Ein Haus des Denkens: Das Collège International de Philosophie in Paris lebt seit 30 Jahren
Von Christian Modehn
Davon können wir in Deutschland, in Berlin vor allem, der Metropole, nur träumen: Ein philosophisches Kolleg, unabhängig, aber staatlich (etwas) subventioniert, ein Ort des Gesprächs und vor allem der Forschung, offen für alle, die sich für Philosophie interessieren: In Paris feierte Anfang Juni 2013 das „Collège International de Philosophie“ (CIPh) seinen 30. Geburtstag mit einer großen, 14 Tage dauernden Vortragsreihe über Themen, die nicht unbedingt zum Kanon der „klassischen Themen“ gehören, wie „Migration der Ideen“, „Obsessionen einer umfassenden Gesundheir“, Kunst und Politik usw. Die Auswahl der Themen zeigt, dass das CIPh in Paris sich für die vielfältigen Verbindungen philosophischen Denkens mit aktuellen Fragen der Gesellschaft interessiert.
Das CIPh steht außerhalb der Universitäten, es ist aber auch keine Art höherer Volkshochschule: Es will sich jetzt besonders um die Fortbildung der Philosophie Lehrer an den französischen Gymnasien kümmern, in Frankreich ist Philosophie bekanntlich reguläres Unterrichtsfach für zwei Jahre bis zum Abitur. Daneben ist das CIPh ein Ort, wo „philosophische Neuentdeckungen“ dem französischen Publikum vorgestellt werden, Judith Butler, Hilary Putnam, Stanley Cavell haben dort gesprochen und sich einer größeren französischen Öffentlichkeit “präsentiert”. Der Einfluss des Gründungsmitglieds Jacques Derrida (neben François Châtelet, Jean-Pierre Faye und Dominique Lecourt) war in den ersten Jahren seit 1983 deutlich zu spüren; kürzlich hat der Philosoph und Schriftsteller Jean – Pierre Faye in einer eher polemischen Schrift („Lettres sur Derrida, Edition Germina) den angeblichen „Übereinfluß“ Derridas auf das CIPh kritisiert und verurteilt. Faye ist auch in Deutschland bekannt geworden durch sehr polemische Interpretationen des Philosophen Martin Heidegger. Jetzt werden auch philosophische Stimmen laut, die wünschen, dass das CIPh doch stärker auf die “realen Lebensfragen” der vielen kritischen Zeitgenossen bezogen bleibt, also in gewisser Weise den selbst gewählten “höchsten Anspruch” etwas reduziert… zugunsten, ja, einer größeren “Popularität”.
So wurde der 30. Geburtstag dieser weltweit wohl einmaligen Einrichtung eher im Schatten von Streit und Polemik, vor allem über die Rolle Derridas gefeiert. Dabei wurde eher ignoriert, dass diese freie philosophische Forschungs- und Bildungsstätte im 5. Pariser Arrondissement, in der Rue Descartes (!) Nr. 1, heute mit extremer Finanznot zu kämpfen hat. „Le Monde“ berichtete kürzlich, dass der französische Staat nur noch 290.000 Euro pro Jahr beisteuert, Sparmaßen sind notwendig, so erscheint die Hauszeitschrift nur noch in digitaler Fassung. Das CIPh ist in einer Zeit entstanden, als eine linke Regierung (unter Staatspräsident Mitterrand) noch Verständnis hatte für akademische Experimente und die Gründung strukturell neuer Institute; damals glaubten auch die Politiker noch, die philosophische Analyse könne entscheidende Hilfe sein zur Aufklärung des politischen Umfeldes. Heute gibt es in vielen europäischen Ländern Ethikkommitees, zu denen auch einige Philosophen gehören. Aber Philosophen als politische Ratgeber, das ist wohl selbst in Frankreich zu „platonisch“ gedacht…Trotzdem: Philosophie hat in Frankreich eine vergleichsweise beachtliche Bedeutung, etwa in den Medien, z.B. bei ARTE oder France Culture, und die inzwischen weltweite Bewegung der „philosophischen Cafés“ hat ja bekanntlich in Paris ihren Ursprung, im “Café des Phares” an der Place de la Bastille. Auch die philosophischen Monatszeitschriften, an Kiosken verbreitet und viel gelesen, zeigen Philosophie von der interessanten Seite: Sie laden ein zum eigenen Philosophieren. In dieses Umfeld einer lebendigen Philosophie gehört entschieden auch das „Collège International de Philosophie“.
Wann wird es in Berlin ein Philosophisches Kolleg geben, ähnlich wie es Literaturhäuser und Literarische Colloquien und Kunstakademien gibt? Warum wird noch nicht einmal über diese Frage öffentlich diskutiert? Wo wären die Sponsoren für ein unabhängiges Berliner Collège de Philosophie? Anstelle in Museen ewig zu investieren, sich dort als Sponsor aufzuwerten für alle Ewigkeit, wäre eine Investion in lebendiges philosophisches Denken unserer Meinung viel menschenfreundlicher und sicher auch so angesehen in der Öffentlichkeit wie das Geschenk eines bedeutenden Kunstwerkes an ein Museum….
Copyright: Christian Modehn Berlin.