“Die Lehren der Philosophie. Eine Kritik”
Zu einem Buch von Michael Hampe
Von Christian Modehn
Dieses Buch wird unseren „Religionsphilosophischen Salon Berlin“ in diesem Jahr 2015 und darüber hinaus begleiten: Als Inspiration, als Kritik an festgefahrenen Vorstellungen, als Eröffnung neuer Möglichkeiten philosophischen Denkens und philosophischen Lebens. Das gilt, auch wenn das großartige Buch von Michael Hampe (Professor in Zürich) einige Fragen offen lässt, wie sollte es anders sein. Und auch, wenn das uns besonders interessierende Thema, die Möglichkeit Religion/Gott/Göttliches philosophisch zu denken, nicht in der von uns vielleicht ersehnten Ausführlichkeit diskutiert wird.
Es ist naturgemäß unmöglich, das 455 Seiten umfassende Buch auch nur annährend in Kürze zu würdigen. Ich möchte nur aus meiner Sicht auf einige besonders inspirierende Erkenntnisse Michael Hampes hinweisen, die hoffentlich zu weiterer Lektüre und Auseinandersetzung bei den LeserInnen führen. Die Verweise auf die Seiten beziehen sich ausschließlich auf das Buch, das im Suhrkamp Verlag 2014 erschienen ist.
Zentral ist der Vorschlag, Philosophie nicht länger nur als doktrinäre Lehre und behauptende Wissenschaft zu verstehen und zu praktizieren, also nicht länger nur ausgefeilte Systeme, Kantianismus, Hegelianismus, Thomismus usw. für Gestalten akademischer (Universitäts)-Philosophie zu halten. Es gibt daneben eine ganze Welt „anderer Philosophie“, die sich sehr stark an Sokrates orientiert, die mehr das Fragen als das Wissen liebt, mehr die Zweifel als die Gewissheit.
Philosophie ist für Hampe „eine Tätigkeit des Nachdenkens“, „die als nicht doktrinäres, aber auch nicht narratives Reflektieren ein intellektuelles Projekt sui generis darstellt“ (74). Mit anderen Worten: Philosophie ist zuerst Philosophieren als geistige Tätigkeit des einzelnen und auch in kleiner Gruppe, und dies muss nicht zuerst an einer Universität durch verbeamtete Professoren (55) geschehen. In unserer Sicht kann ein philosophischer Salon auch der treffende Ort des „nichtdoktrinären Nachdenkens“ sein. Das Stichwort „philosophischer Salon“ fällt unseres Wissens nicht in dem Buch, die Sache aber wird durchaus von Michael Hampe angezielt. Denn es kommt alles darauf an, Fragen zu stellen, die nicht nur aus dem internen Disput der Fachphilosophen erwachsen, sondern die aus dem Leben der TeilnehmerInnen sich aufdrängen. „Die philosophische Rede führt uns eigene Erfahrungen distanzierend vor Augen. Sie sucht nach den richtigen Begriffen für diese Erfahrungen und fragt, wie diese zu bewerten sind“ (74). Und diese Erfahrungen sind jeweils neu und immer anders, so dass sich Philosophie als ein andauernder Neubeginn verstehen sollte. Sie ist keine Wissenschaft, die Schritt für Schritt allgemein gültige Erkenntnisse niederlegt, Philosophie ist ganz anders, spielt eine Sonderrolle im Gesamt der Wissenschaften und Künste. „Man kann Philosophie nicht lernen wie Physik“, steht auf dem Buchumschlag. Philosophie lernt man vor allem, indem man eine hohe Sensibilität für je individuelle Lebenserfahrungen pflegt, die sich je anderen Texten mit je anderer Sprache ausdrücken. Philosophieren ist darum stets Neubeginnen.
Der sokratische Impuls des Fragens, des Erschütterns, des Offenhaltens, zieht sich für Hampe durch die ganze Geschichte der Philosophie verstanden als nicht-doktrinäre Philosophie. Diese Tradition gilt es neu zu beleben, damit Philosophie wieder „etwas Persönliches“ (54) wird und die „Deplaziertheit lehrbuchartiger Texte“ (ebd.) freigelegt wird. Wer diese auf die Individualität abhebende Philosophie fördert und fordert, will sozusagen den einzelnen retten vor der gängigen Vereinnahmung in Allgemeinbegriffe. Dabei ist sich der Autor durchaus bewusst, dass auch im Ausdruck einer individuellen Einzelerfahrung durchaus allgemeine Begriffe eine Rolle spielen. Die Frage aber ist, wird das Gesicht des einzelnen deutlich oder wird dieses Individuum eher mit der allgemeinen Maske des allgemein Menschlichen versehen. Um die Geltung des Individuums muss die nicht-doktinäre Philosophie ringen. Und sie findet Impulse für diesen Weg durchaus in der Literatur, die ja bekanntermaßen nicht von „dem“ Menschen spricht. Diese Hinweise Hampes verlangen eine weitere ausführliche Diskussion, er selbst verweist auf John M. Coetzees Roman „Elizabeth Costello“. Da wird deutlich, wie “Romanautoren” selbst philosophische “Leistungen” vollziehen.
Es sind oft auch einzelne, kleinere Passagen in Hampes Buch, die zu ausführlicherem Nachdenken und Debattieren einladen. So etwa, wenn er schreibt, das philosophische Experimentieren mit Begriffen aus der Überzeugung geschieht, „dass unser Sprechen und unser Leben so miteinander verbunden sind, dass eine gemeinsame Veränderung in unserem Sprechen auch eine Veränderung in unserem Leben darstellt“ (67). Noch deutlicher: Mit der Liebe zur Weisheit verbindet sich die Hoffnung, dass sich „unser Leben verbessern lässt, wenn wir unsere Sprache verändern“ (68). Die praktische Relevanz des individuellen Philosophierens, also der Pflege der Weisheit, wird so klar formuliert: „Durch Nachdenken zu einem besseren Leben“ zu kommen. Und das Nachdenken sich und anderen sagen, in Worten, die individuell berührend, in die Tiefe gehend sind, und deswegen verändernde Kraft haben können.
Viel Beachtung verdienen auch die Hinweise zu einer aus dem individuellen Leben heraus sprechenden Philosophie, die sich der Grenzen der begrifflichen Sprache bewusst ist: Und dann eher das Schweigen bevorzugt, aber nicht das beliebige Verstummen der Sprachlosen ist gemeint, sondern das wissende Schweigen derer, die ihr gemeinsames Schweigen verstehen und bejahen. Da werden Dimensionen der Mystik berührt oder Heideggers Hinweise zum „Erschweigen“ angesichts der Seinserfahrung. Interessant ist dabei der knappe Hinweis auf das Schweigen Jesu während seines Prozesses (381 f.).
Das Buch verlangt höchste Konzentration, und manchmal wünscht sich der Leser etwa kürzere, d.h. überschaubarere Sätze, um sozusagen nicht den „rationalen Atem“ zu verlieren. Aber der Leser wird von kritischen Hinweisen etwa zur Unkultur des Kapitalismus belohnt: „Indem Menschen sich als strategisch Handelnde in einer Konkurrenz um Ressourcen deuten, werden sie im Laufe der Zeit zu Personen, die vor allem strategisch handeln und denen alles als knappe Ressource erscheint“ (42). So werden Menschen verdinglicht…
Mit besonderem Vergnügen werden wahrscheinlich die Ausführungen über Sokrates gelesen, dem Inbild einer nicht-doktrinären Philosophie, so Hampe. Nicht das Aufstellen von Behauptungen sei für Sokrates zentral, sondern deren Infragestellung. „Er stellt Behauptungen in Frage, ohne sie durch vermeintlich bessere zu ersetzen“ (47).
Die Frage bleibt, ob dieses offene sokratische Infragestellen nicht doch von einem noch unthematischen Wissen her bestimmt ist. Auf die Angewiesenheit auch der nichtdoktrinären Philosophie eben nun doch auf gewisse Überzeugungen (Doktrinen?) wäre noch einmal später zurückzukommen.
Das Buch könnte meiner Meinung eine Art ausführliche Einleitung sein für die Entwicklung einer nicht-doktrinären Philosophie in vielen fogenden Büchern, die thematisch ausführlich behandeln was in dieser bislang eher marginalen Art des Philosophierens zu Themen wie „Mein Leben“, „mein Lieben“, „meine Welt“, „mein Gott“ usw. zu sagen Not tut.
Copyright: Christian Modehn
Michael Hampe, Die Lehren der Philosophie. Eine Kritik. Suhrkamp Verlag 2014. 455 Seiten. Leider ohne Namens – und Sachregister.