Eine Meinungsäußerung zu Ausführungen Peter Sloterdijks in dem Blatt CICERO
Von Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin am 3.3.2016.
Dieser Beitrag wurde noch einmal am 27.6.2021 publiziert, um eine gewisse Ernüchterung zu fördern angesichts der zum Teil euphorischen Bewertungen des Sloterdijk Buches “Den Himmel zum Sprechen bringen” (Suhrkamp, 2020).
In dem vor 5 Jahren publizierten Beitrag wurde irrtümlich Sloterdijk als Philosoph tituliert. Diesen Titel lehnt Sloterdijk aber selbst ab, so etwa in seinem Vortrag “Absoluter und kategorischer Imperativ” (Paris, 2009, in: “Nach Gott”, 2018, Seite 300). Dort nennt sich Sloterdijk, ausnahmsweise bescheiden, “Autor philosophischer Arbeiten”. Und in dem Buch “Das Sloterdijk-Alphabet” von Holger Freiherr von Dobeneck, (Würzburg, 2006), wird mehrfach darauf hingewiesen, dass Sloterdijk kein Philosoph ist, sondern eher ein “philosophischer Zeitdiagnostiker und Ideenhistoriker als ein kritisch-systematischer Philosoph” (Seite 269).
Das Interview mit dem Philosophen Peter Sloterdijk in der bekanntlich eher sehr rechts stehenden Monatszeitschrift CICERO, Februar 2016, Seite 19 ff., hat viele Kommentare gefunden. Zum Teil wurden die Aussagen Sloterdijks schlichtweg für unverschämt, polemisch, viel zu pauschal, hetzend usw. empfunden. Diese Meinungsäußerungen sind im Großen und Ganzen sicher treffend.
1.
Tatsächlich sind die Ausführungen Sloterdijks für philosophisch interessierte Leser seiner Bücher ein gewisser Schock. In welchen Kreisen fühlt sich Sloterdijk nun wohl?
Nebenbei muss gefragt werde: Sind die eigenen schriftstellerisch-philosophischen Äußerungen Sloterdijks auch von seinem Zorn und seiner Laune, je nach dem, bestimmt? Wie stark sind bei ihm nicht weiter überprüfte Glaubenshaltungen, etwa im Fall der beiden jüngsten Bücher zur Gottesfrage: Schlicht die leitende Überzeugung, dass es eine göttliche Wirklichkeit nicht “gibt”?
2.
Einerseits weckt Slozerdijk beim Lesen des CICERO-Interviews Sympathien, wenn er zu Beginn angesichts des Terrors zu „Gelassenheit“ auffordert als einer „moralischen Aufgabe“, also für den reflektierten d.h. doch wohl kritischen Abstand vom Ereignis (Terror) wirbt. „Wir haben keine anderen Waffen als Aufklärung und Ruhe“, heißt es auf Seite 20 oben. Treffende Worte für einen Philosophen. Wenn er nur das Thema vertieft hätte….
Aber diese Einsichten werden förmlich von Sloterdijk selbst zerstört, wenn er sich zu pauschalen und unbegründeten Aussagen hinreißen lässt. Man fragt sich dann, ob er die Mahnung zu Ruhe und Aufklärung zuvor überhaupt ernst gemeint hat.
Unsinnig und unbegründet ist es, wenn er behauptet, dass der Islam „von seiner inneren Gestalt her nicht wirklich staatsfähig ist“, Seite 20. Warum soll denn „der“ Islam sich nicht entwickeln, wie einst das gar nicht so demokratie-staatsfähige Christentum? Warum ist es ausgeschlossen, dass der islamische Glaube als private Frömmigkeit in einer Demokratie gelebt wird? Wer will darauf verzichten zu hoffen (und daran zu arbeiten), wenn denn diese Welt noch eine insgesamt friedliche und tolerante Zukunft haben soll?
3.
Woher weiß Sloterdijk, dass, so wörtlich, der Islam „fast ohne Theologie auskommt“? Er will „den“ Islam offenbar für blöd erklären, für frommes Gesäusel halten und eine Sache der Gewalt… Dass es islamische Mystik, also eine Form der Theologie, gibt, hat er wirklich nie gehört? Hat Sloterdijk von den zahlreichen theologischen Schulen etwa seit dem 10. Jahrhundert gehört, ohne die christliche Theologie (und Philosophie !) später kaum möglich wäre? Hat er erfahren, dass es heute in vielen europäischen Ländern muslimische TheologInnen und entsprechende Lehrstühle an Universitäten gibt? Woher kommt diese Ignoranz? Warum verbreitet eine Zeitschrift wie CICERO unbesehen und ohne Korrektur so viel Unsinn? Will sie mit diesen falschen Behauptungen die LeserInnen aufhetzen? Will sie ihrem Ruf, sehr rechts und sehr konservativ zu sein, einmal mehr entsprechen? Diese Fragen sind Meinungsäußerungen!
4.
Über die klug zwischen den Zeilen angedeutete Vorliebe Sloterdijks für Carl Schmitt (gegen den jüdischen Philosophen Walter Benjamin) wäre vieles zu sagen. Schlimm ist, wenn ein doch eigentlich reflektierender Philosoph wie Sloterdijk die wirre Behauptung, sehr ähnlich den populistischen Sprüchen von Pegida und AFD, in die Welt setzt: “Die deutsche Regierung hat sich in einem Akt des Souveranitätsverzichts der Überrollung preisgegeben“ (Seite 21). Wir werden also überrollt? Herr Sloterdijk sollte also besser auswandern, um sein Leben zu retten vor den muslimischen Horden, am besten zu seinen Gesinnungsgenossen unter den Regierenden in Ungarn oder Polen? Im Ernst: Wir werden zerstört, vernichtet, bloß weil die Kanzlerin früher einmal, jetzt schon wieder, die Menschenrechte aller, aber auch aller Menschen Recht auf Leben und Schutz höher schätzte als die materiellen Wohlstands-Interessen der eigenen Nation? Menschenrechte stehen über den Gesetzen einer jeden Nation, das sollte ein Philosoph eigentlich wissen. Aber Sloterdijk denkt offenbar die Gedanken des 19. Jahrhunderts, als alle Welt die Nationen so toll fand, die Staaten, mit ihren Grenzen, um die man national(istisch) selbstverständlich kämpfen muss, siehe Erster Weltkrieg: Die Verteidigung des alten und stets zur Kriegshetze neigenden eng umgrenzten National-Staates lässt sich Sloterdijk nicht entgehen. Er liebt die Grenze, die Staaten von Staaten trennen: Man wehrt sich von einander ab, man hasst sich, man ist neidisch, man führt ganz selbstverständlich um der Grenzen willen Krieg. Führende AFD Damen sprachen bereits konsequenterweise vom Schusswaffen-Gebrauch an der deutschen Grenze gegen Flüchtlinge, selbstverständlich nicht gegen Kinder, sondern humanerweise nur gegen die Mütter. Eigentlich sollte es für Sloterdijk hoch blamabel sein, sich de facto in solchen Kreisen zu bewegen.
5.
Über den grundlegenden philosophischen Sinn von Grenzen wäre weiter zu sprechen, bekanntlich gab es für den Philosophen Hegel und andere Philosophen die Grenzen nur, um sie zu überschreiten. Das eingegrenzte, d.h. eingepferchte Dasein in eine Art Insel des Eigenen ist purer philosophischer Blödsinn. Wir leben als nun einmal zwar als individuell-begrenzte endliche Menschen, sind aber doch immer auch grenzenlos: Allein schon durch die Sprache, die wir mit allen Menschen teilen, durch die gemeinsame Kunst, die Kommunikation, in der wir über uns hinauswachsen, uns transzendieren, also Grenzen überschreiten.
Wahrlich verstörend und eine Beleidigung für Humanisten sind die Sätze auf Seite 22, zweite Spalte, in denen der Philosoph Sloterdijk offenbar in der ihm zugewiesenen Rolle des großen Meisters und Alles-Wissers pauschal die Integration für ein „unerreichbares Ziel“ hält, so wörtlich. Er plädiert für eine gleichgültig nebeneinander her lebende „Koexistenz“, „eine freundliche Gleichgültigkeit gegenüber der Tatsache, dass es zu viele Leute gibt, mit denen fast nichts gemeinsam hat“. Von friedlicher Koexistenz sprach man zu Zeiten des Kalten Krieges, als es Feindbilder gab.
Der Leser denkt: Mit diesem Sloterdijk will ich nichts gemeinsam haben. Bestenfalls diese von ihm beschriebene Koexistenz. Aber schwerwiegender ist die Arroganz des besseren, des wervolleren Menschen, des Herrenmenschen, der da spricht: Etwa: Mit diesen blöden Leuten, den Flüchtlingen, den Muslims, den anderen, den Ungebildeten und Armen, Kranken, Stinkenden, will ich bitte schön fast nichts gemeinsam haben und eben in einer Koexistenz nebeneinander her leben, nebeneinander, d.h. in Ignoranz, in Verachtung ohne Tätlichkeiten, bloß nicht im Dialog, schon gar nicht in Hilfsbereitschaft. Dieser zentrale, verstörend-unvernünftige Satz ist zu deuten als Ausdruck eines zynischen A-Humanismus. Von christlichen Traditionen, den guten, den wahrlich humanen trotz aller Verfehlungen, wollen wir nicht reden. Dafür hatte Sloterdijk pauschal ja nie viel übrig in seinem Denken. Dem sich im Menschen zeigenden Gottes-Bezug entspreche keine Wirklichkeit, dies ist nichts anderes als GLAUBENSBEKENNTNIS des Philosophen Sloterdijk.
6.
Heftig wird der Schlusssatz der genannten Sloterdijk Äußerung, der sich auf den elitär-herrschaftlichen Autor Stefan George beruft und noch einmal zeigt, wie tief die Verachtung Sloterdijks für die Flüchtlinge (und ihre dummen Helfer und ihre menschlich denkenden, vielleicht noch christlich angehauchten Politiker) ist: Sloterdijk sagt tatsächlich: “Wer kennt nicht die Momente, in denen man mit Stefan George sagen möchte: `Schon eure Zahl ist ein Frevel`? Eine antihumane Ungeheuerlichkeit! Aus der esoterischen Sprache Stefan Georges übersetzt: „Ihr Flüchtlinge seid schon in eurer großen Anzahl ein Frevel für uns Herrenmenschen. Ihr nehmt uns unseren Luxus. Ihr stört. Weg mit euch, Ihr Armen, Gequälten, Geschundenen. Geht zurück, nach Syrien, in den Iran usw. Lasst euch dort oder auf dem Rückweg und Hinweg erschießen, ist doch egal. Ersauft doch im Mittelmeer. Ihr frevelhaft Überzähligen. Wir haben als Herrenmenschen mit euch nichts gemein”.
Sloterdijk, der ja immer noch eine gewisse Beachtung findet in der Öffentlichkeit, wirkt mit seinen Hetzreden in der Zeitschrift CICERO in die Regierungskreise, CDU-CSU vor allem, hinein. Die ängstlichen, auf Wählerstimmenden schielenden Politiker haben längst begonnen, ihre Grenzen zu sichern, sich einzumauern, Angst zu verbreiten und den alten Nationalstaat wieder auferstehen zu lassen. Wie es mit den auf Grenzen fixierten Nationalstaaten einmal zuging, möge man bitte den Geschichtsbüchern entnehmen, und vorzugsweise die Jahre 1914 bis 1918 studieren oder 1933 bis 1945.
7.
Schon in dem oben genannten Buch “Sloterdijk-Alphabet” (2006) gibt es eine kurze Erläuterung zum Sloterdijk Stichwort “arabische Kultur” (S.154 f.). Der Autor dieses Buches, der Philosoph Holger Freiherr von Dobeneck schreibt: “Sloterdijk bezieht sich in seiner Charakterisieung der arabischen Kulur auf die Kulturmorphologie Spenglers. Nach ihm bildet die arabische Kultur einen tiefen Gegensatz zur Kultur des Westens, so dass eigentlich der islamische Kulturkampf gegen den Westen immunitätspolitisch in der Tiefenstruktur dieser Kultur schon angelegt ist….”.
8.
In dem “Sloterdijk-Alphabet” gibt es auch ein Stichwort “Visionen”. Sloterdijk “fordert die Einrichtung eines Büros für Visionen”. Dann fährt der Autor des “Sloterdijk-Alphabets” fort: “Ansatzeise gibt es das (also die Visionen) schon im Institut für Staatspolitik im Rittergut Schnellroda…”(Seite 260). Das Rittergut zu Schnellroda in Thüringen ist bekanntlich das Zentrum des sehr rechstlastigen Götz Kubitschek und seines Antaios Verlages, mit dem der rechtsextreme Politiker der AFD, Björn Höcke, eng verbunden ist. Und in der bekannten, für alles sehr Rechtslastige offenen “Bibliothek des Konservatismus” in Berlin sind 32 Werke von Sloterdijk, selbstverständlich möchte man sagen, vertreten.
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