Haitis Zukunft nach dem Erdbeben: Ein Protektorat? (Aus einer Diskussion im Religionsphilosophischen Salon)
Angesichts der fast totalen Zerstörung von Port – au – Prince und anderer Städte im Süden des Landes sowie der zweifellos offenkundigen institutionellen Schwäche des Staates Haiti fragen viele Beobachter: Wie geht es weiter mit Haiti? Wer leistet –wenn die ersten Nothilfen tatsächlich geleistet sind – einen nachhaltigen Neuaufbau, nachdem schon zwischen 1990 und 2003 „rund vier Millionen Dollar Entwicklungshilfe eingenommen wurden“, wie der Tagesspiegel am 18.1. 2010 schreibt. Wer sorgt dafür, dass Haiti später einmal nicht mehr von Almosen lebt, wer sorgt dafür, dass die Korruption aufhört und alle Menschen lesen und schreiben können usw…
Manche schlagen eine Art internationales Protektorat vor. Der Publizist Josef Joffe schreibt im TAGESSPIEGEL vom 18. Januar: “Haiti gehört eigentlich unter internationale Kuratel, die in den nächsten Jahrzehnten für Sicherheit und Aufbau sorgt“. Und dann fügt Josef Joffe die entscheidende Antwort hinzu: „Aber das wäre „Neo – Kolonialismus“. Die Frage ist: Muss ein Protektorat oder wie auch man diese „internationale Übergangsregierung“ nennen könnte, tatsächlich gleich Neokolonialismus sein? Gibt es keinen demokratischen Zwischenweg?
Auch von anderer Seite wird der Gedanke an ein Protektorat zurückgewiesen: Denis Vienot, ehemaliger Präsident der in Haiti erfahrenen „CARITAS International“, schreibt in „La Croix“: „Haiti sollte nicht unter ein Protektorat gebracht werden. Mehrere Verantwortliche von NGOs und Solidaritätsvereinigungen waren schockiert, als dieser Gedanke vorgebracht wurde: Die Insel gehöre unter internationale Vormundschaft (tutelle heisst es im französischen Text!) wegen des Wiederaufbaus“.
Denis Vienot hingegen meint: „Es gibt Ingenieure, Ärzte, Mediziner, Professoren usw“. Aber im Ernst muss man fragen: Reicht dieses Personal aus für einen demokratischen Wiederaufbau? Es ist ja nicht immer Ausdruck von Rassismus zu sagen, dass die Haitianer demokratische Hilfe brauchen von mehreren demokratischen Regierungen. Ob das die USA und Frankreich sein müssen, beide sind als Kolonisten im 17. und 18. Jahrhundert und als (USA – ) Besatzern des Landes (1915) eher unbeliebt, wäre zu fragen. Thierry Durand, einer der Direktoren von ÄRZTE OHNE GRENZEN, gibt zu denken: „Es müssen die Institutionen Haitis aufgebaut werden. Wer von internationaler Vormundschaft oder ähnlichem spricht, greift die Souverenität Haitis an. Darin kann noch eine Quelle von Spannungen liegen zwischen den Bürgern Haitis und der internationalen Gemeinschaft“.