Religionsphilosophie aktuell: Elemente für ein philosophisches Projekt, noch einmal am 18.7.2021 veröffentlicht
Philosophische Fragen sind lebenswichtig. Denn sie handeln von der Daseins – Orientierung, von der unabweisbaren, aber leicht zu verdrängenden Frage: Wer bin ich „eigentlich“ und warum bin ich denn da im Zusammenhang mit anderen Mensche in der Welt/Natur. Welche Hilfen bieten Philosophien für ein gerechtes Miteinander? Für einen mitfühlenden, “empathischen” Umgang?
Diese Fragen sind so weit reichend, dass manch einer angesichts dieser komplexen Fülle eher auf das Niveau alltäglicher und oft gedankenferner Beschäftigungen und „Zeitvertreibe“ zurückkehrt. Aber selbst dann folgt dieser Mensch unbewussten Lebensentscheidungen, die auch eine philosophische Basis haben, aber eben meist unthematisch bleiben.
Der „religionsphilosophische Salon“ ist ein Ort unablässigen, aber auch geduldigen Fragens. Kritik und Selbstkritik sind hier wichtige „Tugenden“.
Unser „Ansatz“: Menschen sind grundlegend fragende Wesen. Kann das Fragen jemals an ein Ende kommen? Das ist sehr die Frage.
Gibt es endgültige Antworten, die mehr sind als die Zustimmung zur „ewigen Fraglichkeit“? Auch das wird bezweifelt.
Aber was „hält“ uns dann in aller Fraglichkeit: Das ist die entscheidende Frage. Darauf gibt es verschiedene Antworten im Laufe der philosophischen Traditionen.
Sozusagen „objektiver Ausgangspunkt“ ist für uns die Tatsache: Religion, Transzendenz, Frage nach Gott, nach dem Unendlichen und Unbedingten, ja selbst die Wirklichkeit Gottes sind seit einigen Jahren wieder ausdrückliches Thema der Philosophien. „Heute gibt es keine plausiblen starken philosophischen Gründe mehr dafür, Atheist zu sein oder doch die Religion abzulehnen“, schreibt der bekannte italienische Philosoph Gianni Vattimo, weil z.B. der (früher stark behauptete) Glaube an die ausschließliche Wahrheit der experimentellen Naturwissenschaft heute nicht mehr nachvollziehbar ist.
Traditioneller religiöser Glaube muss genauso kritisch untersucht werden wie der Glaube daran, dass es keinen Gott gibt.
Über die vielfältigen Bedeutungen dieses so oft missbrauchten Wortes GOTT zu sprechen, ist eine Hauptaufgabe religionsphilosophischen Nachdenkens. Und diese Frage kann heute nicht mehr auf den europäischen Raum begrenzt bleiben. Religionsphilosophie muss interkulturelle Philosophie werden. Auch daran arbeitet der “religionsphilosophische Salon”.
Wichtig bleibt die Frage: Welche ungesagten Voraussetzungen, Prämissen, Traditionen, bringen Menschen mit bei der Diskussion philosophischer Fragen?
Werden die Menschen, wird “Gott”, in irgendeiner Weise “dinghaft” verstanden? Welche Konsequenzen hat das für die Suche nach authentischem Leben? Werden politische Ideologien auch heute zu Religionsersatz, etwa die “Wachstumsgesellschaft”, der Profit, das Quantifizierbare als das einzig Wertvolle usw. Wie unüberwindbar ist die Gewöhnung an die Spaltung der Menschheit in Reiche und sehr arme Menschen etwa in Afrika? Steckt hinter der Gewöhnung daran eine Form des Rassismus? Ist das passive Zuschauen der Weltöffentlichkeit beim Massensterben eine neue Form des “geduldeten heutigen Holocaust”?
Welche Rolle spielen Religionen, etwa der Katholizimus, bei der Etablierung von Korruption, etwa in Italien oder Lateinamerika? Indem für den Katholizismus selbst im Innern seiner Kirchenverfassung Demokratie nichts gilt, Frauenrechte nichts gelten, gewöhnen sich die Menschen dort an die Ablehnung von Demokratie und Menschenrechte. Diese Menschenrechte gelten eben in manchen Kreisen etwa Italiens und Lateinamerika eben nicht als etwas Göttliches, Heiliges, d.h. absolut zu Respektierendes.
Die philosophische Diskussion in ihrem breitem Spektrum handelt davon, wie religiöse Erfahrungen und wie Erfahrungen des Göttlichen heute im einzelnen Menschen in aller Vielfalt und in aller Begrenztheit verankert sind und wie sie ausgelegt werden können.
Da wird für einen breiten thematischen Ansatz plädiert: Religionsphilosophische Fragen können/dürfen nicht nur im Kontext „eigentlich“ philosophischer Texte diskutiert werden. Philosophie ist ein entscheidender Ort der Freiheit. Philosophisch wichtig sind alle Formen künstlerischen Ausdrucks, also Musik, Kunst, Literatur, Architektur, genauso alle Formen der Alltagsgestaltung, etwa Wohnen, Reisen, Sport, Essen, Eros und Sex, die vielen Formen der Liebe. Aber auch: Elend, Tod, Leiden, Suche nach globaler Gerechtigkeit, und immer wieder alle Formen institutioneller Religion.
Dabei ist die Kritik der Religionen und Konfessionen von der Position der kritischen Vernunft aus selbstverständlich dringendes Gebot.
Religionsphilosophie wird so zu einer kritischen Lebenshaltung, die vor Dogmatismus und Fundamentalismus bewahren kann.
Religionsphilosophie bemüht sich, im Anschluss an die klassische griechische Philosophie (siehe etwa die wichtigen Werke von Pierre Hadot) auch um Formen der persönlichen oder gemeinschaftlichen “Sammlung”, der Meditation, der Stille, des persönlichen poetischen Ausdrucks.
Es sollte möglich sein, Religionsphilosophie als „meine persönliche Religionsphilosophie“, zumal angesichts der Krisen alter Konfessionen, als eine Art Lebenshaltung zu konzipieren, auch für spirituell Interessierte. Um so dringender braucht man wohl Gemeinschaften des kritischen Gesprächs, Gemeinschaften, die sich nicht von der Allmacht der Medien irritieren lassen und der Drohgebärde alter Religionen, die ihren Exklusiv Anspruch auf alles Religiöse geltend machen wollen. Dagegen gilt es, sich philosophisch zu wehren. Philosophische Gesprächskreise können zudem eine Hilfe sein, den sich begrenzenden Individualismus aufzubrechen. Haben sie auch eine gewisse therapeutische Funktion?
Gibt es christliche Kirchen, die dem Profil „kritisches Nachdenken“ und „freisinnige Orientierung“ entsprechen?
copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin