Hans Blumenberg und die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach

Ein Hinweis von Christian Modehn (ergänzt am 26.6.2020)

Hans Blumenberg (1920 bis 1996) ist ein sehr „vielschichtiger“, gerade darin aber ein sehr anregender Philosoph. Auch wenn er in einer Distanz zur christlichen Religion und zu den Kirchen lebte: Die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach war ihm wichtig.
Der Text der Matthäuspassion, das Gottesbild, das da erscheint, ist Blumenberg sehr befremdlich. Darüber hat er 1988 ein recht umfangreiches Buch, eine Art „Meditation“, veröffentlicht (bei Suhrkamp). Die Bibel-Sprüche und Texte der Arien usw. aus der “Matthäuspassion” Bachs sind ihm, dem modernen, kritischen, aber für grundlegende Sinnfragen sehr aufgeschlossenen Hörer letztlich kaum erträglich. Blumenberg deutet die Botschaft der Matthäus-Passion als traurige, irritierende abstoßende Botschaft. Sie enthält den unerträglichen Gedanken, dass Gott seinen eigenen Sohn aufopfert in dem grausigen Tod. “Sonst verlassen die Söhne die Väter. Dieses Mal lässt der Vater den Sohn in dem Elend, das er ihm auferlegt hat”(S. 249). Und mit dem Schrei Jesu am Kreuz “Mein Gott, warum hast du mich verlassen?” deute Jesus an, meint Blumenberg: Gott selbst ist in dem Moment gestorben..

ABER: Der heutige Hörer der Matthäus-Passion Blumenberg kann, trotz dieser Einwände, die Matthäuspassion doch noch hören und schätzen lernen. Er kann die Texte als Metaphern verstehen. Und allein durch die Musik wird der Hörer bewegt. Er kommt selbst z.B. in eine eigene Stimmung des eigenen Leidens und Mitleidens. Er wird in eine Schwebesituation geführt. Musik bringt etwas zum Tönen, was Blumenberg ergreifend/tröstlich findet. Es gibt für ihn diese transzendierende Erfahrung. Franz Josef Wetz schreibt in seiner Blumenberg Studie (Junius Verlag, Hamburg, 2011,S 64): “Sie (die Matthäuspassion Bachs) mache das Unerträgliche erträglicher und tröste den Menschen selbst dann noch, wenn die Auferstehung Christi niemals stattgefunden haben sollte… Die Musik sei so stark, dass sie den Menschen selbst über den Verlust dieses Trostes hinwegzutrösten vermöge”.

Zu diesen Einsichten kommt aber Blumenberg, indem er die historisch kritische Bibelwissenschaft eigentlich ablehnt und in der unmittelbaren Reflexion auf die Bibeltexte seine eigenen, sehr persönlichen Einsichten gewinnt. Eine ungewöhnliche Bibellektüre, die eigene Fragen aufwirft. Der Philosoph Franz Josef Wetz hat in seinen Blumenberg-Studie den sehr eigenwilligen Umgang des kirchenkritischen, aber religiös “suchenden” Philosophen mit den Texten der Bibel treffend beschrieben: “Geradezu ratlos steht man vor seiner (Blumenbergs) gewaltsamen Auslegung biblischer Texte …und dann diese werkwürdigen Exegesen und irrationalistischen Erzählungen im schlechtesten Sinn des Wortes” (S. 64 f.) Wetz bezieht sich dabei etwa auf eher esoterisch wirkende Vorstellungen Blumenbergs von einer misslungenen Schöpfung, also einem letztlich unvollkommenen Gott…

Aber es bleibt wohl dabei: Über die Ästhetik der Musik allein findet der Mensch einen Halt, selbst in einer Matthäus-Passion, deren Texte sehr fremd erscheinen.
Nebenbei gefragt: Wie viele Gläubige und Ungläubige weinen beim Hören der Matthäuspassion oder der Johannespassion? Entsprechende “Geständnisse” sind bekannt. Was bedeutet diese Sprache der Tränen? Wird ein Verlust beweint? Was aber hat man vor dem Verlust im Umgang mit den Texten erlebt? Was hat den Menschen zum Abschied von diesen Texten, diesen Inhalten, geführt, zu einem Abschied, den der Mensch jetzt als Verlust erlebt? Eine Rückkehr in die alte Glaubenswelt war für Blumenberg ausgeschlossen, für ihn, der zu Beginn seiner philosophischen Laufbahn noch die klassische katholische Scholastik kannte und mitvollzogen hatte. Der alte Glaube gehörte für ihn zu einer “alten Welt” mit einem alten, im Sinne des nicht mehr erträglichen Weltbildes. Dieser Sprung in die “alte Welt” war ihm – wie vielen anderen – nicht möglich. Wäre Blumenberg der Glaubenswelt der Kirche verbunden geblieben, wenn diese Glaubenswelt reformiert und “modernisiert” wäre? (Nebenbei zum Thema Tränen: Der Philosoph Herbert Schnädelbach hat in seinem Aufsatz “Der fromme Atheist” darauf hingewiesen, dass ein “frommer Atheist” – also er selbst – etwa den Schlusschoral der Johannes-Passion von Bach “nicht anzuhören vermag, ohne mit den Tränen zu kämpfen. Was sich da einstellt, ist eine Mischung aus Trauer und Wut, dass das alles (also die kirchliche Botschaft, CM) nicht wahr ist” (Herbert Schnädelbach, Religion in der Moderne, 2009, S. 80).

Die Frage aber bleibt: Sollen Gläubige und Ungläubige sich der Tränen beim Hören von Bach schämen? Bitte nicht! Vielleicht ist das (gemeinsame) stille (ungetröstete ?) Weinen eine sonderbare Form eines momenthaften, verbal gar nicht artikulerten „Halt gefunden haben“? Darüber wird kaum gesprochen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Karl Schlögel zum 70. Geburtstag

Ein kleines Dankeschön und ein Hinweis von Christian Modehn

Darf ich das Wort originell noch verwenden, bei der Inflation dieses Begriffes, verwendet von den vielen, die heute alle so originell oder sogar kreativ sein wollen? Ich möchte die Qualität des Originellen, im Sinne des Neues Entdecken, des Freilegens dessen, was viele sehen, aber nicht wahr-nehmen, auf Karl Schlögel doch gern beziehen. Es ist für mich und sicher viele andere Leser zweifelsfrei: Karl Schlögel hat ein umfassendes erhellendes und helles Werk hervorgebracht, stets erklärend,  gut recherchiert, gut lesbar. Er hat publiziert, vor allem durch langjähriges eigenes Erleben vertieft, zur Sowjetunion, zu Russland und zu Osteuropa. Am 7. März 2018 wird Karl Schlögel 70 Jahre alt. Ich gratuliere.

Unmöglich ist es, die ganze Vielfalt der Themen seiner Forschung zu erwähnen. Ich erinnere mich etwa an seine Studien, in „Lettre“ oder der Berliner Zeitung, über die Bahnverbindungen von Berlin – Lichtenberg nach Sibirien; Themen des Alltags, könnte man denken, aber es sind Studien, die das „Andere“ unserer Berliner Nachbarschaft erschlossen haben. Ich schätze besonders die eher dem Umfang nach kleine, aber inhaltlich große, weil anregende Studie „Archäologie des Kommunismus. Oder Russland im 20. Jahrhundert“. Mit Fotos, 111 Seiten, erschienen in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, München.

Um nur zwei Beispiele aus dieser Veröffentlichung zu nennen: Wer das Alltagsleben in der Sowjetunion verstehen will, sollte sich mit Schlögel für die „Kommunalkas“ interessieren, also jene sehr geräumigen, ehemals bourgeoisen Altbauwohnungen in Moskau oder Leningrad, wo bis zu 10 Familien dann lebten und leben mussten. Oder man sollte in dem genannten Buch („Archäologie des Kommunismus…) lesen, welche Rolle die Küche als kommunikativer und wohl auch oppositioneller Ort in der Zeit nach Stalin spielte. Ja, auch dies, dass für die Menschen in der Sowjetunion Reste von individueller Freiheit gab, etwa in den Datschen und während der Urlaubszeiten… Man lese die Beobachtungen über die Bedeutung der Palme (S.84) als Zierpflanze in offiziellen Gebäuden, es ist auch dieser Sinn für Details, für „Übersehenes“, mit dem Schlögel die Mentalitäten erschließt.

Schlögels Hinweise zur russischen Annexion der Krim und zu den Aggressionen gegen die Ukraine zeigen auch: Dass es in Russland heute eine „Flucht in den Ideen und Formenbestand des sowjetischen wie des imperialen Russland“ gibt. „Denkmäler, die schon einmal gestürzt und in Museumsparks gelagert wurden, sollen auf ihre Sockel zurückkehren“. Was für eine Regression. Unter Putin nehmen die Ressentiments machtvoll zu… „Für alles, was nicht funktioniert und falsch gelaufen ist“, ist der Westen ist schuld… Nur die Bürger Russlands, meint Schlögel, können aus dieser Sackgasse herausfinden. Werden sie die Kraft der gemeinsamen Opposition finden? Ist die russisch – orthodoxe Kirche heute das sprichwörtliche Opium des Volkes (Karl Marx)? Wird jemals die Zusammenarbeit der Kirche mit Putin nd Co. ein Ende haben? Ist diese Kirche überhaupt fähig zur tiefgreifenden Reform? Darüber würde ich sehr gern weitere Studien von Karl Schlögel lesen.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

Fortschritt in der Diskussion. Fragen nach einem philosophischen Salongespräch

Die Diskussion über Sinn und Unsinn des Fortschritts geht weiter… Heute, am 26.2. 2018, schreibt Elisabeth Hoffmann, Berlin, diesen Kommentar:

Die Schattenseiten des Fortschritts

Fortschritt zum guten d.h. lebenswerten, d.h. nachhaltigen und zukunftstauglichen Leben gibt es schon sehr viel in der Welt. Wir wären selig und zuversichtlich, wenn wir jeden Tag davon in den Zeitungen lesen würden, statt diejenigen Nachrichten, die eine “Normalisierung” des Krieges und Feindbilder wieder aufleben lassen. Gegen diese Vergiftung des Geistes eines Weltbürgertums müssen wir uns innerlich und äußerlich wehren. Die Mehrheit der Menschen ist im humanen Sinne fortschrittlich, kooperativ, gutmeinend, vertrauend und immer mehr gebildet, um die Zusammenhänge zu verstehen und zu handeln. Wichtigster Fortschritt bleibt für mich die Emanzipation und sozial-politische Bildung und Demokratisierung von allen Lebensbereichen.  Ein Zitat von Bazon Brock zum Thema: „Es gibt keinen Fortschritt in der Entwicklung der Kulturen. Alle Kulturen aller Zeiten haben immer schon das volle Potenzial der menschlichen Möglichkeiten, wenn auch in je unterschiedlicher Weise, entfaltet. Das anzunehmen ist zwingend, da wir inzwischen wissen, dass die Menschen seit mindestens 35.000 Jahren in jeder Hinsicht die gleichen waren wie wir es heute sind“. Bazon Brock, Berlin, am 27.03.2017). Davon abgeleitet würde ich sagen, dass Fortschritt als solcher erst dann benannt werden dürfte, wenn die Folgen für Mensch und Natur und Zukunft, also die “Schattenseiten”, davon mit bedacht werden (wie Endlager für Atomabfälle, Plastikmüll in den Meeren, Mikroplastik, Krebs, Zusammenbruch des Immunsystems, keine Antibiotika mehr die helfen, Insektensterben, Seelensterben, Einsamkeit, Ohnmacht, Konsum als Kompensation etc). Was dann unterm Strich eine Verbesserung ist, das “nehmen” wir aufs Konto des Fortschritts….. das wird nicht viel sein, was das Technische angeht.

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Ein Hinweis von Christian Modehn, verfasst am 24.2.2018:

Der religionsphilosophische Salon am Freitag, den 23. Februar 2018, hatte das Thema: “Gibt es Fortschritt in meinem Leben und in der Welt/Gesellschaft?”, an dem Gespräch beteiligten sich 18 Personen. Einige Hinweise zur Diskussion: Es ist fast obszön, heute von Fortschritt zu sprechen, auch als Fortschritt im ethischen Verhalten der Menschheit. Wenn man das permanente Grauen von Krieg und Verletzung der Menschenrechte vor Augen hat.

Selbst wenn der Fortschritt als dauernde, maßlose Steigerung und Optimierung des Technischen (immer “bessere” Atombomben) philosophisch heftig kritisiert wird, bleibt doch die Frage: Kann eine kritische philosophische Ethik diesen “Fortschrittsrausch” noch steuern und bremsen? Gibt es also auch “guten” Fortschritt? Wie sollen wir den unterstützen? Vor allem: Gibt es so etwas wie “Fortschritt” auch in unserem individuellen Leben? Wäre dann die Begriffe Reifen und Erwachsenwerden hilfreich? Warum ist es gut und fortschrittlich, auch einmal stillzustehen, nicht mehr „weiter zu gehen“, sondern zu verweilen und nicht permanent auf der ewig weiter in die Zukunft strebenden Zeitlinie weiter zu schreiten. Warum wird der Begriff Fortschritt heute so diskriminiert? Weil die großen Organisationen, Parteien, die ständig von Fortschritt sprachen, die Grundidee eines auch ethischen Fortschritts verraten haben? Dies ist keine Frage mehr, sondern im Blick auf den Kommunismus eine Tatsache.

Warum gibt es Fortschritt in den Religionen? Etwa in der Akzeptanz der historisch-kritischen Forschung bei der Interpretation von Bibel und Koran? Vor allem: Wie hoch ist der Fortschritt einzuschätzen, wenn sich immer mehr Menschen, auch religiöse, von infantilen Gottesbildern lösen? Ist der aktuelle Bezug, Rückgang,  auf die alte, auch mittelalterliche Mystik in dem Falle auch Fortschritt? Ist also der Rückgang in die Vergangenheit also nicht immer Regression? Warum ist die heute übliche rechtspopulistische und rechtsradikale Regression als Überwindung demokratischer Errungenschaften so gefährlich? Leben wir bereits in politisch regressiven Zeiten? Wer leistet da Widerstand? Diese und andere Fragen besprachen wir in unserem Salon am 23. 2. 2018 und entdeckten dabei: Selbst wenn viele TeilnehmerInnen seit Jahren den Begriff Fortschritt nicht mehr verwendet haben, so lohnt sich doch die Mühe einer grundlegenden, philosophisch fragenden Auseinandersetzung. Fortschritt geschieht in bewusster Entscheidung, ist also von der eher naturwüchsigen “Entwicklung” zu unterscheiden. Deutlich also ist: Auf die Idee des Fortschritts als Realisierung des ethisch Besseren können wir nicht verzichten, wissen dabei aber, dass es den “totalen”, insgesamt guten Weltzustand durch “Fortschritt” erzeugt nicht gibt. Religiös wird dieser insgesamt heilsame und rettende Zustand mit dem Bild „Reich Gottes“ beschrieben, auch Walter Benjamin spricht vom Kommen des Messias und der messianischen Zeit. Das Reich Gottes bleibt theologisch und religionsphilosophisch also eine zentrale anzustrebende Idee, aber mit dem Wissen, dass dieses Reich Gottes nie von uns „total“ geschaffen werden kann UND gleichzeitig jedoch in dem Wissen, dass wir (und jeder Mensch!) den Auftrag haben , danach dann doch tätig zu streben. Dieses stetige Streben hat mit “Sisyphus” nichts zu tun. Weil allein schon dieses  Streben (also dieses gute, also fortschrittlich – gute Handeln) erlösende Momente in sich birgt. Darüber werden wir in unserem Salon am 23. 3. 2018 sprechen!

copyright: Christian Modehn

Kapitalismus Museum in Berlin eröffnet!

Das weltweit erste Museum des Kapitalismus ist am Freitag, den 23.2. 2018 in Berlin Kreuzberg, Köpenicker Str. 172 eröffnet worden. Heute am Sonntag, den 25.2. 2018, ist das Museum geöffnet von 14 bis 20 Uhr, der Eintritt ist (antikapitalistisch) frei, aber nicht “umsonst”, im Sinne von vergeblich oder sinnlos. Das Kapitalismus Museum an dem festen Standort jetzt ist eine Basis – Initiative von Menschen mit unterschiedlichen politischen Orientierung. Das Museum kommt zur richtigen Zeit aus vielfachen Gründen, ein Grund ist sicher das Gedenken an den 200. Geburtstag von Karl Marx am 5. 5. 2018.  Marx wohnte ja bekanntlich nicht weit vom Kapitalismus Museum, nämlich in Berlin – Stralau; dies war im Jahr 1837, er wohnte in der heutigen Straße “Alt-Stralau, Nr 25”.

Für unseren religionsphilosophischen Salon ist das Museum eine erneute Aufforderung, wieder den Text von Walter Benjamin “Kapitalismus als Religion” zu lesen.

Siehe diesen link: http://www.museumdeskapitalismus.de/

 

Hans Küng wird 90: Ein theologischer Meister!

Ein Hinweis von Christian Modehn –

Anlässlich des 90. Geburtstages von Hans Küng am 19. März

Ergänzung am 19.3.2018: Wie habe ich den 90. Geburtstag von Hans Küng gefeiert? Indem ich einige Sachen von ihm erneut gelesen habe. Da fällt mir auf, etwa bei der Lektüre von Küngs Buch „Umstrittene Wahrheit“ (2009): In welcher Weise sich der jetzt so hoch gelobte, beinahe heiligmäßig genannte Kardinal Karl Lehmann dem eigentlich befreundeten Theologen Hans Küng gegenüber in dem einen entscheidenden Moment (und vorher) verhalten hat. Also im Umfeld dessen, als Hans Küng 1979 der Titel “Katholischer Theologe” vom Vatikan und den deutschen Bischöfen entzogen wurde. Es ist bezeichnend, dass Küng keine Angst hat, Fakten zu nennen. Zur Diffamierung von Küng durch den Vatikan im Jahr 1979 heißt es in „Umstrittene Wahrheit“ auf Seite 598: „Wer ist für die komplexe theologische Logistik der kompetente Komplize (also für die Aberkennung des Titels Katholischer Theologe CM): Zu meiner großen Betrübnis nach seinem eigenen Zeugnis Karl Lehmann. Nach seiner Wende von der (progressiven theologischen Zeitschrift) CONCILIUM zu der (eher konservativen theologischen Zeitschrift) Communio (mit Joseph Ratzinger) war Lehmann immer mehr auf die amtskirchliche Linie eingeschwenkt. Er strebt offensichtlich das Bischofsamt an….“ Das ist Karl Lehmann ja dann auch mal gelungen.  Noch einmal bewegt mich nur als kritisch beobachtender Journalist die Frage: Was hat Kardinal Lehmann denn nun wirklich an Wirkungen seines angeblich so progressiven Handelns und Denkens hinterlassen? Oder erinnert man sich heute an ein moderates progressives Phantom, das nur bedeutsam ist, wenn man an Dyba, Meisner und die anderen Konservativen denkt.

……………Mein Text vom 22.2. 2018………………….:

Unmöglich ist es, in wenigen Worten die Leistungen von Hans Küng für die Theologie, vor allem auch für die Kultur insgesamt zu würdigen. Ja, es ging Hans Küng um die kritische Reflexion der Kulturen, auch der außereuropäischen. Er fordert angesichts der Globalisierung und der ungerechten Verhältnisse ein „Weltethos“, eine konkrete Utopie, der es zu entsprechen gilt, sollte die Menschheit überleben wollen.

Hans Küng ist tatsächlich (jetzt noch) bekannt. Seinen Namen kennt etwa in Deutschland noch beinahe jeder über 50 Jährige. Sehr fern erscheinen jedoch die Zeiten, als sich Küngs theologisch gut lesbaren Bücher in den Buchhandlungen förmlich stapelten, etwa „Christsein“ von 1974. Heute, 44 Jahre später, ist die Zeit einer öffentlich auch sichtbaren Relevanz von (katholischer) Theologie wie weggewischt. Theologie ist jetzt im Getto, die theologischen Neuerscheinungen sind marginal. Theologie hat die Bedeutung einer Alterstumwissenschaft, vergleichbar der Archäologie. In Berlin z.B. gibt es seit Jahren keine Buchhandlung mehr, die überhaupt noch Theologisches in großer Fülle und Bedeutung anbietet, wahrscheinlich gibt es auch nicht so viele nachvollziehbare Bücher mehr, die sich auf dem Niveau von Hans Küng bewegen. Esoterik gilt nun als religiös, oder treffender, spirituell. Daran sind die Kirchen, vor allem die katholische Kirche, selbst schuld, sie haben sich mit ihrem Dogmatismus und ihrer Anti – Moderne ins Abseits begeben. Zugespitzt gesagt: Nur noch die vielen katholischen Kirchenangestellten tun so, als würden sie innerlich von den offiziellen Lehren dieser Kirche bewegt sein. Sie „müssen“die formal und inhaltlich ewig selben Messen besuchen. Sie darf nur der zölibatäre Klerus feiern, das ist seine einzige verbliebene Macht, an der niemand kratzt, Hans Küng hat es erfolglos versucht.

Was ist wichtig im Lebenswerk von Hans Küng? Sehr vieles: Sicher dies: Er war im deutschen Sprachraum derjenige Meister, der Reflexion und Glauben in eine für viele Zeitgenossen nachvollziehbare (immer lesbare) Einheit gebunden hat. Wer sagt ihm jetzt dafür tausend Dank? Welcher römische Bischof, vielleicht wagt es Kardinal Lehmann? Gibt es nun ein paar Zeilen von Papst Franziskus, den Küng schätzt?

Ich jedenfalls sage Hans Küng danke. Danke für seine Bücher (etwa über Hegel!) und für seine Initiativen, zugunsten einer freien und unabhängigen katholischen Presse, etwa für „Publik Forum“. Und für seine offenen Worte zur Sterbehilfe werden ihm viele andere auch danken, oder auch für seine Dialoge über Literatur mit Walter Jens etc.

Man schaue sich die Liste von Küngs Veröffentlichungen (in wie vielen Sprachen eigentlich ?) an! Man beachte sein jetzt neu herausgegebenes Gesamtwerk, das auf 24 Bände angelegt ist. Die Gesamtausgabe erscheint im Herder Verlag, der sonst auch als Verlag der letzten Bücher von Joseph Ratzinger bekannt ist. Die Bücher beider Autoren werden sich als äußerst kontrastreiche Werke wohl in den Regalen hoffentlich etwas vertragen, die Käufer mögen um ihrer eigenen geistigen Weiterentwicklung wegen zu Küng greifen: Küng, der Mutige, der lebendig Fragende und allseits für Neues Aufgeschlossene, der Ökumenische….und Ratzinger, der ewig Zurückblickende, der Nostalgische, der Papst mit den roten Schuhen, der Ängstliche und Zauderer, Liebhaber der Väter (gemeint sind die Kirchenväter aus dem 3. und 4. Jahrhundert), dessen einzige große Tat sein Rücktritt als Papst Ende Februar 2013 war. Wird er Küng gratulieren zu seiner Lebensleistung? Das wäre ein kleines Wunder. Leider aber ist die Gesamtausgabe der Werke Küngs im Herder Verlag für normal Verdienende und damit auch für Studenten unerschwinglich teuer. Man kann durch maßlos teure Bücher auch ein Werk „einsargen“, fürs Einstauben in Bibliotheken bestimmen, ins Vergessen treiben. Wollen wir hoffen, dass alsbald preiswerte Studienausgaben folgen.

Küng ist wohl der bislang letzte umfassend gebildete katholische Theologe, ein systematischer Geist, der Mann des großen (Ent)Wurfes. Das ist überhaupt keine Frage. Andere, selbst sich verbal politisch gebende, aber nie unmittelbar politisch – praktisch engagierte katholische Theologen, sehen da eher blass aus, ihre Aufsätze sind nicht mehr als gute Essays. Fragmentarisches in allen Ehren: Küng hat sozusagen noch einmal eine religiöse „Summe“ des Christlichen (nicht des konfessionell Römisch – Katholischen) vorgelegt, selbst wenn er den politischen Ort seines eigenen Denkens meines Erachtens nicht oder zu selten reflektiert hat. Er hatte für dieses Mammutprojekt auch hervorragende Mitarbeiter, Assistenten, das wird eher selten genannt; auch sie haben mit ihrem Meister Theologiegeschichte geschrieben, man denke nur an Hermann Häring oder Karl – Josef Kuschel.

Ich will nur an einige Tatsachen erinnern, die absolut gravierend noch heute alle katholische Theologie belasten – im Zusammenhang der Theologiegeschichte von Hans Küng:

Am 18. Dezember 1979 hatte der polnische Papst Johannes Paul II. Hans Küng die kirchliche Lehrbefugnis als katholischer Theologe an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen entzogen. Das heißt: Küng durfte nicht mehr an dieser Fakultät lehren und er durfte sich nicht mehr „katholischer Theologe“ (im Sinne des Vatikans und der Bischöfe) nennen. Der Grund für diese Verurteilung: Dem Vatikan und den Bischöfen gefielen die Vorschläge Küngs ganz und gar nicht, für eine insgesamt eher noch vorsichtige Neu-Interpretation des Dogmas von der Unfehlbarkeit der Päpste einzutreten. Unfehlbarkeit bezogen auf die Entscheidungen zu Glauben und Moral. An der, in römischer Sicht unwandelbaren, förmlich leblos versteinerten Formulierung der päpstlichen Unfehlbarkeit durfte nicht gerüttelt werden. Einige prominente Theologen wie Karl Rahner SJ haben damals sich sogar gegen die Neuinterpretation Küngs gewandt, und Rahner hat mit dieser (Auftrags-) Schrift (?) gegen Küng einen gewissen Zwiespalt in seinem Werk hinterlassen.Über Rahners Mut und seine gelegentlich heftig römischen Bindungen wäre eigens zu sprechen…

Wegen einer Neuinterpretation eines ohnehin schon im Moment der Formulierung hoch umstrittenen Dogmas von 1870 wurde also Hans Küng 1979 aus der sich katholisch nennenden Theologie rausgeschmissen. Diese Tatsache ist eines der gravierendsten Ereignisse in der neueren Geschichte des Katholizismus! Dieses Datum ist ein weiteres Ereignis innerhalb der Geschichte der Unfreiheit der katholischen Theologie als Wissenschaft – in einem System von Bischöfen und Päpsten, die sich ohne biblische Begründung anmaßen, Herren der Theologie zu sein. An den Fall Leonardo Boff wäre zu erinnern, an Theologen aus Indien oder Sri Lanka , die ebenfalls noch bis in unsere Tage den Furor römischer Rausschmiss -Lust durch Kardinal Ratzinger erfuhren, von feministischen Theologinnen, die degradiert wurden, wäre zu sprechen: Bis in unsere Tage übt der Vatikan eine brutale Kontrolle des Denkens aus. Der Vatikan beansprucht eine totale Sonderrolle in der Welt: Er verteidigt verbal Menschenrechte, ohne diese selbst für die eigene Kirche geltend zu lassen..Und jetzt machen zur Abwechslung reaktionäre Kardinäle den etwas aufgeschlossenen Papst Franziskus SJ theologisch fertig. Es ist eine ewige Tragödie des Ausgrenzens im Vatikan lebendig. Diese Kirche ist krank. Das hat Hans Küng auch gesagt. Die alten Herren in Rom und die Bischöfe bilden sich ein, zu viel Genaues von Gott usw. zu wissen…

Diese vatikanische Entscheidung gegen Küng 1979 hat die nachdenkliche und frei denkende, aber nicht nur akademische Welt erschüttert. Sie hat die letzten noch gut willigen Katholiken zumindest in Westeuropa und Amerika aus der Kirche getrieben bzw. den Abschied von ihr vorbereitet.

Ich will jetzt die insgesamt ja durchaus noch vorsichtige Unfehlbarkeits – Interpretation von Küng nicht wiederholen. Wichtiger ist: Durch diese akademische und religiöse (Un-)Tat des Papstes und seines klerikalen Kreises ist das Ansehen der katholischen Theologie als einer “freien Wissenschaft” (manche glaubten ja noch daran) auf einen Nullpunkt gesunken. Mit anderen Worten: Selbst wenn heute noch an staatlichen Universitäten katholische Theologie gelehrt wird, wie etwa in Deutschland, ist doch sehr die Frage: Wie kann diese Wissenschaft, die letztlich durch die Berufungspraxis der Professoren durch die Bischöfe (!) bestimmt ist, noch Wissenschaft genannt werden? Denn bei den Berufungen haben die Bischöfe in Deutschland das letzte entscheidende Wort mitzureden. Die „Exekutive“, wenn man so will, bestimmt die also „Rechtsprechung“, wenn man so will, also die Theologie. Wie wäre es, wenn das Außenministerium die Berufung aller Politologie-Professoren bestimmt? Oder das Landwirtschaftsministerium die Professoren für Ökologie und Agronomie? Das geschieht bloß in Diktaturen. Und Küng hat treffend den Vatikan eine Diktatur genannt.

Die katholische Theologie selbst an den Universitäten wird darum schnell vergleichbar den einstigen Parteihochschulen: In der DDR bestimmte die herrschende SED, wer Professor werden durfte. So ist es heute noch in der Berufung katholischer Theologen an den Universitäten und staatlich anerkannten theologischen Hochschulen. Wer da Professor wird, ist den Bischöfen zeitlebens dankbar, den Job zu haben; ist deswegen automatisch ängstlich usw… Das ist weithin die Situation katholischer Theologie heute, abgesehen von der historisch kritischen Bibelwissenschaft oder der Kirchengeschichte beispielsweise. Dass Dogmen aus alter Zeit, weil vom heutigen Wissen als falsch und als willkürliche Macht-Setzung des Klerus durchschaut, selbstverständlich auch beiseite gelegt werden können und sollten, behauptet meines Wissens kein katholischer Theologe. Er/sie  sagt es nicht, aus Angst. Dabei wäre eine dogmatische Entrümppelung dringende Tat spiritueller Befreiung. Die Ablehnung von dogmatischem Wandel durch den Vatikan hat morbide Züge, man lese bitte Erich Fromm über nekrophile Charakterstrukturen…

Was hat alles das mit Hans Küng zu tun? Sehr viel, er wagte es, an dem unsinnigen Unfehlbarkeitsdogma etwas zu kratzen. Und tut das noch heute! Nach ihm kratzte fast kein katholischer Theologe mehr an dem verheerenden, unsinnigen (auch unbiblischen) Dogma.

Küng hatte das Glück, dass der deutsche Staat ihm einen Ersatzlehrstuhl in Tübingen einrichten musste (auf Kosten auch der nicht-katholischen Steuerzahler). So macht es der deutsche Staat ja immer, wenn ein katholischer Theologieprofessor (als Priester)  der Hierarchie nicht mehr würdig genug erscheint, wenn er etwa heiratet, wie dies im Falle des Theologen und Priesters Michael Bongardt an der FU Berlin geschah. Solche „Leute“ müssen verschwinden aus den theologischen Fakultäten. Und der Staat spielt dieses unglaubliche Skandal-Spielchen noch mit. Wie lange noch? Jetzt soll ja allen Ernstes in Berlin eine katholisch – theologische Fakultät errichtet werden, eine „Parteihochschule“ mehr, fragen kritische Beobachter, die die Abhängigkeit der theologischen Forschung und Lehre von den Bischöfen kennen. Auch über diese Zusammenhänge spricht kaum jemand, auch nicht in journalistischen Kreisen…

Wie passt ein solches System noch in eine offene, demokratische Gesellschaft. Kardinal Ratzinger hatte einst empfohlen, katholische Theologie solle nur noch an Privathochschulen gelehrt werden und die Theologieprofessoren sollten beim Studium bitte schön knien. Ja, wirklich, sie sollten voller Demut knien. Aber der kritische Verstand kniet nicht.

Für Hans Küng war die Degradierung durch den Vatikan letztlich auch bei allem Schmerz für ihn selbst eine große Beförderung: Er wurde deswegen noch berühmter. Er wurde auch zum Impulsgeber einer kritischen, katholischen Bewegung, etwa der Kirche von unten.

Er hat Mut gemacht, in dieser Kirche um Reformen zu kämpfen, weil er ja selbst diese Kirche nicht verlassen wollte. Diese Empfehlungen, in der Kirche zu bleiben, als Opposition, als “Kirche von unten” etc. hat den Beteiligten viel Energie gekostet, vielleicht sinnlos verbrauchte Lebensenergie: Denn die erwarteten Reformen grundlegender Art sind ja bekanntlich ausgeblieben.  Eher schmückte sich noch die offizielle Kirche mit diesen Grüppchen der Opposition”, um die eigene angeblich Liberalität zu zeigen. Aber “Kirchenreform von unten” hat im römischen System keine Chancen! Das hat wohl auch Hans Küng jetzt auch eingesehen.

Auch Papst Franziskus bleibt bei allen ungewöhnlichen Äußerungen doch immer noch Papst. Er könnte als Papst etwa das verrückte Zölibatsgesetz aufheben, aber er tut es nicht. Er könnte das Unfehlbarkeitsdogma annullieren als Papst, aber er tut es nicht. Er könnte eine synodale Verfassung für die römische Kirche durchsetzen, aber er tut es nicht. So sind also die vielen Durchhalteparolen an so genannte progressive Katholiken, auch von Hans Küng ausgegeben, eher Aufforderungen zur Frustrationsbereitschaft, manche sprechen von Masochismus.  Aber diese Kreise sterben aus. Der Katholizismus in Europa hat die Jugend verloren, die Frauen sowieso und die Homosexuellen auch, die Arbeiter, die Akademiker, die Armgemachten usw. Das klerikale System ist hier personell fast am Ende und wird nur durch klerikale „Flüchtlinge“ aus Indien, Kongo, Nigeria oder Polen noch etwas aufrechterhalten.

Man bräuchte heute einen weiteren Hans Küng, der eine „Theologie am Ende des vatikanischen Katholizismus“ schreibt. Aber der müsste nicht nur ein freier Geist sein jenseits der Hierarchie, der müsste auch Soziologe und Psychologe sein. Solche Leute sind leider nicht in Sicht. Das Getto lebt noch und manche machen es darin bis zum Ende gemütlich! Denn das katholische Getto in Deutschland hat noch sehr viel Geld und sehr viele Immobilien etc..

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Was gibt uns (noch) Halt im Leben? Fragen melancholischer Zeitgenossen

Ein religionsphilosophischer Salon am Freitag, den 23. März 2018, in der Kunstgalerie Fantom, Hektorstr. 9 in BerlinWilmersdorf, um 19 Uhr. Dieser Salon ist – angesichts der begrenzten Plätze – ausgebucht. Bisherige Anmeldungen sind natürlich gültig.

Angesichts allgemeinener (welt)- politischer Irritationen bzw. Ängste und Spaltungen im sozialen Leben bewegt viele die Frage: Was gibt uns/mir eigentlich noch die Energie in diesen Situationen zu leben, Situationen, die viele als Hilflosigkeit empfinden. Philosophisches Fragen und Nachdenken können dann wenigstens Klarheit bringen und mögliche Auswege zeigen.

Woran können wir uns halten? Diese Frage ist das Jahresthema der protestantischen Remonstranten Kirche in den Niederlanden. Der Theologe Koen Holtzappfel (Rotterdam) gibt darauf die Antwort: “Halt” gibt uns das unermüdliche und konsequente Fragen! Eine provozierende Aussage, die wir untersuchen werden.

Angesichts der Tage von Karfreitag und Ostern wollen darüber hinaus fragen: Welche Bedeutung hat im Suchen nach “innerem Halt” eigentlich die Musik, speziell, naheliegenderweise, die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach. Wir erinnern in diesem Salongespräch auch an das Buch “Matthäuspassion” des Philosophen Hans Blumenberg. Er tritt als kirchenferner Philosoph, einst Christ, für die tiefe Bedeutung der Musik von Bach trotz der befremdlichen Texte der Matthäus-Passion ein. Ein perspektiverreicher Abend also, zumal zwei Gäste aus Amsterdam dabei sein werden, Margrit und Dik, die vielen Berliner Freunden unseres Salons schon bekannt sind.

Ein Link zu dem Buch von Koen Holtzappfel “Fragen geben Halt im Leben”

Herzliche Einladung also mit der Bitte um schriftliche Anmeldung an: christian.Modehn@berlin.de

Für die Raummiete allein: 5 Euro “Teilnahmegebühr”. Für Studenten ist die Veranstaltung selbstverständlich gratis.

Die wertlosen Menschen …

Heute an Auschwitz denken und immer

Ein Hinweis von Christian Modehn

Es ist Zufall, dass unser religions-philosophische Salon im Januar 2018 einen Tag vor dem internationalen Auschwitz-Gedenken am 27. Januar stattfindet. Der Tag bedeutet heute: Menschen in Deutschland tun alles, dass Antisemitismus heute in Deutschland keinerlei Chancen hat!

Nicht nur deswegen liegt es nahe, einige Hinweise mitzuteilen zum Weiterdenken und Weiterforschen über den Zusammenhang von WERTEN (unser Thema am 26.1. 2018) und Auschwitz, als dem historischen Ort der viel-tausendfachen Vernichtung von Juden und anderen Menschen, die von der Nazi-Ideologie als Untermenschen definiert wurden, Sintis, Kommunisten, Homosexuelle, Zeugen Jehovas usw. Als „wertlos“ wurden sie alle ins Abseits gedrängt, der Würde beraubt und fast immer getötet.

Auschwitz steht stellvertretend für alle anderen KZs. Die Orte der millionenfachen systematischen und bürokratischen Vernichtung der Juden und aller, die angeblich für wertlos von der Nazi Ideologie erklärt wurden. Die Ideologie der Herrenmenschen ist keineswegs überwunden. Fühlen sich nicht viele Europäer und US – Amerikaner als die “Herren der Welt”?

Schon in Dachau hatten die Nazis ihre zentralen Werte den dort Inhaftierten unübersehbar eingeschärft: „Gehorsam, Fleiß, Sauberkeit, Opfersinn“. Das klingt noch “preußisch” – und sogar noch relativ harmlos; gemeint war aber das totale Gefügigmachen der Menschen gegenüber der Nazi-Ideologie.

Die Nazis hatten die Umwertung der klassischen, „abendländischen“ und christlichen Werte systematisch betrieben, so intensiv, so brutal, dass sehr viele Deutsche dieser Ideologie aus Bequemlichkeit, Egoismus, politischer Dummheit und Antisemitismus folgten. Und in der Tötungsmaschinerie mittaten. Ab 1945 hatten sie natürlich nichts gewusst.

Das Auschwitzgedenken hat nur Sinn, wenn man nach heutigen Ideologien fragt, nach Ideologien und Philosophien, die wieder die Menschheit in wertvolle und wertlose Menschen unterscheiden. So deutlich nach außen hin spaltet die Menschheit kaum jemand in der gebildeten Welt Europas oder Amerikas. Man gibt sich heute etwas moderater. Aber die Tatsache der Spaltung der Menschheit in wertvolle Menschen und wertlose Menschen ist überall zu sehen und wahr – zunehmen.

Das Auschwitz – Gedenken muss sich heute als Tag des  Kampfes gegen alle Formen des Rassismus  verstehen.

Diese Spaltung der einen Menschheit in wertvolle und weniger wertvolle Menschen ist die Basis für den Faschismus und jede Form des Totalitären. Der bekannte jüdische Psychiater Boris Cyrulnik, Jahrgang 1939, geboren in Bordeaux, spricht in dem Zusammenhang von einer „perversen Moral“: „Ein Individuum kann mit seinen nahen Angehörigen gute Beziehungen haben, aber für dieses Individuum können dann Juden, Sintis, „Neger“ Untermenschen sein. Dann wird es für dieses Individuum normal, diese Untermenschen zu vernichten, so, wie man die Schmutzflecken entfernt…Pervers ist für mich jemand, der in seiner eigenen Welt ohne den anderen lebt“ (vgl. dazu das Interview mit Boris Cyrulnik und Tzvetan Todorov in „Le Monde“ vom 1. Januar 2017)

Der Auschwitz Gedenktag ist die Aufforderung zu denken und emphatisch mitzufühlen mit diesem einen zentralen Inhalt, dass jeder Mensch ein Mensch ist. Jeder hat den gleichen Wert. Diese elementare Tatsache aller Humanität wird heute weltweit negiert: Im Umgang mit den von den so genannten Eliten Arm-Gemachten in Afrika, den krepierenden Flüchtlingen im Mittelmeer. Als Untermenschen werden in demokratischen Staaten auch Obdachlose behandelt, der so genannte, aber wohlhabende Sozialstaat mit vielen steuetbegünstigten Millionären und Milliardären kann für sie nicht sorgen usw. Untermenschen brauchen nicht eine gute Medizin wie die anderen, sie brauchen  keine gesunde Nahrung… Als Untermenschen betrachten viele Politiker in Lateinamerika die Indígenas, die ursprüngliche, „indianische“ Bevölkerung und töten sie, siehe Guatemala, El Salvadorheute vor allem Honduras. Wer kümmert sich eigentlich in Deutschland aktiv und informativ um die wertlos gemachten armen Menschen heute in Honduras? Alle so genannten großen Medien befassen sich mit GROKO oder mit Herrn Trump usw. Wie viele sind eigentlich wieder begrenzte Nationalisten geworden?

Philosophisch gesagt: Wir leben in einer Welt, in der der andere Mensch als anderer nicht respektiert wird. Und es gibt populistische Parteien, die sich gegen die „anderen“ wehrhaft wehren. Die Namen dieser Parteien sind bekannt. Die FPÖ in Österreich ist wohl das bekannteste Sammelbecken derer, die zur radikalen Abwehr der anderen, der Fremden, der Flüchtlinge entschlossen sind. Mit Hilfe von Herrn Kurz. Um sich schuldlos zu fühlen, gerieren sich diese Kreise als die besten Freunde der Juden. Öffentlich, das ist zum Lachen. Das sagen die FPÖ Leute nur, um von ihrer Islam-Feindschaft abzulenken. Dies ist meine Meinungsäußerung! Diese Kreise in ganz Europa finden Zuspruch, weil die Bürger wieder dem nationalen Stolz, einem „uralten Wert“, folgen. Nur Aufklärung kann gegen diese Un-Werte noch „angehen“ und es die wirkliche Beachtung der Gesetze, die den Freunden aller Unwerten Einhalt gebieten.

Der Auschwitz-Gedenktag ist wichtiger denn je. Jeder Tag des Jahres sollte  Auschwitz Gedenktag sein. Die Ignoranz und aktive Feindschaft gegenüber den „anderen“ nimmt zu. Und Philosophie wird “die Philosophie des/der anderen” schon aus politischen Gründen zur Hauptdisziplin erklären müssen.

Dieses Thema “Respekt für die anderen Menschen” als Basis der Demokratie wird um so dringender, als die künftige Arbeitswelt vorwiegend von Robotern bestimmt sein wird. Dies bedeutet: Viele Millionen werden in die Arbeitslosigkeit  entlassen und damit in eine lange weilende Freizeit als Langeweile geschickt. Sie werden die Masse der eigentlich überflüssigen Menschen darstellen. Sie werden, falls es gut geht, zu Objekten einer minimalen Sozialfürsorge.

Schon heute gelten die Armen in der kapitalistischen (Un-)Kultur als die “Überflüssigen”, die eigentlich den “Betrieb” nur stören…Für die vielen Millionen aus der Arbeit Entlassenen, etwa in 30 Jahren, gilt: Diese erleben dann eine leer empfundene, erzwungene Langeweile; diese hat nicht nur psychische Auswirkungen, sondern auch erheblich politische. Die Arbeitswelt der allseits herrschenden Roboter ist sicher nur für die Unternehmer ein weiterer  Schritt in die große Freiheit…

Nebenbei: Eigentlich könnten religiöse Gemeinschaften, auch Kirchen, Orte sein, um die Langeweile der Vielen meditativ und sozial engagiert zu gestalten. Aber diese Kirchengemeinden werden dann, wenn es gilt, mit den “Überflüssigen” zusammenzuleben, schon kaum noch existieren, wenn der gegenwärtige Trend anhält: Dass nämlich Kirchenleitungen, wie jetzt,  von selbst Gebäude und Orte der Gemeinden und Gemeinschaft abbauen. Weil diese Kirchenleitungen, widerspruchslos hingenommen, etwa die katholischen, von der Ideologie des Klerikalismus befallen sind. Oder wie die Protestanten, die selbst in Deutschland angeblich kein Geld mehr haben für das, was man einst so “nett”, aber richtig Seelsorge nannte.

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