Zum empfehlenswerten Buch von László Földény “Caspar David Friedrich. Die Nachtseite der Malerei” (2024)
Ein Hinweis von Christian Modehn am 5.8.2024.
Und in Nr. 16 noch ein kurzer Hinweis auf eine Interpretation des Werkes C.D.Friedrichs durch Johann Hinrich Claussen. Ergänzt am 24.8.2024.
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Caspar David Friedrich: Das Interesse an seinem Werk ist in Deutschland jetzt- ohne Übertreibung – riesig: Fast alle wollen seine Arbeiten sehen: Was suchen sie dort? Was finden sie dort? Erleben sie Kunst als Lebensdeutung? Offene Fragen.
Nach Hamburg und Berlin beginnt am 24.8. die dritte große Friedrich Ausstellung im Albertinum in Dresden (bis zum 5.1.2025). Sie hat den Titel „Wo alles begann“. Damit ist das Werk Caspar David Friedrichs gemeint und nicht – politisch aktuell leider naheliegend – der politische Durchbruch in Sachsen der äußerst rechtslastigen, wenn nicht rechtsextremen, demokratiefeindlichen Partei AFD …
2.
Keine Frage, auch die Dresdner Ausstellung wird wieder überfüllt sein. Sie wird die Besucherinnen auch hoffentlich lehren, dass Friedrich politisch ein Kämpfer für die Freiheit der Bürger war!
3.
Länger als drei Minuten habe ich es vor den Gemälden in der Berliner Friedrich-Ausstellung (in der Alten Nationalgalerie) nicht aushalten können, es wurde geschubst und fotografiert wie verrückt, möchte ich sagen, und die Bildbetrachtungen dauerten bei den meisten nach meiner subjektiven Beobachtung nicht länger als eine Minute, aufgrund der Massen konnten sie auch nicht länger dauern.
4.
Ein Wort Caspar David Friedrichs ist ernüchternd: „Unerläßliche Bedingung für die Rezeption meiner Werke ist die Stille“.
Und: Voraussetzung für die Meditation seiner Bilder sei eine intime Umgebung, um nahe an die Gemälde herantreten zu können, zur meditativen Betrachtung!. Darauf weist die großartige Studie von László Földényi „Caspar David Friedrich“ (Matthes und Seitz Verlag, 2024, S. 163, Fn. 10 und Fn. 7) hin. Und genauso wichtig angesichts der C.D. Friedrich – Begeisterung eine Erinnerung an einige persönliche Überzeugungen des Meisters, etwa: „Museen lehnte Friedrich übrigens ab, weil er meinte, sie schadeten den Werken nur und könnten als Erfahrungsquelle höchstens für den praktizierenden Künstler von Nutzen sein“ (so Földényi, ebd. Fn. 7)
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Damit sind wir schon bei dem genannten Buch des großen (politisch unabhängigen, Orban – kritischen) Literaturkritikers und philosophischen Autors László Földényi. Er hat in der großen Fülle der Friedrich Studien meiner Meinung nach etwas Eigenes geschaffen: Eine philosophische Meditation über das „Wesen“ des umfangreichen Werke, sein Buch ist schon 1986 in Ungarn veröffentlicht worden, 1993 erschien es auf Deutsch, nun liegt es (2024) in einer neuen Ausgabe als Paperback wieder vor, 172 Seiten einschließlich der vielen ausführlichen Anmerkungen, Fußnoten. Das Buch hat nur einen Nachteil: Es bietet die Gemälde Friedrichs nur in sehr reduziertem Format in Schwarz-Weiß an. Man sollte also bei der Lektüre immer eine gute Werkausgabe der Gemälde und Zeichnungen zur Hand haben, um die beschriebenen Details mitzuvollziehen.
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Das Buch beginnt mit einem Bekenntnis: Schon 1974 hatte Földenyi die Möglichkeit, in Dresden einige Werke Friedrichs zu betrachten. Und oft sagt der Autor „ich“ in seinem Buch, es handelt sich also nicht um eine neutrale „Abhandlung“ und schon gar nicht um eine im strengen Sinne kunst – historische Studie, die oft in der Datenfülle erstickt oder tausend technische Details etwa zum Malen des Künstlers etc. anbietet. Földényi hingegen bezieht sich auch auf Aussagen von Freunden Friedrichs, auf Besucher im Atelier und auch auf kritische Stimmen zum Werk schon damals. Oft wird betont, dass Friedrich ein explizites Interesse an Architektur hatte und bekanntlich Entwürfe für Kirchenumbauten in Stralsund (etwa die Marienkirche) geliefert hat. Auch davon spricht Földényi.
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Der Ausgangspunkt: László Földényi (geb. 1952 in Debrecen, LINK schätzt das Werk Friedrichs sehr, und zu diese Einschätzung vermittelt er auch seinen LeserInnen. Aber er ist selbstverständlich dem Künstler nicht bedingungslos ergeben.
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Warum sollten wir Földényis Friedrich – Studie lesen?
Das Buch umfasst 15 Kapitel,15 Essays, die nicht unbedingt der Reihenfolge entsprechend gelesen werden müssen. Einzelne Kapitel wie „Der Nebel wird dichter“ (S. 101 ff.) oder „Das Wunder“ (S.111 ff.) oder auch „Die Nacht sinkt herab“ (S. 143 ff) sind zugleich auch philosophische Meditationen. Alle Kapitel aber erschließen die innere Welt der Gemälde, sie sind Ausdruck für die innere, die seelische Welt Friedrichs und vor allem für dessen Phantasie, sie gilt als „Strom der Innerlichkeit“ (S.128).
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Friedrich hat sich von den Üblichkeiten der Malerei seiner Zeit gelöst (S. 103): Die traditionelle religiöse Malerei lehnte er ab, genauso das bürgerliche Genrebild sowie die herrschende Landschaftsmalerei (S. 103). Es war „die restlose Ausschöpfung der Energien der Persönlichkeit, die sein Verlangen weckte, sich radikal von den üblichen Bindungen zu lösen“ (ebd.). Földényi meint: Weil Friedrich sich ganz dem freien Strom seiner Innerlichkeit überließ und auch entsprechend malte, könne man seine Bilder als Vorläufer der späteren abstrakten Malerei ansehen (S. 103).
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Caspar David Friedrich fordert die Betrachter geradewegs auf, die Menschen und die Dinge und die Welt so zu sehen, dass sie ins Unendliche führen (S. 84), in eine Region, „die „wir mit unseren leiblichen Augen nicht wahrnehmen können“ (S. 84). Im Irdischen ist das Unendliche, auch das Göttliche genannt, anwesend. Nur wer diesem Ausgangspunkt folgt, kann sich Friedrichs Werken berühren lassen und sie verstehen, darauf weist Földényi nachdrücklich hin (S. 115). Für ihn ist Friedrich „ein Metaphysiker mit dem Pinsel in der Hand“ (S. 146), also auch ein Maler, „der Gedanken malen wollte“ (S. 131). Nebenbei vermerkt Földényi: „Es ist kein Zufall, dass gerade Menschen, die zum Theoretisieren neigen, Friedrich so sehr mögen…“ (S. 131).
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Philosophierende Menschen lieben Friedrichs Werke, eine Perspektive, die gültig ist, wenn man sozusagen „Lieblingsthemen“ oder bevorzugte Motive Friedrichs näher betrachtet, sie sind sozusagen in fast allen seiner Werke präsent: Die Sehnsucht nach Weite und Transzendenz und Erlösung; die Liebe zur Einsamkeit; die Wahrnehmung der Natur, die Ausdruck ist himmlischer Ereignisse von Licht und Dunkelheit; und damit auch die Präsenz des Mondes; aber auch der höhere Gesichtspunkt, den einige Menschen erreichen, etwa der Mann im Nebelmeer, der förmlich den Überblick über das Ganze des Naturgeschehens genießt…
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Wir haben früher schon – wegen unseres religionsphilosophischen, religionskritischen Interesses – auf die vielfältigen Arbeiten Friedrichs hingewiesen, die Kirchen und Klöster als Ruinen zeigen. Wir sahen in diesen Gemälden eine tiefe Kritik an der bestehenden Kirche: Sie sei zur Ruine geworden, unbrauchbar jetzt in der Welt, wo Transzendenz eher in der lebendigen Natur gesucht wird. Inmitten der Kirchenruinen laufen oft alte Mönche herum, oft auch auf einem Friedhof. Földényi äußert sich auch zu diesem Aspekt der Werkes Friedrichs, er erinnert etwa an die Darstellung der Greifswalder Jacobikirche als Ruine, er schreibt: „Über die Kritik an der herrschenden Religion bzw. über die Vision einer kommenden Religion hinaus wird in diesen Bildern die Bemühung spürbar, glauben zu wollen. Dieses unbestimmte Begehren erträgt feste Bindungen jedoch nur schwer, keinerlei Kirche vermag es restlos aufzunehmen. Das unendliche Begehren, von dem Friedrichs Malerei grundlegend determiniert ist, stellt aber die Existenz Gottes nicht so sehr in Frage wie gerade diese Gotteshäuser: Sie sind ästhetische Krypten, die nicht Glauben, sondern Tod ausstrahlen.“ (S. 123)
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Földényi schätzt Friedrich, aber er bewundert ihn nicht und stellt auch zahlreiche Fragen zum Werk. Etwa: Seine Gemälde zeigen auch das Gefühl des Verlustes des (alten) Gottes und wie der Mensch sich dagegen stemmt. Aber: „Bei der übermenschlichen Kraftanstrengung wird der Menschen gewahr, dass er dem Gott oder dem Nichts sowieso unterlegen ist“ (S. 85). Oder auch diese Bemerkung Földényis: „In seinen Gemälden haust die Finsternis ebenso wie in Goyas `schwarzen Werken`. Aber die Finsternis greift uns nicht von vorn an, sie schleicht sich von hinten herein.“ (S. 132).
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Aber es bleibt die große Perspektive, die sich für Friedrich auch durch die Begegnungen mit dem protestantischen Theologen Friedrich Schleiermacher (1768 – 1834) bestätigten. Földényi meint: „Die als innerstes Wesen des Lebens (durch Friedrich) interpretierte Kunst ist eine Art Theologie – wenn diese Theologie auch nicht von Gott handelt, sondern von einer unendlichen Sehnsucht, wie sie keinerlei Gott befriedigen kann“ (S. 97).
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Warum also sollten „wir“ uns heute für Caspar David Friedrichs Arbeiten interessieren?
Die vielen tausend Besucher der Ausstellungen beweisen ja faktisch , es gibt eine ungemeine Sehnsucht nach Friedrichs Gemälden.
Vielleicht sind einige Antworten treffend, die jeder und jede für sich selbst finden muss: Es ist gerade die Sehnsucht als menschliche Haltung, die durch die Arbeiten Friedrichs geweckt wird. Welche Sehnsucht? Wonach sehnen wir uns? Warum sind wir so gelähmt, unserer Sehnsucht – etwa nach universeller Gerechtigkeit, nach Menschenrechten – praktisch zu entsprechen?
Haben wir uns von den Kirchen als dogmatischen Ruinen schon verabschiedet`? Wenn ja, wo leben wir unsere Spiritualität?
Was bedeutet uns die Natur? Ist sie Sache, Objekt, das manipulierbare und Verkaufbare oder hat Natur einen eigenen Wert, weil ja auch wir Menschen (mit den Tieren) Teil dieser Natur sind usw…
16. Johann Hinrich Claussen hat als Theologe und Pastor den Titel “Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland.” Er ist auch Autor zahlreicher Bücher. Jetzt erschien von ihm “Eine Geschichte der chrstlichen Kunst.” Mit dem Ober – Titel “Gottesbilder”. Ch.H.Beck Verlag, 2024.
In dem Buch erwähnt Claussen auch Caspar David Friedrich (S. 229 – 233). Er zeichnet knapp dessen religiöses, theologisches Profil : “Friedrich verstand sich als frommen wie avancierten Protestanten, der eine Umformung des christlichen Glaubens ins Bild setzen wollte. In ihr verbanden sich Kritik und Konstruktion…Er löste sich von alten Glaubensbildern, um dem für ihn Wesentlichen eine neue Gestalt zu geben. In der Landschaftsmalerei konnte er auf zeitgemäße Weise religiöse Empfindungen darstellen und hervorrufen… Das Alte muss untergehen, damit Neues werden kann” (S. 232 und 233).
Das empfehlenswerte Buch von László Földényi: „Caspar David Friedrich. Die Nachtseite der Malerei“. Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. 172 Seiten, 14€, Verlag Matthes und Seitz, Berlin, 2024.
Siehe auch unseren Beitrag: Die Spiritualität Caspar David Friedrichs…. LINK:
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.