amerika nicht ohne Wirkung geblieben. Wenn Menschen heute bekennen: Ich glaube an Gott, aber ohne Bindung an eine Kirche, ist der Geist Karl Jaspers lebendig. Vor allem im Philosophieren wirken seine Impulse weiter, betont Professor Volker Gerhardt von der Humboldt Universität Berlin:
3. O TON, 1 58“.
Karl Jaspers das war der Lehrer meiner Schulzeit, und in diesen Jahren habe ich alles von ihm gelesen, und bin sehr beeinflusst von seiner Existenzphilosophie, die ernst genommen hat die Situation, in der man lebt, in der man kommuniziert und in der man liebt. Und unter diesen Voraussetzungen hat er dann die Konzeption des „philosophischen Glaubens“ entwickelt. Meines Erachtens ist das Wesentliche in dieser Demonstration der Unverzichtbarkeit Gottes dadurch gegeben, dass wir nicht ohne Sinn handeln können. Wir sind auf etwas bezogen, was uns etwas bedeutet. Und das geht über unsere jeweilige Handlungsperspektive hinaus und es geht auch über unser individuelles Dasein hinaus. Wie wollen wir Kinder erziehen und ihnen den Ernst des Daseins beibringen, wenn wir zugleich immer sagen: Es ist letztlich ohne Bedeutung, denn letztlich hat ja alles keinen Sinn. Ich glaube, dass kann jeder einsehen, dass wir den Sinn brauchen. Und wenn wir uns dann fragen, was einen solchen Sinn garantieren kann, dann sind wir bei dem, entschuldigen Sie die Formulierung, was man die Funktion Gottes nennen, da ist er unverzichtbar. Ich würde glauben, dass man nun vom Individuum her auf den Glauben zugeht, und die Kirche nicht notwendigerweise als einzelner Mensch braucht. Man braucht keine Dogmen, sondern man kann aus der persönlichen Erfahrung heraus seine Beziehung zu Gott finden. So dass wir heute das Thema des Göttlichen oder Gottes heute ganz selbstverständlich auf die Tagesordnung der Philosophie zurücksetzen.
Sprecher:
Die Religionsphilosophie und mit ihr der „philosophische Glaube“ sind längst nicht mehr nur ein Thema für Spezialisten. Die hohen Auflagen neuer philosophischer Publikationen und das Interesse an philosophischen Gesprächskreisen sind auch ein Zeichen für einen spirituellen Wandel: Innerhalb und außerhalb der Kirchen suchen Menschen im eigenen Nachdenken ihre letzte Geborgenheit zu finden. Karl Jaspers sah in den sechziger Jahren ein neues Zeitalter anbrechen, eine Epoche individuell geprägter, philosophisch begründeter Gottesbeziehungen. Angesichts der zunehmenden Distanz von den Kirchen hat er wohl recht behalten. Der philosophische Glaube wurde für ihn auch bei zunehmendem Alter mit zahlreichen Gebrechen ein praktischer Lebenstrost:
Zitator:
Wir Alten tun, was möglich ist und sprechen nicht viel vom Ende. Gemäß dem Wort Spinozas, der vernünftige Mensch denke an das Leben und nicht an den Tod. Vorausgesetzt, dass uns als Philosophen das Wissen um den Tod ohnehin schon immer durchdrungen hat.
Sprecher:
Zur Gelassenheit im Leben finden: Darin erreicht der philosophisch Glaubende sein Ziel. Er kann sich auf die Stimme seiner Vernunft verlassen, die ihn beständig an das göttliche Geheimnis erinnert, den Grund allen Lebens. Karl Jaspers hat bei diesen Gedanken erfahren, was Befreiung und Erlösung schon jetzt mitten im Leben bedeuten:
4. O TON, 0 35“.
Dieser Grund ist nur im Überschreiten jedes Gedachten zu erreichen. Er selbst ist unüberschreitbar, vor ihm ist Sich Bescheiden und Erlöschen allen Verlangens. Dort ist Zuflucht, dort ist die Ruhe, die uns tragen kann in der unaufhebbaren Unruhe unseres Weges in der Welt. Dort muss das Denken sich auflösen in die reine Helligkeit. Es ist das Schweigen vor dem Sein.
STOP: