…weil sie mit Rechtsextremen kooperieren.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 11.6.2024
1.
Was passiert, wenn Ursula von der Leyen mit Giorgia Meloni von den sehr rechtslastigen Partei „Fratelli d Italia“ kooperiert?
Was passiert, wenn eigentlich demokratische konservative Parteien in Deutschland mit der z.T. rechtsradikalen AFD oder in Österreich mit der rechtsextremen FPÖ kooperieren?
Was passiert, wenn sich die konservative Partei „Les Républicains“ in Frankreich mit der rechtslastig – rechtsextremen Partei „Rassemblement National“ (RN) von Marine Le Pen verbündet bei den bevorstehenden Wahlen zur Nationalversammlung am 30.6.2024?
2.
Ein Blick in die jüngere Geschichte Frankreichs kann bei der Frage weiterführen und neue Perspektiven eröffnen. Dass sich Geschichte nicht wiederholt und unmittelbar Schlüsse auf die Gegenwart von der Geschichte nicht gezogen werden dürfen, steht fest. Dennoch bietet die historische Erfahrung Impulse zum Nachdenken („Lernen aus der Geschichte“), zumal wenn Strukturen freigelegt werden, die damals wie heute gültig sind.
3.
Die beiden international geschätzten us-amerikanischen Historiker und Politologen Prof. Steven Levitzky und Prof. Daniel Ziblatt verdeutlichen die aktuelle Gefährdung der Demokratie in den USA durch weite Teile der Partei der Republikaner gerade mit dem Hinweis auf historische Erfahrungen. Das macht das Buch auch so wertvoll.
Sie erinnern ausführlich an den – in Deutschland kaum bekannten – Tag des Angriffs auf die französische Demokratie am 6. Februar 1934 in Paris.
Auf den Seiten 45 – 52 beschreiben sie in ihrer neuen Studie „Die Tyrannei der Minderheit. Warum die amerikanische Demokratie am Abgrund steht und was wir daraus lernen können“ (DVA Verlag München 2024) die Gewaltattacken auf die Demokratie in Frankreich, sozusagen als Lehrstück und Mahnung: Was passiert, wenn konservative Parteien mit Rechtsradikalen und Anti-Demokraten kooperieren.
4.
Der entscheidende Punkt ist: Ohne die ideologische Kooperation der 1936 führenden konservativen Partei „Fédération Républicaine“ mit den vielfältigen antidemokratischen Gruppen, Milizen und Ligen wäre der Sturm auf die Nationalversammlung („Palais Bourbon“) nicht möglich gewesen. Mehr als 10.000 rechtsextreme junge Männer machten aus der Nationalversammlung für etliche Stunden eine belagerte Festung. “Der Aufruhr hatte mehrere Tote gefordert, hunderte Menschen waren verletzt worden“ (S. 47). Vor allem: Der demokratische Ministerpräsident Edouard Daladier trat nach der Attacke zurück, „und Gaston Doumergue, ein für die rechtsradikalen Ligen akzeptabler rechter Politiker, über nahm sein Amt… Die Mitte – Links – Regierung war dem Druck der Straße (also der Rechtsextremen) gewichen. Die extreme Rechte war mobilisiert und fühlte sich ermutigt“ (ebd.).
5.
Unter den vielen Details dieses Angriffs auf die französische Demokratie am 6. Februar 1934 ist ein Aspekt aktuell besonders wichtig, und darauf weisen die beiden Autoren hin: Es geht um die Haltung der eigentlich demokratischen konservativen Partei „Fédération Républicaine“. Diese Partei war Anfang der 1930er-Jahre nach rechts gedriftet und von einem Hass auf die linken Parteien bestimmt (S. 48). Deswegen unterstützte diese Partei verbal, ideologisch, die rechtsextreme Meute in ihrer Attacke auf das Parlament und die dortigen Abgeordneten.
Es gab dann Untersuchungen zu den Attacken des 6. Februars, aber wegen der an einer Wahrheitsfindung gar nicht interessierten Konservative Partei „wurde für die Ereignisse niemand verantwortlich gemacht, die französische Demokratie blieb stark geschwächt. Sechs Jahre später war sie tot“ (S. 51): Da herrschte der Nazi – freundliche Marschall Pétain.
6. Halbloyale Demokraten.
Die Wissenschaftler Prof. Steven Levitzky und Prof. Daniel Ziblat erinnern an diese Ereignisse aus aktuellem Interesse: Man habe beim Lesen des Buches immer den Sturm auf das Capitol in Washington DC am 6.1. 2021 vor Augen. Sie wollen ein grundsätzliches politisches wie ethisches Problem zur Sprache bringen: Und das ist: Die “eigentlich“ noch demokratisch gesinnten Konservativen „Les Républicains“ waren nicht imstande, sich von antidemokratischen Kräften des rechtsradikalen Pöbels zu distanzieren. Sie waren nur „halbloyale Demokraten“, also ein bißchen demokratisch und ein bißchen rechtsradikal eben. Sie waren also die Komplizen der rechtsradikalen Angreifer auf die Demokratie.
7.
Diese nach außen demokratisch wirkenden Konservativen „halten sich dem Anschein nach an die demokratischen Spielregeln, aber insgeheim untergraben sie die Demokratie“ (S. 51). Die Autoren werden deutlich: „Aus der Ferne mögen diese halbloyalen Demokraten wie wirklich loyale Demokraten aussehen. Es sind etablierte Politiker, häufig in Schlips und Kragen, die auch nach außen hin nach den Regeln spielen und damit sogar erfolgreich sind. Sie beteiligen sich niemals an offensichtlich antidemokratischen Handlungen. Daher sind ihre Fingerabdrücke nach dem Tod der Demokratie selten auf der Mordwaffe zu finden. Aber: Halbloyale demokratische Politiker spielen eine entscheidende, wenn auch versteckte Rolle beim Zusammenbruch der Demokratie“ (S. 52).
8.
Man wende diese Strukturanalyse auf die in Punkt 1. genannten Probleme und Personen und Parteien an.
Es geht um die dringend erforderliche Wahrnehmung, dass in den Demokratien die Demokraten und ihre Parteien sozusagen umkippen und nur noch „halbloyale Demokraten“ sind. Diese Politikerinnen sind bereit um des eigenen Machterhaltes (und Finanzgewinns) willen mit Rechtsextremen zu kooperieren. Das führt – siehe Frankreich 1940 – zum Ende der Demokratie. Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist immer auch ein Kampf gegen halbloyale Demokraten.
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