Gott, Götter, Gotteswahn
Die »neuen Atheisten« wenden sich aggressiv gegen die Religion. Doch die klassischen Fronten sind längst von gestern
Von Christian Modehn (Dieser Beitrag erschien in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK – Forum am 22. April 2011)
Viele Menschen können der Erkenntnis des Philosophen Friedrich Nietzsche, dass Gott »tot« sei, aus eigenem Erleben nicht zustimmen. In einer Art Kontrapunkt zu Nietzsche wird vor allem in Kreisen der christlichen Evangelikalen und Charismatiker mit fundamentalistischer Bravour an der wörtlichen Auslegung der Bibel festgehalten: Gott ist dann für diese immer zahlreicher werdenden Kreise »allüberall wunderbar sichtbar«. Er wird wie ein selbstverständlicher Gegenstand dieser Welt gepriesen.
Gegen diesen naiven Glauben wenden sich die »neuen Atheisten«. Viele von ihnen wissen genau, dass es auch kritische Christen und moderne Theologen gibt, die ihren Gottesglauben differenziert und keineswegs naiv begründen. Doch halten die Atheisten diese »liberalen« Kreise für »Religion light«, die nach ihrer Überzeugung alsbald verschwinden wird und deswegen nicht der Auseinandersetzung bedarf.
Mit diesem engen Blickwinkel verbreitet zum Beispiel der philosophierende Biologe Richard Dawkins seit 2006 seine antireligiösen Slogans. Einer seiner Sprüche heißt: »Der Glaube an Gott ist eine entsetzliche Krankheit, die ausgerottet werden muss.« Mit seinem Buch »Der Gotteswahn« will er suggerieren, eine Welt ohne Religion sei die beste aller Welten. In mehr als dreißig Sprachen ist dieses Pamphlet erschienen, es hat viele Millionen Käufer gefunden. Die Wirkungen seiner »Gotteswahn«-Kampagne sind weltweit zu spüren: So schreibt The Cambridge Companion to Atheism, ein Handbuch zum Atheismus aus dem Jahr 2008: »Es gibt heute weltweit mindestens 505 Millionen, höchstens 749 Millionen bekennende Atheisten.«
Dieser neue Atheismus will sich in seiner Kritik nicht – wie der radikale Unglaube des 18. Jahrhunderts (Helvetius, Lamettrie, Diderot) – auf die gebildeten Kreise beschränken. Er will auch nicht primär die politische Unterdrückung aufheben. Vielmehr soll eine antireligiöse Mobilisierung der sich selbst als »vernünftig« bezeichnenden Ungläubigen stattfinden. »Es geht um eine säkulare Alternative zur Religion, also um eine Weltanschauung«, sagt der Philosoph und Schriftsteller Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung und führender »neuer Atheist« in Deutschland.
Auch wenn wahrscheinlich nur wenige die Bücher von Dawkins zu Ende gelesen haben: Seine polemischen Sprüche gegen jede Religion haben sich in vielen Köpfen festgesetzt. So starteten am 12. April zum Beispiel in Luxemburg erneut missionarisch werbende Info-Busse. Sie fahren durchs Land mit dem Motto: »Nichtreligiöse sollen stolz sein auf ein rationales und vernunftorientiertes Weltbild.« Ähnlich wie Papst Benedikt XVI. beanspruchen diese atheistischen Zeitgenossen, »die Vernunft« zu vertreten und definieren zu können, was »normal« sei. Wie sehr sich doch fundamentalistische Argumente aus unterschiedlichsten weltanschaulichen Kreisen ähneln können …
Die neue atheistische Bewegung hat zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen. Doch sie fanden nicht jene mediale Aufmerksamkeit, wie sie die Kontrahenten bekamen. Der britische Theologe Alister McGrath zielt ins Zentrum der Debatte, wenn er sagt: Dawkins folge einem wissenschaftlich überholten naturwissenschaftlichen Weltbild. Denn für den Zoologen seien die Naturwissenschaften »der« einzige Schlüssel zum Verständnis »der« gesamten Wirklichkeit. »In der Naturwissenschaft geht es aber gar nicht um Gott«, hält ihm McGrath entgegen, »und kann es methodisch auch nicht gehen.«
Diesen Denkfehler hätten die neuen Atheisten genauso wenig eingesehen »wie ihre Hauptfeinde, die frommen Vertreter des Intelligent Designs eines göttlichen Schöpfers«, betont ein anderer Theologe, der US-Amerikaner Philip Clayton. Die Naturwissenschaften könnten und wollten niemals »alles erklären« – auch wenn Intelligent Designer dies behaupten.
Der nicht gerade religionsfreundliche deutsche Philosoph Peter Sloterdijk kann Dawkins’ Buch nur als »Seichtheit« zur Seite legen und deswegen ignorieren. Die Philosophin Susan Neiman, Direktorin des Einstein-Forums in Potsdam, meint: »Ich finde, Religion nicht ernst zu nehmen ist eine Verachtung der Welt, in der die meisten Menschen heute leben und denken. Die Ansicht Dawkins’, religiöse Menschen seien allesamt irrationale Idioten, ist einfach selber Ausdruck reiner Ignoranz.« Der international geschätzte italienische Philosoph Gianni Vattimo geht noch weiter: »Heute gibt es keine überzeugenden philosophischen Gründe mehr dafür, Atheist zu sein oder die Religion abzulehnen.«
Ungeachtet dieser Kritik gibt es in vielen Ländern Propagandazentren für Dawkins’ philosophierende Biologie. In Deutschland ist es vor allem die Giordano Bruno Stiftung. Sie hat den »Gotteswahn« »als das beste religionskritische Buch« hoch gelobt. Ihr medial allgegenwärtiger Haus-Philosoph Michael Schmidt-Salomon propagiert unbeirrt den Naturalismus als »das Prinzip schlechthin«.
Die Dachorganisation der Atheisten und Konfessionslosen, der Humanistische Verband Deutschlands (HVD), steht den Thesen Schmidt-Salomons zwiespältig gegenüber. Einerseits ist die Giordano Bruno Stiftung mit dem viel beachteten Humanistischen Pressedienst eng verbunden. »Auf der anderen Seite ist für Humanisten der Atheismus kein ausschließlicher Bezugspunkt«, sagt Horst Groschopp von der Humanistischen Akademie in Berlin. Er weist »einen Krawall-Atheismus« zurück. Groschopp und der HVD wollen sich lediglich um die rund dreißig Prozent konfessionsfreien Bürger in Deutschland kümmern und deren Rechte vertreten; neuerdings vor allem mit der Forderung, endlich auch in Deutschland einen »Universitätslehrstuhl für Humanistik« einzurichten.
Die Kirchen haben noch kaum Konsequenzen aus der Tatsache gezogen, dass viele Argumente aus neuatheistischen Kreisen vor allem kirchenkritisch, man möchte sagen: »antiklerikal« gemeint sind. Klar ist: Nur eine authentische, materiell bescheidene, aber geistig hoch sensible kritische Kirche kann den neuen Atheisten konstruktiv begegnen. Die uralten naiven Gottesbilder sind definitiv zerbrochen. Gott kann nur als Geheimnis, nicht aber als irgendwie greifbare Tatsache ins Gespräch gebracht werden.
Doch es gibt in der Gesellschaft längst einen neuen, fest etablierten Theismus – und der heißt: Verehrung von Göttern mit unterschiedlichsten Namen: ständiges Wirtschaftswachstum, Geld, Profit, Abgrenzung, Krieg gegen die Armen. Angesichts dieser neuen Götter werden Christen selbst zu »A-Theisten«. So können sie ins Gespräch mit den »neuen Atheisten« treten. Die klassische Feindschaft zwischen »Atheisten« und »Theisten« wirkt im Blick auf diese neuen Götter veraltet.