Der phantastische Jesus: Weihnachten in der Sicht apokrypher Autoren der Kirche.

Der phantastische Jesus: Weihnachtsgeschichten der frühen Kirche

Der Text einer Ra­dio­sen­dung von Christian Modehn (RBB 2012)

In der frühen Kirche, bis ins 6. Jh., gab es eine leidenschaftliche und phantasievolle Begeisterung frommer Autoren, die Weihnachtsgeschichte weiter zu erzählen. Dazu einige durchaus unterhaltsame Hinweise.

 

  1. SPR.: Berichterstatter
  2. SPR.: Zitator und Übersetzer
  3. SPRECHERIN: Zitate

21 O TÖNE

5 Musikal. Zuspielungen

 

1.musikal. Zusp., (Schaffrath, Adagio) bleibt frei 0 08“ stehen, dann leise im Hintergrund.

 

  1. O TON, Plisch, 0 13“.

Die Evangelien im Neuen Testament schweigen über Jesu Kindheit komplett. Matthäus und Lukas berichten zwar über die Geburt. Lukas hat dann noch eine Geschichte vom 12 jährigen Jesus im Tempel. Und damit hat es sich aber auch schon. Da gibt es also eine große Lücke.

1.musikal. Zusp., 0 04“ wieder freistehend

 

  1. O TON, Schröter, 0 18“

Man kann sehen, dass sehr bald das Bedürfnis entsteht, genau über diese Phase des Lebens Jesu, seine Geburt und seine Kindheit, mehr zu wissen. Und bereits im 2. Jahrhundert setzt das ein, was wir heute so apokryphe Überlieferung nennen, dass das eben legendarisch ausgemalt wird

1.musikal. Zusp., 0 04“ wieder freistehend

 

  1. O TON, Kaiser, 0 15“

Als Kind ist er Gott, hat göttliche Kraft, Wunderkraft vor allem. Und ist aber zugleich eben dieses Kind, was damit noch nicht so ganz vernünftig umgehen kann, gerade, was eben diese Emotionalität angeht. Und dann werden Geschichten erzählt, die ganz typisch sind für Kinder.

 

  1. musikal. Zusp., leise im Hintergrund, bei „Eine Sendung von… „ausblenden, um dann in die 2. Musik schon einzublenden.

 

Titelsprecherin:

Der phantastische Jesus.Weihnachtsgeschichten der frühen Kirche

Eine Sendung von Christian Modehn

2. Musikal. Zuspielung, ca. 0 08“ freistehend, Gesang steht frei: „Vom Himmel hoch, da komm ich her, ich bring euch gute neue Mär“…freistehend, dann leise im Hintergrund.

 

  1. SPR.:

Unbekannte Erzählungen und wohltuende Geschichten, eben eine gute, neue Mär bringt der Engel den Menschen zum Weihnachtsfest. Martin Luther will mit seinem Lied andeuten: Die Evangelisten Lukas und Matthäus melden nicht objektive oder gar historisch überprüfbare Nachrichten. Darin sind sich heute inzwischen die allermeisten Bibelwissenschaftler einig, betont der Berliner Theologe Jens Schröter:

 

  1. O TON, 0 57“, Schröter

Zusammenfassend könnte man von diesen Geschichten, die wir im Neuen Testament haben, sagen, dass da gewisse Aspekte legendarischer Erzählungen aufgenommen werden und die zur Grundlage einer bestimmten Erzählung vom Leben Jesu gemacht werden. Das sind mit Sicherheit keine historischen Dokumente, also historisch kann man über die Geburt Jesu fast nichts wissen, also dass die Mutter Maria hieß und der Vater Josef, das ist historisch wahrscheinlich,

aber wo das passiert ist, das ist nicht sicher. Ansonsten: Über die näheren Umstände der Geburt und der Jugend Jesu kann man historisch praktisch nichts wissen.

 

  1. musikal. Zuspielung, Jordi Saval, bleibt ca. 0 09“ freistehen, dann leise runterlegen:

 

  1. SPR.:

Die frühe Christenheit wollte ihrer frommen Phantasie keine Grenzen setzen. Den Gläubigen erschienen die knappen Hinweise der Evangelisten Matthäus und Lukas zur Geburt Jesu viel zu dürftig, um nicht zu sagen: armselig: Wenn schon ein Gottessohn geboren wird, dann müssen alle Möglichkeiten von Poesie und Imagination zur Entfaltung kommen. Darum wurden schon im 2. Jahrhundert in allen Ländern und allen Sprachen der damaligen Welt Texte geschrieben, die dann apokryphe, geheime Evangelien genannt wurden. Sie schildern mit vielen Details auch die Geburt und Kindheit Jesu. Die theologisch gebildeten Bischöfe hielten nicht viel von diesen wundersamen Geschichten; aber sie konnten die Begeisterung des einfachen Volkes nicht bremsen: Endlich kam die Neugier auf ihre Kosten, und es war es ein Vergnügen, von Jesus und seiner Familie zu lesen. Ein Lieblingsautor war ein gewisser Jacobus aus Ägypten: Er berichtet, dass Unvorstellbares auf Erden geschieht und eine neue Zeit anbricht: Gott selbst wird auf Erden geboren! Jacobus lebte in Ägypten im 2. Jahrhundert, als er seine Erzählung schrieb. Sie wurde nach griechischem Vorbild das „Prot“ – Evangelium, also das „erste Evangelium“ nach Jacobus, genannt.

 

  1. Musikal. Zuspielung, noch mal 0 04“ freistehend.

 

  1. SPR.:

Maria, die schwangere Jungfrau und Josef, der besorgte Pflegevater, sind unterwegs nach Bethlehem zur Volkszählung. Schon vor den Toren der Stadt, berichtet Jacobus, setzen bei Maria die Wehen ein. Josef, der hoch betagte Zimmermann, ist völlig fassungslos; hilflos irrt er umher, findet aber durch Zufall eine Hebamme. Zusammen eilen sie zu Maria. Sie hat sich in eine bergende Höhle zurückgezogen. Im apokryphen Text „Protevangelium“ heißt es dann:

 

  1. SPR.:

Als Josef und die Hebamme zu Maria kamen, bedeckte eine dunkle Wolke die Höhle. Die Hebamme aber sprach: Erhoben ist meine Seele, heute, da meine Augen Wunderbares geschaut haben, heute, da für Israel das Heil geboren ist. Und in diesem Moment verzog sich die Wolke von der Höhle und es zeigte sich dort ein großes Licht, so dass es für die Augen nicht zu ertragen war. Kurz darauf verlor sich aber dieses Licht, und das Neugeborene war zu sehen. Es kam und nahm die Brust von seiner Mutter Maria.

 

1.SPR.:

Die Geburt eines Gottessohnes entzieht sich menschlichen Blicken. Undurchdringlich sind die geheimnisvollen dunklen Wolken, unter denen Gott sein Wunder wirkt: Eine Frau bringt ihr Kind zur Welt und bleibt dabei auch biologisch gesehen eine Jungfrau. Die Hebamme ist von dieser einmaligen Geburt Jesu Christi so erschüttert, dass sie wie in einer Ekstase spricht:

 

  1. SPR:

Wie groß ist der heutige Tag für mich, da ich dieses wunderbare Schauspiel gesehen habe. Eine Jungfrau hat geboren, obwohl das doch ihre Natur nicht zulässt.

  1. SPR.:

Eine zweite Hebamme, Salome mit Namen, tritt hinzu; sie hält das Ganze für frommen Wahn. Sie fühlt sich betrogen und belogen und fordert fest entschlossen:

 

  1. SPR.:

Wenn ich nicht meinen Finger hineinlege und ihre geschlechtliche Eigenart untersuche, werde ich nicht glauben, dass eine Jungfrau geboren hat.

 

1.SPR.:

Tatsächlich prüft Salome „die geschlechtliche Eigenart“, wie Jacobus so diskret schreibt: Aber ihre Zweifel werden schon bei der ersten Berührung bestraft: Ihre frevelhafte Hand fällt von ihr ab und wird wie von einem Feuer verzehrt… Für den frommen Autor Jacobus aber ist es selbstverständlich, dass Salome sogleich ihren Unglauben bereut … und – schon wieder ein Wunder – geheilt wird.

 

  1. musikal. Zusp., 0 06“ freistehen lassen.

 

  1. SPR::

Während in der Bibel lediglich von der göttlichen Zeugung Jesu in der Jungfrau Maria berichtet wird, gehen die Autoren der apokryphen Evangelien in ihrer frommen Phantasie viel weiter, betont die katholische Theologin Katharina Ceming:

 

  1. O TON, Ceming, 0 54“

Die Hebamme, die hier im Protevangelium des Jakobus auftaucht, hat letztendlich keine andere Funktion, als noch einmal zu bestätigen, dass die Geburt tatsächlich jungfräulich abgelaufen ist. Das ist ja etwas, was in der Antike ein sehr allgemein verbreiteter Gedanke war: Große Männer und bedeutende Menschen sind also in antiken Kulturen fast immer jungfräulich geboren worden, ob es die ägyptischen Pharaonen waren, von Alexander dem Große wird ähnliches berichtet, da hat man eben angeknüpft. Mitte des 2. Jahrhunderts sind von nicht christlicher Seite doch diverse Zweifel an der göttlichen Abstammung Jesu geäußert worden. Einer der klassischen Vorwürfe lautete immer wieder, dass Jesus das Kind eines römischen Soldaten sei, also ein illegitimes Kind, diesem Vorwurf musste man entgegen treten.

 

  1. SPR.:

Wenn Jesus Christus wie ein auf Erden wandelnder Gott verehrt wird, dann muss alles Menschliche fern bleiben, alles Sexuelle sowieso. Die offizielle kirchliche Lehre hat hingegen immer auch die Menschlichkeit Jesu betont und darum die Kompromissformel „Jesus ist Gott und Mensch zugleich“ gefunden. Aber das fromme christliche Volk schätzte diese Spitzfindigkeiten nicht sonderlich und hielt sich eher an die phantastischen apokryphen Geschichten:

 

  1. O TON, Schröter, 0 28“

Die haben sich in der Antike schon großer Beliebtheit erfreut, also gerade dieses so genannte Protevangelium des Jakobus ist in sehr viele Sprachen übersetzt worden, hat große Verbreitung gehabt.

 

  1. SPR.:

berichtet der Bibelwissenschaftler Jens Schröter. Und er weist auf das apokryphe Evangelium eines gewissen Matthäus aus dem Jahre 600 hin:

 

FORTSETZUNG 6. O TON:

Und dann gab es daneben immer noch so einzelne Episoden, wie zum Beispiel die Geschichte von der Flucht nach Ägypten, etwa, dass eine Palme sich neigt und dem Jesuskind und Maria seine Früchte gibt.

 

1.SPR.:

Zuvor hatte sich Maria, von dem langen Marsch durch die Wüste völlig erschöpft, bei Josef beklagt: Er solle doch endlich für Wasser sorgen! Aber der alte Mann weiß auch keinen Rat; er sieht nur die hohen, unbezwingbaren Palmen am Rande stehen. Was können die schon helfen? Aber der kleine göttliche Jesusknabe hat eine wunderbare Idee, erzählt der Autor Matthäus:

 

2.SPR.:

Da sagte das Jesuskind, das mit fröhlicher Miene auf dem Schoß seiner Mutter saß, zu der Palme: Neige dich, Baum, und erfreue meine Mutter mit deinen Früchten. Und sogleich neigte die Palme ihre Krone bis zu den Füßen Marias. Und man sammelte von ihr die Früchte, an denen sich alle gütlich taten…Dann sagte Jesus: Öffne unter deinen Wurzeln auch eine Wasserader, aus ihr sollen Wasser fließen, um unseren Durst zu stillen. Und sogleich begannen frische, ganz süße Wasserquellen zu sprudeln.

 

  1. SPR.:

Wer das göttliche Kind bewundert, möchte natürlich auch Genaueres von seiner Familie wissen. So lassen die Autoren der apokryphen Evangelien wiederum ihrer Phantasie alle Freiheit, wenn sie von ausführlich von Maria erzählen, wie etwa das „Protevangelium des Jacobus“, betont die Theologin Katharina Ceming:

 

  1. O TON, Ceming, 0 24“

Es ist die Geschichte von Maria! Und das hängt damit zusammen, dass in der frühchristlichen Tradition sehr bald die Frage nach der Gottesmutter aufgetaucht ist. Also wer war diese Frau, die Jesus geboren hat. Aus den Evangelien, die wir im Neuen Testament überliefert haben, ist uns relativ wenig bekannt von Maria. Das Bedürfnis der Gläubigen war aber, viel mehr über diese Frau zu erfahren.

 

  1. SPR.:

Und die Neugier wird umfassend befriedigt: Jacobus kann sogar die Namen von Marias Eltern nennen, als in gewisser Weise Oma und Opa von Jesus. So wird seine phantastische Geschichte noch glaubwürdiger:

 

  1. O TON, Ceming, 0 30“.

Anna und Joachim sind die Eltern Mariens. Das ist aus katholischer Sicht im volksreligiösen Bewusstsein bis heute immer noch sehr präsent. Wenn man natürlich die neutestamentlichen Schriften anguckt, stellt man fest: Über die Eltern von Maria steht da eigentlich gar nichts. Und ganz interessant ist, wenn man anschaut, wie Joachim und Anna hier gezeichnet werden, kann man sehr starke Parallelen zu anderen bedeutenden biblischen Paaren finden. (rausgehen)

 

  1. SPR.:

Anna, die Mutter Marias, alt und ergraut und zudem unfruchtbar, hat alle Hoffnungen auf ein eigenes Kind aufgegeben, so will es der fromme Autor Jacobus: Nur Gott selbst hat die Macht, in ihr ein Kind zu zeugen, und das geschieht tatsächlich:

 

  1. SPR.:

Und siehe, da trat ein Engel des Herrn zu Anna, er sprach: Anna, Anna, Gott der Herr hat deine Bitte um ein Kind erhört. Du wirst empfangen und gebären und deine Nachkommenschaft wird auf der ganzen Welt bekannt sein.

 

  1. SPR.:

So wird also auch Maria, die Mutter Jesu, bereits „unbefleckt empfangen“ und von einer Jungfrau geboren! Und das Kind entwickelt sich schnell zu einem ganz einmaligen Mädchen, schwärmt der Autor:

 

  1. SPR.:

Als Maria sechs Monate alt war, stellte es seine Mutter auf den Boden, um zu prüfen, ob es schon stehen könne. Und es machte sieben Schritte und kam bis zum Schoß seiner Mutter. Und seine Mutter hob es auf und sprach: So wahr Gott, der Herr, lebt: Du sollst nicht mehr auf diesem Boden laufen…Sie richtete ein Heiligtum in ihrem Schlafgemach ein und ließ nicht zu, dass Maria etwas Profanes und Unreines zu sich nähme.

 

  1. SPR.:

Im Alter von 2 Jahren wird Maria der Obhut der hohen Priester im Tempel übergeben: 10 Jahre später beschließen sie, ein reifer alter Mann sollte sich um sie kümmern, freilich ohne erotisch –sexuelle Neigungen, wie es ausdrücklich heißt. So rufen die Priester alle Witwer zusammen: Ein alter Herr wird durch ein wunderbares Zeichen Gottes auserwählt: Es ist Josef, aber der hat bereits aus Kinder aus erster Ehe. Erst nach langem Zureden der Priester lässt sich der alte Mann breitschlagen: Er nimmt das junge Mädchen Maria zu sich…Und Jesus wächst dann später in seiner Familie sozusagen im Kreis von Stiefgeschwistern auf…

 

  1. musikal. Zusp., ca. 0 07“ noch mal freistehend, dann ausblenden.

 

  1. SPR.:

Von den Eltern Josefs wissent die apokryphen Geschichten nichts zu berichten! Hingegen hat der fromme Autor Thomas, Verfasser des „Kindheitsevangeliums“, Näheres zum Beruf des Pflegevaters Jesu erfunden:

 

  1. O TON, Plisch 0 31“

Er ist nicht einfach nur Handwerker, Zimmermann, sondern der ist richtig Bau – Unternehmer, d.h. er ist eben auch lange unterwegs, seine verschiedenen Bauten zu betrachten.

 

  1. SPR.:

berichtet der Bibelwissenschaftler Uwe Karsten Plisch:

 

Fortsetzung 9. O TON

Das heißt: Das ist ganz klar die Absicht: Jesus kommt aus gutem Hause. Das ist nicht ein einfacher Handwerkersohn, sondern Papa ist eben richtig Bauunternehmer, wohlhabende Familie, ja also, das richtet sich schon gegen so ein christliches Armutsideal. Für die Akzeptanz in der heidnischen Umwelt: da ist so ein Erlöser aus gutem Hause sicherlich attraktiver als jemand aus der galiläischen Provinz.

 

  1. SPR.:

Aber Jesus, das Kind einer mittelständischen Unternehmerfamilie, ist alles andere als bürgerlich – brav, auch das weiß der Autor. Jesus hat einen dermaßen impulsiv – aufbrausenden Charakter, dass er sogar die gute Stimmung in der ganz Nazareth verdirbt.

 

  1. O TON, Kaiser, 0 51“.

Er läuft mit Josef durch den Ort Nazareth, und ein anderes Kind kommt vorbei gerannt und rempelt ihn an. Und Jesus wird wütend; das stört ihn, und er sagt zu dem anderen Kind: Du sollst deinen Weg nicht weitergehen. Und darauf hin fällt dieses Kind um und ist tot.

 

  1. SPR.:

berichtet die Theologin Ursula Ulrike Kaiser.

 

  1. O TON Fortsetzung.

Und da haben wir beides zusammen, wir haben diese Unausgeglichenheit vielleicht noch, die für das Kind typisch ist, denke ich; und das ganz Besondere an Jesus, dass das natürlich sofort passiert, was er sagt, weil er ja zugleich Gott ist. Und dann natürlich die Reaktionen der Leute, die entsetzt sind, die aber zugleich auch anfangen zu fragen: Was ist das eigentlich für ein Kind, was steckt da dahinter, wieso kann er das, wieso kann er das sagen und das passiert sofort? Und das zieht sich durch die Geschichten hindurch, dass das immer wieder betont wird: Da ist schon etwas sichtbar von diesem Späteren, Göttlichen, von dieser Wundermacht. Und es ist aber zugleich das Kind, das da agiert.

 

  1. SPR.:

Die Leser fanden enormen Spaß an diesem „Kindheitsevangeliums nach Thomas“: Endlich einmal zeigten sich religiöse Texte von einer unterhaltsamen Seite, und auch so manch ein Vater damals konnte sich trösten, dass schon der heilige Josef seine liebe Not mit der Kindeserziehung hatte, meint Ursula Ulrike Kaiser:

 

  1. O TON, 0 26“, Kaiser,

Josef ist der, der für die Erziehung zuständig ist. Und das ist er als Vater in dieser antiken Gesellschaft, und insofern spielt er natürlicherweise eine Rolle, weil die Erziehung des Jesuskindes eine Rolle spielt. Das heißt, immer, wenn was Schlimmes passiert in dieser Erzählung, gehen die Leute zu Josef und sagen: So geht’s nicht, du musst was tun. Josef, du kannst mit diesem Kind nicht bei uns wohnen, wenn du den nicht ordentlich erziehst. Die Mutter tritt nicht ganz so stark in Erscheinung in diesen negativen Geschichten.

 

  1. SPR.:

Aber das göttliche Kind ist für den Autor des Kindheitsevangeliums nicht nur ein Frechdachs, er hat auch seine lieben und netten Seiten:

 

12. O TON, Kaiser, 0 23“.

Ganz hübsch ist z. B., dass Jesus losgeht, um für Maria Wasser zu holen und dann mit einem Krug durch die Menge geht und der Krug zerbricht, weil das Gedränge zu groß ist. Und dann breitet er sein Gewand aus und holt dann mit diesem ausgebreiteten Gewand dann Wasser. Oder er hilft dem Josef in der Werkstatt, der ein Bett herstellen soll, und die beiden Balken – Bretter sind offensichtlich unterschiedlich lang und er weiß nicht, was er machen soll. Und dann kommt Jesus und zieht das genauso lang, dass es genauso lang wie das andere ist.

 

  1. SPR.:

Diese fromme Unterhaltung wurde genauso wichtig genommen wie die Evangelien des Matthäus oder Lukas. Und so musste die Kirchenleitungen anerkennen, dass allzu viel Phantasie und Erzählfreude dem dogmatisch – korrekten Glauben nicht gut tut. Deswegen haben sie die apokryphen Schriften nicht in den maßgeblichen und bindende Korpus des Neuen Testaments aufgenommen, betont Uwe Karsten Plisch:

 

  1. O TON, Plisch, 0 47“

Was man sicher sagen kann, ist, dass es nicht einfach mal eine zentralistische Entscheidung gegeben hat, die fest gelegt hat, so und so, das gehört dazu und das nicht, sondern es scheint sich über mehrere Jahrhunderte über lokale Konsense entwickelt zu haben. Und gerade bei dem Protoevangelium des Jakobus, einem Kindheitsevangelium, ist es so, dass es gerade in der Ostkirche sich sehr großen Beliebtheit erfreut hat, wurde auch im Gottesdienst gelesen, speziell bei Marienfesten. Und wird im Westen, im 12. Jahrhundert, aussortiert, also sehr spät, weil es mit bestimmten dogmatischen Entscheidungen dann zusammenstößt und nicht kompatibel ist. Kriterium der Beurteilung könnte sein könnte sein, inwieweit die theologische Reflexion im Vordergrund steht oder ob es die reine Neugier ist, die befriedigt werden will. Da wird es theologisch uninteressant und dient einfach nur zur Unterhaltung. Als solche kann man es auch behandeln, als frühchristliche Unterhaltungsliteratur.

 

  1. SPR.:

Das Interesse am dem wunderbaren, dem göttlichen, geheimnisvoll – mysteriösen Jesus ist bis heute lebendig. Leidenschaftlich wird auch in der weiten esoterischen Szene debattiert: War nun Jesus eigentlich auch verheiratet? Hatte der was „mit Frauen“? Darf ein Gottmensch erotische Lust empfinden? Gibt es darauf eine eindeutige Antwort?

 

  1. O TON, Plisch, 0 34“.

„Die ältesten christlichen Zeugnisse schweigen darüber, allerdings in beide Richtungen, also es gibt weder Aussagen, dass Jesus nicht verheiratet war noch gibt es Aussagen, dass er verheiratet war. Andererseits ist in der Zeit, in der Jesus lebt, der Normalfall, dass Rabbis verheiratet sind. Und, wo sie es nicht sind, geraten sie auch leicht unter Rechtfertigungsdruck.

Das Gebot Seid fruchtbar und mehret euch, ist das erste Gebot, was Gott überhaupt an die Menschheit erlässt und deswegen hat das einen ganz hohen Stellenwert im Judentum. Und wer dieses Gebot nicht erfüllt, macht sich unter Schriftkundigen verdächtig.

 

  1. SPR.:

Aber vielleicht haben die apokryphen Evangelisten – wieder einmal –ein besseres geheimes Wissen? Vor wenigen Monaten meinten einige Wissenschaftler eine Antwort zu haben: Ein winziges Papyrusstück wurde gefunden, in dem von einer Gattin Jesu die Rede ist. Zu den wenigen lesbaren Wörtern in diesem Fragment gehört ein Spruch Jesu:

 

  1. SPR.:

Meine Frau wird mir Jüngerin sein können.

 

  1. SPR.:

Für ein paar Stunden schien die althergebrachte Lehre vom zölibatär lebenden Jesus wie ausgelöscht zu sein: Aber ist der angeblich koptische Text aus dem 4. Jahrhundert tatsächlich ernst zu nehmen? Uwe Karsten Plisch hat das als Spezialist für uralte Papyrus – Texte das angeblich so umstürzlerische Fragment untersucht:

 

  1. O TON, Plisch, 0 34“

Nach der ersten Aufregung und nach der Präsentation des Textes ist doch relativ schnell klar geworden, dass es sich hier um eine moderne Fälschung handelt. Das kann man sowohl papyrologisch ganz gut nachweisen: Die Schrift ist keine Buchschrift des 4. Jahrhunderts! Es gibt eine obere Schnittkante, die zeigt, dass dieser Papyrus irgendwo abgeschnitten wurde, offenbar zu dem Zweck, ein unbeschriebenes Stück haben, das man beschreiben kann nachträglich. Die Rückseite ist nicht ? beschrieben, das ist für Buchtexte aus der Antike extrem ungewöhnlich. Alle Indizien machen es höchst unwahrscheinlich, dass das ganze ein wirklicher antiker Text ist

 

1.SPR.:

Das heißt ja nicht, dass irgendwann im ägyptischen Wüstensand oder in den staubigen Archiven europäischer Museen doch noch einmal echte Schriftstücke gefunden werden, die Näheres vom Liebesleben Jesu berichten. Die Apokryphen – Forschung ist keineswegs abgeschlossen. Ungeachtet immer neuer Funde: Auch heute ist die Lust ungebrochen, neue apokyrphe Evangeliengeschichten zu erfinden. Im kanadischen Montréal zum Beispiel befindet sich die riesige neoromanische Basilika, die dem heiligen Josef geweiht ist: In diesem „Oratoire Saint Joseph“ schreiben die Gläubigen ihre ganz persönliche Josefs – Geschichte, berichtet der katholische Theologe Daniel Picot, er nennt sich selbst „Josefologe“:

 

  1. O TON, Picot, 0 59“. (zusammenfassend übersetzt)
  2. SPR.:

Jetzt erleben wir seit einiger Zeit eine Entwicklung, dass man Josef als jungen Mann sieht, stark, voller Vitalität, verliebt in seine sehr schöne junge Frau, wie er liebevoll besorgt ist um sein Kind. Wir erleben heute eine ganz ungewöhnliche Aneignung dieser Josefs – Gestalt! Es sind normale Christen, die solche Texte schreiben über Josef als Vater. Es sind psychologische Texte, sehr emotional, voller Sensibilität, aber sehr realistisch. Josef gilt fast als ein Modell: Er ist ein Mann, der auch praktische Schwierigkeiten im Leben hatte. Darin ist er uns so ähnlich! Auch war er politisch bedroht, durch die Allmacht des Herrschers Herodes. Josef musste ums Überleben kämpfen, gerade so wird er zum Vorbild in diesen Zeiten ökonomischer Erschütterungen. Josef hat da viel Stärke und Mut gezeigt in diesen verwirrenden Situationen.

 

  1. musikal. Zusp., Lateinam. Musik, bleibt ca 0 08“ freistehen.

 

  1. SPR.:

Wer heute apokryphe Geschichten über die Heilige Familie erdichtet oder speziell zur Gestalt Jesu Christi Geheimnisvolles weiß, möchte die Ereignisse von damals in seine eigene Gegenwart holen. In Lateinamerika schätzen die Gläubigen den armen Jesus Christus über alles; er lebte für sie nicht nur in Nazareth, sondern er lebt heute, zum Beispiel in den Favelhas von Rio de Janeiro. Inmitten von Wellblechhütten und stinkenden Abwässern, geplagt von Terror und Gewalt, hat auch der brasilianische Priester Paulo Süß sein eigenes Bild vom jugendlichen Jesus entdeckt:

 

  1. O TON, Suess, 0 19“

Ich sag immer: Das war ein Handwerker. Das ist ja das Schöne, er war kein Maurer, er hat keine Mauern gemacht, er hat Türen gemacht, die aufgehen! Also: Jesus hat gelernt, Türen zu machen, Fenster zu machen, aufzumachen, und keine Mauern zu setzen. Und das als Gegenspiel zur institutionellen Kirche, die immer Mauern baut.

 

  1. Musikal. Zuspielung, Lateinamerika, noch mal 0 05“ freistehend:

 

  1. SPR.:

Christus wird in Lateinamerika geboren: Mit Inbrunst singen die Frommen in Peru dieses Lied: Überall in Südamerika nehmen sie sich auch die Christen aus „indianischen“ Völkern die Freiheit, Weihnachten auf ihre eigene Weise zu deuten. Gäste aus aller Welt sind willkommen, wenn zum Beispiel die Mayas in Mexiko ihr ureigenes Evangelium in Krippenspielen darstellen, berichtet Paulo Süß:

 

  1. O TON, Suess, 0 37“

Also was ganz Schönes muss ich noch erzählen von der Krippe da in Mexiko. Bei einem Indiostamm kommt es also vor: die Krippe wird da aufgebaut. Und dann wird ein Kind hineingelegt, und einmal legen sie einen Jungen hinein, und einmal ein Mädchen. Und dann kommen die Leute so, wie man halt in das Geburtshaus da ankommt und sagt: Ist es ein Junge, ist es ein Mädchen. Heute ist es ein Mädchen, und einmal ist es ein Junge, das ist interessant, dass sie also gar nicht auf das Geschlecht Jesu achten. Sondern dieser Gott, der geboren wird, muss also einfach einmal als Junge und einmal als Mädchen auf die Welt kommen.

 

  1. musikal. Zusp. möglicherweise noch mal 0 04“ frestehend.

 

1.SPR.:

Sind heutige Jesus – Romane in Europa auch moderne apokryphe Evangelien? Viele Theologen sind davon überzeugt. Manchmal sind sie auch selbst Schriftsteller und lassen in ihren Romanen ihrer gebildeten Phantasie freien Lauf, wenn sie uns den jugendlichen Jesus von Nazareth nahe bringen wollen. Der protestantische Theologe Klaas Huizing (sprich Häuzing) hat vor wenigen Wochen seinen Roman veröffentlicht mit dem Titel „Mein Süßkind“, gemeint ist der so viel geliebte, so „süße“ Jesus. Klaas Huizing erklärt den Leuten sogar mitten auf dem Weihnachtsmarkt seine persönliche Sicht von dem jugendlichen Jesus von Nazareth.

 

  1. O TON, Klaas Huizing, 0 24“.

Es ist ein spannendes Leben, aber es ist in der Unterströmung auch sehr humorvoll, das ist erst sehr spät entdeckt worden, dass die Bibel sehr viel humoreske Situationen bietet, obwohl es auch eine ernste Lebensgeschichte ist, es sollte immer auch humorvoll gebrochen sein. Deshalb ist es seriös, die Romanform zu wählen, damit die Leser wissen, es könnte so gewesen sein, könnte aber auch ganz anders gewesen sein.

 

  1. SPR.:

Apokryphe Schriften weiten das Denken, sie wecken die Lust am frommen Spektakel. Und, das ist wichtig, manchmal inspirieren diese Schriften sogar Bischöfe der katholischen wie der orthodoxen Kirche zur Vertiefung der rechten Glaubenslehre. Offizielle Konzilien haben zum Beispiel die apokryphe Lehre von der jungfräulichen Geburt Jesu zum allgemein gültigen Dogma erhoben. Genauso haben sie die jungfräuliche Geburt Mariens als zu glaubendes Dogma festgelegt. Auch Anna, Marias Mutter, fand als apokryphe Gestalt universale Verehrung, bis hin zu Wallfahrten, etwa in der Bretagne. Anna und ihr angeblicher Gatte Joachim werden bis heute als heilige Vorbilder verehrt, obwohl man eigentlich von ihnen nichts weiß. Und die Künstler haben sich stets apokrypher Motive bedient, etwas wenn sie die geheime Legende von der „Entschlafung Marias“ malten oder ihre leibliche Aufnahme in den Himmel priesen. Der Theologe Jens Schröter:

 

  1. O TON, Schröter,

Diese Schriften haben von früher Zeit an für die Volksüberlieferung und den Volksglauben, das meine ich gar nicht abwertend, sondern das hat für den christlichen Glauben immer eine große Rolle gespielt, dass man sich auch verankert so im religiösen Leben der Menschen. Und dafür haben diese Schriften von früher Zeit an eine große Rolle gespielt. Schnitt. Wieder rein: Und sind in die darstellende Kunst etwa vielfältig eingegangen. Und sie auch bis heute in Krippenspiele usw. eingegangen. Also die Geschichte von Ochs und Esel an der Krippe etwa, die findet sich auch nicht im Neuen Testament, es ist auch eine, die apokryph ist, wenn Sie so wollen.

 

1.SPR.:

Die apokryphen Schriften prägen das Bewusstsein vieler Christen bis heute geprägt. Aber bei aller Begeisterung fürs fromme Fabulieren gilt doch ein gewisser Vorbehalt: Denn diese Texte fördern die Vorstellung, Jesus sei eigentlich kein Mensch, sondern ein Gott. Das ist theologisch gesehen natürlich falsch. Insofern kann die Fülle apokrypher christlicher Texte für einen kritischen, einen modernen Glauben eher abträglich sein, weil das Vorurteil gestärkt wird: Gott erscheint auf Erden als Gott, als ein mysteriöses willkürlich handelndes Wunderwesen. Glauben wird so zum puren Wunderglauben.

Trotzdem: Theologen wollen auch einen bleibenden Wert dieser Literatur anerkennen: Sie befreit von der Vorstellung, das Christentum sei eine einförmige, fest strukturierte und völlig übersichtliche Organisation, in der alles uniform und kontrolliert „abläuft“. Die katholische Theologin Katharina Ceming:

 

  1. O TON, Ceming, 0 40“.

Ich finde die gesamte Apokryphen Forschung deswegen so spannend, weil die einfach auch ein völlig anderes Bild noch zeigt dieser christlichen Tradition, als die, die wir traditionell kennen. Diese ganzen Texte zeigen eigentlich, wie ungemein vielschichtig das Christentum in den ersten Jahrhunderten war, und dass es also auch zu einer bestimmten Zeit noch gar keine wirklich definitiven Regeln, Vorgaben gab, was denn die christliche Lehre an sich ist. Also ich glaube, wenn wir uns bewusst machen, wie vielfältig auch die christliche Tradition am Anfang auch war, dann wird es uns etwas leichter fallen, die Vielfalt des Christentums heute auch besser auszuhalten.

 

  1. musikal.Zusp. noch einmal einspielen…

 

 Literatur:

 Katharina Ceming und Jürgen Werlitz, Die verbotenen Evangelien. Apokryphe Schriften. Marix Verlag, Wiesbaden, 2010, 264 Seiten.

Uwe Karsten Plisch, Was nicht in der Bibel steht. Apokryphe Schriften des frühen Christentums. Verlag Deutsche Bibelgesellschaft, 176 Seiten, 2006.

Ursula Ulrike Kaiser,

Jesus als Kind. Neuere Forschungen zur Jesus Überlieferung in den apokryphen ‚Kindheitsevangelien‘. In J. FREY – J. SCHRÖTER (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen, Tübingen, 2010, dort S. 253–269.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin