Kein Gott mehr in Frankreich? Eine Ra­dio­sen­dung

Neueste Umfragen weisen auf den tiefgreifenden religiösen Umbruch in Frankreich hin. In einer Ra­dio­sen­dung im Saarländischen Runkfunk, Programm SR2, am Sonntag, 3. März um 20.04 bis 20.30,  wird auf diese aktuelle Thematik hingewiesen, es wird gefragt: Wie reagieren die Kirchen in Frankreich, wenn die Anzahl der Christen immer kleiner wird, also die sogen. “Alteste Tochter der römischen Kirche” immer gebrechlicher wird. Auf die protestantische, theologisch liberale Gemeinde” L Oratoire du Louvre in Paris” wird genauso hingewiesen wie auf den progressiven Theologen Pater  Jossua aus dem Dominikaner Orden in Paris sowie auf die katholische Gemeinde St. Merri in Paris. Auf das neue Buch von Pater Gérard Bénéteau “Tagebuch eines Stadtpfarrers” (Kirche St. Eustache, Paris) wird ebenfalls gewürdigt.

Eine Ra­dio­sen­dung von Christian Modehn

Der Glaube des einzelnen ist wichtiger als alle Doktrin: Liberale Protestanten in Frankreich

Der Glaube des einzelnen – wichtiger als alle Doktrin

Liberale Protestanten in Frankreich

Von Christian Modehn

Über den liberalen Protestantismus als einer modernen, vernünftigen Glaubensform, die auch vor der Kritik an der Religion Bestand hat, haben wir im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon aus nahe liegenden Gründen schon oft berichtet. Wir wollen diese Informationen fortsetzen und ausbauen, zumal es immer noch Missverständnisse gegenüber den liberalen Theologien gibt.

In Frankreich ist innerhalb der „Reformierten Kirche Frankreichs“ (ERF, die sich bald mit den Lutheranern vereinigen wird) durchaus eine liberal – theologische Praxis lebendig.

Als Einstieg und Beginn für weitere Studien heute einige Zitate aus einem Interview mit Pastor James Woody, Pastor in der „Paroisse de l Oratoire“ in Paris, 1. Arrondissement.

Diese Gemeinde will nicht ein frommes Getto bilden, sondern die Christen dort öffnen sich für die Begegnungen mit Menschen, die sich selbst „ungläubig“ nennen, betont Pastor James Woody:

„Ich treffe oft Franzosen, die sich Atheisten nennen. Aber wenn man mit ihnen diskutiert, dann entdeckt man: Diese Menschen sind keine Atheisten, in dem Sinne, dass sie vollständig die Existenz Gottes ablehnen. Sie lehnen nur die religiösen Formen ab, denen sie oft begegnet sind, Wenn ich dann mit diesen Menschen über den Gott spreche, den sie ablehnen, dann kann ich nur sagen: Ich selbst glaube an diesen Gott auch nicht. Also zum Beispiel an einen „allmächtigen Gott“, an einen Gott als Sieger; an einen Gott, der auch hinter allen Ereignissen der Geschichte seine Macht ausübt. Da kann ich meinen Gesprächspartnern nur sagen: An einen solchen Gott glaube ich auch nicht“.

Für Pastor Woody ist Gott eher das absolute Geheimnis, die alles gründende und tragende Wirklichkeit, die in Worten eindeutig nicht zu fassen ist.

„Für mich zählt zuerst die Erfahrung, die die Menschen mit der Transzendenz in sich selbst machen. Wenn ich Leute treffe, die darüber diskutieren wollen, dann sage ich ihnen nicht, was sie glauben sollen. Oder welcher Gott in der Bibel vorkommt, dem man vertrauen soll. Ich interessiere mich für den inneren spirituellen Weg meiner Besucher. Mein eigenes Gottesbild dränge ich Ihnen nicht auf. Auch mein Gottesverständnis ist persönlich gefärbt“.

Eine Gemeinde der Suchenden; eine Gemeinde, die jede Indoktrination ablehnt und Raum lässt  für individuelle Frömmigkeit. Darum sind die Gottesdienste im „L Oratoire du Louvre“ auch so gut besucht, meint James Woody:

„Am Sonntagmorgen im Gottesdienst setzt sich die eine Hälfte der Teilnehmer aus Mitgliedern der Gemeinde zusammen. Und die andere Hälfte besteht wiederum zu gleichen Teilen aus Leuten, die den Glauben suchen und aus Leuten, die nicht glauben. So kann man also sagen: Am Sonntagmorgen ist bei uns jeder vierte Teilnehmer ein Agnostiker“.

Und diese Menschen kommen regelmäßig, sie sind in der Gemeinde  willkommen und werden als Freunde respektiert, betont Pastor Woody:

Der feste Stammkreis der Gemeinde will keine Barrieren errichten, man will den Teilnehmern am Gottesdienst keine Etiketten anheften. In unserer Gemeinde folgen wir seit mehr als einem Jahrhundert der toleranten, der so genannten „liberalen Theologie“. Deswegen glaube ich: Der Glaube des einzelnen steht über der Doktrin. Außerdem gilt: Die erste Aufgabe der Kirche ist es, die universelle Brüderlichkeit unter den Menschen zu fördern. Wir sehen die Kirche als Institution also eher relativ. Die Kirche ist immer sekundär gegenüber der Pflicht, Menschen gut aufzunehmen, die suchen und fragen“.

Copyright: Christian Modehn, Berlin

http://oratoiredulouvre.fr