Wahlen in Sachsen und Thüringen: Wenn Dummheit sich durchsetzt.

Philosophische Hinweise auf die Wahlen in Sachsen und Thüringen am 1.9.2024

Von Christian Modehn am 4.9.2024.

Einige LeserInnen haben uns gebeten, den Hinweis vom 1.9.2024 als Grundlage für weitere Diskussionen – eher kurz und bündig, als Thesen, anzubieten. Zum Thema „Philosophie der Dummheit“ werden wir weitere Hinweise publizieren.

1.

Jeder Mensch ist in der Lage zu philosophieren. Philosophieren als Aktivität der Philosophie ist Ausdruck dessen, was den Menschen zum Menschen macht: Vernunft, Geist, Seele, Empathie.

2.

Der philosophierende Mensch schaut aus der Distanz auf sein Leben. Das bedeutet, er fragt sich, welchen Sinn, welche Konsequenzen, seine politischen Entscheidungen haben.

3.

Die Qualität auch der politischen Entscheidungen bestimmen Maßstäbe, die in sich widerspruchsfrei sind und für alle Menschen in allen Situationen universell gelten. Diese Maßstäbe sind die Menschenrechte (Erklärung der UN von 1948). Parteipolitische Maßstäbe sind also relativ, weil ideologisch begrenzt, sie unterliegen selbst den universellen Maßstäbe der Menschheit, also den Menschenrechten.

4.

Wer eine Partei wählt, deren Programm und damit deren Ziele er genau gar nicht kennt und trotzdem wählt, kann als dumm gelten. Diese Menschen treffen in einer Wahl für eine Partei grundlegende Entscheidungen für sich wie für die Gesellschaft… und wissen nicht genau, wen und was sie da wählen. „Dummheit ist der mangelhafte Umgang mit den eigenen Fähigkeiten“, schreibt der Philosoph Martin Seel. (Fußnote 1). Diese Dummheit ist gefährlich für den einzelnen wie für die Gesellschaft und den Staat, wenn es sich um eine Partei handelt, die letztlich die Demokratie abschaffen will, die gesichert rechtsextrem ist und faschistische Führer hat. Dies ist die AFD. (Siehe Fußnote 5)

5.

Wer diese Partei AFD wählt, aber durchaus so ungefähr weiß, welche politischen Ziele diese Partei anstrebt, ist ebenfalls dumm zu nennen: „Diese Dummen sind damit zufrieden, vieles nur halb zu wissen und halb zu können. Sie sind mit sich zufrieden, denn sie halten sich für klug genug“, schreibt der Philosoph Martin Seel (Fußnote 2). Und weiter schreibt Seel: “Was über den Horizont der Dummen geht, erscheint ihnen abstrus oder bedrohlich. Eben das kann die Dummen zu einer Bedrohung für andere machen: Dumme schlagen um sich, sobald ihnen zugemutet wird, sich einer komplexen Realität zu stellen” (S. 63).Beispiele für dieses “Um-sich-Schlagen”  kennen wir zur Genüge, man denke an die Gewaltattacken Rechtsextremer gegen Demokraten, gegen demokratische Aktivisten, gegen demokratische Politiker…(Siehe Fußnote 6)

6.

Nur einige der insgesamt Demokratie – feindlichen Ziele der AFD: Die AFD will das von ihr so genannte „Machtmonopol der Altparteien aufbrechen“. Das kann nur heißen: Die AFD will letztlich allein regieren, wenn das Machtmonopol der demokratischen Parteien (von der AFD Alt-Parteien genannt, um das angeblich Veraltete dieser demokratischen Parteien zu bezeichnen) nicht nur „aufgebrochen“ ist, wie es im Text heißt, sondern wohl letztlich gebrochen ist.
Bei einer Herrschaft der AFD haben die Bürger als Bürger nichts Wesentliches mehr zu bestimmen. Manche Philosophen erinnern in dem Zusammenhang an das bekannte und wahre Sprichwort schon aus dem 19. Jahrhundert (auch von Brecht zitiert): “Nur die aller dümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber.“

7.

Die AFD will die Entmachtung der öffentlich-rechtlichen Sender. Die AFD möchte auch aus bekannten Gründen den von ihr verhaßten Verfassungsschutz aufheben, das heißt: Dies ist der übliche erste Schritt der Rechtsradikalen: Die Freiheit der Presse zerstören, dann die demokratische Justiz abbauen.

8.

Verstörend auch der Satz des AFD Programms: „Mehr Rückbesinnung auf erfolgreiche Konzepte der Wissensvermittlung in der DDR“. Details nennt die nun offenbar SED freundliche AFD nicht, offenbar denkt sie an die Doktrin der Vorherrschaft einer Partei, die die Indoktrination und Ideologisierung schon in der Schule durchsetzt.

9.

Ebenso unklar und ebenso bewusst mehrdeutig formuliert ist auch die AFD These Nr. 7: „Es müsse der Sicherheitsstandard erreicht werden, den wir jahrzehntelang gewohnt waren“. Was soll das heißen? Sind gemeint die Jahrzehnte (1949-1989) der von der Stasi „sicher“ unterdrückten Bevölkerung der DDR? Oder meint die AFD gar die „Sicherheitsstandards“ der NDSAP von 1933 bis 1945? Die DDR wie die Naziherrschaft kamen ohne heftigste Verfolgung von politischen Feinden bekanntlich nicht aus. Wollen diese verheerenden Zustände die AFD Wähler allen Ernstes in Thüringen? Also: “Nur die aller dümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber.“

10.

Auch über die Verbundenheit der AFD mit Putin ist in den Thesen zu lesen, über das uralte, verstaubte Ideal der hetero-normativen Ehe ebenso usw.

11.

Was sagen Philosophen über die Dummheit? Es ist durchaus ein zentrales Thema, Grundlegend ist: Es ist der Mangel an Reflexion und eigenem kritischen Urteilsvermögen, der Dummheit prägt. Die Philosophin Hannah Arendt nennt Gedankenlosigkeit das schlimmste Übel unter dummen Menschen (oder dumm gemachten oder dumm geblieben Menschen). Ein typisches Beispiel eines gedankenlosen Menschen, ist für Hannah Arendt der Nazi – Verbrecher Adolf Eichmann: Gedankenlos, d.h.unreflektiert, also dumm sind Menschen wie Eichmann, die ohne kritische Besinnung und ohne eigene kritische Prüfung den Weisungen und Sprüchen der Führer, auch der Parteiführer gehorsam Folge leisten, die dummen Menschen können nicht NEIN sagen.

12.

Der Philosoph Immanuel Kant äußert sich manchmal skeptisch, was eine Heilung von Dummheit angeht: Er schreibt: „Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt, und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen.”(Fußnote 4). Hingegen betont Kant auch, dass jeder Mensch aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit (Dummheit) herausfinden kann: Aber das ist für Kant eher ein gemeinschaftliches Unternehmen. Dummheit ist jedenfalls ein wichtiges philosophisches Thema, Heidi Kastner, Fachärztin für Psychiatrie, nennt allein in ihrem Buch „Dummheit“, Wien 2022, 10. Auflage !, 18 weitere philosophische psychologische Titel zur Dummheit.

13.

Auch der Psychotherapeut Erich Fromm hat sich mit der allgemein um sich greifenden Dummheit befasst, er sah sie in der Fixierung des Denkens aufs rein Technische, sozusagen in der Pflege der bloß technischen Intelligenz. „Dummheit ist das Gegenteil von Vernunft, nicht das Gegenteil von (technischer) Intelligenz“, schreibt Erich Fromm in dem Beitrag „Der Mensch in der kapitalistischen Gesellschaft“, Erich Fromm Gesamtausgabe Band 4, S. 123. Vernunft als Nicht – Dummheit bedeutet für den Psychotherapeuten: „ Zwischen Gut und Böse unterscheiden, das Ziel des Lebens ist Liebe und Vernunft zur Entfaltung bringen“ (ebd.). „In dem Maße, wie ein Mensch sich einer Partei gleichschaltet, kann er die Stimme seines Gewissens nicht mehr hören geschweige denn danach handeln“. In dem Beitrag „Jenseits der Illusionen“ von 1962 schreibt Erich Fromm, in der Gesamtausgabe Band 9, S.137): „Dummheit ist ein Resultat der Unterwürfigkeit, der Angst und des inneren Abgestorbenseins…“

14.

Wichtig also ist diese Unterscheidung: Dummheit ist nicht das Gegenteil von Intelligenz. Intelligente Menschen etwa im technischen Bereich, dort sehr kundig und begabt, können durchaus dumme Menschen sein: Sie gehen sozusagen in der Technik auf, kennen nichts anderes… Klugheit, nicht Intelligenz, ist also der Gegenbegriff zur Dummheit. Und klug ist ein Mensch, der über sein Leben im ganzen kritisch reflektiert. Klugheit in dem Sinne ist mit Weisheit identisch, also mit einer philosophierenden Lebenshaltung.

15.

Unser Thema ist umfassend und es bedarf weiterer Reflexionen und Studien: Über die „Lust am Untergang“ wäre zu sprechen, auch mit Psychologen, die die Motive erforschen, warum Bürger diese AFD wählen und offenbar ihren eigenen seelischen, geistigen und politischen Untergang wünschen. Denn der angezielt Untergang ist in dem Fall mit dem Untergang der Demokratie identisch.

16.
Demokratie ist natürlich niemals faktisch „die beste aller Welten“: in Demokratien werden Fehler gemacht. Aber Demokraten sind bereit, Fehler einzugestehen, diese zu korrigieren und eine besser Demokratie zu gestalten. In der Alleinherrschaft eines Herrschers in einem Einparteiensystem gibt es bekanntlich keine demokratische Entwicklung.

 

Nebenbei:

Eine erfreuliche Nachricht, TAZ am 1.9.2024: ERFURT taz : Björn Höcke hat es zum dritten Mal nicht geschafft, ein Direktmandat zu holen, dabei ist er extra nach Greiz gegangen, weil er im Eichsfeld, seiner Heimat, schon zwei Mal gescheitert war. Den Wahlkreis Greiz II gewinnt aber Christian Tischner von der CDU.

– Der Philosoph und Autor Umberto Eco erinnert in seinem Buch „Der ewige Faschismus“, Hanser Verlag, 2020, an Formen des `Ur – Faschismus`. Ein lesenswerter Text! Siehe dazu unseren Hinweis, LINK

– Siehe auch das Buch von Philipp Ruch, „Es ist 5 vor 33“, Ludwig – Verlag, 2024. Und siehe das Interview mit dem Tagesspiegel (Patrick Wildermann): https://www.tagesspiegel.de/kultur/philipp-ruch-vom-zentrum-fur-politische-schonheit-der-schlaf-des-kanzlers-ist-wirklich-durch-nichts-zu-storen-12308258.html

Das BSW konnte hier nicht näher untersucht werden, also etwa dessen Verständnis für Verhandlungen mit Diktator Putin… Das ist für Europa genauso gefährlich wie die entsprechende Haltung der AFD

FUßNOTEN:

Fußnote 1:
Martin Seel, „111 Tugend 111 Laster,“ S. Fischer Verlag, 2001, S 62.

Fußnote 2, Ebd. S. 63

Fußnote 3, Thesen der AFD Thüringen zur Landtagswahl:
https://www.afd-thueringen.de/thuringen-2/2024/07/die-10-thesen-der-landtagswahl-2024/
Gelesen am 1.9.2024 und am 4.9.2024

Fußnote 4, Kant, „Kritik der reinen Vernunft“, Ausgabe B, Seite 178. , dort als Fußnote mit Sternchen. In der Ausgabe des Felix Meiner Verlages, Hamburg, 1956, Seite 194.

Fußnote 5: Der Fernseh-Moderator und Autor Jan Böhmermann schreibt in einem Beitrag für “Die Zeit” (29.8.2024, Seite 43) sehr treffend:” Wer aus dem Gefühl der Abhängigkeit heraus freiwillig Menschen von gestern wählt, darf sich nicht wundern, wenn das Gefühl der Abhängigkeit danach noch stärker wird. Es wird ganz, ganz finster werden für Sachsen, Thüringen und Brandenburg”.

Fußnote 6: Der Wiener Autor und kritische Beobachter (auch) der (österreichischen ) rechtsextremen Parteien ROBERT MISIK schreibt am IPG Journal vom 5.9.2024: “Hatte man vor gar nicht allzu langer Zeit noch allgemein dem Urteil angehangen, die radikalen Rechtsparteien müssten sich mäßigen, um eine Chance auf Mehrheiten zu erlangen, so ist dies heute nicht mehr der Fall. Ja, man kann sogar sagen: Das Gegenteil ist heute der Fall. Je mehr Radikalität, je mehr Polarisierung und Hass, je irrer an der Eskalationsschraube gedreht wird, umso größer ist der Erfolg der Rechtsparteien. Über die Brandbeschleuniger der sozialen Medien schüren sie Ressentiments und Verbitterung bei ihrem Publikum; und das Publikum, das immer mehr außer Rand und Band gerät, wirkt wiederum auf die Parteien zurück.”

 

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

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