Getrennte Welten? Naturwissenschaften und Religionen
Vorschläge für ein friedliches Nebeneinander: Eine Skizze zur Diskussion
Von Christian Modehn (aus den Diskussionen des Religionsphilosophischen Salons)
Zwei unterschiedliche „Welten“ werden noch immer gern vermischt, und wer dieser Vermischung gläubig folgt, erlebt Konsequenzen nicht nur theoretischer Art: Sie führen zu Einseitigkeiten, Dogmatismen, Fundamentalismen: Es geht darum, dass aus den Erkenntnissen der Naturwissenschaften weiterreichend ins Religiöse gehende Schlüsse gezogen werden. Andererseits: Aus uralten (religiösen) Texten werden angebliche Erkenntnisse zur Natur oder der Entstehung der Welt gezogen. Beide Phänomene sind Grenzüberschreitungen, die auch existentielle Verwirrung stiften und auch politische Auswirkungen haben bis hin zur heute noch üblichen gewalttätigen Ketzerverfolgung etwa durch islamistische Kreise. Sie respektieren nicht die unterschiedlichen Argumentationsebenen von Naturwissenschaften und Religion/Weltanschauungen. Zusammenfassend gesagt: Man kann nicht aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen religiöse, weltanschauliche Konsequenzen ziehen. Genauso wenig kann man als religiöser Mensch beanspruchen, Wahrheiten zu haben, die unmittelbar die Wissenschaft der Natur betreffen.
Dabei ist zunächst zu beachten, dass immer von einem zeitlich bestimmten Stand der naturwissenschaftlichen Forschung ausgegangen wird. Jeder Forscher weiß, dass sein Standpunkt immer ein relativer Standpunkt ist. Die Forschung geht weiter. Nur wenige Basis – Erkenntnisse sind definitiv. Wenn etwa Gehirnforscher wissen, dass nervliche und mentale Vorgänge miteinander verbunden sind, wenn sie wissen, dass geistige Zustände auch in Gehirnprozessen verwurzelt sind, dann reagiert darauf Gerhard Roth, der Leiter des Bremer Zentrums für Kognitionswissenschaften: „Ich glaube nicht, dass wir derzeit entscheiden können, ob alle Gehirnprozesse deterministisch ablaufen. Es ist die Frage, ob dies wegen der ungeheuren Komplexität der Hirnprozesse je möglich sein wird“. So in einem Beitrag für den Tagesspiegel am 23.7. 2012. Neurobiologen wollen und können nach Roth gar nicht das „Wesen des Geistes“ erkunden, es geht ihnen nur um den Zusammenhang von neuronalen Prozessen und geistigen sowie psychischen Abläufen. Gerhard Roth betont zudem ausdrücklich, die Fragen nach dem Wesen von Licht, Materie und Schwerkraft seien keine naturwissenschaftlichen Fragen. Naturwissenschaftler wollen im Experiment und in Beobachtungen Eigenschaften (!) der Dinge klären, mehr nicht.
Grenzziehungen also sind angesagt: Naturwissenschaft befasst sich mit dem „endlichen“ Bereich des Natürlichen, tiefer reichende metaphysische oder religiöse Fragen liegen außerhalb ihres Blickfeldes. Umgekehrt gilt für die Religionen: Sie versuchen sich dem Gründenden des Menschen zu stellen, das sie als Gründendes und Ewiges nicht als solches umgreifen und erkennen können. So bleiben Religionen immer im Bereich des Hinweisens und des kritischen Begrenzens. Niemals kann eine Religion als Religion eine naturwissenschaftliche Erkenntnis formulieren. Früher haben die Kirchen diese Grenzen maßlos überschritten, heute fordern Evangelikale oder fundamentalistische Muslime die Anwendung der Erkenntnis „heiliger Texte“ auf die Erkenntnis der Welt und damit auf die Welt – Gestaltung. Diesem Ansinnen muss sich die Vernunft argumentativ widersetzen.
Religionen haben trotz dieser „Verirrungen“ eine bleibende Bedeutung: Auf sie können viele Menschen nicht verzichten, wenn sie sich die Frage nach tragenden Gründen für den Sinn des Lebens stellen. Noch einmal: Aus naturwissenschaftlicher Sicht können diese Fragen nicht beantwortet werden
Religionen werden auf ihre Art die fundamentalen, nicht mehr wissenschaftlich streng und eindeutig zu klärenden Fragen beantworten, eher poetisch und lyrisch, immer mit dem Vorbehalt, keine allgemeinen, letzten Antworten für alle zu haben.
Oder gehört Poesie, die sich dem Ganzen des Daseins stellt, nicht zum Leben? Hat nicht fast jeder Mensch seine eigene, noch so bescheidene Poesie?
Schwierig wird es in dem Zusammenhang, mit Denkern wie Teilhard de Chardin umzugehen, dem Naturwissenschaftler und Jesuiten, der als solcher zu religiösen und ausdrücklich christologischen Überzeugungen fand. Aus unserer heutigen Sicht wurden da ekstatisch poetische Übergriffe aus der Naturwissenschaft ins Religiöse begangen. Aber man wird ihm wohl zubilligen, sozusagen seine persönliche und private Spiritualität formuliert zu haben. In einer privaten Spiritualität kann ein religiöser Mensch die Schönheiten der Natur bewundern und in Verbindung mit einem göttlichen Schöpfer setzen. Diese Naturverehrung hat natürlich keinen naturwissenschaftlichen Wert. Aber sie kann, in der Kunst gestaltet, von einem großen, fürs Dasein relevanten Wert sein. Wer bezweifelt im Ernst die hohe Bedeutung der Natur – Gedichte der Romantik oder die Natur – Haikus japanischer Autoren?
Wenn also Naturwissenschaften und Religionen nebeneinander stehen, heißt das ja nicht, die Wirklichkeit der Welt und des Menschen sei insgesamt sozusagen „gespalten“: Sie wird zusammen gehalten von dem einen Geist, der einen Vernunft, die sich vielfältig aktiviert und äußert.
Hier kommt die Philosophie zum Zuge, sie kennt die Größe und Grenzen von Naturwissenschaft und Religion, weiß von den Eigentümlichkeiten von Wissenschaft ALS Wissenschaft und Religion ALS Religion. Philosophie hat einmal mehr eine immense aufklärerische Bedeutung. Sie führt zur Differenzierung, dadurch erst wird menschliches Leben gewaltfrei möglich.