Russischer Widerstand gegen Putins Chefideologen, den Patriarchen Kyrill I.

Immer mehr Gläubige trennen sich von der Russisch-Orthodoxen Kirche und ihrem Patriarchen Kyrill I.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 30.1.2024

1.
Patriarch Kyrill I. von Moskau ist einer der heftigsten Unterstützer des Krieges Putins gegen die Ukraine. Das wurde auch auf dieser website seit Monaten dokumentiert. LINK. Und gegen Kyrill I. gibt es nun Widerstand auch im Klerus und eine zunehmende Distanz der Gläubigen von dieser Russisch-Orthodoxen Kirche. Dies ist ein Zeichen der Hoffnung. Dass dadurch auch Putins Allmacht etwas schwächer wird.

Zur Erinnerung:

“Der Bund Russlands mit der Ukraine ist gottgewollt”, so Putin in der DUMA 2012.  2013 sagt Putin in Kiew: “Gott will eine Vereinigung der Ukraine mit Russland. Kein Politiker kann sich dem Willen Gottes widersetzen”.   “Somit sah sich Putin als Schwert Gottes, Putin, dieser Mystiker, mit einem Finger auf dem Atomknopf , die anderen Finger fromm gefaltet”, so Peter Lachmann, in “Lettre International”, Herbst 2022, S. 126.

Putin wird unterstützt vom Moskauer Patriarchat, “für das auch die Grausamkeiten des Zaren niemals ein Ärgernis darstellten, weil die Zaren-Herrschaft von Gott komme, so wie die des neuen Para- Zaren Putin. Für Patriarch Kyrill hat der Krieg um das Heilige Russland metaphysische Bedeutung, die Rückeroberung der Ukraine sei eine Sache der ewigen Erlösung. Das ist das theologische Erbe von Byzanz, als dessen Erbe und Fortsetzung  die russisch-orthodoxe Kirche sich sieht”, so Peter Lachmann, ebd. (Peter Lachmann ist ein deutsch-polnischer Dichter, Essayist, Theaterregisseur und Übersetzer.)

Peter Lachmann weist in dem Beitrag auch darauf hin, dass Psychologen Putin als “notorischen Lügner” erleben. und deuten. Notorische Lügner seien “den eigenen Lügen gewissermaßen ausgesetzte Subjekte, deren Hirn anders funktioniere…Das emotionale Vakuum sei bei Putin vollkommen, das FDauerlügejn werde zum Zwang” (a.a.O., S. 127).

2.
Patriarch Kyrill I. hat bekanntlich den christlichen Glauben zu einer Putin-Ideologie verfälscht. „In einem Interview mit der Exilzeitung Verstka sagte ein Priester, der seinen Namen nicht preisgeben wollte, dass seit Beginn des Krieges Kirche und Staat in ihren Ansichten fast identisch geworden sind und die Diözesanversammlungen sich in parteipolitische Veranstaltungen verwandelt haben. Laut dem Erzpriester des Erzbistums der orthodoxen russischen Gemeinden in Westeuropa, Dimitry Sobolevskiy, ist die Kirche für die meisten Russen inzwischen nur ein weiterer Teil des Staatsapparats“ (Quelle: „Demokratie und Gesellschaft“, (FES), 22.1.2024, Beitrag von Daria Boll – Palievskaya, Journalistin und Russland-Spezialistin, Redakteurin der unabhängigen Online Zeitung: Russland.news.)

3.
Etliche Priester dieser Kirche kritisieren ihren Chef, den Ideologen Patriarch Kyrill I. Seit dem Krieg Putins gegen die Ukraine haben etwa 300 russische Priester und Diakone einen offenen Brief gegen den Krieg und gegen den Patriarchen veröffentlicht. Und der Erfolg? Das Projekt „Christen gegen den Krieg“ (in russischer Sprache) hat viele Fälle der Verfolgung dieser mutigen Priester veröffentlicht. Einer der bekanntesten liberal gesinnten Geistlichen in Russland, Pater, bzw. wie man in der Orthodoxie sagt , „Vater“ Alexej Uminski von der Dreifaltigkeitskirche in Moskau, wurde am 13. Januar 2024 seines Amtes enthoben. Pater Uminski weigerte sich öffentlich das ideologisch gefärbte Gebet zu sprechen: „Gott, gib uns den Sieg durch deine Macht“: Gemeint ist natürlich der Sieg Russlands über die Ukraine. Mehr als 12.000 Russen haben in einem Schreiben an Patriarch Kyrill ihre Unterstützung für den Priester Uminski ausgedrückt. Ihm droht nun der Ausschluss aus der Russisch-Orthodoxen Kirche.

4.
Die totale Ergebenheit des Patriarchen und seines klerikalen Clans wird von Putin belohnt: Die weltberühmte „Dreifaltigkeits-Ikone“ von Andrei Rubljow wurde aus dem Museum entfernt und dem Patriarchat übergeben. Eine Aktion mitten im Winter, die die Qualität dieses alten Kunstwerkes stören und zerstören kann.

5.
Was sind die Lichtblicke im System Putin?
Innerhalb der Russisch – Orthodoxen Kirche wird der Widerspruch gegen den Ideologen Kyrill I. immer größer. Und auch das ist erfreulich: „Scheinbar so mächtig wie nie zuvor und beinahe mit dem Kreml verschmolzen, verliert die Kirche in der russischen Gesellschaft immer mehr an Ansehen“, schreibt Daria Boll-Palievskaya. „Laut den offiziellen Statistiken des russischen Innenministeriums besuchten in diesem Jahr 1,4 Millionen Menschen die orthodoxen Weihnachtsgottesdienste, verglichen mit 2,3 Millionen im Jahr 2020 und über 2,6 Millionen im Jahr 2019. Die Berufung zum Priester wird ebenfalls immer weniger beliebt. Allein im letzten Jahr mussten drei Priesterseminare schließen.“ LINK zu Daria Boll – Palievskaya.
Nebenbei: Die russischen Gläubigen, die sich von der Putin – Kirche distanzieren und trennen, können selbstverständlich ihre private Spiritualität bewahren und persönlich pflegen, dafür braucht es bekanntlich – theologisch gesehen – keine „heilige Liturgie“ in altslawischer Sprache mit Popen, die Kriegspropaganda betreiben oder in ihren Predigten harmlose spirituelle Allgemeinheiten verbreiten, fromme Floskeln halt.

6.
Man muss sich als Religionsphilosoph also freuen, dass eine politische Organisation, die sich Kirche nennt, die Russisch – Orthodoxe Kirche, immer mehr an Ansehen in der Bevölkerung verliert. Das hilft vielleicht auch, die All – Macht Putins einzuschränken.

7.
Traurig ist nach wie vor nur die Tatsache, dass der „Ökumenische Weltrat der Kirchen“ (ÖRK) in Genf noch immer nicht die Russisch – Orthodoxe Kirche aus ihrem Weltrat rausgeschmissen hat, das fordern bekanntlich seit Monaten viele kompetente Theologen. Glauben die Herren und Damen im Weltrat der Kirchen in Genf (ÖRK) im Ernst, mit Herrn Kyrill I. einen Friedens – Dialog führen zu können?

8.
Am 30. Dezember 2023 verurteilte der Generalsekretär des ÖRK, Pastor Jerry Pillay, die, so wörtlich, „Terrorkampagne“ Russlands gegen zivile Ziele in der Ukraine. Von dem Krieg Russlands gegen die Ukraine sprach Pillay nicht. Für die Welt – Ökumene in Genf handelt es sich also um Terror, nicht um Krieg. Auch nannte Pastor Pillay vom ÖRK keine Namen, nicht den Namen Putins und auch nicht den Namen Kyrill I.. Pillay sagte nebulös, man bemühe sich, „auch weiterhin nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie der ÖRK mit und über seine Mitgliedskirchen den Dialog und den Frieden fördern und für eine Beendigung der Gewalt und Angst sorgen kann, unter der die Menschen in der Ukraine aufgrund der russischen Invasion leiden.“ (Quelle: https://www.oikoumene.org/de/news/wcc-denounces-russian-campaign-to-terrorize-people-of-ukraine)

9.
An einen Rauswurf des einstigen KGB Manns, des Herrn Patriarchen Kyrill I., aus dem eigentlich doch angesehenen ÖRK ist also gar nicht zu denken. Man bemühe sich ja im ÖRK um Dialoge, nebulös formuliert, allerdings ohne sichtbare Erfolge, wie jeder weiß.
Nach dem Ende der Putin Diktatur kann man die Russisch – Orthodoxe Kirche wieder in dieses Ökumenische Weltgremium aufnehmen. Selbst der Freund aller Orthodoxen, Papst Franziskus, spricht nach meinem Eindruck nicht mehr so vieles so Wohlwollendes (und Naives) über die Russisch – orthodoxe Kirche und seinen Patriarchen. Den der Papst sooo gern besuchen würde…

10.
Über die immer wieder viel besprochenen Dialoge mit den Russisch – Orthodoxen in den ökumenischen Gremien „vor Ort“, in den Städten, Bistümern, Landeskirchen Deutschlands hört man gar nichts. Offenbar ist man friedlich ökumenisch mit den Russen vereint? Und feiert hübsche Liturgien in alt-slawischer Sprache, wie immer schon…Auf der Website des Ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg (OERBB.de) wird die Russisch Orthodoxe Kirche immer noch als Mitglied dieses „Rates“ erwähnt. Über den Krieg Russlands gegen die Ukraine erfährt man da überhaupt nichts…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Putins Aggression, seine wichtigste Stütze: Der Patriarch von Moskau und die Russisch-Orthodoxe Kirche.

Wie eine Kirche zu einer nationalistischen Ideologie entartet.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 23.2.2022

Dies ist ein Hinweis auf eine christliche Kirche, die russisch-orthodoxe Kirche und ihren Patriarchen von Moskau. Diese Kirche versteht Frieden und Humanität nur als Nutzen für die eigene russische Nation.  Kann eine solche Kirche noch Kirche sein und Mitglied im Ökumenischen Weltrat der Kirchen (Genf) bleiben? Warum wird über diese Straf”maßnahme” nicht diskutiert? Dass dies geboten ist, zeigt der folgende Beitrag von Christian Modehn.

Dieser Beitrag zeigt in aktuell gebotener Kürze:

1. In der westlichen, vor allem westeuropäischen Öffentlichkeit wurde und wird kaum wahrgenommen, welche ideologische Macht die Russisch-orthodoxe Kirche als Stütze Putins hatte und hat, auch im Blick auf Putins Aggressionen gegen die Ukraine und letztlich gegen Europa. Dieser Hinweis bietet einige wichtige Details, die vor allem auf kirchenunabhängigen Forschungen in Frankreich basieren. Die Quellenangaben befinden sich am Ende dieses Beitrags.

2. Die Russisch-orthodoxe Kirche mit dem mächtigen Patriarchen und Putin-Vertrauten Kyrill I. in Moskau ist eine typische orthodoxe „Nationalkirche“. Die Führungen dieser National – Kirchen stellen das Interesse ihrer Nation über die Weisungen des Evangeliums, so auch in der Russisch-orthodoxen Kirche.
In Deutschland und anderen Ländern ist das Phänomen der Nationalkirchen (also der von politischen Herrschern bestimmten Kirchen) nicht unbekannt, man denke an die evangelischen Landeskirchen in Deutschland, die den Kaiser als Kirchenchef hatten oder an die Staatskirche in Schweden oder an die spanische katholische Kirche zur Zeit des Franco-Regimes. Dass katholische Bischöfe in Frankreich und in Deutschland begeisterte Propagandisten zugunsten des 1. Weltkrieges waren, ist eine Tatsache.

Die Abhängigkeit der Kirchen von staatlichen Herrschern zieht sich wie ein schwarzer dreckiger Strom durch die ganze Geschichte, man denke an Frankreich im ancien régime, an die Zeiten des Kolonialismus, der Sklaven“haltung“ usw…Aber bei diesem Hinweis geht es aus aktuellem Anlass nur um Russland und die Ukraine.

3. Politologen, Soziologen, Journalisten usw. haben sich in den letzten Jahren sehr viel mit den Verirrungen und Abartigkeiten von Religionen befasst, dabei aber – zurecht – vor allem den Islamismus studiert. Es wird aber Zeit, sich mit dem düsteren theologischen wie politischen Kapitel der christlichen Orthodoxie zu befassen und dringend davor zu warnen, mit diesen Kirchen enge ökumenische Einheit aufzubauen, wie es die Päpste seit Johannes Paul II. betonen. In seinem antiprotesantischen Geist wagte es Papst Johannes Paul II. sogar zu sagen, die katholische Kirche brauche als ihre „zweite Lunge“ die Orthodoxie. Nein, diese braucht die römische Kirche NICHT, sie braucht die Vernunft und die Akzeptanz der Menschenrechte. Aber das ist ein anderes Thema…

Die Russisch – orthodoxe Kirche als Putin-Ideologie. Einige Details.

4. In seiner ausführlichen Fernsehansprache am 21.2.2022 hat Putin auch kirchliche, religiöse Motive genannt für die Anerkennung der „Republiken“ im Osten der Ukraine. Er wolle den dort lebenden russisch – orthodoxen Christen zu Hilfe kommen und sie schützen. Putin sagte: „Kiew fährt fort, eine Repression gegen die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats vorzubereiten“. (Mehr dazu Nr. 10 und 11). Dass Putin dabei die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats falsch einschätzte, wurde ein paar Tage später deutlich: Diese Kirche (bzw. die meisten Bischöfe) hat sich im Krieg Putins gegen die Ukraine auf die Seite der anderen Kirchen in der Ukraine gestellt. (La Croix, 25.2.2022, Interview mit Prof. Pavlo Smytsnyk, vom Ökumene-Institut von Lviv).

5. Putin zeigt sich bei hohen orthodoxen Feiertagen gern in Moskauer Kathedralen, immer zusammen mit seinem Freund Patriarch Kyrill I., Putin küßt gern dort öffentlich Ikonen, er will als frommer Orthodoxer gelten.

6. In einer Ansprache in der „Christus-Erlöser“ Kathedrale sagte Putin im Februar 2013: „Die russisch-orthodoxe Kirche war bei ihrem Volk in der langen Geschichte. Wir hoffen, diese positive und mehrfach wertvolle Partnerschaft mit der russisch – orthodoxen Kirche vorzusetzen. Wir müssen unsere Zusammenarbeit und unsere gemeinsame Arbeit fortführen, um die Harmonie in unserer Gesellschaft zu stärken, und zwar mit hohen moralischen Werten“ (Zitat bei Dolya).

Damit wiederholt Putin seine alten Thesen, die er etwa 2013 in Valdai formulierte: “Wir (Russen) haben dieselbe Tradition, die sekbe Mentalität, dieselbe Geschichte, die selbe Kultur wie die Ukrainer. Wir haben sehr nahe verwandte Spraxchen. In diesem Sinne , ich wünsche noch einmal zu wiederholen: Wir Russen und und die Ukrainer sind ein und dasselbe Volk” (zit. bei Kathy Rousselet, L église orthodoxe et la question des frontières, 2017)

7. Diese Zusammenarbeit Putins mit der Russisch-orthodoxen Kirche und dem Patriarchen Kyrill I. hat die Basis in der Ideologie des „Russkiy mir“, der „russischen Welt“: Diese Ideologie – 2007 von Putin als eine Art Stiftung institutionalisiert – sieht die russische Welt nicht nur in den Grenzen Russlands von heute repräsentiert. Auch Belarus sowie ausdrücklich die Ukraine gehören für Putin, schon seit vielen Jahren nachweislich, zur Vorstellung des großen, wahren Russlands! Aber diese russische Welt muss sich noch ausdehnen auf „Eurasien“ hin, also Richtung Ost-Europa vor allem. Das eurasische Projekt wird vor allem von dem Rechtsextremen Alexander Dugin vertreten, „Die Welt“ nannte ihn am 16.6.2014 einen „Einflüstere Putins“.
Die Pariser Historikerin und Politologin Anna Dolya schreibt: „Tatsächlich unterstützt der Kreml die Vorstellung einer nationalen russischen Idee auf dem Territorium der Ukraine, besonders auf der Krim und im Osten der Ukraine. Russland insistiert darauf, dass die Menschen dort zur „Russkiy mir“ gehören“. Das schrieb Anna Dolya schon im Jahr 2015! Warum würde das von Politikern nicht wahrgenommen?
Über Anna Dolya: „Ukrainienne, résidant en France. Titulaire d’une Licence en Lettres modernes et d’un Master en Affaires européennes de la Sorbonne. Chargée de mission pour différentes entreprises“.

8. Das ist heute ganz wichtig:
Im Jahr 1992 trennte sich ein Teil der in der Ukraine lebenden Orthodoxen von der bis zu diesem Zeitpunkt für sie allein zuständigen Kirche des Moskauer Patriarchats. Sie gründeten die „Ukrainisch – orthodoxe Kirche des Patriarchats von Kiew“. Da nicht alle orthodoxen Ukrainer sich dieser ihrer ukrainischen Kirche anschlossen, besteht der Einfluß des Moskauer Patriarchen in der Ukraine noch weiter!
Initiator der Ukrainisch Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats ist Metropolit Philaret, der in Zeiten der Sowjetunion eng mit pro-kommunistischen Friedenskreisen, wie der Christlichen Friedenskonferenz CFK, zusammenarbeitete. Theologisch ist er – wie Kyrill I. in Moskau konservativ bis reaktionär.
Philarets Nachfolger in Kiew ist der Metropolit Epiphanius, er ist jetzt das Oberhaupt der „Ukrainisch-orthodoxen Kirche“.  Er genießt in der Ukraine hohes Ansehen, zum Kriegsbeginn am 24.2. sagte er: “Wir glauben, dass die Gewalt und die Waffen, die heute rechtswidrig gegen uns gerichtet werden, sich in Gottes Zorn und Schwert gegen den Angreifer verwandeln werden”, so Epipanius. Man müsse den Feind abwehren und die Ukraine vor der Tyrannei schützen, die der Angreifer bringen wolle. (Quelle: Dom Radio, 24.2.2022). Auch Bischof Onufri, der Metropolit der mit Moskau verbundenen orthodoxen Kirche in der Ukraine sagte am 24.2. in Richtung Putin und Co.: “Stoppt den Bruderkrieg”.

9. Diese Ukrainisch-orthodoxe Kirche hat 2019 die höchste Aufwertung des Ehren-Primas der ganzen orthodoxen Welt, des Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus, erhalten. Er hatte diese Kirche als „vollständig orthodoxe und vollständig ukrainisch“ anerkannt, mit dem Titel eines Patriarchen von Kiew. Diese Entscheidung war für die russisch – orthodoxe Kirche ein extremer Schock und ein Machtverlust. Das Moskauer Patriarchat dachte sogar daran, die Gemeinschaft mit dem Ehren-Vorsitzenden, dem Patriarchen Bartholomäus in Konstantinopel, abzubrechen. Der für die Auslandsbeziehungen zuständige russische Bischof Hilarion (er hält sich oft bei Papst Franziskus auf) warnte schon damals: Die Schismatriker, also die Ukrainisch-Orthodoxen, könnten sich der hoch verehrten traditionellen heiligen Stätten in der Ukraine bemächtigen. „Die dem Moskauer Patriarchen treuen ukrainischen Orthodoxen würden diese heiligen Stätten verteidigen. „Also können wir ein Blutbad deswegen erwarten“. Auch die Kosaken-Truppen in Donbass erklärten sich bereit, die heiligen Stätten der Ukraine gegen die abtrünnigen Orthodoxen zu verteidigen, im Sinne Moskaus natürlich. (Siehe Denis Jacqmin)
Somit hat die russisch-orthodoxe Kirche mit dem Patriarchen von Moskau die Allmacht über die Ukraine verloren. 58 % der sich orthodox nennenden Ukrainer sind mit der neuen ukrainisch-orthodoxen Kirche verbunden (La Croix, 22.2.2022).

10. Wenn es jetzt zum Krieg in weiten Teilen der Ukraine durch die Aggressionen Putins kommen sollte, ist die orthodoxe Kirche der Ukraine, und damit das sich mehrheitlich orthodox fühlende Volk, gespalten. „Es kann sein, dass die Moskau-treuen orthodoxen Ukrainer sich patriotisch für Moskau zeigen“, sagte (bzw. drohte) der mit dem Moskauer Patriarchen verbundene Bischof Victor Kotsaba, er sagte weiter: „Unsere Kirche ist bereit im Falle eines totalen Krieges die Leute zu segnen für die Verteidigung ihres Vaterlandes. („La Croix, 22.2.2022)

11. Wenn es also zum Krieg in weiten Gebieten der Ukraine kommen sollte, wäre dies auch ein Krieg zwischen verfeindeten orthodoxen Christen der Ukraine, die einen pro Moskau, die anderen pro Kiew. Ein Religionskrieg unter Christen?
Daran denkt auch das Oberhaupt der selbständigen, also der nicht vom Moskauer Patriarchen abhängigen Ukrainisch-orthodoxen Kirche, Metropolit Epiphanias: „Der Kreml weitet seine Aggression aus, indem er die Rhetorik der Verteidigung der Orthodoxie gebraucht. Ich wende mich an die orthodoxen Christen hier, die dem Moskauer Patriarchen unterstehen: Warten Sie nicht, bis ihre Führer (Bischöfe) es wagen ihr Schweigen zu brechen und endlich etwas sagen, um den Frieden zu verteidigen, um die Ukraine zu verteidigen. Beginnt damit persönlich! Der Aggressor muss sehen, dass ihr orthodoxen Christen des Moskauer Patriarchats kein Bedarf habt an seinen Truppen und seiner Macht. Das ist die Bürgerpflicht und die Pflicht des Christen“. Bisher hat Patriarch Kyrill I. von Moskau zu den neuesten “Aktionen” (.d.h. dem Krieg) Putins gegen die Ukraine geschwiegen. (Siehe dazu ein Zitat von Regina Elsner, Wiss. Mitarbeiuterin im Zentrum für Osteuropoa in Berlin, im DOM-Radio Köln gesendet am 23.2. 2022, siehe Fussnote 1)

12. Metropolit Epiphanias von der Ukrainisch-orthodoxen Kirche wandte sich dann an alle Ukrainer: Unsere Kirche appelliert daran, der Gewalt vorzubeugen, die sich gegen die Güter der Gemeinden des Moskauer Patriarchats richten. Der Feind sucht nur einen Grund, um im Falle von Gewalt seine eigene Aggression zu rechtfertigen. Unsere gemeinsame Aufgabe ist die es, die Pläne des Feindes zu zerstören“ (Zitate in: La Croix, Paris, 22.2.2022, Beitrag von Marguerite de Lasa).

13. Es ist wichtig zu wissen, dass der Moskauer Patriarch Kyrill I. offiziell Putin unterstützt hat bei der Annexion der Krim und der Gebiete im Osten der Ukraine. Diese Unterstützung Kyrills für Putin hat, so Anna Dolya, viele Orthodoxe mit Bindungen ans Moskauer Patriarchat dann doch zur Ukrainisch – orthodoxen Kirche geführt.

14. Die ukrainische – orthodoxe Kirche mit dem Patriarchat in Kiew hat während der Proteste auf dem Maidan Ende 2013 Partei zugunsten der Demonstranten ergriffen und z.B. das Kloster St. Michael als ein Krankenhaus für die Verletzten umgebaut. Die orthodoxen Christen, die sich als Ukrainer dem Moskauer Patriarchat verpflichtet fühlen, haben zum Teil heftig gegen die Maidan-Demonstranten agiert. Popen in der Ostukraine haben sich auch geweigert, gefallene ukrainische Soldaten zu bestatten, Bischöfe wie Thykon oder der Erzpriester Vsevolod Chaplin haben groß und breit die „zivilisatorische Mission der russischen Soldaten in der Ukraine” gelobt (so Denis Jacqmin).

15. Was ich schon in früheren Beiträgen auf der website des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin betont habe: Die orthodoxe Kirche in Russland kann unter den jetzigen Bedingungen kein Ort gesellschaftlicher Kritik am Staat sein. Sie ist viel zu eng mit dem Staat, mit Putin, verbunden, als dass sie als Opposition überhaupt in Frage käme.
Es wäre ja denkbar, dass angesichts der Unterdrückung jeglicher politischer Opposition die Kirche die Rolle der Opposition übernehmen könnte, wie etwa die Evangelische Kirche in der DDR vor der und während der „Wende“.
Aber damit ist nicht zu rechnen, zumal auch die finanzielle Bereicherung der orthodoxen Kirchenführer „vom System“ so groß ist, dass kein Weg dahin führen könnte, dass diese Organisation von prächtiger Liturgie in uralter Sprache jemals wieder authentische Kirchen werden, die den Namen christliche Gemeinschaft im Sinne Jesu von Nazareth verdienen. Man denke daran, dass der große Dichter Leo Tolstoi einer der heftigsten Kritiker dieser Staats-Kirche damals schon war! Er wurde – natürlich wie üblich im Umgang mit Andersdenkenden – exkommuniziert.

Siehe auch die früheren Hinweise zur Russisch-orthodoxen Kirche auf dieser website des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin, LINK: https://religionsphilosophischer-salon.de/14346_eine-putin-kirche-zur-russisch-orthodoxen-kirche-30-jahre-nach-dem-ende-der-sowjetunion_aktuelle-buchhinweise

Fussnote 1:

Zum Schweigen des Moskauer Patriarchen Kyrill I. zu Putins Kriegserkläerung vom 21.2.2022 sagt die Osteuropa-Expertin Regina Elsner am 23.2.2022: “Bis jetzt schweigt der Patriarch tatsächlich komplett zu dieser ganzen Situation. Es gibt keine einzige Äußerung von ihm. Und das liegt vermutlich genau an diesen Faktoren. Zum einen ist er in die Enge getrieben, einfach auch durch seine jahrelange Unterstützung der russischen Politik. Wenn Putin kirchliche Argumente nutzt, dann ist es für ihn natürlich unmöglich, hier zu widersprechen. Nachdem man seit Jahren genau diese Erzählung mit gefördert hat. Und zum anderen hat er natürlich die große Gefahr vor Augen, dass er die Gläubigen in der Ukraine endgültig verliert, sobald er sich auf die Seite der russischen Argumentation stellt. Das ist die gleiche Situation, wie mit der Annexion der Krim. Auch in diesem Fall gibt es, glaube ich, bis heute keine offizielle Äußerung der “Russischen Orthodoxen Kirche”. Das erklärt sein Schweigen bis jetzt. Und ich bin gespannt, oder ich erwarte ehrlich gesagt nicht, dass es da irgendeine kritische oder in irgendeiner Hinsicht distanzierte Äußerung vom Patriarchen geben wird.

(Das Interview für DOM Radio Köln führte Renardo Schlegelmilch.

Quellen:
Dolya: Anna Doly, L Eglise orthodoxe russe au Service du Kremlin. Dans: Revue Défense Nationale, Paris, 2015/5, pages 74-78.

Denis Jacqmin, Tremblement de terre dans l église orthodoxe, Forschungszentrum GRIP, Bruxelles, 14. Dez. 2018, (https://grip.org/wp-content/uploads/2018/12/EC_2018-12-14_FR_D-JACQMIN.pdf)

La Croix, Comment Poutine instrumentalise la rivalité entre les église orthodoxes en Ukraine, von Marguerite de Lasa, La Croix, Paris, 22.2.2022

Putin kaputt? Von Mischa Gabowitsch, Edition Suhrkamp, 2013, zur orthodoxen Kirche S. 205 – 223.

Kathy Rousselet, “l Eglise orthodoxe russe et le territorie canonique”, in: “Les Etudes du CERI”, Nr. 228-229, Fevrier 2017.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin