Am 7.Februar 2024 ist der Politologe und Förderer der deutsch-französischen Beziehungen in Paris gestorben.
Ein Hinweis von Christian Modehn.
1.
Ein viel zu kurzer Hinweis auf einen Denker der Weite, der Toleranz, der Freundschaft: Alfred Grosser, Politologe und Förderer deutsch – französischer Begegnungen, ist am 7. Februar 2024 in Paris im Alter von 99 Jahren gestorben. Er ist einer der wichtigen Brückenbauer im deutsch-französischen Gespräch: Professor Alfred Grosser arbeitete als Politologe an der berühmten Fakultät für Politologie in Paris, in Frankreich nur „Science Po“ genannt. 1925 wurde Grosser in Frankfurt am Main geboren, als Jude musste er 1933 nach Frankreich flüchten.
Über Details zu seinem Leben und Arbeiten kann man sich etwa bei wikipedia weiter informieren und seine Bücher – auch auf Deutsch – wieder einmal lesen.
2.
Für uns im Religionsphilosophischen Salon Berlin ist es besonders wichtig, noch einmal an das große Interesse zu erinnern, das Grosser am Dialog mit religiös Glaubenden hatte, vor allem mit Christen. Alfred Grosser war mit einer Katholikin verheiratet, eine sozusagen auch inter – religiös fruchtbare Mischehe. Dabei sagte Grosser immer klar, was ihn an den Christen stört, etwa in seinem Buch “Les Fruits de leur arbre”, “Die Früchte von ihrem Baum“. Das Buch hat den Untertitel: „Ein atheistischer Blick auf die Christen“ ( Presses de la Renaissance, 2001).
3.
Humanistische Moral am wichtigsten!
In dem genannten Buch geht es Grosser auch positiv um eine Verbindung von humanistisch – atheistischer Moral mit christlicher Moral: Die Begegnung kann fruchtbar werden, wenn beide ethischen Entwürfe absolute Sicherheiten und absolute Dogmen zurückweisen und den Respekt für den anderen, den Fremden, als absoluten Mittelpunkt sehen. In dieser Haltung wird jeglicher ethische Relativismus überwunden, meinte Grosser. Darum unterstützte er auch die soziale Arbeit des katholischen Priesters Abbé Pierre und seines Hilfswerkes EMMAUS: Grosser schreibt: „In den Augen der Nicht – Gläubigen vertrat Abbé Pierre ein wirklich gelebtes Christentum“, so in dem Buch „Wie anders ist Frankreich?“ (C.H.Beck Verlag , 2005, S. 135). In diesem Buch spricht Grosser, freimütig und kenntnisreich, vom Zustand der Katholischen Kirche in Frankreich: „Sie scheint in mancher Hinsicht dem Untergang nahe“ (S. 185), er denkt dabei vor allem an den Mangel an qualifiziertem, aufgeschlossenen Personal, also an Priestern. Und Grosser hat selbstverständlich den Mut, auch den damaligen Pariser Kardinal Lustiger zu kritisieren, hinsichtlich seines sehr konservativen autoritären, so wörtlich von Grosser „überheblichen“ Herrschens in der Pariser Kirche (S. 186).
Aber es ist auch ein Beispiel für die Weite eines Teils der katholischen Presse in Frankreich, dass Alfred Grosser regelmäßig Kommentare für die katholische Tageszeitung „LA CROIX“ in Paris schrieb.
4.Kritik am Staat Israel:
In seinem Buch „Wie anders ist Frankreich? “ spricht Alfred Grosser auch von der Beziehung zu den Palästinensern: „Wenn Christen ihre Nächstenliebe auf die hungernden und hoffnungslosen Palästinenser ausdehnen, werden sie da zu Antisemiten? Wie in Deutschland der Rat der Juden, so erliegen in Frankreich die zentralen jüdischen Organisationen ständig der Versuchung, diese Frage zu bejahen. Als sei der Zionismus die einzige Verkörperung des Judentums…“
Und der SPIEGEL schreibt am 8.2.2024: LINK„: In den letzten Jahrzehnten positionierte sich Grosser vor allem als streitbarer Israelkritiker. Immer wieder mahnte er scharf die Haltung deutscher Regierungen mit Israel an, die er als zu unkritisch in Bezug auf Israels Umgang mit den Palästinensern empfand. Eine Rede Grossers zu einer Gedenkfeier an die Pogromnacht in der Frankfurter Paulskirche drohte 2010 zum Eklat zu werden. Mitglieder des Zentralrats der Juden hatten gedroht, den Raum zu verlassen, falls Grosser »ausfallend gegenüber Israel« werden würde. Der Skandal fiel dann aus, der Zentralrat blieb im Raum. Trotzdem forderte Grosser die »Anerkennung des Leidens der anderen« und konkretisierte, was er damit meinte: Man müsse – auch von jüdischer Seite – ein Minimum von echtem Mitgefühl zeigen »für das große Leiden in Gaza“.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.