Jean Paul zum 250. Geburtstag: Gott ist tot … und lebt im Gefühl
Vor 250 Jahren (am 17.3.1763) wurde der Dichter Jean Paul (d.i. Johann Paul Friedrich Richter, gest. 1825) als Sohn einer Pfarrersfamilie in Wunsiedel geboren. Unter seinen Werken, die von religionsphilosophischem Interesse sind, ragt besonders ein kurzer Text heraus mit dem Titel „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“. Er gehört als Beschreibung eines Traums zu dem Roman „Siebenkäs“, wird aber sehr oft unabhängig davon gelesen. Auf die Frage der Toten „Ist kein Gott?“, antwortet Christus lapidar „Es ist keiner“.
Dieser Text wurde 1796 publiziert. Er ist ein Erschütterung auslösendes Zeugnis eines Menschen, der seinen Glauben dem Atheismus und Nihilismus radikal aussetzt. Diese „Rede des toten Christus…“ hat eine große Wirkung erzielt, sehr früh schon bis nach Frankreich (Madame G. de Stael).
Jean Paul hat an dem Text etliche Jahre, seit 1789, gearbeitet, sozusagen mit ihm gerungen: Anfangs wollte er Shakespeare die Rede vom toten Gott halten lassen, dann einen Engel. Schließlich entschloss sich Jean Paul zu der noch radikaleren Lösung, nämlich Christus selbst die Botschaft verkünden zu lassen, dass „kein Gott sei“. So entstand diese dichte “Rede Christi”, voller symbolischer Anspielungen.
Jean Paul bindet dieses Botschaft in einen Traum (man könnte sagen einen Albtraum) ein: An einem Sommerabend schläft er auf einer Wiese ein und sieht im Traum einen Friedhof („einen Gottesacker“), inmitten eines „ausgeleerten Nachthimmels“. Die Gräber tun sich auf, die Toten treten hervor und stehen als Schatten rund um den Altar der Kapelle, da „sank eine hohe edle Gestalt mit einem unvergänglichen Schmerz aus der Höhe auf den Altar hernieder“. Und alle Toten riefen: Christus! Ist kein Gott?“ Er antwortete:“ Es ist keiner“.
Dann erläutert Christus wie er zu seinem Urteil kommt: Er habe den ganzen Kosmos durchwandert, er habe in Abgründe geschaut, gerufen: Vater, wo bist du?, aber keine Antwort erhalten. Er habe nur den ewigen Sturm erlebt, den niemand regiert…
Jean Paul berichtet weiter, wie die verstorbenen Kinder aus den Gräbern stiegen und fragten: „Jesus, haben wir keinen (Gott) Vater? Und Jesus antwortete unter strömenden Tränen: „Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater“.
Dann versinkt das ganze Weltengebäude im Chaos, im Nichts. „Starres, stummes Nichts, kalte, ewige Notwendigkeit, wahnsinniger Zufall…“ so interpretiert Christus diese Erfahrung: Von einer ordnenden, sinnstiftenden Macht Gottes ist nichts zu spüren. Und den Menschen zugewandt, sagt Christus, nach dem Tod gäbe es „keinen Morgen und keine heilende Hand und keinen unendlichen Vater“…
Der Text, als Traum sozusagen religionspolitisch neutralisiert und deswegen damals publizierbar, ist von ungeheurer Wucht. Die Verlorenheit der Menschen in einem sinnlosen Kosmos wird angesprochen, der Unsinn, nach dem Tod auf einen liebenden Gott in einer harmonischen Ewigkeit zu hoffen. Mit diesen Gedanken hat auch Jean Pauls gerungen. Der Gedanke an den Tod hat ihn immer begleitet, betont Prof. Helmut Pfotenhauer, Würzburg.
Aber Jean Paul hatte angesichts dieser Erfahrung (seines Traums) noch die seelischen Kräfte, die ihn zu einer anderen Form des Glaubens führten: Nicht mehr das klare Wissen (ausgedrückt in der rational – präzisen Frage „Christus, ist kein Gott?“) , sondern die gefühlsmäßige Erfahrung bindet ihn an die göttliche Wirklichkeit. Sie lehrt, dass angesichts des (geträumten) Nichts und des Atheismus doch die göttliche Wirklichkeit stärker ist: Denn nach dem Erwachen aus dem Albtraum notiert Jean Paul:“ Meine Seele weinte vor Freude, dass sie wieder Gott anbeten konnte. Und die Freude und das Weinen und der Glaube an ihn waren das Gebet… Und von der ganzen Natur um mich flossen friedliche Töne aus, wie von fernen Abendglocken”.
Der Beitrag hat als Fußnote gleich zum Titel diesen praktisch -philosophischen Hinweis: “Wenn einmal mein Herz so unglücklich und ausgestorben wäre, dass in ihm alle Gefühle, die das Dasein Gottes bejahen, zerstöret wären: So würde ich mich mit diesem meinen Aufsatz erschüttern – und er würde mich heilen und mir mir meine Gefühle wiedergeben”. Also: Das Nichts ist nicht die Wahrheit! Die Erinnerung an den Traum kann heilen und Gefühle (also die spirituelle Lebendigkeit) wiedergeben.
Wer sich dem Atheismus als religiöser Mensch tief aussetzt, wird in seinem Glauben gerade bestärkt. So könnte die Botschaft Jean Pauls heißen. Ob Gefühle allein den Glauben an Gott bestärken, ist eine Frage, die weiter zu untersuchen ist…
Friedrich Nietzsche wird später diese Überzeugung nicht mehr teilen.
P.S: Madame de Stael hat in ihrer Übersetzung dieses Textes ins Französische den letzten Abschnitt einfach weggelassen, in dem der Glaube Jean Pauls Ausdruck findet. Seit dieser Zeit ist die “Rede des toten Christus…” in einigen Kreisen nur als nihilistischer Text bekannt. Aber das ist falsch, insofern sieht man hier die Wirkungsgeschichte unvollständiger Übersetzungen…
Copyright: Christian Modehn