Lumières, Aufklärung, heißt die Antwort: Zur Diskussion über den Wahl-Erfolg des FN (Le Pen) in Frankreich
Von Christian Modehn
„Ich meine, durch die Konzeption einer auf sich selbst bezogenen und in sich verschlossenen Nation und ihres Kultes einer starken Macht, steht die Partei Front National mehr Vichy nahe als den Ideen der Demokratie, die von der Philosophie der Aufklärung begründet sind. Denn Demokratie bedeutet zuerst: Humanistische und universale Prinzipien, die die Partei FN zurückweist. Wenn die Partei FN in Frankreich die Macht ergreifen würde, dann handelte es sich um ein anderes Frankreich!“ So der (heute in Tel Aviv lebende, in Przemysl geborene) Historiker Zeev Sternhell. Er erinnert in seinem neuen Buch „Histoire et Lumières. Changer le Monde par la Raison“ („Geschichte und Aufklärung. Die Welt verändern durch die Vernunft“), erschienen bei Albin Michel, Paris, 2014, einmal mehr an die Wurzeln rechtsradikalen Denkens in Frankreich. Sternhell ist ein Spezialist für die Geschichte Frankreich im 20. Jahrhunderts: Er betont, dass sich das Vichy Regime nur deswegen so schnell etablieren konnte und sich dann so erfolgreich durchsetzte, weil der Geist, l ésprit, vieler Franzosen schon längst antisemitisch verdorben war, vor allem auch vieler so genannter Intellektueller. „Sie waren auch vergiftet vom Hass auf die Demokratie“, so Julie Clarini in “Le Monde” vom 30.Mai 2014. Es gab in Frankreich immer schon einen lang dauernden Kampf gegen die Ideen der Aufklärung und der Philosophie Kants, gegen alles, was das Allgemeine des Menschen, aller Menschen betont, wie die Toleranz usw. Im Katholizismus Frankreichs denke man etwa an die immer noch starke Bewegung der Traditionalisten und die in allen größeren Städten vorhandenen Gemeinden der Piusbrüder. Sternhell meint: Diesen Kampf zugunsten der Aufklärung gelte es jetzt, angesichts der Erfolge des Front National bei den Europawahlen 2014, neu zu beleben. Es geht um die Demokratie, so gebrechlich sie auch erscheint, so tief reformbedürftig sie auch ist…
Wir haben vor kurzem auf die äußerst einseitigen, eher pro-FN wirkenden Äußerungen des Philosophen Alain Finkielkraut hingewiesen.
Jetzt schlägt der Soziologe, Politologe und Historiker der „französischen Ideen“ Pierre-André Taguieff in seinem neuesten Buch „ Du diable en politique. Réflexions sur l’antilepénisme ordinaire“ (Über den Tuefel in der Politik. Reflexionen über den gewöhnlichen Anti – Lepenismus), erschienen 2014 in Paris, bei den CNRS Éditions, eine ungewöhnliche Variante vor, den FN und die Ideen der Familie Le Pen zu „bekämpfen“. Pierre André Taguieff meint, die Verteufelung dieser rechtsextremen Partei in der Öffentlichkeit, in den Medien usw., sollte endlich aufhören zugunsten einer gründlichen Auseinandersetzung. Dass die kritische Auseinandersetzung verstärkt werden muss, ist keine Frage. Aber für Taguieff soll sie die Voraussetzung haben, diese rechtsextreme Partei als eine Partei wie alle anderen, als eine normale Partei, zu verstehen, zu deuten, zu behandeln! In einem Interview mit der (rechten) Tageszeitung „Le Figaro“ weist Taguieff auf die eher schlichte Erkenntnis hin, dass derjenige, der einen Verteufelnden (also die FN) seinerseits wieder verteufelt, also „die“ Medien, sich auf derselben Ebene wie der Verteufelnde bewegt. Aber haben denn „die“ Le Pen Kritiker die Partei FN immer nur verteufelt, diabolisiert, wie er sagt? Gab es und gibt es nicht gründliche Analysen zu all den Themen, die der FN propagiert, wie Ausländer-„Reduzierung“, möglichst wenige Muslime in Frankreich, Ausstieg aus dem Euro, gegen die Technokraten, für die gute alte Familie, gegen die Homorechts usw. Wurde da vonseiten der Vernunft wirklich nur ihrerseits wieder „verteufelt“? Was soll überhaupt dieses Wort „verteufeln“ in einer laizistischen Gesellschaft wie in Frankreich, wo selbst die Katholiken kaum noch an den Teufel glauben? Ist es nicht ein gefährliches Spiel, den FN jetzt wie eine Partei neben vielen anderen Parteien betrachten zu wollen? „Völlig ent-diabolisiert, könnte der FN einen großen Teil seiner Attraktivität verlieren“, schreibt hoffend und erwartungsvoll der Politologe. Man stelle sich nur einmal vor, in der Öffentlichkeit würde Antisemitismus nicht mehr als Schande und Verbrechen bewertet, also in gewisser Weise diabolisiert, was wäre da gewonnen? Würden die Antisemiten sich eines besseren besinnen und dann hübsche Humanisten werden?
Uns scheint der Vorschlag des gelehrten Herrn Taguieff doch etwas zu kurz gedacht. Es klingt fast, wie Jean Birnbaum in Le Monde vom 30. Mai 2014 schreibt, als wolle Taguieff „den FN (und die Le Pen Clique) reinwaschen von der schlechten Reputation“.
Wir halten uns lieber an seriösere Studien zu dem durchaus bedrohlichen Phänomen FN und des Le Pen Clan, etwa an das Buch der Historikerin Valérie Igounet, „Le Front National de 1972 a nos jours”. Erschienen bei Seuil, im Juni 2014. Auf dieses Buch werden wir noch zurückkommen. Die Schlussfolgerung der Autorin nach einer Studie von 448 Seiten: „Die Partei Front National ist eine Partei der extremen Rechten, die niemals ihr Wesen verändert hat“.
Copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin