Ein Jahr ohne Gott
Das spirituelle Experiment des us-amerikanischen Pastors Ryan Bell
Von Christian Modehn
Er hat sich als Pastor in der eher konservativen Kirche der „Siebenten-Tages-Adventisten“ (in Los Angeles) für Kirchenreformen eingesetzt (das Übliche: Frauenordination, Gleichberechtigung von Homosexuellen in der Gemeinde) und wurde – auch wiederum schon üblicherweise – aus dem Pfarramt geworfen; weitere Degradierungen folgten – wiederum üblicherweise für diese dogmatischen Kreise: Er verlor auch seinen zusätzlichen Job an der Universität und seine Beratertätigkeit: Ryan Bell (42 Jahre) nützte diesen „Bruch“, diese Krise, zum Nachdenken: Er hat sich nun entschlossen, ein Jahr lang wie und als ein Atheist zu leben. Er möchte auf diese Weise „herausfinden, was ich eigentlich will“. Konkret möchte er von nun an keine Gebete mehr sprechen, keine Bibel mehr lesen, auf explizit religiös-christlichen Übungen verzichten. Hingegen sind Kontakte zu explizit atheistischen Kreisen vorgesehen, das Eintauchen, die Inkulturation in deren Milieu.
Einmal die „andere, oft als gegnerisch bezeichnete Seite“ kennen lernen: Das haben Christen bisher immer der anderen Seite, also den Atheisten, vorgeschlagen. „Komm und sieh, wie schön die Kirchen und ihr Glaube sind“, heißt die Einladung an Nichtreligiöse und „Heiden“. Sie sollen den religiösen Weg ausprobieren, der dann vielleicht in der Taufe seinen Höhepunkt findet.
Nun entschließt sich ein ehemaliger Pastor für den umgekehrten Weg, er will einmal probieren, wie es ist, als Atheist zu leben. Dagegen ist selbstverständlich gar nichts einzuwenden. Es ist sogar ein Zeichen spirituellen Mutes, wenn einmal dieses Experiment gestartet wird. Und man erfährt dabei, welche neuen Einsichten sich dabei ergeben, wie viel menschliche Herzlichkeit in den anderen Kreisen zu finden ist (hoffentlich), wie viel Wärme und Toleranz (hoffentlich). Ob man dabei intellektuell oder gesprächsweise entdeckt und Sicherheit gewinnt, dass Gott nun gerade doch NICHT ist, sei dahingestellt.
Möglicherweise kehrt der Theologe Ryan Bell nach einem Jahr um etliche neue Einsichten verwandelt in eine christliche Gemeinde zurück, oder er wird bekennender Atheist oder als bekennender Skeptiker auftreten: Warum nicht?
Das Experiment, ein Jahr lang als Atheist zu leben, könnte man eigentlich vielen Glaubenden empfehlen, warum nicht auch einmal den Kardinälen der römischen Kurie, die den Vatikan verlassen und in einer Pariser Vorstadt unter Atheisten Unterschlupf finden …Es wäre ja schon viel gewonnen, wenn Glaubende es wenigstens mal eine Woche lang versuchen würden zu leben, „als ob es Gott nicht gäbe“, wie Dietrich Bonhoeffer einmal sagte. Es wäre doch lehrreich und hilfreich, wenn die Frommen sich fragten: Welchen Gott verehre ich wirklich? Folge ich einem netten Phantom? Einem geradezu lächerlichen Gottes-Monstum, der mir zu Diensten ist. Ist Fraglichkeit nicht eine oberste Tugend religiöser Menschen?
Philosophisch bleibt natürlich bei dem Experiment von Ryan Bell das Problem der Hermeneutik: Wie kann er als christlich geprägter Theologe überhaupt adäquat die innere Welt des Atheismus oder besser des Atheisten verstehen? Kann er seine mit-gebrachten Urteile und Vorurteilen so umwandeln, dass ein adäquates Verstehen gelingt? Aber wenn christliche Theologen behaupten, auch ein Heide könne das offizielle „Nizäno- konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis“ aus dem Jahre 383 (sic) verstehen, warum dann nicht auch ein Christ die Texte atheistischer Meisterdenker?
Ob ein Mensch jemals Gott los wirklich wird, also grundsätzlich gottlos werden kann und keinen Gott mehr verehrt, wenn er sich zum Atheismus bekennt, ist eine ganz andere Frage. Über die wollen wir auch weiter diskutieren.
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