Notizen für das Gespräch im Religionsphilosophischen Salon Berlin am 27.9.2019
Von Christian Modehn
1.
Voraussetzung ist: Bonhoeffer hat in „Widerstand und Ergebung“ keine umfassende Theologie vorgelegt. Seine Notizen und Briefe sind Fragmente. Aber als solche, in großer Not im Gefängnis der Nazis geschrieben, sind sie von besonderer Bedeutung. Sie sind für die Kirchen inspirierend. Aber sie inspirieren tatsächlich in den Kirchen als Institutionen in Staatsnähe wenig. Bonhoeffer wird offiziell noch verehrt, aber in der Kirchenpraxis hat er fast keine Bedeutung.
Darum ist es heute wichtig, an Dietrich Bonhoeffer zu erinnern, vor allem an seine zwei letzten Lebensjahre im Gefängnis der Nazis in Berlin. Dort schrieb Bonhoeffer zahlreiche Briefe, die eine bis heute radikale spirituelle, philosophische und theologische Brisanz offenbaren: Bonhoeffer ist einer der “großen, viel zitierten und viel studierten Theologen. Anfangs konservativ in seinem Denken: Aber, im Gefängnis der Nazis, in einer Extremsituation tiefer existentieller Gefährdungen, nahe der Hinrichtung, erlebt er eine spirituelle und theologische Radikalisierung. Und dieses radikale Denken, bezogen auf das Wesentliche des Christentums, auf das, was bleibt für heute und morgen, ist für uns als Anfrage wichtig.
2.
Bonhoeffer ist insofern ein Beispiel für eine persönliche, mit dem eigenen Leben verbundene Spiritualität, die jeder und jede – zumindest unthematisch – lebt und entwickelt.
Bonhoeffer ist ein Beispiel, dass Spiritualität und Theologie inmitten des Lebens, ich möchte sagen „situationsbezogen“ wächst und entsteht und sich wandelt, ohne dabei die Situation zum Maßstab zu machen. Da werden alle gewöhnlichen theologisch ausgelaugten Floskeln abgeworfen. Da entsteht inmitten des Lebens neues Denken.
Diese Gefängnisbriefe Dietrich Bonhoeffers wurden 1951 als Buch publiziert unter dem Titel „Widerstand und Ergebung“. Ein merkwürdiger Titel, vielleicht wäre „Widerstand und Hingabe“ treffender gewesen….
Das Buch hat weiteste internationale Beachtung gefunden. Bonhoeffer ist heute ein international geachteter Autor. Sein Freund Eberhard Bethge hat diese Briefe herausgegeben. Die Details der Biographie kann man nach lesen, etwa auch kurz und knapp in wikipedia.
3.
Dietrich Bonhoeffer ist hoch begabt, er studiert evangelische Theologie an der Berliner Universität Unter den Linden, der heutigen Humboldt Universität. Schon 1927 verfasst er, 1906 geboren, seine theologische Doktorarbeit. Seine Habilitationsschrift hat den philosophischen Titel „Akt und Sein“.
Ihn beschäftigt auch die alte ethische Frage des Tyrannenmordes, die der katholische Theologe Thomas von Aquin im Mittelalter schon formulierte und positiv beantwortete. Im konkreten Fall, bezogen auf Hitlers Mord-Regime, ist die Antwort Bonhoeffers ebenso klar: Auch Hitler sollte als Tyrann ermordet werden. Dabei formuliert Bonhoeffer durchaus seine seelische Erschütterung zum Thema.
4.
Seit 1933 nimmt er öffentlich Stellung gegen die Judenverfolgung, am 1.2.1933 hält er eine Rundfunk-Ansprache gegen den Führerkult, diese Sendung wird unterbrochen, abgeschaltet. Er schließt sich ab 1938 dem Widerstandskreis um Wilhelm Franz Canaris an. Bonhoeffer war nicht unmittelbar an den Hitlerattentaten beteiligt, er war eine Art Verbindungsmann mit internationalen Kontakten etwa auch nach Norwegen. Bonhoeffer wurde der Abwehrstelle München des Militärs zugeordnet. Und dort wegen Wehrkraftzersetzung „enttarnt“.
Er wird am 5. April 1943 in seinem Eltern – Haus in der Marienburger Allee in Belin Neu-Westend verhaftet.
Das Strafverfahren am Volksgerichtshof wurde nicht eröffnet, weil höhere Beamte dort das Verfahren gegen ihn in die Länge ziehen konnten, wie etwa der damals noch nicht verhaftete Heeresrichter Karl Sack.
Zuerst verbrachte er etliche Monate im Gefängnis Tegel; ab 8. Oktober 1944 wurde er in die Gestapo Zentrale in der Prinz Albrecht Str. gebracht. Dort schrieb er noch das viel zitierte Gebet/Lied “Von guten Mächten treu und still umgeben…” Man achte darauf: Mitten im Zentrum der Gestapo-Macht, der tödlichen Macht, wagt es Bonhoeffer, an die guten Mächte, die göttlichen Mächte als die letztlich stärkeren zu glauben. Dieses populäre Lied ist ein Lied gegen die ungerechten, weltlichen Mächte.
Als er 1945 ins KZ Flossenbürg transportiert wurde, war evident: Dies bedeutet sein Ende. Sein britischer Mitgefangener Payne Best, den er in Buchenwald kennen gelernt hatte, notierte diese Worte Bonhoeffers:
„Sagen Sie dem befreundeten englischen Bischof Bell von Chichester, so sagte Bonhoeffer, dass dies für mich das Ende, aber auch der Anfang ist. Mit ihm glaube ich an das Prinzip unserer universellen christlichen Brüderlichkeit, die über alle nationalen Interessen hinausgeht, und dass unser Sieg sicher ist.“
Zusammen mit Canaris, Hans Oster, Karl Sack und Ludwig Gehre wurde Bonhoeffer am 8. April 1945 zum Tode durch Strang verurteilt. Der Mord geschah am Morgen des 9. April 1944 unter widerwärtigsten Bedingungen.
5.
Es gab keine Zeugen für die Hinrichtung. Die offiziellen Nazi-Mörder-Richter blieben unter sich. Es waren Otto Thorbeck und Walter Huppenkothen. Sie behaupteten, die Urteile seien korrekt nach dem damals geltenden Recht, dem Nazi-(Un) Recht, ausgesprochen worden. Aber der Skandal ist: Sie wurden in der sehr rechtslastigen BRD Justiz zu milden Strafen verurteilt. Huppenkothen arbeitete anschließend in einer Versicherung in Mannheim, dann in Mülheim/Ruhr und später in Köln. Der FDP Politiker Achenbach schützte und unterstütze ihn, weil er selbst, wie damals etliche in der FDP, einst Nazi war. Huppenkothen starb am 5. April 1978 in Lübeck.
6.
Zur Theologie und Philosophie Bonhoeffers: Ab Mitte 1944 wird Bonhoeffer radikaler, dies wird in „Widerstand und Ergebung“ deutlich: Diese Gefängnisbriefe haben zwei Abteilungen: Briefe an die Eltern und Briefe an seinen Freund Eberhard Bethge. Die wichtigsten theologischen Vorschläge und Erkenntnisse finden sich in den Briefen an Bethge. Bonhoeffer darf am Anfang nach unzensiert im Gefängnis schreiben. Er wird etwas besser behandelt als die übrigen Gefangenen. Er darf sich von seinen Eltern viele Bücher wünschen. Er liest Romane, historische Studien und befasst sich mit Theologie. Er liest ständig in der Bibel und versucht sie unter den neuen Bedingungen zu verstehen. Die Widerholung biblischer Texte hilft ihm, zu überleben. Er klagt kaum über die Lebensbedingungen im Gefängnis. Jedoch einmal schreibt er: „Die Welt wird mir zum Ekel. Und zur Last. Wer bin ich eigentlich, der unter diesen grässlichen Dingen hier immer wieder sich windet…Man kennt sich weniger denn je über sich selbst aus“. (WE, 91).ABER: Er tröstet eher dennoch seine Familie und seinen Freund, die „draußen“ leben müssen, sorgt sich mehr um sie als um sich selbst. Sagt aber, dass er sich Gelassenheit noch immer sich erobern muss. (WE, 104).
7.
Im Gefängnis hat Bonhoeffer Zeit, das System der ihm bestens vertrauten Theologie und der Glaubenslehre, das System der Religion mit Ritus und Dogma und Institutionen, in Frage zu stellen: Und zwar von einem Standpunkt der Lebens – Erfahrung: Im Erleben der Qualen, der Niedertracht, der Bösartigkeit des Nazi Systems. Schon 1942 schrieb Bonhoeffer an seinen Freund Eberhardt Bethge (am 25. Juni 1942): „Ich spüre, wie in mir der Widerstand gegen alles „Religiöse“ wächst. Oft bis zu einem instinktiven Abscheu, was sicher auch nicht gut ist. Ich bin keine religiöse Natur. Aber an Gott, an Christus muss ich immerfort denken, an Echtheit, an Leben, an Freiheit und Barmherzigkeit liegt mir sehr viel. Nur sind mir die religiösen Einkleidungen so unbehaglich. Verstehst Du? Das sind alles gar keine neuen Gedanken und Einsichten, aber da ich glaube, dass mir jetzt hier ein Knoten platzen sollte, lasse ich den Dingen ihren Lauf und setze mich nicht zur Wehr. In diesem Sinne verstehe ich eben auch meine jetzige Tätigkeit auf dem weltlichen Sektor.“
8.
Auf diesem spirituellen Weg kann dann Bonhoeffer 1944 Wesentliches zu seinem neuen Verhältnis zu Gott schreiben: Die weltliche Welt ist sein Ausgangspunkt. D.h.: Die Eigengesetzlichkeit, die Autonomie, muss anerkannt werden. Gott spielt da als ein Element in dieser Welt keine Rolle. Darum kann er sagen:„Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“.
Das heißt: In der Welt kommt Gott als Objekt nicht vor.
Gott kommt in der Welt als Gegenstand nicht vor. Er ist kein Lückenbüßer.
„Wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, dass wir in der Welt leben müssen – etsi deus non daretur, auch wenn es keinen Gott gäbe – Und eben dies erkennen vor Gott. Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis. So führt unser Mündigwerden zu einer wahrhaftigeren Erkenntnis unserer Lage vor Gott…. (WE 192).
9.
Daraus ergibt sich eine neue Form der Gottesbeziehung:
„Unser Verhältnis zu Gott ist kein ,religiöses‘ zu einem denkbar höchsten, mächtigsten, besten Wesen – dies ist keine echte Transzendenz –, sondern unser Verhältnis zu Gott ist ein neues Leben im ,Dasein-für-andere’“ (Widerstand und Ergebung: DBW 8, Gütersloh 1998, 558).
Im Leben für andere, im Verpflichtetsein den anderen gegenüber: Darin sieht Bonhoeffer nicht nur eine ethische Aufgabe: Sondern im Anderen, dem Leidenden, wird ihm das Gesicht Gottes zugänglich. „Der jeweils gegebene erreichbare Nächste ist das Transzendente. Gott in Menschengestalt“ (DBW 8, 558).
Gottes „Antlitz“, möchte man mit Emmanuel Lévinas sagen, ist das des bedrohten Anderen, und ein anderes „Sein“ Gottes gibt es nicht – es wäre Produkt religiöser Phantasie und Projektion. Darum hat Bonhoeffer vom „leidenden Gott“ gesprochen, dem Gegenbild all dessen, was die „Religiösen“ von Gott erwarten. Ein im Leiden geschärfter, nicht-religiöser Glaube war es, aus dem er die künftige Theologie, Spiritualität und christliche Praxis hervorgehen sah – ein Grund, weshalb Befreiungstheologen wie Gustavo Gutiérrez oder Frei Betto ihn als einen der ihren betrachteten. (so sagt es der katholische Theologe Tiemo Peters). Über die vielfältige, auch widersprüchliche Rezeption der Theologie Bonhoeffers in der Kirche der DDR wäre zu sprechen, vor allem über Bonhoeffers Schüler, den späteren DDR Bischof Albrecht Schönherr. Er gab die missverständliche Parole aus von der „Kirche im Sozialismus“.
10.
Bonhoeffers Vision für das Christentum heute:
„Wir müssen anfechtbare Dinge sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden. Ich fühle mich als ein moderner Theologe, der doch noch das Erbe der liberalen Theologie in sich trägt, verpflichtet, diese Fragen anzuschneiden“. (WE, 201).
KONKRET: Bonhoeffer spricht von religionslosem Christentum. D.h.: Für ihn ist Religion immer auch institutionelle Macht, die sich um ihren Selbsterhalt sorgt. Religion ist immer auch Apparat, System, Dogmen, Lehren. Das gilt für ihn nicht mehr!
Religionslos heißt dann: Es kommt auf je meinen individuellen Glauben an, mein einfacher Glaube.
Bonhoeffer schreibt: „Wie dieses religionslose Christentum aussieht, welche Gestalt es annimmt, darüber denke ich nun viel nach…“(WE, 143) „Nicht nur mythologische Begriffe, die Wunder, Himmelfahrt etc. sind problematisch, sondern die religiösen Begriffe schlechthin“. Diese Übersetzung uralter mythologischer Begriffe fällt den Kirchen bis heute sehr schwer. Sie sprechen (und singen! ) nach wie vor alte Formeln und Floskeln des Glaubens, die kein Mensch von heute mehr verstehen kann. Trotzdem tun dies die Kirchen, mit einer unglaublichen Ignoranz, als hätte es Bonhoeffer nicht gegeben.
11.
Die Aufgabe heißt für ihn darum: Nicht-religiöse Interpretation biblischer und theologischer Begriffe. Also: Verständlich für alle muss man sagen: Was bedeutet Erlösung?
Man sollte nicht Gott aufgeben, sondern den Gott der Religion aufgeben. „Vor und mit Gott leben wir ohne Gott.” Offenbar setzt Bonhoeffer hier zwei unterschiedliche Bedeutungen von Gott an: Der Gott der Religion, den er aufgibt; und den Gott als das Geheimnis des Lebens, “vor und mit dem” er lebt.
12.
Worauf es im letzten ankommt: BETEN UND TUN DES GERECHTEN ( WE 157). „Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neugeboren werden aus diesem Beten und diesem Tun“.
Wer fragt, was ist eigentlich das Wichtigste im christlichen Glauben? Die Antwort: Es ist Beten und Tun des Gerechten. Dabei muss Bonhoeffer die Weisheit des AT loben: „Ist nicht die Gerechtigkeit und das Reich Gottes auf Erden der Mittelpunkt von allem ? (WE 144).
Noch einmal:
Beten heißt für uns heute: Reflektieren, meditieren, die eigene religiöse Poesie pflegen. Und das Gerechte (was mehr ist als das Recht!) tun!
„Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig. Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf“. (WE, 142).
Es gibt also für Bonhoeffer den Gott der alten Religion, der Metaphysik, den es zu überwinden gilt. Und den wahren Gott der Mystik, das “absolute Geheimnis”.
13.
Der katholische Theologe und Bonhoeffer-Forscher Tiemo R. Peters, (+), Uni Münster, schreibt::
Einen Gott, den ,es gibt‘, gibt es nicht, Gott ist im Personbezug“ (DBW 2, München 1988, 112). In den Gefängnisbriefen wurde der Gedanke weiter zugespitzt und vertieft: „Der jeweils gegebene erreichbare Nächste ist das Transzendente. Gott in Menschengestalt“ (DBW 8, 558). Gottes „Antlitz“, möchte man mit Emmanuel Lévinas sagen, ist das des bedrohten Anderen, und ein anderes „Sein“ Gottes gibt es nicht – es wäre Produkt religiöser Phantasie und Projektion. Darum hat Bonhoeffer vom „leidenden Gott“ gesprochen, dem Gegenbild all dessen, was die „Religiösen“ von Gott erwarten. Ein im Leiden geschärfter, nicht-religiöser Glaube war es, aus dem er die künftige Theologie, Spiritualität und christliche Praxis hervorgehen sah – ein Grund, weshalb Befreiungstheologen wie Gustavo Gutiérrez oder Frei Betto ihn als einen der ihren betrachteten“. Über die Inspiration, die Bonhoeffer für einige Befreiungstheologen hat: Siehe das Buch von Paul Gerhard Schoenborn, „Studien zu Dietrich Bonhoeffer“, Münster 2012.
14.
„Religionslose Christen“: Mit dieser These nähert sich Bonhoeffer einem Gedanken des jüdischen Philosophen Franz Rosenzweig an: „Die Sonderstellung von Judentum und Christentum besteht gerade darin, dass sie, sogar wenn sie Religion geworden sind, in sich selber die Antriebe finden, sich von dieser Religionshaftigkeit zu befreien und (…) wieder in das offene Feld der Wirklichkeit zurückzufinden“ (Rosenzweig: Das neue Denken, Gesammelte Schriften III, Den Haag 1984, 154)
15.
Der TEXT Bonhoeffers „Rechenschaft an der Wende zum Jahr 1943“ (also noch VOR der Verhaftung am 5.4.1943) ist online GRATIS zu lesen: https://sumsinagro.de/nach_zehn_jahren
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin