Türsteher verfügen über das Wohl und Wehe einer ersehnten Nacht
Hinweise von Christian Modehn
Religiöse Motive, religiöses Verhalten und religiöse Ängste kommen in der Gegenwart an ungewöhnlichen Orten vor. Auch darauf sollten religionsphilosophische Überlegungen achten: Es ist vielleicht das Achtsamwerden auf die Restbestände religiöser Lehren heute, die sich da im Alltag zeigen.
1.
Ich verweise also nicht auf religionssoziologische Umfragen oder abstrakte philosophische Analysen: Ich denke an viel Schlichteres, Alltägliches. Ich meine die so genannten Türsteher. Diese Herren, die vor den Türen begehrter Clubs stehen und je nach eigener Stimmung Einlass gewähren in die beliebtesten und begehrtesten Nacht-Tempel, „Clubs“ genannt. Sie entscheiden – oft von einem diskreten Bodygard behütet – wer aus der langen Reihe der Wartenden und um Einlass förmlich Bettelnden ins Heiligtum darf und wer nicht: Wer also berufen ist, die Stunden des ersehnten Vergnügungs-Himmels in den exklusiven Schuppen des Sich-Zeigens, des Sich-Vergnügens und Sich-Betrinkens zu erleben.
2.
Diese Türsteher haben, theologisch betrachtet, und warum sollte diese Kategorie für exzessive Freunde nächtlicher Vergnügungen nicht gelten, die Aufgabe der Erzengel im Himmel übernommen: Wie die Erzengel lassen die Türsteher nach Vorgaben des Chefs „oben“ die armen Seelen, das sind aber hier meist die bestens begüterten Vergnügungssüchtigen, in die Tempel, also in den Kurzzeit-Himmel der Nacht hinein oder eben nicht. Was für eine Macht haben diese säkularen Engel, diese Türsteher: Sie können Menschen, Paaren, Freunden, den ganzen Abend und manchmal die folgenden Tage verderben, wenn sie aus niemals begründetem Urteil keinen Einlass gewähren. Oder eben das Frohlocken bewirken bei denen, die Gnade fanden und eintreten durften ins Heiligtum des Nacht-Rausches. „Viele sind berufen, nur wenige auserwählt“: Was Gott in seinem ewigen Ratschluss festlegte, ist nun – für kurze Zeit – in die Macht der Türsteher geraten.
3.
Was tun sich diese Menschen bloß an, die stundenlang vor der Tür ausharren, in nervöser Unruhe, ob sie Gnade finden beim Türsteher, voller Selbstzweifel, ob sie denn die richtigen, für diese Nacht besonders erwünschten Klamotten tragen, ob sie denn die für diesen Abend „von oben“ erwünschte Visage haben oder diese „gewisse“ Coolness, vielleicht auch dieses leicht perverse, aber gelangweilte Lächeln oder gar den ungewöhnlich neuen Duft. Religiöse Menschen einst stellten sich die gleichen Fragen: O Herr, bin ich würdig, Einlass zu finden in den Himmel? Heute heißt es oft unausgesprochen: O Türstehen, bin ich würdig, Einlass zu erhalten? Wir bitten dich, erhöre uns, heißt das ewige Gebet derer, die in den Himmel wollen, und sei es nur in einen kurzfristigen.
Die Wartenden vor den „heiligen“ Clubs haben also subjektiv alles getan, haben Stunden der Vorbereitung verbracht, um dazugehören zu dürfen. Und dann das Bangen, „draußen vor der Tür“. „Werde ich Gnade finden?
Nebenbei: Über diese oft sehr betuchten Kreise der in die Clubs Einlassbegehrenden wird eher wenig gesprochen, sie sprechen in der Hinsicht auch nicht von sich selbst, wäre ja peinlich zu bekennen: „Ich bin schon so oft in den Club X Y Z nicht rein gelassen worden“. „Welch strenger Engel vor dem Tor zum Himmel regiert denn dort?“ „Wie falsch, wie „sündig“ bin ich denn?“ Diese Frage verdiente es freilich, weiter vertieft zu werden, passiert aber in diesen Kreisen wohl eher selten, wäre ja ein Zeichen der Selbstkritik.
4.
Über die Türsteher speziell in München, in dem wahrscheinlich legendären Club P1, benannt nach der prächtigen Prinzregentenstraße Hausnummer 1, berichtet nun ziemlich ausführlich das ZEIT Magazin vom 5.12. 2019. Will man bestimmte voyeuristische Instinkte der LeserInnen bedienen, also jener, die nie reinkamen und nie rein kommen werden? Und nun etwas Background wünschen? Sicher ist das so.
Es werden also sechs Türsteher befragt, die von 1982 bis heute über das Wohl und Wehe einer gelungenen Nacht im Heiligtum P1 berichten und allerhand, manchmal intime Details verbreiten. Dass sie von „Fleischorgien“ zur Nacht berichten oder von Leuten, die an einem Abend alleine einen Kasten Bier ausgesoffen haben, sind nur Absonderlichkeiten am Rande. Manche der „Engel vor dem nächtlichen Kurzparadies“ haben denn selbst noch einmal den Sprung nach oben geschafft und sich als Chefs etablieren können…
Sie sprechen explizit von „Türpolitik“, gestehen ihre Strenge durchaus ein, eben den einen Bittenden und Bettelnden nicht, den anderen aber je nach Laune reinzulassen. „Um ein wirklich guter Türsteher zu sein, musst du oft ein Arschloch sein“, sagt Damir Fister, Türsteher im P1 von 1994 bis 2004 im ZEIT Magazin. Immer geht es um das Aussehen, um den Eindruck, ob diese oder dieser reinpasst (und Geld hat) oder nicht. In den Himmel der Bibel kamen die Menschen wegen ihrer ethischen Vortrefflichkeit, in den (kurzzeitigen) Himmel der Club Nächte kommen die Menschen aus ästhetischen und finanziellen Gründen. Dass so genannte Pennerpartys im P1 veranstaltet wurden und in gewisser Weise dabei Obdachlose verhöhnt wurden, wundert den Leser eigentlich nicht: Und „der“ (Türsteher sprechen immer nur von „der“ Klaus, „der Keiwan“ etc) also „der“ Damir Fister meint treuherzig: „An so etwas wie politische Correctness haben wir damals nicht gedacht“. Den Interviewern entgeht die Frage oder sie wollen sie in diesem Milieu nicht stellen: Ob es denn auch so etwas wie „ethische Correctness“ geben sollte.
Überhaupt wird einmal mehr klar, dass die journalistische Form des Interviews bei diesem Thema nicht ausreicht: So werden die Türsteher zu Erzählern ihrer ach so tollen und spannenden Lebensgeschichte, deren geschilderte Fakten im Detail natürlich niemand kontrollieren kann.
Aber das ist ein anderes Thema.
5.
Wichtig ist: Wie sich im menschlichen Verhalten Tendenzen des Urteilens und Ausschließens entwickeln, selbst in einem so banalen „Ding“ wie der Lustgewinnung in der Nacht in einem der „angesagten“ Clubs. Über das Wohl und Wehe anderer Menschen entscheiden Menschen ständig: Man denke an die oft undurchsichtigen Urteile der Mitarbeiter der Ausländer und Flüchtlingsbehörden. Und Türsteher wie Bürokraten fühlen sich oft wie kleine Götter oder auch ein bisschen selbstkritisch wie „Arschlöcher“, das sagt ja einer der Türsteher von P1, „der“ Damir.
6.
Die Eigentümer dieser exklusiven „Clubs“ erzeugen förmlich diese Sehnsucht nach Gnade oder Urteil: Darin sind sie der Praxis mancher Kirchen und monotheistischen Religionsgemeinschaften sehr nahe und verwandt.
Die Menschen, die da vor den Clubs Schlange stehen und auf das Urteil warten, wollen förmlich in kleiner Dosierung das Endgericht vorweg erleben. Sie halten gar nichts mehr von dem Gott, der in der Ewigkeit sein definitives Urteil über einen jeden ausspricht. Vor Gott fürchten sie sich nicht mehr, der ist ihnen schnuppe, wohl aber fürchten sie vor dem Türsteher. Den sie manchmal mit Erfolg bestechen. So, wie die Frommen einst, ihre Ablassgebühren entrichteten.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.